Kadze

Eine etwas surreale Tintenzeichnung mit dünner Feder: Unten ist eine Kreatur, die entfernt an eine Katze erinnert. Sie zerfließt oder zerfasert. Links im Hintergrund ist eine halb verborgene Tür. Daneben eine Art Baum. Zentral über dem Kopf der Kreatur steht der Titel. Aus ihm dampft oder qualmt ein merkwürdiges Gebilde zwischen Schnörkeln und Wolken, mit Zähnen oder Zacken, aus dem es regnet.

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Genre

Horror? Ich bin mir da wirklich nicht sicher. Ein liebevoller Kampf gegen eine Kreatur und ein aufgegebener gegen die Welt.

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Die Geschichte

Lizzy lehnte sich neben die Wohnungstür an die Wand, um noch einmal durchzuatmen, bevor sie sich ans Bändigen machen würde.

Ein karges Treppenhaus. Aus Feuerschutzgründen durfte nichts darin abgestellt werden. Der alten Dame über ihr war gekündigt worden, weil sie ein paar mal zu oft ihren Einkauf zunächst auf halber Treppe stehen gelassen hatte. Ein paar mal zu oft, war es aufgefallen, weil Lizzy zu sehr mit Bändigen beschäftigt gewesen war, um ihr helfen zu können. Welch Ironie. Seither war das Treppenhaus karg.

Das war die Welt.

Heute war ein schlimmer Tag gewesen, was diese Welt anging. Bändigen würde wieder gefährlich und hart werden. Aber es half nichts. Lizzy atmete noch einmal die schale Luft des Treppenhauses ein und öffnete schließlich die Tür. Nur einen Spaltbreit, weit genug, um sich hindurchzuquetschen. Die Dunkelheit waberte zu ihren Füßen schon aus der Tür, aber sie kannte den Trick, wie sie die Tür rasch bewegen musste, um das meiste davon wieder hineinzuschwenken. Soweit kannte sie es. Vom Rest des Bändigens wusste sie wenig. Sie vergaß jedesmal, was sie genau tat, schon während es geschah. Es entwandt sich ihrer Wahrnehmung, wie sie auch die Welt nicht verstand.

Sie hörte die Schlossfalle klicken und schloss hinter sich ab. Ein Fauchen wie nicht aus dem Diesseits ächzte tief und hohl durch die ganze Wohnung, als wäre sie ein Glockenturm. Kälte biss sich in ihre Arme, besonders in die Finger. Sie fühlte die Taubheit, wie ihr der Schlüssel aus der Hand rutschte und klirrend ins schwarze Nichts fiel. Das Scheppern, als er irgendwo aufkam, drang schon kaum mehr zu ihr durch.

Lizzy wollte keine Angst haben, aber sie grub sich doch in ihr Inneres vor, als sie merkte, wie ihr Realitätsbezug den Halt verlor. Die Wirklichkeit rann aus den Wänden. Die Türen… Lizzy wusste nicht, wieviele es waren. Sie fühlte die Präsenz der Kreatur, bevor sie sie sah. Roch sie. Ein Atem wie alter Regen und einer Note Säuerlichkeit, die in ihrem Hals kratzte. Sie hustete, – und diesen Moment suchte sich das Wesen aus, um hervorzuspringen und seine Krallen in Lizzys Armen zu versenken.

Lizzy fühlte das Blut auf ihrer ungeschützten Haut herunterlaufen. Sie hätte sie rüsten sollen. Nun wusste sie wieder, dass sie das jedes Mal dachte, wenn es geschah, aber sie erinnerte sich ja nicht vorher, was passieren würde. Oder nicht hinterher, was geschehen war? Der Schmerz brannte wie scharfes Klingenfeuer, aber sie biss die Zähne zusammen und krallte die Hände in das nasse, zerzauste Haar der Kreatur. Sie suchte darin nach Zecken und anderem Ungeziefer. Das Tier fauchte und jaulte und jeder Ton zerriss das Gefüge. Dunkelheit quoll aus den Rissen in die Wohnung und sammelte sich am Boden. Die Wände zerflossen, zersprangen, bis Lizzy kaum mehr wusste, wo sie war, oder ob sie überhaupt noch irgendwo war.

Sie legte die Arme um die Kreatur, als sie keine Stellen mehr fand, wo es zerbissen war, streichelte über die Wunden. »Komm«, raunte sie.

Das Tier schrie so erbärmlich, zappelte. Lizzy ließ es laufen, hier in der Wohnung, oder was dieses Ungefüge war, durfte es das. Nur… nur musste Lizzy aufpassen, dass ihr Dämon niemals ins Freie schlüpfte. In die Welt da draußen.

Auch wenn die Kreatur von der Welt erschaffen worden war. Auch wenn sie Resultat der vielen Gewalt da draußen gegen… gegen so vieles war. Gegen die alte Dame, der gekündigt worden war. Resultat einer Welt, die das rechtens fand. Resultat der vielen Gewalt da draußen gegen Wesen wie… wie Lizzy. Oder gegen das, was Lizzy einst gewesen war, als das Wesen noch mehr mit ihr verschmolzen gewesen war. So schön. Einfach nur eine struppige Kreatur, eine, die die Augen oft nach innen drehte, weil sie da draußen nicht so viel gucken musste. Eigentlich eine gute Schutzkatze, nur war sie mit dem gewachsen, wogegen sie schützen musste.

Lizzy sah das Blut von ihren Armen heruntertropfen, aber es kümmerte sie nicht. Sie schleppte sich, ohne mitzubekommen, wie, ins Wohnzimmer und ließ sich in die Kissen des Sofas nieder. Die Schwärze umschloss sie. Die Zeitlosigkeit. Die Orientierungslosigkeit. Die Schwärze war noch ertragbar, aber… Zäh zog die Zeit an ihrem Sein, so falsch, so unwirklich.

Sie wusste nicht, wie lange sie hier gewesen war, gefühllos und dumpf, bis es zu regnen anfing. Endlich. Die Dunkelheit sammelte sich an der Decke und regnete in schwarzen Fäden herab, durchnässte sie und ihre Kreatur. Das nasse Vieh wimmerte und zitterte, als es sich zu ihr aufs Sofa schmiegte. Lizzy grub ihre Hand in das klamme Fell und kraulte sehr fest, ließ zu, dass es weh tat, als es sich an sie schmiegte, ohne die Krallen einzufahren. Es war ein guter Schmerz. »Ich liebe dich«, flüsterte sie.

»Lass mich die Welt zerstören!« Die Kreatur sprach direkt in ihre Gedanken, ohne sich zu rühren. Es dröhnte noch wie Glocken, aber nicht mehr so haltlos hohl wie vorhin.

»Nein.« Aber es war ein schwaches, unüberzeugtes »Nein«. Lizzy wusste nicht, wie lange noch… Es wurde jeden Tag schwerer. Sie hasste jeden Tag mehr. Hasste, ihre geliebte Kreatur zu bändigen.

»Lass mich alles zerfetzen! Zerfleischen!«

Lizzy streichelte durch das Fell und sagte nichts. Wartete, bis der Regen vorüber war und die Wohnung wieder als solche erkennbar. Die Vorhänge zerfetzt. Ihre Arme zerfleischt. Aber das war nicht, was die Kreatur wollte. Lizzy bekam es nur ab, weil sie sich dazwischen stellte. Zwischen ihre Kreatur und die Welt. Es gab keine andere Antwort auf die Welt als ihre Kreatur, das wusste sie. Es hatte keinen Sinn. Nichts hatte einen Sinn. »Komm her«, flüsterte sie. »Wenigstens haben wir uns.«

»Warum liebst du mich? Warum kannst du mich lieben und gleichzeitig richtig finden, mich gefangen zu halten?«

»Aber was soll ich denn sonst tun?«

»Frei sein.« Ein leises flehendes Flüstern, das nachhallte, wie das Wispern des Windes im Wald.