Leipziger Buchmesse, Seraph-Preis und Barrieren

CN: Pandemie, Ableismus, Armut, Gatekeeping, andere CNs stehen über den jeweiligen Abschnitten

Einleitung

Unter den derzeitigen Umständen wünsche ich mir, nicht für den Seraph-Preis nominiert zu werden. Also, ich fände schon ganz interessant, vielleicht irgendwann mal mit einem meiner Bücher einen Preis zu gewinnen. Und ich muss zustimmen: Mir gefallen diese Seraph-Trophäen optisch durchaus. Es gab auch einiges an der Veranstaltung, was mir gefallen hat. Aber es gibt sehr viel drumherum, was ich nicht leisten können werde, was von mir aber erwartet würde, wenn ich nominiert würde. Implizit wie explizit. Und ich habe dieses Jahr einen ausreichenden Einblick durch mir nahestehende Menschen erlangen können (die ich hier auf deren Wunsch anonym lasse), um zu sagen, dass das Prozedere auch noch weiteres Potenzial zum Senken von Barrieren und Hürden unangetastet lässt. Ich gehe hier der Reihe nach darauf ein.

Die Leipziger Buchmesse und die Auswirkungen auf mich als autistische Person

LBM damals

CN: Meltdown, körperliche Übergriffigkeit

Ich war vor der Pandemie das erste Mal auf einer Leipziger Buchmesse. Es war Samstag und ich war mit zwei Menschen am Haupteingang verabredet, von denen einer zu spät kam. Leider konnten wir sehr schlecht per Smartphone kommunizieren, weil die Netze im Eingangsbereich derbst ausgelastet waren. Mein Smartphone startete sich ständig neu, lutschte sehr frühzeitig den Akku fast leer, sodass meine Noice Cancelling Kopfhörer keine Verbindung zum Bluethooth mehr hatten und sich alle 5-10 Minuten abschalteten, weil die Technik meinte, wo kein Bluetooth, da wird das Noice Cancelling wahrscheinlich nicht gebraucht. Spoiler: Wurde es! Sehr!

Diese Kopfhörer waren das einzige, was mich von der Dauerüberreizung von außenherum trennte, und dass sie ständig unerwartet ausgingen, sowie die Unplanbarkeit von Sozialem um mich herum mündete binnen etwa einer halben Stunde in einem Meltdown. Das bedeutet in meinem Fall, ich schleuderte mein Smartphone (was ich so an sich dringend brauchte) einmal quer durch die Halle, sank auf den Boden und war nicht mehr ansprechbar. Oder zumindest konnte ich nicht mehr reden.

Irgendwer fragte, ob vielleicht der Sani-Stützpunkt informiert werden sollte, und meine überforderte Begleitung stimmte zu. Es kamen an sich freundliche Sanitätspersonen, die mich allerdings leider angefasst haben, so tätschelnd auf dem Knie, um mich zu beruhigen, was vielleicht bei den meisten neurotypischen Personen ein guter Trick ist, aber für eine autistische Person mit Meltdown – im Normalfall nicht. Ich bin vorwiegend deshalb mit ihnen mitgegangen, weil ich sonst noch mehr angefasst würde, und weil ich nicht kommunizieren konnte, dass ich nicht will. Dann lag ich da, im Sani-Stützpunkt, wo keine Begleitung reindurfte, allein. Das soll keine Kritik am Sani-Stützpunkt sein. Im Gegenteil, ich hätte mich gern für einiges an Verständnis bedankt, das ich später erfahren habe, hatte aber nie die Gelegenheit, weil ich eben kaum kommunikationsfähig war. (Der Rest der Geschichte ist nicht so relevant dafür, was so eine Buchmesse für mich als autistische Person bedeutet.)

Irgendwann, viel später, habe ich nochmal gewagt, tatsächlich in eine Halle zu gehen. Es ist nicht unbedingt gegeben, dass nach einem Meltdown noch irgendwas geht. Und es ist mir auch nicht sonderlich gut bekommen. Im Wesentlichen habe ich mir sehr schnell in irgendeiner Ecke einer Halle, in der nichts war außer vermutlich einer Steckdose, einen Fleck gesucht, und habe mich auf den kalten Boden an die Wand gelehnt und mit Noice Cancelling Musik gehört. Dann bin ich irgendwann einfach wieder gefahren.

Was ich von der Messe hatte, außer diesem ganzen Gedöns: Ich habe vielleicht flüchtig Self Publishing Stände gesehen, die ich nicht so richtig verstanden habe, von denen ich mir Flyer mitgenommen habe. Geholfen hat mir davon nichts. Aber ich hatte eine Idee, was das vielleicht bringen könnte, an einem ruhigeren Tag, vielleicht einem Donnerstag zu Arbeitszeiten.

LBM 2023

CN: Overload, Kopfschmerzen, Emeto, Medikamente, Rant über Menschen mit ohne Maske.

Das habe ich dieses Jahr versucht. Es ist Pandemie, aber das interessiert inzwischen kaum wen mehr. Prozentsatz der Menschen mit Maske vielleicht so 1%? Ich kann nicht gut schätzen. Wenig, jedenfalls. Es ist so arg. Ich versuche, dass es mir egal ist, weil es sonst nicht auszuhalten wäre, aber manchmal ist es das nicht, und besonders im Rahmen dieses Artikels möchte ich später noch einmal darauf eingehen.

Ich war also Donnerstag gegen 13 Uhr da, ohne großen Plan, ohne schwierige Verabredung, mit einem Smartphone, auf dem keine Kommunikation passieren musste, und mit besserem Akku und mit Noice Cancelling Kopfhörern. Außerdem kannte ich ja nun schon das Gelände ein wenig und ich war ausgeruht. Bestmögliche Voraussetzungen also. Ich war eigentlich durch die Anfahrt in der vollen S-Bahn und durch den Weg zur Halle zwischen all den Menschen schon am Limit, als ich am Eingang war. Dann bin ich in diese Halle 3 gegangen, wo einfach nur überall Gewusel und Geräusch war, und sich ändernde Lichtverhältnisse, wo ich quasi nur noch im Funktionierenmodus war und an Gespräch wäre nicht zu denken gewesen. Ich ging an einigen Ständen vorbei, wie im Vorjahr, ohne die Möglichkeit irgendwas aufzunehmen oder allein zu interpretieren, was ich da vor mir habe. Einige kleine Verlagsstände habe ich gesehen und die Verlage dahinter sagten mir dieses Mal etwas, weil ich inzwischen mit der Szene etwas vertrauter bin – via dem Internet, das ja so ein mangelhafter Ersatz zum Outernet ist (sarkasm) –, aber ich habe nichts Neues daraus gelernt. Ich fand, dank guten Orientierungssinns (ein Privileg), die Niesche eines Vereins, wo ich Leute kannte, wo mir ein Platz auf einem kleinen Sofa hinter einer Stellwand angeboten wurde, aber auch dort war es gefühlt unendlich voll und die Geräusch- und Lichtkulisse kaum rausfilterbar, selbst mit Noice Cancelling. Immerhin lief niemand in meinem Rücken lang und ich hatte einen Sitzplatz. Ich traf mich da mit einem Herzwesen. Wir redeten kaum in der ruhigsten aller Ecken innen, weil es einfach nicht ging. Auch diese Person litt.

Als die Seraph-Verleihung durch war, war ich auch durch, und zwar über die Maßen. Kopfschmerzen zerschossen mein Hirn. Das ist bei mir ein typisches Overload-Symptom und tritt immer ein, wenn ich reizüberlastet werde. Wenn ich mich auf so Geburtstagsfeiern mit 10 Leuten nicht genug zurückziehe oder abschotte oder nicht genug aufpasse, dann war das bei so etwas auch keine Seltenheit, dass ich sie abbrechen und 5 Stunden in einem kühlen Zimmer bei Dunkelheit mit den Kopfschmerzen klarkommen musste. Auf meinem ersten Chaos Communication Congress habe ich mich am ersten Tag wegen Overload mehrfach übergeben. Aber besagter Congress hat inzwischen gute Möglichkeiten für mich, um zurechtzukommen. Ruhige Rückzugsorte. Bewegung von Menschen ist sinnvoller gelenkt und nicht so brutal. Die Lichtverhältnisse sind für mich besser.

Uns fuhr eine S-Bahn weg und ich verbrachte die Wartezeit auf dem Bahnsteig liegend, die Hände in die Stirn gepresst, mit dem ganzen Gewusel im Kopf, das gefühlt nachträglich per Hand gefiltert werden wollte. Daheim zwang ich mich, etwas zu essen, damit ich das Medikament vertrage und schlief direkt erstmal 4 Stunden, ab dem Moment, ab dem die Wirkung eingesetzt hat. Und dann noch die Nacht. Und mein Kopf fühlte sich zwei Tage später immer noch, als wäre eine Stahlschelle darum gequetscht. Ich fühlte dann noch den Puls in meinen Ohren pfeifen. Es fühlte sich alles falsch an. Dabei waren das nur 4 Stunden Messe.

Fazit

Für mich heißt das: Leipziger Buchmessen werden für mich nicht möglich sein. Wenn das Konzept nicht massiv überarbeitet wird, geht das einfach nicht. Ich habe es zu den besten Konditionen versucht und es ist von meiner Seite keine Strategie möglich, um da für mich irgendwas Sinnvolles rauszuholen, während der Preis mehrere Tage Krankheit ist. Früher habe ich gedacht, ich muss trotzdem, ich muss doch das leisten können, was andere können, die jammern doch auch, aber… nein. Ich hatte einen BurnOut durch diese Einstellung, ich brauche keinen zweiten.

Die Seraph-Zeremonie und die schönen und miesen Dinge

Der Seraph-Preis ist ein Preis, der in drei Kategorien Bücher in der Fantastik hervorhebt und mit Preisgeld versieht. Die Zeremonie wurde von zwei Moderierenden gestaltet, die jeweils eine Rede gehalten haben. Die erste der Reden war ein unangenehmer Stich für Menschen wie mich.

Es wurde außerdem die Jury vorgestellt. Und schließlich wurden jeweils die Gewonnenhabenden des Preises vom Vorjahr für jede der drei Kategorien gebeten, eine Rede zu halten, um die siegende Person diesen Jahres in ihrer Kategorie zu verkünden.

In Person Treffen…

CN: Rant über Menschen mit ohne Maske

Die erste Rede betonte, wie toll es doch wäre, dass wir uns nun wieder in Person treffen können, und wie wichtig es wäre, dass wir uns alle versammeln können.

Das fand ich in so vielerlei Hinsicht mies:

  • Es gibt Menschen, die in den Phasen mit wenigen Infektionen während der Pandemie mal Teilhabe hatten, weil Maskenpflicht herrschte. Menschen mit erhöhtem Risiko durch Infektionen, schwere Folgen zu erleiden. Aber heute achtet kaum wer mehr auf Abstand, Leute ignorieren, dass die Maske, die sie selber tragen, anderen Teilhabe ermöglichen könnte und da steht fröhlich eine Person, ebenso ohne Maske, auf der Bühne und faselt was davon wie gut das wäre, dass wir uns wieder treffen können. Nein, es war mal für einen kurzen Moment möglich, dass sich mehr Menschen treffen konnten, nun ist es wieder nur für die gesundheitlich privilegierten Menschen der Fall.
  • Viele behinderte Menschen sind nachwievor ausgeschlossen. Darein würde ich mich nun auch zählen.
  • Darüber hinaus schert das wieder Menschen über einen Kamm: Es gibt so, so viele Menschen, für die Online-Treffen oder andere Wege des Treffens und Verbindens nicht nur ein schlechter Ersatz, sondern im Gegenteil, eine bessere Möglichkeit ist, zu connecten! Zum Beispiel allerlei neuroatypische Menschen, deren Mimik nicht, oder nur deshalb lesbar ist, weil sie sie trainiert haben, damit das ankommt, was sie fühlen, nicht, weil es für sie natürliche Gesichtsausdrücke wären. (Stichwort: Masking).
  • Schließlich gibt es auch noch geschlossene Pseudonyme, etwa von Leuten, die OwnVoice über Perspektiven schreiben, mit denen sie nicht out sein können. Es gibt toxische Familien, die ein offenes Pseudonym nicht möglich machen, Stalking-Erfahrungen, besonders schwierige finanzielle Abhängigkeiten von -istischen Leuten. (Auch über den Umgang mit solchen Situationen wäre eine transparente Kommunikation der Seraph-Orga hilfreich.)

Warum kann sich in einem Atemzug Diversität gewünscht werden, während schon wieder dieses “real treffen ist so super, das haben wir alle so vermisst” rausgehauen wird? (Online treffen ist übrigens ebenso real! Es empfielt sich der Begriff Outernet.)

Immerhin wurde es in einer Rede der anderen Person etwas relativiert.

Sichtbarkeit von Nichtbinarität

Ein wirklich schöner Moment war für mich, als die Jury vorgestellt wurde. Die Namen standen auf der Leinwand mit einer Bezeichnung wie Autor*in oder Blogger*in. Und es war tatsächlich so, während einige Personen feminine und maskuline Bezeichnungen hatten, dass mindestens drei der Personen ein entgenderndes Zeichen in der Bezeichnung trugen. Drei in einer nicht endlos langen Liste. Das hat mir dieses Gefühl geschenkt: Wir sind nicht mehr ignorierbar. Es ist nicht mehr so leicht möglich, zu sagen, das sind doch nur ein paar wenige, sehr seltsame Leute, sondern es waren nicht bloß Ausnahmen. Und sie waren nicht im Rahmen einer explizit queeren Gruppe sichtbar, sondern in einer Jury für so einen Preis!

(Ich hätte schön gefunden, wenn der Gap wirklich bei allen dieser Personen mitgesprochen worden wäre und nicht mindestens eine dieser Personen misgendert worden wäre.)

Anmerken mag ich, dass diese Bezeichnungen nicht zwangsläufig etwas über das Geschlecht der Person aussagen muss. Es dürfen auch dya cis Personen entsprechende Bezeichnungen wählen, und es würde mich freuen. Es zeigt nämlich dennoch, dass das Thema wichtig ist, dass wir uns das wünschen dürfen, und dass diese Diversität existiert.

Barrieren im Zusammenhang mit dem Seraph-Preis

Die Seraph-Preise werden also auf der Leipziger Buchmesse im Outernet übergeben. Für mich wäre dieser Rahmen nicht machbar, wie ich weiter oben ausführte. Mich hat schon einfach nur Zuhören komplett zerlegt. Der Stress, obendrauf irgendwas zu müssen, wie auf eine Bühne zu gehen? Undenkbar. Dabei bin ich eigentlich ein Bühnenmensch. Lampenfieber habe ich nicht. (Ein Privileg.) Eine kleine Bühne an irgendeinem Ort, wo nicht darumherum eine Messe stattfindet, wäre vielleicht machbar für mich. Aber auch nicht für alle. Lasst uns mehr über Barrieren reden!

Kommunikation

Ich habe mich also gefragt, was mit Leuten wäre, die den Preis gewinnen oder gewinnen könnten, weil sie nominiert sind, denen ein Messebesuch nicht möglich ist. Dazu habe ich ein Gespräch mit einer nominierten Person geführt. Die Antwort ist: Proaktiv passiert da erstmal nichts.

Die Person hat zunächst über einen Post auf Social Media erfahren, dass sie nominiert worden ist. Immerhin durch einen Tag. Was wäre, wenn Personen keinen (passenden) Social Media-Account haben oder auf Social Media nicht aktiv sind (es gäbe so viele Gründe dafür)? Wir wissen es nicht.

Es gab keine hilfreiche Kommunikation. Öffentlich wurde gefragt, wer der Nominierten käme. Es gab keine Darlegung des Ablaufs, keine Information darüber, dass vielleicht die Gewinnenden eine Woche vorher von ihrem Gewinnen erfahren würden (vielleicht haben sie es auch vor Ort erst erfahren), wir wissen es alles nicht. Ich hätte vielleicht nachgefragt, aber so etwas braucht Mut und das Gefühl, das zu dürfen. Vielleicht braucht es auch Wut, die gegen die innere Überzeugung hilft, ohnehin überall falsch zu sein, oder Erwartungen nicht gerecht zu werden oder eh undankbar herumzunerven und mit Fragen zu belasten.

Eine große Frage, die so für uns im Raum steht: Warum werden die Nominierten im Vorfeld gefragt, ob sie kommen? Impliziert das, dass “nein” sagen eine Option ist, die auch als selbstverständlich gesehen würde? (Aus der Rede zu schließen, in der mehrfach fiel, dass schön wäre, dass es alle geschafft hätten, dazusein, ohne Erwähnungen von Barrieren, eher nicht, würde ich sagen.) Oder bedeutet es vielleicht sogar, dass diejenigen, die nicht kommen, aus der Entscheidung rausfliegen könnten, weil nur wer anwesend ist, einen Preis bekommen könnte? (Es gibt schließlich Veranstaltungen, wo das so gehandhabt wird. Was großer Mist ist.)

Die unklare Kommunikation im Vorfeld ist für sicherlich viele enormer Stress. Ich verstehe grundsätzlich die Idee der Überraschung, weshalb eigentlich Gewinnende im Vorfeld vielleicht nicht davon erfahren sollen, dass sie gewinnen (ich weiß, wie gesagt nicht, wie das hier gehalten wurde), aber das ist ein so extremer Stress, den eigentlich nur gesundheitlich privilegierte Menschen ansatzweise brauchbar wegstecken. Ansatzweise. Ich verstehe nicht, wieso diese Handhabe irgendwo gängig ist, weil ich eigentlich keine Person kenne, bei der das nicht irgendwelche gesundheitlich unguten Auswirkungen hat, und wenn wir das nochmal multiplizieren mit psychischen Störungen… dann weiß ich nicht, wieso im gleichen Zusammenhang von Diversität geschwärmt werden kann.

Lösungsansätze wären zum Beispiel eine E-Mail im Vorfeld, die über so ein paar Dinge informiert und es den Nominierten leichter macht.

Des weiteren liegen in einer Buchhandlung auf der LBM auch die Bücher der übrigen Nominierten aus, die nicht gewonnen haben. Sie werden darüber nicht informiert. Wäre ja auch irgendwie schön, wenn das spätestens auf der Bühne angesprochen werden könnte. Für nicht allzu bekannte Selfpublishende ist das eine große Sache.

Und wenn schon von Connection geredet wird, die auf so einer Buchmesse möglich wäre, und wenn schon im Vorfeld einfach so die Nominierten gefragt werden, ob sie kommen, wäre vielleicht auch nett, wenn zum Beispiel ein kurzes Treffen mit allen Nominierten organisiert worden wäre. Oder diejenigen, die da sind und möchten einmal auf die Bühne gebeten worden wären.

Ich komme mir quengelig vor, so als würde ich zu einem Haufen Orga (und es ist viel, ich sehe das), noch etwas oben drauflegen wollen. Vielleicht bin ich das. Ich sehe halt diesen enormen Stress, den das bei zum Beispiel neuroatypischen Schreibenden auslöst, dass sie da sein müssen, und dann bringt das Dasein ziemlich wenig, außer einen Haufen gesundheitlicher Beschwerden und finanzielle Einschnitte. Unter den nominierten des letzten und diesen Jahres gab es, das weiß ich, nicht nur eine neuroatypische Person.

Die Reden der Vorjahrssiegenden

Siegt eine Person, so wird sie damit im Folgejahr gleich noch einmal (gefühlt?) verpflichtet, auf die Bühne zu kommen und eine Rede zu halten. In dieser Rede wurde jeweils einiges über das Buch der siegenden Person in diesem Jahr gefeiert.

Neben den Problemen, die ich mit Anreise, Belastung durch Messe, Probleme mit Bühne und Anxiety sehe, sehe ich hier noch zwei andere:

  1. Von mir würde erwartet werden, dass ich das Buch auch vorher lese. Also, wenn ich eine Rede darüber halte, erwarte ich es von mir. Nun ist meine Kapazität, Bücher zu lesen wegen meiner Sehbehinderung und durch meine begrenzte Aufnahmefähigkeit auf maximal 12 Bücher im Jahr beschränkt. Und mit maximal meine ich: In guten Jahren geht das. In schlechten liege ich bei so dreien. Ich kann nicht immer lesen, ich brauche dafür eine gewisse Ruhe im Kopf. Das wäre also etwas, was ich wieder gegebenenfalls nicht leisten könnte. (So gern ich würde, ich liebe Bücher.)
  2. Ich soll über das Buch eine Rede halten, in der es positiv abschneidet. Und das kann ich mit mir nicht vereinbaren in einem Fall, dass ich das Buch in Wirklichkeit gar nicht so gut fand. Ich kann nicht auf Bühnen stehen und Quatsch erzählen. Und dazu zähle ich das Vermitteln eines Eindrucks, hinter dem ich nicht stehe. Das mag eine autistische Sache sein, ich weiß es nicht. Und nun kann ich Glück haben und ein Buch hervorheben sollen, das ich zufällig sehr mag. Aber ich kann auch Pech haben und… dann stehe ich vor einem unlösbaren Problem.

Auch diese Sache ist irgendwie schwierig, wenn es um zum Beispiel autistische Menschen geht. (Sicher haben nicht alle autistischen Menschen ein Problem damit, aber ich halte die Unmöglichkeit, nicht authentisch zu sein, für eine typische Sache bei uns.)

Finanzielle Hürden

Wenn wir also vermuten, dass von nominierten Personen erwartet wird, zu kommen, rennen wir schließlich in das Problem, dass die Messe zu besuchen, auch ein hoher finanzieller Aufwand ist. Neben dem nicht unbedingt billigen Zutritt (und mit billig meine ich günstiger als 5€) zur Leipziger Buchmesse selbst fällt Fahrt an. Aus Wien kommen viele, die ich kenne, und wenn etwa ein Zug günstig im Vorfeld gebucht wird, ist man bei der Strecke hin und zurück mindestens 100€ los. Hinzu kommen Übernachtungskosten, wenn man nicht gerade wen kennt. Das kriegen viele Selfpublishende nicht im Mindesten über ihre Einnahmen gedeckt. Und gerade Selfpublishende machen oft auch deshalb Selfpublishing, weil sie nicht viel Geld haben. Weil auch 5€ schon eine Stange Geld ist. (Wieviele Leute in meinem Umfeld mir sagen, sie können sich diesen Monat mein Buch nicht leisten, sie müssen schauen, ob es nächsten Monat geht. Wie vielen Menschen ich, als ich finanziell besser dran war, Bücher geschenkt habe, weil es eben nicht drin war…)

Nochmal ein Schlenker zu Barrieren: Reisen selbst kann auch wieder für viele behinderte Menschen eine Barriere an sich sein. So konnte ich in der Vergangenheit vor meiner Entdeckung von Noice Cancelling Technik und einer Menge Routine maximal drei Stunden fahren, ohne Overloads mit oben berichteter Auswirkung als Folge erleben zu müssen. Andere können gar nicht fahren.

Fazit

Während beim Seraph-Preis in den Reden viel über Marginalisierungen und Sichtbarkeit und Diversität gesprochen wurde, zeichnet der Rahmen und der Umgang ein aus meiner Sicht krass ausschließendes Bild gegenüber armen und behinderten Menschen. Das finde ich schade und ich hoffe, dass in Zukunft daran wenigstens die verhältnismäßig einfach machbaren Dinge geändert werden, wie:

  • Mehr Information an die Nominierten.
  • Mehr Sichtbarkeit der Problematiken, statt sie in Aussagen wie “Juhu, wir können uns wieder live treffen” auch noch aktiv unter den Tisch zu kehren.

Solange ich für so etwas auf die Leipziger Buchmesse gehen müsste, möchte ich am liebsten nicht nominiert werden, weil der Rahmen für mich aus sehr vielen Gründen nicht managebar wäre, und fühle mich im selben Kontext von einer großen und eigentlich schönen Sache ausgeschlossen. Eine Utopie ist was anderes.

Tröt