Das stört! (Thema Autismus)

Worum geht es?

In diesem Artikel erzähle ich kurz über eine Erfahrung als autistische Person, die unter uns häufiger in einer ähnlichen Form vorkommt. Es geht um Kommunikationsbarrieren und störendes Verhalten. Als Fazit möchte ich versuchen, zu vermitteln, was geholfen hätte, und was ihr tun könnt, damit wir mehr dazugehören.

Das mehr oder minder universelle Erleben

Leute erkennen mich instinktiv als nicht dazugehörend.

Als ich gerade im frischen Jugendalter war, habe ich versucht, mir ein Phänomen zu erklären: Warum nehmen mich andere anders wahr? Warum meiden mich Leute? Und vor allem: Warum sagt mir niemand, warum das so ist?

Viele Leute wussten, wofür sie ausgegrenzt werden. Zum Beispiel dafür, dick_fett zu sein. Zu mir wurde vage gemutmaßt: Du bist zu gut in der Schule, die anderen sind neidisch. Aber das konnte es nicht sein, denn auch wenn ich in eine Gruppe Menschen neu hinzukam, die nichts über meine schulischen Leistungen wussten, wurde ich sofort als die Person erkannt, die besser gemieden werden sollte.

Meine beste Idee, die ich dazu hatte, war, dass ich vielleicht eine Behinderung oder Krankheit hätte, die mir angesehen werden könnte. Leute lernten früh, wo dran sie diese Krankheit/Behinderung erkennen könnten, und wissen das dann einfach bei mir. Aber sie sagen es mir nicht. Warum sagen sie es mir nicht? Meine beste Begründungsidee dafür war: Wenn Betroffenen wie mir bewusst wäre, dass sie diese Krankheit/Behinderung haben, dann wird besagte Krankheit/Behinderung noch schlimmer, zum Beispiel tödlich.

Es erschien mir nicht so viel Sinn zu ergeben, aber es war eben die beste Erklärung, die ich für dieses sich stets wiederholende Phänomen finden konnte.

Ist es ein universelles Erleben?

Viele autistische Menschen haben so etwas in der Richtung. Viele haben die Idee, dass sie von einem anderen Stern kommen oder in irgendeiner Weise kein richtiger Mensch sind. Oder dass in ihnen irgendwas verbaut ist. Weil es so unerklärlich ist, sofort als nicht dazugehörend erkannt zu werden, aber niemand sagt warum.

Sicher hat nicht jede autistische Person so ein Erleben. Aber mir begegnet das schon sehr oft. Und ja, es spielt sicher auch bei mir mit dahinein, dass ich ein Fisch bin.

Aber sie haben es doch gesagt:

Allerdings haben Leute mir gesagt, warum. Manchmal zumindest, oft haben sie auch nichts gesagt. Manchmal waren es Gesten oder Mimiken, die ich verstehen sollte. Aber manchmal waren es auch aus ihrer Sicht klare Hinweise. Ich habe es nur nicht verstanden. Mein liebstes Beispiel ist, dass sie mir gesagt haben: “Du starrst!”

Immer, wenn mir eine Person mitteilte, dass ich starrte, dachte ich mir so: Ja, da hat sie wohl recht. Ich starre. Das machen bestimmt alle. Vielleicht habe ich mit einem Thema, das ich in ähnlicher Weise für Smalltalk hielt, weitergemacht, wie: Ich mag das Muster auf deinem Pullover. Ich weiß es nicht. Gefühlt 60% der Konversationen um mich herum erschließen sich mir nicht, zumindest weit entfernt von bis zur Gänze, und ich versuche immer mal, irgendwie Muster erfüllend mitzumachen, was nicht selten zu mir unverständlichen Lachern aus dem Umfeld führt, die ich dann hinnehme, weil sie zu Fröhlichkeit beitragen.

Zurück zu diesem Beispiel: Gefühlt Jahre später hat mir also wieder mal eine Person gesagt “Du starrst!” und, weil sich nichts an meinem Verhalten änderte, ein sehr genervtes “Das stört!” nachgeschoben. Und auf einmal ergaben für mich im Nachhinein viele Hinweise in der Richtung mehr Sinn.

Warum habe ich es nicht vorher verstanden?

(Anmerkung: Das sind meine persönlichen Begründungen, die vielleicht teils was mit Autismus zu tun haben, aber keinesfalls unter autistischen Menschen auch nur annähernd universell sind. Trotzdem ist der Einblick vielleicht hilfreich.)

Wenn ich die Geschichte erzähle, sind Leute häufig irritiert. Etwa wird vermutet, dass ich doch von mir auf andere schließen können müsste, weil es mich doch auch stören müsste, angestarrt zu werden. Aber das stört mich tatsächlich meistens nicht. Mich stört es, wenn ich dabei merke, dass es abwertend wäre, – was ich meistens nicht merke, weil ich Emotionen Fremder nicht gut lesen kann. (Und auch, weil ich einen riesigen Benefit-Of-The-Doubt-Apparat habe, und ich teils nichtmal auf die Idee komme, wieso jemand mich für irgendwas negativ bewerten würde, weil es logisch keinen Sinn ergibt. Gleichzeitig Privileg und Marginalisierung: Nicht erkennen können, dass Leute mich für ein Ringelhemd, Haare auf den Beinen oder whatever abwerten könnten, weil es sich mir so ganz und gar nicht erschließt und ich deren Subtext nicht darauf zu münzen hinbekomme.)

Im Falle des Starrens, im Gegenteil: Für mich zum Beispiel fühlt es sich logisch an, dass Mode etwas ist, was gar betrachtet werden möchte! Warum entscheiden sich Leute sonst, sich zu gestalten, wenn sie nicht möchten, dass Leute es genau ansehen? Sie gehen da mit einer Aussage über sich selbst nach draußen, und möchten doch nicht, dass eine Person von außen versucht, ihre Aussage, ihren Geschmack, ihre damit ausgedrückte Charakteristik wahrzunehmen?

Hinzu kommt, dass ich großes Verständnis habe, dass Leute lange brauchen, wenn sie Mimik oder Körperhaltungen angucken, weil die ja auch schwer zu deuten sind und all die Nuancen gelesen werden müssen. – Nun, das wäre von mir auf andere geschlossen und anscheinend geht das so herum auch nicht.

Eine andere Frage, die mir gestellt wird, ist, ob ich nicht die Genervtheit mitbekommen hätte. Nun, doch, die habe ich manchmal mitbekommen, bestimmt nicht jedes Mal, aber wenn Leute deutlich laut sind oder wenn ich sie besser kenne, dann merke ich das schon. Ich konnte sie nur nicht deuten. Und wenn ich frage, ob oder weswegen Leute genervt sind, dann antworten sie oft auch nicht hilfreich. Weil sie davon ausgehen, dass ich das schon wüsste. Vielleicht antworten sie mit “Habe ich was an der Nase?”.

Eine weitere Frage ist, warum ich denn von so vielen Malen, die ich darüber informiert worden bin, dass ich starre, nicht hätte was schließen können. Aber das Problem ist, dass es viele Dinge gibt, die für mich in das gleiche Muster fallen. Leute informieren mich auch häufig über das Wetter oder darüber, dass ich eine interessante Tasche hätte. Oder sie informieren mich, wenn ich barfuß gehe, darüber, dass ich barfuß gehe, oder fragen mich, wenn ich in einem kalten See bade, ob das nicht kalt wäre. Das hat bestimmt verschiedene Gründe, viele davon habe ich noch nicht verstanden, aber ich bin mir recht sicher, dass nicht bei all diesen Dingen der Grund wäre, dass es störte.

Versuche, das Kommunikationsproblem abzufangen.

Ich erlebe es immer wieder: Ich tue irgendetwas mit weniger neuroatypischen Menschen zusammen, und früher oder später kommt eine Situation, in der sie dann plötzlich sehr merkwürdig anders mit mir kommunizieren. Selbst Leute, die mich kennen. Ich ahne manchmal sogar vorher, dass irgendwie so etwas passieren wird, aber habe keine Ahnung, warum. Aber oft ahne ich auch falsch, weil ich es eben nicht lesen kann.

Meine Strategie ist oft, zu fragen (und das muss ich ziemlich komplex tun): Hey! Nicht, weil du den Eindruck an mich vermittelst, dass irgendwas wäre, sondern weil ich, wenn was wäre, nicht mitkriegen würde, dass was wäre, weil ich es nicht lesen kann: Bist du genervt? (Neutrale Frage.)

Antwort ist nicht selten sowas wie: Nein, ich habe nur gerade viel Stress und reagiere deshalb weniger. Es tut mir leid, wenn ich dabei genervt rübergekommen bin und dich verletzt habe. Ich versuche, mich mehr zu melden.

Oder irgendwas in der Richtung. Und dann bin ich wieder viel am Erklären. Ich möchte definitiv nicht, dass mein Gegenüber Fehler bei sich sucht oder sich weniger zurückzieht, als es für es gut ist, wenn ich lediglich versuche, meine Behinderung zu kompensieren. Weil der Preis, wenn ich es nicht täte, viel höher wäre.

Alternativ wird nämlich nicht selten aus irgendeinem Verhalten von mir geschlossen, dass eine eigentlich befreundete Person mir völlig egal wäre, weil ich mich sonst nicht so ignorant verhalten würde.

Fazit

Ja, zwischen den meisten Menschen ist es irgendwie üblich, durch die Blume zu reden. Manchmal auch durch ganze Blumenbeete. Und wenn man es direkt (also nicht beleidigend, sondern lediglich nicht im Subtext versteckt) versucht, gilt es bei neurotypischen Menschen häufig gleich als unhöflich.

Aber wenn ihr eine Person vor euch habt, die euer “du starrst” oder etwas anderes nicht versteht, dann werdet bitte nicht sauer, bevor ihr nicht auch dazu gesagt habt “das stört”. Bevor ihr nicht auch erklärt habt, dass das ein Problem ist, das ihr ansprecht, und keine reine Sachinformation. Es ist nicht immer Ignoranz oder Egoismus oder so etwas, dass eine Person darauf nicht so eingeht, wie ihr das erwartet oder wie es für euch logisch erscheint. Es kann auch einfach sein, dass die Person autistisch ist und keinen Plan hat, was das Problem ist, oder ob es überhaupt eins gibt.

Geht nicht davon aus, dass es ein Universalerleben gibt, was stört. Es gibt zum Beispiel Leute ohne Ekel, die nicht wissen, dass bestimmte Themen beim Essen stören könnten, weil sie das absolut nicht nachempfinden können. Erwartet nicht, dass sie es können, sondern erklärt einfach, wie das für euch ist. Wir sind nicht allgemein rücksichtslos, wir müssen nur an die Information kommen, die wir brauchen, um Rücksicht nehmen zu können.

Und es ist so anstrengend, sie sich auf anderem Wege um eure merkwürdige, indirekte Kommunikationsart herum zu ergattern. Helft da doch bitte ein bisschen mit. Es ist ein Kommunikations-Clash, und ich kann akzeptieren, dass meine Kommunikationsart, oder die vieler neuroatypischer Menschen, nicht die universale werden wird, (die eigentlich auch nicht einheitlich ist, aber mir fällt es durchschnittlich mit neuroatypischen Menschen leichter, zu kommunizieren). Aber es wäre cool, wenn neurotypische Menschen ihre Kommunikationsart auch nicht einfach als universal annehmen würden, auch wenn sie in der Mehrzahl sind.

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