Normal?

Content Notes: Viele Formen von Diskriminierung, Beleidigungen

Einleitung, Konnotationen

"Normal" ist ein schwierig zu interpretierendes Wort, finde ich. Ich würde soweit gehen, dass ich hier nicht einmal die häufigste Bedeutung nennen kann, oder eine, in der in gewissen Aktivismus-Zweigen Konsens bestehe. Dieser Artikel soll nicht sagen, dass es richtig oder falsch wäre, den Begriff oder ähnliche in einem bestimmten Kontext zu verwenden, sondern eher aufzeigen, woher Schwierigkeiten von verschiedenen Seiten im Umgang damit kommen. Fangen wir mit ein paar Beispielen von Phrasen an, die wir oft hören, und jeweiligen Bedeutungen/Bewertungen (aus meiner Sicht und mit Absprache mit anderen. Das kann persönlich verschieden ausfallen, aber ich habe versucht, das Spektrum abzudecken.). Dabei will ich hier nicht aussagen, dass das Wort "normal" oder jene Phrasen nicht mehr gesagt werden dürfen oder sollten. Ich möchte sie nur vorstellen, präsent machen und kontextabhängig interpretieren.

  • "Das sollte eigentlich normal sein." - Meistens bestärkend über ein respektvolles, akzeptierendes Verhalten. Manchmal aber auch von oben herab gegenüber einer Person, die sich nicht einer sozialen Norm entsprechend verhält.
  • "Das ist doch nicht normal!" - Meistens abwertend, weil etwas "gar nicht geht", aber manchmal auch positive Überraschung, wenn ein Film zum Beispiel übertrieben gut wirkt.
  • "Was ist schon normal?" - Oft relativierend, um in Frage zu stellen, warum dem Wort "normal" zuvor eine Wertung zugeordnet wurde. Aber auch als Hinweis, dass jede Person aus irgendeiner Norm fällt. In diesem Fall üblicherweise aufwertend genutzt, versichernd, dass es okay ist, nicht normal zu sein.
  • "Ich bin zu normal." oder auch "XXY ist zu normal." - Eine Abwertung, weil eine Person keine "besonderen" Eigenschaften hat.
  • "Aber du bist doch ganz normal!" - Eine Aufwertung für eine Person, die gerade wegen einer "besonderen" Eigenschaft abgewertet worden ist.
  • "Normal sein kann jede*r!" - Ein Mutmachen dazu, etwas Ungewöhnliches zu tun, und zugleich eine Abwertung gegenüber Personen, die nicht durch etwas Ungewöhnliches hervortreten. ("xxy kann jede*r" ist mindestens gelegentlich ableistisch, weil manche Leute eben nicht können.)
  • "Di*er ist doch nicht normal in der Birne." - Sehr abwertender, ableistischer oder saneistischer Slur, der sich auf die kognitiven Fähigkeiten oder die kognitive Gesundheit einer Person bezieht. Mehr zu Saneism in diesem Artikel.
  • "Das kann jeder Person passieren, das ist ganz normal." - Aufwertung, nachdem jemandem ein Fehler oder Missgeschick unterlaufen ist.
  • "Das kann man auch normal sagen." - Abwertende Kritik an einer emotionalen Ausdrucksweise. Gegebenenfalls Abwertung von Emotionen.
  • "Ich will doch einfach nur normal sein" - meist von Leuten, die wegen einer bestimmten Eigenschaft abgelehnt worden sind. Dabei kommunizieren sie die negative Bewertung, die sie erleben, weil sie als "nicht normal", nicht einer Norm entsprechend wahrgenommen werden.
  • "Die Normalen sind eigentlich die Unnormalen" - Eine Abwertung von "Normalen" durch die direkte Umkehr der Bedeutung des Wortes im selben Satz. Hier werden die "Normalen" abgewertet, in dem ihr Verhalten als "unnormal" bezeichnet wird, wobei das "normale" Verhalten wieder gutes Verhalten wäre.
  • "Kannst du nicht einmal normal sein?" - Abwertung (oft ableistisch) einer Person, meistens für aus einer Norm fallendes Sozialverhalten.
  • "Normal ist relativ" - Verteidigung und damit Aufwertung nach Abwertung.
  • "Das ist leider normal." - Einordnung eines zum Beispiel repsektlosen Verhaltens, das verbreitet ist, wie zum Beispiel Ableismus/Saneism/Rassismus/andere Diskriminierung.
  • "Aber ich bin vielleicht auch nicht normal." - Hinweis, der oft mitgegeben wird, nachdem eine eigene, vielleicht individuelle Ansicht vermittelt wurde. Dies kann sich selbst abwertend, aufwertend oder auch neutral gemeint sein, um es in Bezug zu setzen und darauf hinzuweisen, dass mehr Leute gefragt werden müssten, weil die eigene Aussage nicht statistisch relevant ist. Etwa in dem Sinne: "Schließ hier mal besser nicht von mir auf andere."
  • "Die Normalität ist eine gepflasterte Straße; man kann gut darauf gehen - doch es wachsen keine Blumen auf ihr. (Vincent van Gogh)" - Aufwertung von Menschen, die aus Mustern fallen, mit gleichzeitiger Abwertung von Leuten, die das nicht tun. Womöglich mit dem Gedanken, "normale Menschen können nicht kreativ sein.".
  • "Ich gebe mich nicht mit den Normalen ab." - Abwertung von Menschen, die nicht besonders wirken, oft auch auf kognitive Leistungen anspielend und in dem Fall saneistisch.
  • "Wärest du gern normal?" - Die Frage mit der die Idee für diesen Artikel begann, auszureifen. Sie wertet eher nicht, aber es gibt zwei sehr verschiedene häufige Interpretationen: "Wärest du die Eigenschaften gern los, die dich aus einer Norm fallen lassen, um dazuzugehören?" oder "Möchtest du gern, dass die Eigenschaften, mit denen du derzeit aus einer Norm fällst, nicht mehr als unnormal aufgefasst werden? Würdest du gern so, wie du jetzt bist, dazugehören?" Besonders hier führen Missverständnisse oft zu Verletzungen. Etwa, die Aufforderung, zu akzeptieren, dass man "unnormal" sei, von der Seite, die beim Fragen die erste Interpretation im Kopf hatte an eine Person, die die zweite interpretiert. Oder umgekehrt.
Zusammenfassend: Menschen werden abgewertet dafür, dass sie nicht einer Norm entsprechen. Menschen werden abgewertet dafür, dass an ihnen "nichts Besonderes" ist. Menschen, die dafür abgewertet wurden, dass sie nicht einer Norm entsprechen, werten im Gegenzug Menschen ab, die "zu sehr" Normen entsprechen. Menschen, die dafür abgewertet wurden, dass sie nicht einer Norm entsprechen, werten sich wieder auf dafür, dass sie nicht der Norm entsprechen.
Und Menschen versuchen, diese gefühlte Norm selbst zu bekämpfen, indem eine aus einer solchen Norm fallende Eigenart als "normal" bezeichnet wird (siehe "Aber du bist doch ganz normal."). Das ist im Prinzip keine schlechte Idee, aber wegen der ganzen verschiedenen Weisen, was "normal" je nach Kontext bedeutet, und auch einiger ständiger Assoziationen und Hintergründe zum Thema, ist das nicht so einfach. Das möchte ich im Folgenden kurz beleuchten. Es geht dabei nicht darum, zu sagen, dieses ist richtig und jenes falsch. Es geht darum, die Missverständnisse, die entstehen, zu beleuchten. Zu erklären, warum manches, auch wenn es anders gemeint ist, nicht (oder nicht immer) gut ankommt, und woher die Interpretation kommt. Und manchmal meint sogar ein und dieselbe Formulierung zwei sehr verschiedene Dinge, wie in der letzten Frage in der Stichpunktliste "Wärest du gern normal?". Im folgenden geht es darum, die Missverständnisse, die dabei entstehen, zu betrachten und zu helfen eine Kommunikationsebene zu schaffen.

"Ich sehe keine Geschlechter/Hautfarben/Behinderungen. Ich sehe nur Menschen"

(Es funktioniert auch mit anderen Merkmalen marginalisierter Menschen und die Konnotation kann jeweils verschieden und verschieden schlimm sein.)
Ich denke, es gibt zwei eher positive Motivationsansätze hinter der Aussage. Die eine entspring daraus, dass Menschen wegen nicht einer Norm entsprechenden Eigenschaften entmenschlicht (und natürlich abgewertet) werden. In verschiedenen Medien, wie Geschichten etwa, kommen sie als Nebencharaktere vor, aber immer nur mit Referenz auf das eine Merkmal, mit dem sie aus der bestimmten Norm fallen. Die Aussage kann also eine Kritik daran sein, oder die Feststellung, dass eine Person die Eigenschaft tatsächlich nicht sieht. Letzteres kommt vor, ist nur eher selten.
Die zweite Motivation dahinter ist die Vorstellung, dass entsprechende Eigenschaften normal sein sollten und nicht mehr auffallen sollten, dass es nicht wichtig sein sollte. Auch die Idee ist für eine ideale Zukunft in gewisser Hinsicht wünschenswert, aber ich denke, auch hier ist eine gewisse Problematik dabei: Diese Ausdrucksweise verbietet, darüber zu reden. Ja, es wäre cool, wenn beispielsweise nicht-binäre Menschen nicht gesondert behandelt würden (dazu später mehr), also "einfach Menschen" wären. Aber es ist aus mehreren Gründen wichtig darauf referenzieren zu dürfen, dass ich nicht-binär bin und es sprachlich eine Darstellung dafür gibt. Es ermöglicht mir, mich mit anderen Menschen zusammenzufinden, die auf gewisser Ebene ähnliche Erfahrungen machen. Es ermöglicht mir zu teilen, was ich erlebe, und zugänglich zu machen. Es macht mich überhaupt erst sichtbar. Es macht es mir möglich, darüber zu reden, welche Bedürfnisse sich daraus ergeben oder was ich brauche, und was noch nicht gegeben ist.
Am häufigsten habe ich diesen Satz übrigens unter Fragen oder Abstimmungen zu Labeln gesehen. Wenn etwa so etwas gefragt wird:
Als Person, die es betrifft, durch welches Label fühlst du dich am besten referenziert?
  • Mensch mit Autismus
  • Autist*in
  • autistische Person
  • Autist/Autistin
Die Antworten auf diese Frage fallen übrigens je nach Umfeld etwas verschieden aus. Beispielsweise wird die letzte Option seltener in Umfeldern gewählt in denen schon darüber diskutiert wurde, dass nicht-binäre Geschlechtsidentitäten existieren. Das erste bekommt meistens am wenigsten Stimmen, im Gegensatz zur selben Umfrage bezüglich Behinderungen, obwohl es auch da inzwischen mehr Tendenzen dagegen gibt. (Ich gebe hier Tendenzen in verschiedenen Umfeldern wieder, nichts Absolutes oder statistisch Relevantes.)
Solche Umfragen sind wichtig, weil es am besten ist, eine Gruppe von Menschen sprachlich in von ihnen selbst erwünschter Weise zu referenzieren. Und eine Antwort/eine Reaktion auf so eine Frage "Für mich sind es einfach Menschen" von Menschen, die es nicht betrifft, oder eine Reaktion wie in der Überschrift, ist im besten Fall kontraproduktiv, im schlechtesten Fall verletzend.
Weiter gibt es auch einen eher negativen Motivationsansatz dahinter: Das sich selbst Aufwerten. Wenn in einem abgesteckten Raum marginalisierte Menschen zu Wort kommen wollen, fühlen sich Menschen, auf die dies nicht zutrifft, häufig ausgeschlossen, und versuchen diesen Raum wieder zu nehmen. Dabei werten sie Menschen, die aus einer entsprechenden Norm fallen wieder ab. Dieses letzte Szenario ist mir selbst noch nicht so sehr bewusst geworden und ich gebe wieder, was mir dazu von einer betroffenen Person vermittelt wurde.
In jedem Fall unterbindet ein solcher Kommentar eine zielführende Diskussion. Sie verbietet marginalisierten Menschen über ihre Situation zu reden.
Neben der Problematik der nicht zielführenden Umsetzung der Intention hat es noch den Beiklang, auf Repräsentation müsse nicht geachtet werden. In dieser Formulierung steckt das "Ich sehe dich nicht", was leider viel zu viel der Fall ist. Denn, wenn zum Beispiel in einer Geschichte nicht dazuerwähnt wird, dass ein Charakter etwa asexuell ist, dann sieht man es tatsächlich nicht. Wenn einfach gar keine nicht weiße Person in einem Film auftaucht, fällt es vielen nicht auf und es wird tatsächlich nicht gesehen. Keine Geschlechter/Hautfarben/Behinderungen zu sehen heißt im Prinzip auch, die Diskriminierung nicht zu sehen, denn diese kann nur gesehen werden, wenn man hinguckt. Das ist in den meisten Fällen nicht gemeint, oder vielleicht doch ein bisschen. Ich bin nicht sicher. Aber es wird damit mitgesagt.

"Wozu brauchen wir Label? Können wir nicht alle normal sein?"

Dieser Ausspruch geht in eine ähnliche Richtung. Hier möchte ich den positiven Ansatz darstellen, der quasi ist: "Wie brauchen Label, aber wir können gleichzeitig alle normal sein.". Die Idee dabei ist, dass niemand das Label normal bekommt. Es ist nicht homosexuell und normal, sondern homosexuell und heterosexuell. Diese Label ergänzen sich nicht so, dass jede Person entweder das eine oder das andere ist. Es gibt zum Beispiel auch bisexuelle Menschen. Oder Menschen, auf die mehrere der Label zutreffen, zum Beispiel kommt Asexualität oft mit einem weiteren. Und für manche Leute passen all die Label nicht so richtig, aber sie helfen, um schon einmal eine gewisse Richtung einzuordnen. Vielleicht ist das sogar für die meisten so. Aber genau dazu sind Label wichtig: Um darüber zu reden und sich selbst und andere zu finden.
Als weiteres Beispiel sind Menschen nicht trans und normal, sondern trans und cis. Und auch hier gilt, es gibt Menschen, die beides nicht sind. Wenn eine Person zum Beispiel nur manchmal das Geschlecht hat, das ihr zur Geburt (ungefragt) zugewiesen worden ist, dann kann es gut sein, dass sie sich in der Zeit nicht vom Label trans referenziert fühlt, aber auch nicht vom Label cis, weil es kein Dauerzustand ist. Es gibt noch andere Gründe, warum beide Label nicht passen. Wichtig ist, dass es keinen Labelzwang gibt, und dass nicht andere unsere Label aussuchen, sondern wir selbst herausfinden, ob eines zu uns passt. Oder eben auch nicht, daran ist nichts falsch.
Für den Fall von Behinderungen gibt es unter anderem die Label disabled und able-bodied. Hier fallen zum Beispiel Menschen mit ausschließlich kognitiver Behinderung unter disabled und able-bodied. Es gibt auch das Label abled.
In diesem Kontext ist es vielleicht verständlich, warum es dazu beiträgt, BIPoC (Black, Indigenous and People/Person of Color) nicht negativ gesondert zu behandeln, wenn weiße Menschen als weiß bezeichnet werden. Es zeugt von einem Privileg, das Label "normal" zugeordnet zu bekommen. Das führt zu einer Ungleichbehandlung und Hierarchie, gegen die angearbeitet werden kann, indem wir andere Label als "normal" für nicht aus einer entsprechenden Norm fallende Menschen verwenden. Auf diese Weise erreichen wir vielleicht irgendwann einen Aufbruch der Norm. Meiner Erfahrung nach funktioniert das ganz gut. Ich habe es in einigen Communities mehr oder weniger etabliert erlebt.

"Ich möchte keine Sonderbehandlung" vs "Ich werde dich nicht gesondert behandeln"

Diese Aussprüche haben ziemlich viele Ebenen. Eine Ebene ist aus dem vorherigen Absatz schon etwas erklärt: Die Behandlung, die Menschen bekommen, die aus einer Norm fallen, sollte nicht eine Sonderbehandlung sein, sondern eine, die potentiell jeder Person Zuteil wird/werden kann. Ich zum Beispiel bevorzuge das Pronomen sey (oder im Englischen they, dazu mehr unter about me). Das kann man mir nicht ansehen. Tatsächlich kann man keiner Person ansehen, welches Pronomen sie bevorzugt, es sei denn, es steht dran. Eine Lösung wäre, dass einfach immer, wenn nach einem Namen gefragt wird, das Pronomen mit erfragt wird (nicht das Geschlecht, das hängt zwar in den meisten Fällen zusammen, muss es aber nicht.) Wenn Namensschilder zum Beispiel auf Konferenzen verteilt werden, dass dann auf jenen auch das Pronomen und die Anrede vermerkt wären. Das ist in gar nicht mal so wenigen Umfelden in der Chaos Community (Chaos Computer Club/Chaos Communication Congress) gegeben und es ist großartig! Aber es ist nicht allgemein verbreitet. Wenn ich normalerweise Leute treffe, nutzen die meisten erst einmal das Pronomen "sie" für mich. Ich kann mir dann aussuchen, ob ich das richtig stelle (und gegebenenfalls viel erkläre) oder ertrage.
Wenn ich sage, ich möchte keine Sonderbehandlung, dann meine ich, dass ich nicht die eine Person sein möchte, die das sagen und erklären muss, sondern dass alle gefragt werden. Dann meine ich, dass ich nicht möchte, dass für mich eine einzelne Person von Hand Anträge bearbeiten muss, weil nur Optionen Herr/Frau in der elektronischen Version zur Verfügung stehen, sondern, dass die elektronische Version alles abdeckt (oder nichts). Dann meine ich, dass ich nicht die Person bin, die fünf Mails wechseln muss, bis ich das auszufüllende Formular in einer barrierefreien Version erhalte, die ich mit meinen gewohnten Tools auf meinem gewohnten, für mich speziell eingerichteten Betriebssystem benutzen kann, sondern dass es einfach schon Wege gibt, wie das für Menschen mit verschiedenen Einschränkungen möglich ist. Es gibt sehr sehr viel mehr zu dem Thema.
Aber auch diese Ausführung hat schon zwei Ebenen: Ich möchte dies nicht nur, weil es mir Wege erleichtert, mich mehr so fühlen lässt, als wäre ich ein erwünschter und ein willkommener Teil unserer Gesellschaft (und bei meinen Flossen, ich tue es nicht, ich fühle mich dauernd falsch), sondern auch, weil ich mich wie eine Last fühle. Ich fühle mich nervig, wenn ich danach frage, dass Leute mich berücksichtigen. Ich werde dafür auch oft genug angepampt. Mails, die danach fragen, ob Leute mich vielleicht berücksichtigen könnten, habe ich früher mehrere Tage mit Unterstützung anderer vorsichtig formuliert, um mich ja nicht im Ton zu vergreifen. Und ich wurde trotzdem dafür angepampt. Ich möchte das nicht. Dann gibt es diese kleinen Unternehmen, die tatsächlich lieb auf meine Anfragen reagieren und dann mit mir Verträge per Hand abschließen, wofür sie überhaupt nicht die Ressourcen haben. Der Handel, den wir abschließen, kostet ihnen dann mehr Arbeitszeit, als ich an Material erwerbe. In diesem Fall schade ich lieben, einsichtigen Menschen, deren Webformulare von größeren Firmen betrieben werden, die sich um das Problem nicht kümmern. Ich bin dann tatsächlich eine Bürde. Auch das will ich nicht.
Manchmal ist es mir lieber, zu ertragen, dass ich mich in einer für nur Männer oder Frauen zugedachten Toillette immer fremd fühlen werde, weil ich keine Sonderbehandlung haben möchte. Weil ich nicht ständig so präsent machen möchte, dass ich "anders" bin. Ich will eigentlich nicht anders in diesem Sinne sein. Die soziale Welt macht mich dazu.
Wenn andere Leute mir sagen, sie möchten mich nicht gesondert behandeln, meinen sie leider oft etwas relativ anderes. Manche meinen genau das obere, aber oft ist damit gemeint, dass sie sich nicht ändern wollen. Wenn ich sage "ich bin nicht-binär", und die Antwort ist "Ich werde dich nicht gesondert behandeln", meinen sie oft "erwarte nicht, dass ich dich deswegen anders behandle" aka "Vergiss von vornherein deine potentiellen Anliegen bezüglich eines anderen Pronomens/einer anderen Anrede, als die, die ich gewohnt bin". Leider passiert das manchmal auch in dem Aufbau, dass ich gefragt werde, ob ich deswegen eine Sonderbehandlung haben wollte, ich es im ersten Sinne ablehne, und daran erinnert werde, dass ich das gesagt habe, wenn ich meine Bedürfnisse äußere, die dann als Special Needs/Besondere Bedürfnisse eingeordnet werden. Nicht hilfreich.
Während das erste eine Selbstaussage über meine eigenen Bedürfnisse ist, ist das andere eine Fremdzuschreibung, in der, wenn sie in zuletzt beschriebener Weise gemeint ist, oft der Anspruch mitschwingt, mir aus Gewohnheit oder mangelnder Bereitschaft zur Rücksichtnahme Gewalt anzutun.

"Wir sollten das Unnormale/Abnormale aufwerten/uns deswegen wertschätzen."

Ein anderer Ansatz. Er wird von sowohl marginalisierten Menschen verwendet, als auch über jene. Ich möchte hier betonen, dass ich erstere nicht dafür angreifen möchte, wenn sie es für sich möchten. Es ist hingegen nicht so gut, dazu aufdringlich aufzufordern. Ich möchte zum Beispiel, dass ich für die Eigenarten, für die ich Ablehnung erfahren habe, weder ab- noch aufgewertet werde. Ich möchte bitte nicht deswegen gewertschätzt werden. Ich verstehe aber, dass es für andere anders ist. Zum Beispiel kann es sein, dass eine Eigenart etwas ist, was eine Person nicht nur sehr mit sich verbindet, sondern es sie auch für sie ausmacht. Oder es gab so viel Abwertung, dass die Aufwertung speziell dafür einfach notwendig ist. Vielleicht verstehe ich auch nicht alles daran, und das ist auch in Ordnung.
Gefährlich wird es zum einen eben, wenn es Personen aufgedrängt wird. Ich habe schon manchmal gehört "Du solltest stolz darauf sein, nicht-binär zu sein.", und es hat mich dann oft gewundert. Ich denke, das kommt einfach auch wieder mit verschiedenen Ebenen, und darum geht es hier ja. Zum Beispiel gibt es das Konzept "Pride", das im Englischen besser funktioniert, als im Deutschen. Die Bedeutung ist nicht genau "Stolz", zumindest nicht in dem Sinne, den wir meistens in das Wort interpretieren, sondern eher in die Richtung "mit Stolz tragen", "nicht klein machen lassen deswegen", "nicht verdrängen lassen", "dem Gegensturm selbstbewusst trotzen", "sich richtig fühlen".

Die Gefahr bei diesem Statement ist vor allem, dass "die Normalen" in dem Zusammenhang oft abgewertet werden. Es ist insofern interessant, dass ich das hier aufführe, weil ich völlig verstehe, wenn nicht-marginalisierte Menschen keine Plattform rauben sollten, und es manchmal wichtig ist, wenn sich ausschließlich von einer bestimmten Diskriminierung betroffene Menschen austauschen. Aber ein Selbstwertproblem haben in unserer Welt fast alle. Das aufzuwertende Unnormale/Abnormale, was in diesem Zusammenhang häufig angesprochen wird, bezieht sich meist auf eine bestimmte Art Eigenschaft, zum Beispiel angeboren, oder physisch oder irgendwie greifbar. Leute, die es aber (noch) nicht greifen können und ein angegriffenes Selbstwertgefühl haben, können dann nicht auf etwas zurückgreifen, worauf sie stolz sein können. Häufig kommt dann eben die eigene Abwertung "ich bin zu normal" oder ähnliches. Manche Menschen, die sehr wohl betroffen sind, aber diese Eigenschaft weswegen nicht genau einordnen können, fragen sich bei solchen Aufforderungen häufig, ob sie überhaupt marginalisiert genug sind, um dazuzugehören. Es ist ein verbreitetes Problem, dass sich viele Menschen, deren Eigenschaften, deretwegen sie nicht einer Norm entsprechen und abgewertet werden, nicht oder nicht perfekt einem Label entsprechen, sich nicht trauen, Räume oder Safe Spaces für sich mit zu beanspruchen. Es kommt zu einem sogenannten Gate Keeping, von Betroffenen selbst ausgehend, aus Angst.
Es ist das eine, einen Raum zu bilden, in dem man darüber reden kann, eine bestimmte Art von Diskriminierung erlebt zu haben, in dem es gerade nur um diese geht. Aber es ist schade, wenn Menschen der Eindruck vermittelt wird, ihr Leid oder ihre Akzeptanz wäre nicht valid oder wichtig, wenn sie an sich keine so persönliche Eigenschaft finden können. Selbst eine in allen möglichen Richtungen privilegierte Person ist nicht weniger wert. Es sollte nicht um Konkurrenz gehen. Und auch nicht darum, sich erst wertvoll fühlen zu können, wenn man erkannt hat, was mit einem los ist.

"Dass du nicht-binär (oder eine andere Eigenart, die aus einer Norm fällt) bist, is no big deal." (keine große Sache/ist ja nichts dabei)

Hier trifft utopische Vorstellung, wie es sein sollte, mit Realität aufeinander. Die Idee, wenn dies gesagt wird, ist in etwa: Manche Menschen sind eben nicht-binär. Das stellt kein Problem dar, sondern ist ganz natürlich. Es stört sich niemand daran. So etwa.
Das Problem ist: Das ist eine Wunschrealität, es ist aber nicht Realität. Es stört Leute, und es stellt ein großes Problem dar. Unsere Gesellschaft hat kaum bis gar keinen Raum für nicht-binäre Menschen. Wir werden täglich damit konfrontiert. Das ist ganz sicher nicht "no big deal". Das ist nicht gemeint, wenn so etwas gesagt wird, aber gegebenenfalls kann es so rüberkommen, dass die Person, die dies sagt, diese ganzen Alltagskämpfe nicht sieht. Vielleicht tut sie das auch nicht.
Aber selbst, wenn diese ganzen Alltagskämpfe nicht da wären, haben trans Menschen fast immer eine Form von Geschlechtsdisphorie (ein unangenehmes Fremdheitsgefühl, das zum Beispiel beim Misgendern auftritt, oder den eigenen Körper betrifft, oder eine Rollenerwartung). Diese wird teilweise auch in einer Gesellschaft auftreten, die Raum für uns hätte. Und auch das ist nicht "no big deal".
Es ist manchmal etwas schwierig, zu verstehen, was eigentlich gemeint ist, wenn in so einer Aussage noch viel mehr drinsteckt, und gegebenenfalls, dass gewisse Problematiken unsichtbar sind. Aber den Wunsch an sich kann ich verstehen und bin froh über den Ansatz.
Das Beispiel funktioniert wieder mit jeder anderen Art des aus einer Norm Fallens.

Fazit

Es ist nicht ganz einfach, eines zu ziehen, und sicher auch individuell. Für mich ist das Fazit wohl, dass sich Akzeptanz und Normalisieren nicht ohne weiteres in einem simplen Satz ausdrücken lassen. So groß die Neigung auch sein mag, etwas möglichst einfach und kurz runterzubrechen, ist es doch sehr schwierig in diesem Bereich, weil alles, was mit Normalisierung zu tun hat, in verschiedenen Kontexten sehr Verschiedenes bedeutet. Für mich ist der Ansatz, "wir bekämpfen die Norm, damit meine aus einer Norm fallenden Eigenschaften normalisiert werden" lieber, als der Ansatz "Ich bin gerne unnormal", weil letzteres häufig mit einer gefühlten Abwertung anderer einhergeht. Und zwar auf eine Weise, dass Menschen nicht wütend sind, nicht mehr "normal" sondern zum Beispiel "cis" genannt zu werden, sondern traurig, einfach nur traurig, mit einem Ausschluss- und Alleingefühl, das ihnen wohlvertraut ist.
Wichtig ist auch die Erkenntnis, dass es nicht der Kampf Labeln gegen "Alles sollte normal sein" ist, sondern beides in die gleiche Richtung geht. Eine versuchte Metapher: Jemand erfindet einen Stuhl ohne Lehne und nennt diesen Hocker. Zu sagen, warum bräuchten wir einen Namen dafür, ergibt nicht so richtig Sinn. Wir wollen ja darüber reden können. Wir können sogar über Sitzmöbel reden, die beides nicht sind.
Bei Sitzmöbeln haben wir ein paar entscheidene Unterschiede, wie etwa, dass es keinem Sitzmöbel weh tut, normal genannt zu werden, oder unnormal zu sein. Es geht in dieser Metapher nur um die Idee eines natürlichen Umgangs mit Labeln, und wozu sie eigentlich da sind. Zum Finden, zum Sammeln von Informationen, zum Darüberreden und -nachdenken.

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