10 - Kinktober - Mau

Content Notes

Erinnerung: Eine der Challenges, die in die Geschichte einfließen, ist der Kinktober.

  • Petplay.
  • Demenz.
  • Ableismus.
  • Allonormativität oder ein passendes erweitertes Konzept.
  • Niedlichkeit und so.
  • Katzen.
  • Nicht-sexueller Kink.

Prompts

  • Mütze (#Solarpunktober).
  • Familiar (#Phantastober).
  • Brille (#writetober2021).
  • Spielball (#Kinktober).

Geschichte

Ich habe also eine kinky Spielbeziehung mit einer dementen Person. Die Reaktionen, die ich darauf bekomme, wenn ich es erzähle, sprechen Bände über alle möglichen normativen Bilder, die Leute von allen Aspekten davon haben, und das erschreckt mich jedes Mal aufs Neue.

Die häufigsten Reaktionen, die ich oft als rasch aufeinanderfolgende Gedankenkette dargelegt bekomme, sind:

  • Oh, ihr Armen. Das Zusammenleben mit einer Person, die alles vergisst, muss anstrengend für dich sein. Und die Person leidet bestimmt sehr darunter.
  • Die Person hat es bestimmt gut mit dir, so führsorglich (Schreibweise beabsichtigt) du für sie gute Entscheidungen fällen kannst. (Meist drücken sie nur sinngemäß das aus.)
  • Aber kinky Spiele solltest du mit einer Person lassen, die nicht mehr konsensfähig ist.

Der letzte Punkt ist wichtig und ich verspreche, dass ich mir darüber permanent Gedanken mache. Ich frage mich nur, haben diese Leute, die mich das fragen, realisiert, was sie im Augenblick davor herausgestellt haben? Haben sie realisiert, dass sie eine eventuell unvermeidbare Aufgabe von Selbstbestimmung als etwas Positives werten, weil ich mich so gut kümmere, während sie plötzlich bei kinky Spielen die Selbstbestimmung doch relevant finden, und davon ausgehen, dass das eine völlig andere Form von Kümmern wäre?

Das nicht mehr erinnern ist der komplizierteste Punkt, denn darüber weiß ich nicht, wie Ankanett sich diesbezüglich fühlt. An vielen Tagen weiß sey nicht, was gestern war, und an manchen Tagen weiß sey nicht mehr so genau, wer ich eigentlich bin. Das wusste sey damals, als wir uns kennen gelernt haben, allerdings auch nicht, und es war ein wunderschöner Tag. Erinnerungen sind nicht unbedingt notwendig dafür, genießen zu können. Erinnerungen sind auch nicht unbedingt dafür nötig, einer Person zügig vertrauen zu können. Die Art, wie sey kommuniziert, wie sey mich einfach akzeptiert und liebt, verschwindet nicht einfach. Das ist ser Charakter, nicht eine Regel, die sey gelernt hat und vergessen kann. Noch nicht zumindest.

Aber ja, vielleicht merkt sey, dass sey vergisst, vielleicht schmerzt das. Ich weiß es nicht. Ich finde es lediglich sehr seltsam, wie das zuverlässig das erste ist, was Leute zu wissen glauben, wenn sie darüber in Kenntnis gesetzt werden, dass Ankanett nun viel vergisst.

Und zu guter Letzt spielt noch eine verschobene Idee hinein, was Leute denken, was kinky Spiele denn sein müssten. Es gibt sicher welche, die ich mit Ankanett niemals spielen würde. Vielleicht bezeichne ich unsere Beziehung auch nur als kinky Spielbeziehung, weil wir einst Spiele gespielt haben und heute immer noch eine verspielte Beziehung haben, ich sie also weiterhin so bezeichnen möchte. Und vielleicht sind die Spiele, die wir gespielt haben, auch einfach nicht sehr gefährlich. Nur ungefähr so gefährlich wie Kuchen essen. Wer würde nicht mit einem Großelter gern Kuchen essen, wenn die Beziehung schön ist und das Großelter gern Kuchen mag? Wo ist das Problem?


Damals. Damals war ich gerade 30 und Ankanett 68. Ich ging an sich gern spazieren, aber brauchte dazu, um gegen meine Antriebsschwäche anzukommen, einen Anlass mit fester Verabredung. Das postete ich auf einer Nachbarschaftsplattform, in der Hoffnung, es würde sich eine Person finden, die vielleicht mitkäme oder so etwas. Es war ein kleines Dorf, in dem ich lebte – immer noch lebe –, und die einzige Person, die innerhalb von drei Tagen darauf reagierte, war Ankanett. Vielleicht hatte ich auch die falsche Plattform genutzt oder ungeschickt formuliert. Hätte sey nicht reagiert, hätte ich wohl eine KI um Hilfe gebeten.

Ankanett schrieb: Hilft eine Tasse Tee draußen auf der Bank vor meinem Haus?

Außerdem machte Ankanett ein Katzen-Emoji dahinter. Ich brauchte ebenfalls drei Tage, bis ich den Mut fasste, zu antworten. Ich kannte Ankanett vom Sehen. Wenn ich es denn Mal selber aus der Wohnung schaffte, trotz Antriebslosigkeit, saß sey oft vor serem Haus im Garten und strickte. Strickte Mützen, manchmal auch Schals oder Socken, aber vor allem Mützen. Ich hatte einfach Angst, doch irgendwie aufdringlich zu sein. Dass sey sich nur erbarmt hätte, weil sonst niemand reagiert hatte. Irgendwann schob ich die Bedenken beiseite und entschied mich, es herauszufühlen zu versuchen, wenn ich erst dort wäre.

Es war ein warmer Herbstnachmittag mit Laub, als ich mich verabredete, Mandostag Nachmittag um drei. Ich wurde immer langsamer, je näher ich kam, weil ich viel zu früh losgegangen war. Das passierte mir immer. Und irgendwann schlich ich gemächlich, Füße sehr bewusst abrollend, wenig Laub aufwirbelnd, und musste an das Katzen-Emoji denken.

Ich kam an, blickte über den Zaun, blieb am Gartentörchen stehen. Sey blickte zurück, lächelte freundlich und winkte mich hinein. Sey trug eine Brille, ein sehr altmodisches Modell. Irgendwie assoziierte ich eine freundliche Hexe mit serem Image.

Unsicher folgte ich der Einladung durch Gesten und nahm neben sem Platz.

“Schön, dass du da bist.”, sagte sey. Warm. So warm. Und überhaupt nicht aufdringlich.

Ich hatte keinen Plan, wie das mit den Begrüßungsfloskeln so funktioniert. Wirklich nicht. Außerdem bohrte sich schon eine ganze Weile die eine Frage in meine Gehirnwindungen. Es passierte mir unwillkürlich, dass ich sie einfach stellte: “Wohnen bei dir Katzen?”

“Ich bin leider allergisch.”, sagte sey mit Bedauern. “Vielleicht habe ich auch zu viel Wolle. Aber ich hätte eigentlich gern eine bei mir wohnen.”

“Mau?”, fragte ich. Mir war nicht klar, warum. Es lag mir einfach auf der Zunge.

Ich wollte eine Katze sein. Ich wollte schon immer jemandes Katze sein. Mich auf allen Vieren durch deren Garten oder Haus bewegen, neugierig, ein bisschen frech, manchmal scheu, manchmal verkuschelt. Gerade letzteres war meine Natur. Ich hatte so ein natürliches Bedürfnis, mich manchmal Leuten, denen ich vertraute, auf den Schoß zu schmiegen und mich kraulen zu lassen. Während sie etwas anderes taten. Einfach ein Teil des Haushalts zu sein, der sich so verhielt, wie eine Katze.

Und aus mir unerfindlichen Gründen traute ich mich bei Ankanett, diese Sehnsucht in diesen einen Laut zu legen. Von Anfang an. Ich vertraute.

“Wenn das deine Frage ist,” – Ankanett zögerte –, “– vielleicht klingt das ein bisschen weird, ignorier mich dann bitte oder sag’s mir direkt – darfst du gern meine Katze sein.”

Ich sank von der Bank auf den Boden. Und begann mit seren Wollknäulen zu spielen. Sey reagierte mit einer freundlichen Geduld. Wie sey eben mit einer Katze umgegangen wäre.

Und dadurch wurde ich schließlich Teil des Haushalts. Schlich sem um die Beine, wenn sey kochte. Hatte irgendwo mein Kuschelnest auf dem Boden, aber lag auch oft genug einfach auf serem Schoß, wenn sey strickte, ließ mich gelegentlich streicheln.

Allerdings musste Ankanett irgendwann einen Spielball für mich beschaffen, einen sehr hübschen in Kugelfischform, damit ich nicht immer sere Wolle verhedderte. Außerdem nähte sey mir Katzenohren.

Alles in allem ein sehr gemütliches, ungefährliches Leben. Eines, das ich in vollen Zügen genoss.

Und auch heute genieße ich Ankanett kein bisschen weniger. Diese vertraute Person. Wenn ich zu sem ins Zimmer trete und sey einfach dieselbe Offenheit für Neues und Unkonventionelles hat, wie damals. Nur, dass manche Dinge nun eben täglich neu sind. Jedenfalls reagiert sey immer noch mit derselben Zuneigung und Freude wie damals, wenn ich ‘Mau’ sage. Meiner Definition folgend hat dieses Spiel nie aufgehört.

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