Von Gender-Sternen und Stolperfallen

Der Text wird mit Beispielen versehen sein, die gegebenenfalls nicht screenreader-freundlich oder freundlich gegenüber anderen Leseschwierigkeiten oder ähnlichem sind.
Außerdem: Feindlichkeit gegenüber Menschen mit Behinderungen, Transfeindlichkeit, Nicht-binär-Feindlichkeit

Einleitung

Kurz vorweg, damit mir hier nicht viele abspringen: Ich bin gegen das generische Maskulinum. Ich habe zwar Argumente gegen beliebte geschlechtergerechte Schreibweisen, aber versuche euch nicht zu erzählen, was ihr daraus schließen sollt. Es gibt den häufigen Vorwurf, die Argumente von Menschen mit Behinderungen bezüglich Hürden würden als Instrumentalisierung genutzt, um gegen geschlechtergerechte Sprache zu argumentieren. Das kann ich nicht beurteilen. Was ich hier schreibe und aufzeige, nennt Argumentationen konkreter betroffener Menschen, mit denen ich im Gespräch war, deren Profile und Ziele ich mir angesehen habe, die zu einem großen Teil auch gegen ein generisches Maskulinum sind. Daher wünsche ich mir, dass all dies bei Überlegungen, Argumentationen und zukünftigen Studien zu geschlechtergerechter Sprache zumindest bewusst ist.

Themeneinordnung

In diesem Blogartikel geht es nicht darum, zu sagen, was andere tun sollen. Es geht nicht darum, eine Lösung zu benennen. Das könnte ich gar nicht, das Recht hätte ich nicht. Ich bin nur eine Person. Es gibt keine sinnvollen Studien, die die Thematik abdecken. Es gibt zwar generell zum Thema eine Menge Studien, aber meines Wissens keine, die die Frage nach Barrierefreiheit und nach Repräsentation gleichzeitig angeht. Ich habe selbst an vielen teilgenommen und habe in ihre Hintergründe hineingeblickt. Aber noch vermisse ich ein Miteinander.

Dies ist ein Thema das viele maginalisierte Minderheiten besonders betrifft:

  • Frauen, Lesben, inter*, nicht-binäre, trans und agender Menschen (FLINTA*, mehr dazu in der Einleitung dieses Artikels).
  • Insbesondere inter*, nicht-binäre und agender Menschen.
  • Blinde, sehbehinderte und anders sehbeeinträchtigte Menschen, die zum Beispiel Screenreader verwenden.
  • Menschen mit Legastenie oder Dyslexia.
  • Neuroatypische Menschen.
Ich falle in, äh, alle Kategorien? Aber trotzdem gibt es auch innerhalb jener wieder Unterschiede. Ich bin nicht für Menschen repräsentativ, die einen Screenreader brauchen. Dazu schränkt mich meine Sehbeeinträchtigung zu wenig ein. Ich verwende Screenreader, aber unterstützend und nicht ausschließlich.
Ich bin für dieses Thema nicht repräsentativ für neuroatypische Menschen, weil ich mit dem Lesen von Sonderzeichen im Text keine Probleme habe (es sei denn, es sind zu viele auf einmal, oder es sind Wörter wie "eine*r", in denen der Gap nicht so leicht gesprochen werden kann). Aber Neurodiversität ist ein Spektrum, es ist für Menschen auf diesem Spektrum einfach verschieden.
Aber was ich durch diese Mehrfachmarginalisierung kann: Allen Betroffenen zuhören und ihre Bedingungen an eine barrierearme, nicht diskriminierende Sprache ernst nehmen. Intersektionalitätsprobleme sind ein [Zensiert]! Ich habe so furchtbar verletzende Argumentationen beider Seiten gehört, weil die jeweiligen Probleme der anderen Seiten jeweils aberkannt oder zumindest nicht ernst genommen wurden. Ein Grund dafür ist, dass die Probleme sich nicht auf die gleiche Weise auswirken und Mechaniken im Spiel sind, die in einer Debatte, in der man gleichzeitig gegen eine konservative, ignorante "lass uns mal besser nichts ändern"-Mehrheit kämpft, viel und oft übersehen werden.

Dieser Text soll eine Übersicht über diese Probleme geben. Er soll aufzeigen, was für Probleme einfach real da sind und oft nicht gesehen werden. Vielleicht kann er eine Basis für neue Studien darstellen. Wobei bei Studien klar sein sollte, dass nicht eine Mehrheit über uns entscheiden sollte, das geht schief.
Der Artikel soll nicht erklären, was die Lösung ist, sondern aufzeigen, was wir beim Suchen einer Lösung bedenken müssen.

Die Lösungsansätze und ihre Probleme

Generisches Maskulinum

Beispiel: Hallo Lehrer, Schüler und Freunde
Okay doch, ich habe eine Ansage bezüglich Lösungen: Generisches Maskulinum ist nicht die Lösung. Generisches Maskulinum führt zu verringerter Sichtbarkeit von Frauen, Lesben, inter*, nicht-binären und agender Menschen. Dazu gibt es immerhin eine Menge Studien, viele davon am Ende des Artikels "Was haben Sie denn gegen das generische Maskulinum" verlinkt. Über diesen Punkt haben bereits sehr viele geschrieben und ich möchte darauf gar nicht so genau eingehen.

Nennung des Maskulinums und des Femininums

Beispiel: Hallo Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler, Freundinnen und Freunde
Im Gegensatz zum generischen Maskulinum ist dies ein expliziter Ausschluss nicht-binärer Menschen. In diesem Fall werden zwei Geschlechter genannt, damit wird aus dem generischen Maskulinum ein klares Maskulinum. Diese Diskriminierung tut mir persönlich zum Beispiel sehr weh. Mir fällt es sehr schwer, Texte zu lesen, die diese Form verwenden, weil es mir ständig ins Gesicht schreit: "Du existierst nicht!". Und auch die Gespräche, die resultieren, die Argumente, kommen in mir dann wieder hoch, wenn ich um Sichtbarkeit bitte: "Stell dich nicht so an, stell dir einfach vor, du wärest mitgemeint.", "Kann doch nicht so schlimm sein!", "Wir meinen doch schon Frauen mit und das ist dann auch wieder falsch.", "Du bist doch weiblich gelesen, kannst du dich nicht unter Schülerin einordnen?".
Es hängt da sehr viel dran. Einschließlich Geschlechtertrennung in Förderungsprogrammen für Erwachsene, auch an Forschungseinrichtungen. Ich bin ausgeschlossen und unsichtbar, ständig. Ein Text, der mir das so ins Gesicht knallt, ist für mich definitiv sehr schwer lesbar. Das stellt eine Hürde in einer Höhe dar, die ich an manchen Tagen nicht packe. Ich bin ein Beispiel. Es gibt sicher Menschen, die das an keinen Tagen können.

Generisches Femininum

Beispiel: Hallo Lehrerinnen, Schülerinnen und Freundinnen
Auch diese Möglichkeit führt zur Unsichtbarkeit nicht-binärer und inter* Menschen, sowie erkennt es die Lebensrealität von trans maskulinen Menschen oder trans Männern ab. Das generische Femininum, wie viele Förderungsprojekte, die sich an die Dekonstruktion des Patriarchats wagen, hat als eine der Hintergrundideen, dass alle Männer in unseren Systemen im Zusammenhang mit Geschlecht privilegiert wären. Das ist aber so nicht präzise. "Einer der Grundpfeiler des Patriarchats besteht darin, Frauen und Männer als eindeutig und körperlich erkennbar voneinander getrennte Wesen zu betrachten, die verschiedene Aufgaben erfüllen sollen." schreibt der Spiegel in einer Kolumne mit dem Titel "Queere Weltmacht, na klar!", der einen vorher erschienenen FAZ-Artikel dekonstruiert, in dem es um Frühsexualisierung ging. Aber das ist ein anderes Thema, ich fand nur dieses Zitat sehr treffend.
Das Patriarchat verletzt besonders jene Menschen, die nicht männlich sind, oder aus irgendwelchen Gründen als "nicht männlich genug" einsortiert werden oder über einen langen Zeitraum hinweg nicht so einsortiert worden sind. Das betrifft auch viele Männer mit Behinderungen, trans maskuline Menschen, nicht-binäre Menschen, nicht-binäre Männer, trans Männer, gender-nonconforming Männer.
Bei der Dekonstruktion des Patriarchats sollten wir also bedenken, dass wir dabei nicht versuchen, zu sagen, "Weibliches muss gefördert werden", denn das ist höchstens bedingt oder auf sehr kurze Sicht besser, als das Patriarchat selbst. Menschen, die durch das Patriarchat in eine weibliche Ecke zwangsgeschoben werden, aber gar nicht weiblich sind, werden durch diesen Schritt ausgeschlossen und noch ein zweites Mal geschlagen. Das sage ich als Person, die gerade frisch aus mehreren Netzwerken diskriminiert wurde, die sich gegen das Patriarchat und deshalb für Frauen einsetzen möchten, für die ich, damit sie mich mitmeinen, mich jedoch Frau hätte nennen müssen. Aber mich "Frau" zu nennen löst heftige Dysphorie aus. Dazu mehr im Artikel "weiblich gelesen".
Nein, das genererische Femininum ist nicht genau das Gleiche. Aber es hängt mit dem Thema zusammen und fördert nicht das Bewusstsein dieses Gesamtkomplexes, hilft nicht dabei, auch das transfeindliche Gate Keeping anzugehen.
Es bringt außerdem die gleiche Bin-ich-mitgemeint-Frage mit, wie sie beim generischen Maskulinum vorliegt, was vielleicht als Zwischenlösung eine interessante Idee wäre, würde dieses Gefühl nur (durch ihr Geschlecht) privilegierte Menschen treffen.

Die Sternschreibweise

Beispiel: Hallo Lehrer*innen, Schüler*innen und Freund*innen
Unter den Personen, die sich für eine geschlechtergerechte Sprache einsetzen, ist dies wohl die beliebteste Variante. Unter anderem verwendet Fridays For Future in vielen Regionen diese Schreibweise. In Umfragen, wie sehr nicht-binäre Menschen sich in Sprache mitgemeint fühlen, schneidet die Schreibweise häufig mit am besten ab, zusammen mit der neutralen Schreibweise. Und hier ist die Enttäuschung: Diese Sternschreibweise ist nicht barrierearm.

Das betrifft zum einen Menschen, die Screenreader benutzen. Der Stern wird je nach Screenreader und Einstellung als Zeichen mitgelesen. Der Screenreader sagt dann: "Lehrer Stern Innen", "Schüler Stern Innen" und "Freund Stern Innen" (tweet darüber, wie der Genderstern vorgelesen wird). Für manche ist das sehr unangenehm und störend.
Da es vor allem im Mathe-Kontext als Stern gelesen werden sollte, gibt es auch die Möglichkeit, es nicht mitlesen zu lassen, wenn es nicht um einen Mathe-Kontext geht (Erklärung auf twishort zum Stern in und außerhalb vom Mathe-Kontext). Auch das Umstellen ist für manche eine Barriere. Das Problem ist individuell.
In jedem Fall passiert die Umstellung durch Nutzende. In Twitterdiskussionen wurde mir von Programmierenden dazu oft gesagt, Screenreader ließen sich einfach umprogrammieren, sodass sie es auch selbst erkennen würden, - nicht von Programmierenden, die sich selbst damit befassten. @YetiFlorisdorf befasst sich damit und erklärte mir: Das ist ein Mythos. Ein Grund dafür ist zum Beispiel, dass der Stern auch als arithmetisches Zeichen in kaum unterscheidbaren Zusammenhängen auftritt (tweet mit Beispiel für den Stern als arithmetisches Zeichen in für Screenreader schwer erkennbarem Zusammenhang).
Wie ich anfangs sagte, betrifft mich dieses Problem nicht so sehr, dass ich aus eigener Perspektive erzählen könnte.

Aber nicht nur Screenreader-Nutzenden kann das Lesen von Gendersternen erschwert sein. Auch Neurodiversität spielt hier mit hinein. Ein Autist schreibt auf Twitter, dass Stern, Unterstrich und Doppelpunkt in längeren Texten alle dazu führen, dass jene Person sie nicht mehr erfassen kann (tweet über das Hindern am Lesen durch Sonderzeichen). Auch einige Menschen mit Legasthenie haben mit ihm Probleme. Legasthenie fällt verschieden aus, sodass es hier auch zu sich ausschließenden Problemen kommt. (Für manche ist der Doppelpunkt das einzige, was geht )(das betrifft zum Beispiel die Partnerperson eines Herzwesens), für manche ist der Doppelpunkt das, was am schlechtesten geht, aber dazu später im entsprechenden Abschnitt.)

Ein weiterer Aspekt des Sterns oder des Unterstrichs ist Formatierung: In vielen Programmen werden sie dazu genutzt, um Text dazwischen kursiv oder fett zu setzen. Wenn neue Programme ohnehin für manche (mich zum Beispiel) eine Barriere darstellen, weil sie für neurotypische, sehende Menschen gebaut sind und sich länger hineingearbeitet werden muss, dann ist auch das Herausfinden, wie in jenem Programm denn nun der Genderstern als Stern gesetzt wird, eine spürbare Barriere.

Die Unterstrich- oder Gapschreibweise

Beispiel: Hallo Lehrer_innen, Schüler_innen und Freund_innen
Als Zeichen, das manchmal sogar Gap genannt wird, folgt die Unterstrich-Schreibweise in seiner Beliebtheit dem Stern. Für manche löst er das Gefühl eines Platzes aus, in dem wir nicht-binäre Menschen Raum finden. Für manche ist unangenehm, dass der Platz so weit unten ist und ein Gefühl für Unterordnung auslöst.
Er bringt zum großen Teil die gleichen Probleme mit, die der Stern mitbringt: Er führt dazu, dass es manche autistische Personen gibt, die längere Texte dann nicht mehr erfassen können.
Er dient auch oft zur Formatierung, um Texte kursiv oder fett werden zu lassen, wie im Abschnitt zuvor erwähnt.
Screenreader lesen ihn teils mit und teils nicht. In Einstellungen lässt sich gegebenenfalls eine Aussprache anpassen (tweet über Anpassmöglichkeiten von Screenreadern, ob sie Sonderzeichen vorlesen oder nicht und folgender). Einige bevorzugen aber auch, ihn immer mit aussprechen zu lassen, weil er oft Teil von zum Beispiel E-Mail-Adressen ist (tweet, der begründet, warum manche Screenreader auch so einstellen, dass sie Sonderzeichen vorlesen).
Gegenüber anderen Sonderzeichen hat er den Vorteil, dass Hashtags nicht mehr zerlegt werden. Er stellt aber verglichen mit dem Stern kaum weniger eine Barriere dar.

Doppelpunktschreibweise

Beispiel: Hallo Lehrer:innen, Schüler:innen und Freund:innen
Einer der Aspekte aus den letzten Abschnitten bezieht sich auch auf den Doppelpunkt: Er führt dazu, dass es manche autistische Personen gibt, die längere Texte dann nicht mehr erfassen können.
Ich möchte aber noch zwei andere Gruppen nennen und mit Mythen aufräumen:
Die Behauptung, dass der Doppelpunkt von Screenreadern korrekt gelesen werden könnte, stimmt nicht so einfach (tweet bezüglich der (Nicht-)Korrektheit des Vorlesens von Doppelpunkten von Screenreadern). Er erzeugt eine Pause zwischen den beiden Wortteilen, die so lang ist, wie sie für eine neue Zeile gewählt würde. Vielleicht ist eine Vorstellung für das Lesen entsprechend, dass ein Satz mit Lehrer

innen dann so zerpflückt wäre, wie hier. Es stört mindestens bei einigen den Lesefluss ebenso sehr, wie ein ausgesprochenes Sternchen, andere hören so schnell, dass diese längere Lücke nicht auffällt. Das Binnen-I hätte hingegen eine richtige Aussprache, aber dazu im nächsten Abschnitt.

Der Doppelpunkt, sowie andere kleine, unauffällige Zeichen wie das Apostroph gehen bei manchen Menschen mit Dyslexia oder anderen neuroatpyischen Menschen unter (tweet 1 zu Sonderzeichen beim Gendern und Menschen mit Dyslexia, tweet 2, replies auf diesen tweet 3). Das Apostroph wird von mindestens einigen Screenreadern auch ohne Lücke gelesen, sodass es wie ein Femininum klingt.

Besonders der Doppelpunkt ist bei einigen nicht-binären Menschen auch deshalb unbeliebt, weil es ein unauffälliges Zeichen ist, das von abled, binären, dya, cis Menschen ständig als barrierearm in Replys vorgeschlagen wird, mit Argumenten wie, man habe gehört, es wäre barrierearm, ohne sich genauer damit auseinanderzusetzen. Auf diese Weise wird ein möglichst unauffälliges Zeichen durch eine Menschengruppe gepusht, die überhaupt nicht betroffen ist, einfach aufgrund von Hörensagen. Dazu kommt, dass der Doppelpunkt manchen nicht-binären Menschen aufstößt, weil es als Zeichen mit zwei Punkten gerade Binarität entgegengesetzt werden soll. In vielen Bereichen, in denen die Doppelpunktschreibweise verwendet wird, hat sie zu einer hohen Wahrscheinlichkeit nicht den Hintergrund, dass Personen damit mehr als zwei Geschlechter meinen. Viele nicht-binäre Menschen haben auch keine negative Meinung zur Doppelpunktschreibweise. Wichtig ist vor allem, hier nicht von der perfekten Lösung zu reden, wie es häufig getan wird.

Zeichen über dem I

Beispiel: Hallo Lehrerïnnen, Schülerïnnen und Freundïnnen
Unter dem Stichpunkt Trema lassen sich kombinierte Zeichen aus I und Punkten oder ähnlichem finden. Ähnlich, wie im Beispiel des Doppelpunkts ist dieses Zeichen für manche Menschen mit Formen von Legasthenie oder Dyslexia nicht so ohne weiteres von einem i zu unterscheiden. Manche Screenreader führen beim i mit Doppelpunkt zu einer akzeptablen Aussprache, die allenfalls das i überbetont (tweet bezüglich Aussprache von I mit Zeichen darüber von Screenreadern). Manche lesen ihn in einer störenden Weise vor, sagt @MeinAugenlicht.
Es bringt aber auch mit sich, dass es sehr dicht am generischen Femininum ist, was bei einigen zum Beispiel nicht-binären Menschen eine ähnliche Dysphorie oder ein ähnliches Ausgeschlossenheits-/Unsichtbarkeitsgefühl auslöst, wie eben dies.
Selbiges gilt für das i mit einem Stern darüber.
Ein weiterer Nachteil ist, dass die Umstellung auf ein solches Zeichen auch ein sprachweites Umstellen von Tastaturen oder Tastaturbedienung für alle Geräte erfordert, also mehr Gesamtarbeit mit sich bringt. Bevor es zu einer solchen Umstellung gekommen sein sollte, bildet diese Möglichkeit eine hohe Barriere für viele Menschen, Texte (Artikel, Chatnachrichten) im Alltag zu erstellen.

Das Binnen-I

Beispiel: Hallo LehrerInnen, SchülerInnen und FreundInnen
Auch hier kann das Problem auftreten, das in den letzten Absätzen schon erwähnt wurde, weil das große I sich vom kleinen i nur geringfühig unterscheidet und führt zu einem Verschwimmen oder Leseschwierigkeiten. Das große I ist auch leicht mit dem kleinen l zu verwechseln und führt dadurch zu Leseschwierigkeiten (tweet zum Binnen-I). Von Screenreadern wird dies immerhin korrekt gelesen. Entsprechendes Wissen kann für zusammengeschriebene Hashtags genutzt werden um jene für Screenreader besser zu gestalten.
Das häufigste Argument, das ich gegen diese Schreibweise höre, ist, dass es eine verkürzte Schreibweise für Lehrerinnen und Lehrer (und ähnliches) ist, also das Problem des expliziten Ausschluss nicht-binärer, inter*, agender und einiger trans Menschen besteht. Das ist ein wiederkehrendes Ergebnis kleinerer Umfragen.

Neutrale Sprache

Beispiel 1: Hallo Lehrende, Lernende und Befreundete
Beispiel 2: Hallo Lehrkräfte, Lernende und Herzmenschen
Beispiel 3: Hallo Lehrpersonen, Studierende und Vertraute
Screenreader können diese Beispiele gut lesen. Es gibt einzelne noch nicht abgeschlossene Studien dazu, dass dies unter nicht-binären Menschen eine Variante ist, mit denen wir größtenteils gut leben können. (Linkt mir Material, sollte ich falsch liegen, oder auch gern bestätigendes).
Es gibt zwei häufige Kritikpunkte:

  • Was tun, wenn es keine Möglichkeit dafür gibt?
  • Es führt nicht zu einem Stolpern, das dazu führen würde, dass Leute sprachlich ihr Geschlechtsmodell mehr hinterfragen.
Zu Punkt 1: Es gibt eigentlich immer Möglichkeiten, zumindest, wenn wir bereit sind, uns auch darauf einzulassen, dass wir nicht mehr präzise das ausdrücken, was wir vorher ausgedrückt haben. Daher habe ich auch gerade diese drei Wörter im Beispiel genannt: Für Lernende und Befreundete gibt es keinen perfekt übertragbaren Begriff aus den binären. Wir müssen uns welche ausdenken oder leicht verschobene verwenden.
Ich sehe darin Vorteile: "Lernende" hat für mich eine andere Konnotation als Schüler. Es gibt weniger sprachliches Machtgefälle und klingt positiver, akzeptierender für mich.
Es gibt auch viele Möglichkeiten, wenn die Formen in Sätzen vorkommen, diese durch nutzen von Verben zu umgehen: Dies ist Maren, er hat Physik studiert. Statt: Dies ist Alwin, sey ist Physiker. Ich bevorzuge das tatsächlich. Ich mag es nicht, wenn für mich gegenderte Begriffe genutzt werden. Ich mag es auch nicht so sehr, wenn die Begriffe durch ein Zeichen ergänzt werden, wenn ich als Individuum damit beschrieben werde. Das fühlt sich nicht gleichberechtigt an für mich.
Was die Möglichkeiten des neutralen Genderns angeht: Ich habe bereits mehr als drei Bücher neutral geschrieben. Gute Hinweise dazu finden sich im Artikel "Romane gendergerecht schreiben".

Die Unterschiede in der Bedeutung von Wörtern können allerdings auch eine Barriere sein. Die neuerdings benutzten Wörter haben teils eine Bedeutung im alten System, die zu Irritationen führen kann. Studierende beispielsweise würde in manchen Kontexten nur dann gebraucht werden, wenn die Person gerade damit beschäftigt ist, zu studieren. Dazu dieser twitter-thread in drei Tweets, der Probleme mit Partizipien erklärt. Eine solche Änderung geht mit einer Verschiebung des Sprachverständnisses einher. Sind "Studierende" ausschließlich im alten Kontext gemeint, erfordert es dann eine neue Formulierung.

Auch leichte Sprache empfielt bisher nicht die Benutzung von Worten wie 'Studierende'. Mit dem Thema habe ich mich noch nicht ausreichend befasst, um an dieser Stelle einen Einblick zu geben oder Quellen angeben zu können, mit denen ich mich ausreichend auseinandergesetzt hätte.

Zu Punkt 2: Ja, gewissermaßen wird hier weniger gestolpert. Ich möchte gern die Perspektive vieler Menschen nennen, die generell wenige Löffel/wenige Energieressourcen haben, weil sie zum Beispiel behindert sind oder Alltagsdiskriminierung ausgesetzt sind: Ein Stolpern kann dann auch dazu führen, dass die Teilhabe genommen wird, weil die Energie einfach aufgebraucht ist. Das sollten wir nicht über andere entscheiden, sondern eben jene fragen, wie für sie ein guter Weg ist, sich mit Geschlechtsbinarität, Sexismus und dem Patriarchat auseinanderzusetzen. Dazu gibt es nicht nur den einen Weg. Einen durch Stolpern aufzuzwingen, ist übergriffig, zumindest, solange die Argumentation für das Stolpern dieses gewünschte sich auseinandersetzen ist. Vielleicht stellen wir uns dabei vor, dass wir auf Matten laufen, herausfinden sollen, wie sich Stolpern anfühlt und deshalb tatsächlich zum Stolpern gebracht werden. Das ist einfach etwas ganz anderes, wenn abled Menschen das tun. Bei Menschen mit Behinderungen kann das so aussehen, dass die Matten weg sind und das Gehen ohnehin schon erschwert, die Verletzungsgefahr größer. Das ist eine Metapher, aber ich als Spoonie (Person mit ständiger Energiearmut wegen Barrieren) fühle sie sehr.
Betrachten wir das Stolpern bei abled Personen oder Personen, die zumindest keine erhöhten Barrieren durch eine Sternschreibweise wahrnehmen, so gibt es häufig das Phänomen, dass sie nach einiger Zeit die Sterne nicht mehr wahrnehmen, kein Stolpern mehr merken. Das betrifft mich und ein paar andere, die ich kenne. Vielleicht geht das bei einigen einher damit, dass sie ihr Geschlechtsmodell und das Patriarchat hinterfragt haben. Ich zumindest stolpere nun mehr als vorher über generisches Maskulinum oder über generisches Femininum. Dennoch reden wir dann davon, dass wir eine Hürde in die Sprache bauen, von der viele Menschen hinterher nicht mehr viel merken, aber die für Menschen aus mehreren oben genannter Gruppen eine lebenslange Barriere darstellt.
Ich werde hier trotzdem keine fertige Meinung äußern, wie wichtig dieses Stolpern wäre, diese steht mir nicht zu. Obwohl... ich bin immerhin auch nicht-binär. Aber eben auch nur eine Person.

Ich selbst habe in Räumen, in denen dieses Modell genutzt wird, ähnliche Erfahrungen gemacht, wie in Räumen, in denen die Stern-Schreibweise und die Gap-Sprechweise genutzt wird. Dadurch, dass bei generischem Maskulinum "Halt" geschrien wird und Leute auf ihre eigene Sprache achten, bin ich präsenter. Leute starren mich nicht mehr irritiert an, wenn ich sage, dass ich nicht-binär bin und mein Pronomen "sey" oder "er" ist, ich keine Anrede möchte und keine gegenderten Formen in Bezug auf mich hören möchte. Leute sind darauf vorbereitet und setzen es eher um. Es kommt auch viel seltener zu so einem Unfug wie das Trennen der Gruppe nach Geschlechtern. Es kommt seltener zu Gate Keeping Situationen, wenn es darum geht, dass Leute nach einem Konzept zum Vortragen gewählt werden, das das Patriarchat dekonstruieren soll. Es ist nicht alles rosig und perfekt. Aber nach meiner Erfahrung habe ich in solchen Umgebungen mehr Raum, wird mir eher zugehört, ist die Diskussion weniger ein "nein, wenn du nicht unter Frauen zählen willst, dann hast du auch kein Anrecht auf Förderung" sondern eher ein "Oh Mist, habe ich vergessen, denke ich beim nächsten mal dran", wenn es zu einer entsprechenden Situation kommt.
Das ist natürlich eine sehr persönliche Erfahrung. Aber solange es keine ausreichende Studienlage gibt, die Menschen mit Behinderungen, neurodivergente Menschen, sehbehinderte und blinde Menschen mit einbezieht, ist das erst einmal mein Weg.

Konstruierte neue Formen.

Beispiel 1: Hallo Lehrerx, Schülerx und Freundx
Beispiel 2: Hallo Lehreronen, Schüleronen und Freundonen
Von diesen Beispielen finden sich sehr viele verschiedene Systeme. Diese Seite hat eine Übersicht über Beispiele mit geschlechtsneutralem Deutsch.
Über diese Systeme gibt es relativ wenig Material, wie barrierearm es ist. Es würde eine große Umstellung darstellen. Vielleicht schreibe ich mal testweise ein Buch im del-on-sel-System oder einem Ähnlichen.

Generisches Neutrum.

Beispiel: Hallo Lehrer, Schüler und Freunde
Die Idee des generischen Neutrums ist, Lehrer, Schüler und Freunde als Neutrum zu definieren. Im Singular fällt dies durch einen Artikel auf: Das Lehrer, das Schüler, das Freund. Es werden, falls denn gebraucht, neue Endungen hinzugefügt, zum Beispiel: Der Lehrerer, die Schülerin, das Freundx.
Es gibt daran mehrere Probleme:

  • Im Plural, und das meiner Erfahrung nach ist die häufigste Form oder der häufigste Anwendungsfall, ist die Änderung nicht spürbar. Wenn eine Person ausschließlich Pluralformen verwendet, weiß ich nicht, ob ich gerade mitgemeint bin, oder nicht. Es besteht ein ähnliches Problem, wie bei generischen Maskulinum.
  • Die dritte Form hat den Artikel "das". Das ist für viele nicht-binäre und inter* Menschen unangenehm, weil es sich für sie wie eine Versachlichung anfühlt. Als marginalisierte Person wird man häufig genug objektiviziert. Eine Version einer Sprache, die sich wie Objektivizieren anfühlt, ist manchen dadurch unangenehm.
  • Eine einzelne dritte Form assoziiert die Idee des "dritten Geschlechts". Aber nicht-binäre Menschen haben ein Spektrum verschiedener Geschlechter, die auch medial oft als einfach das dritte zusammengefasst werden, manche haben auch kein Geschlecht.
    Das ist prinzipiell keine Besonderheit des generischen Neutrums allein. Das Problem wird nur durch die neuen Formen stärker hervorgehoben.
  • Selbst im Singular führen unbestimmte Formen zu Verwechslung. Ich müsste dann immer noch sagen, "Ich bin ein Autist" oder "Ich bin Autist", was die meisten als Maskulinum wahrnehmen würden, auch, wenn es Neutrum wäre. Ich fühle mich weder mit der Form "Autist" noch mit "Autistin" wohl, beides löst Dysphorie aus. Ich nenne hier ein anderes Beispiel, als die stets aufgeführten, weil es in diesem Fall einen weiteren Konflikt anspricht: Der Identity First Wunsch. Ich für mich bevorzuge "autistische Person". Für viele andere fühlt sich sprachlich "Autist" oder "Autistin" allerdings besser an, da Autismus zur Identität gehört. Die Hauptkritik dabei geht gegen Formulierungen wie "Person mit Autismus", die in Communitys größtenteils abgelehnt wird und durch ein Substantiv ersetzt wird, das bei vielen nicht-binären Menschen wieder Dysphorie auslöst. Ich als nicht-binäre, autistische Person stehe hier ständig in einem Konflikt.
Generell sind Pluralprobleme und Singularprobleme von Sprache beide vorhanden und verschieden. Der Ansatz "neutrale Sprache" beschäftigt sich tatsächlich mit beidem, aber es steht der Plural in diesem Artikel im Fokus. Das generische Neutrum setzt sich nicht mit dem Pluralproblem auseinander.

Fazit

Aus meiner Sicht ist einer der Ansätze der neutralen Formulierung ohne Sonderzeichen der barrierärmste Weg, der trotzdem die Wünsche zumindest vieler nicht-binärer Menschen berücksichtigt. Es gibt auch hier Gegenstimmen, die ein Stolpern für nötig halten (Thread zum Thema erwünschtes Stolpern beim Entgendern, bitte den Thread an der Stelle weiterlesen, es wird im Verlauf der Konversation besser eingeordnet, was gemeint ist) sowie Barrieren durch Doppelbedeutungen. Die Intersektionalitätsprobleme verursachen leider, dass jeder Ansatz Probleme mit sich bringt.
Eine andere gute Übersicht mit vielen Querverweisen zu der Thematik bietet mein Lieblings-Wiki für nicht-binäre Begriffe, das ich nur empfehlen kann: nibi.space (Vorsicht: Auf der Hauptseite werden ohne Warnung queerfeindliche Slurs ausgeschrieben!). Es ist eine sehr gute Quelle für sehr viele Fragen in diesem Bereich, ich nutze es ständig.

Dieser Artikel kann sicher ergänzt werden. Wenn ich eine ganze Variante, die euch wichtig vorkommt, oder ein -istisches Argument übersehen habe, schreibt mir das gern. Ansonsten folge ich weiter all den Menschen, für die es damit zusammenhängede Barrieren gibt, höre weiter zu und ergänze.

Weiterführende Quellen

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