5 Jahre psychische Entwicklung und Lunis Moon
CN: Dissoziationen, Trauma – erwähnt, Dissoziative Identitätsstruktur, Romantik und Sex – erwähnt
Kurzfassung
Dieser Artikel ist sehr lang und persönlich geworden. Ich denke, vieles kann interessant sein und es ist okay für mich, das zu teilen. Aber für Leute, die nicht so viel lesen möchten, fasse ich hier kurz, was im Artikel steht:
Ab 2020 konnte ich wegen starken, den Alltag bestimmenden Dissoziationen kaum mehr im Programmierjob arbeiten, – die Fähigkeit, präsent und klar zu sein, war so beeinträchtigt, dass einen Tee zu kochen eine Aufgabe über Stunden war.
Schreiben ging trotzdem und war das einzige, was sich wirklich gut angefühlt hat, daher ist viel Material entstanden, bis 2023.
Hintergrund dazu war Trauma, dass allmählich an die Oberfläche kam. 2021 in einer ansonsten eher schrecklichen psychosomatischen ReHa wurde mir eine komplexe Posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert.
2023 habe ich Phasen gehabt, in denen “ich” plötzlich ein Interesse spürte, lesbische Erotik in einem eher untypischen Stil für mich zu schreiben, und habe deshalb ein weiteres Pseudonym gegründet, das zunächst geschlossen war: Lunis Moon. Auch für Lunis Moon habe ich einen Social Media Account angelegt und mich darauf anders verhalten als üblich, aber ohne eine Kontrolle darüber zu haben und ohne, dass ich mich hinterher daran deutlich und emotional erinnern konnte – es war danach wie ein Aufwachen aus einem Traum. Das war der Anfang der Entdeckung, dass in meinem Kopf mehr als eine Person ist: Wir sind Viele/plural/eine Dissoziative Identitätsstruktur/ein System.
Darauffolgend, in den vergangenen zwei Jahren, haben wir kaum geschrieben, weil wir uns gegenseitig erstmal kennenlernen mussten und füreinander und die verschiedenen Bedürfnisse Raum schaffen mussten. Aber nun sind die Schreibflows allmählich wieder da, worüber ich sehr, sehr froh bin, und es gibt zwei Personen in unserem System, die unter verschiedenen Pseudonymen schreiben. Das heißt nicht, dass niemals ich bei Lunis Moon mitschreiben würde oder umgekehrt, sondern dass Lunis Moon sich in meinen Werken nach meinem Ton richtet und umgekehrt, und dass wir das entstandene in das zurechtschleifen, was wir zu dem jeweilig eigenen Projekt passend empfinden. Teils können wir den Stil der jeweilig anderen Person nur eher schlecht nachahmen.
Die Trennung der Pseudonyme ergibt auch Sinn, um Lese-Erwartungen zu lenken, weil wir beim Schreiben verschiedene Ziele verfolgen. Für mich steht Utopie, Philosophisches, Reflektion, Repräsentation von Autismus, oder Repräsentation von Alltagsstruggles und Wahrnehmungen, die selten dargestellt werden, im Vordergrund. Für Lunis Moon Romantik, sapphic Yearning und das kribbelnde Gefühl von Figuren der Nacht.
Wir haben auch getrennte Social Media Accounts auf Mastodon (skalabyrinth und Lunis Moon), wo jeweils ich nicht auf dem Lunis Moon Account poste und umgekehrt.
Details folgen im Artikel.
kPTBS und das Leben (2020-2021)
Zwischen 2018 und Anfang 2023 sind 10 Bücher entstanden (im Schnitt 2 pro Jahr):
- 2018: “Myrie Zange” Band 1 und Band 2.
- 2020: Myrie Zange Band 3, Teile von Myrie Zange Band 4, und “Die Haptik der Wände”
- 2021: “Wenn es nicht passiert”, “Die Flotte der Maare” und “Der Abstand zwischen Himmel und Garten”
- 2022: “Worte aus Schall und Staub” (ein Buch in 2½ Arcs) und “Im Bann der Mondklinge”
- 2023: “Tischfee mit Fee-Tisch”
Und seitdem kein weiteres. Ich habe 2023 noch an einem neuen Buch “Minzaromantik” gearbeitet, für das ich noch nicht mutig genug war, die Anfänge auf meine Homepage zu schieben, und ich habe ein Buch “Machtschattengewächs” konzipiert, das ich irgendwann gern schreiben möchte, über das ich noch kaum geredet habe: Beide behandeln das Thema Trauma, das in den letzten Jahren in meinem Leben immer zentraler geworden ist.
Ein Grund, warum ich gerade nicht so viel schreibe, ist der, dass ich mich gerade mit dem Nachholen gewisser anderer Veröffentlichungsschritte befasse:
- Publishing meiner Bücher als Print im Buchhandel, sodass auch Leute die Bücher lesen können, die sie in Papierform brauchen. (Und auch, weil mich so ein haptisches Buch ein Stück mit Glück und Stolz erfüllt.)
- Meine Bücher haben teilweise ein Lektorat durch Evanesca erhalten. Aktuell ist Myrie Zange Band 3, “Anemonys”, dran.
- Eine Neuauflage des Hörbuchs für “Myrie Zange” Band 1 und Band 2.
Aber ein wirklich wesentlicher Grund ist Trauma.
2020 mit dem Anfang der Pandemie habe ich quasi meine Arbeitsfähigkeit in der Programmiertätigkeit (fast, teilweise ganz) verloren. Ich hatte auf einmal einen Alltag, der geprägt war von Dissoziationen: Ich hatte permanent abreißende Sätze und Nebel im Kopf, stand plötzlich in der Küche und wusste nicht wieso, oder habe die Küche wieder verlassen, obwohl ich das gar nicht wollte, und hatte das Gefühl, wenn ich mit Leuten chatte, durch einen Tunnel zu schreiben. Die Zustände waren so lange anhaltend, dass ich teils 5 Stunden gebraucht habe, um mir einen Tee zu kochen, weil ich den Prozess mit meinem Denken nicht von vorne bis hinten umfassen konnte. Wenn ich mir überlegt habe, welche Schritte für Teekochen nötig wären, und bei Teesiebfüllen ankam, war der Anfang schon wieder weg und ich war gedanklich noch nicht beim Wasserkochen angelangt.
Wenn ich auf Menschen im Outernet getroffen bin, war ich wie magisch meistens klar im Kopf (es sei denn, ich kannte die Menschen sehr gut), aber es hat mich enorm angestrengt, fremde Menschen auszuhalten, sodass ich davon extrem erschöpft war.
Ich war damit bei Ärzt*innen und teils wurde ich echt schlecht behandelt und direkt wieder weggeschickt, aber ich gelangte u.a. in eine Psychosomatische ReHa 2021. Die ReHa war im Wesentlichen eine furchtbare, erschöpfende Erfahrung. Die Probleme kurzgefasst:
- Das Thema war BurnOut, und die meisten dort waren froh, von ihrem 60-Stunden-pro-Woche-Alltag auf super entspannte 20 Stunden Anwendung pro Woche (Gruppentherapie, Yoga, Positive Muskelrelaxation, Sport, Krafttraining, Ernährungsberatung, Soziale Kompetenzen, etc) runterzukommen. Ich hatte zuvor eine Stelle mit 12h pro Woche aufgegeben, weil ich es nicht mehr geschafft hatte (autistisches BurnOut, oder was das ist, ist eben was anderes) und war mit 20 Stunden allein schon, aber dann noch davon ~15 Stunden sozialer Interaktion endlos überfordert.
- Das Klinikpersonal war teilweise sehr transfeindlich. (Und hat teils, wenn ich über Transfeindlichkeit klagte, sich nicht angesprochen gefühlt, sondern das alles auf die “ungebildeten Pantient*innen” geschoben, die aber überhaupt kein Problem mit meinem Transsein und meinen Pronomen oder sonst was hatten.)
- Es kam zu Mobbingsituationen. Ich wurde in einer Vollversammlung ausgelacht und Leute haben hinter meinem Rücken schlecht über mich geredet. (Immerhin, for the first time in my life!, waren Patient*innen aus meiner Gruppe in der Vollversammlung dabei und konnten hinterher berichten, es ist nicht, weil ich immer alles so negativ sehe und glaube, irgendein zufälliges Lachen bezöge sich auf mich, sondern meine Wahrnehmung ist wahr und wurde von anderen bestätigt. Puh!)
- Und mir wurde auch von zwei Personen des Klinikpersonals erklärt, dass es ja nicht so klar wäre, dass mein Autismus nicht doch durch Impfen ausgelöst worden sein könnte.
Wäre ich nicht schon mit einem BurnOut dort angekommen, ich hätte spätestens einen von dort mitgenommen, war mein Fazit.
Fairerweise gab es auch Dinge die gut waren und nicht alles Klinikpersonal war schlimm. Vor allem die Einzeltherapie hat mir viel geholfen: Dort wurde mir eine komplexe Posttraumatische Belastungsstörung (kPTBS) diagnostiziert. Das war zum Zeitpunkt der ReHa eine recht neue Diagnose. Das “komplex”, das der schon länger bekannten Diagnose “Posttraumatische Belastungsstörung” (PTBS) hinzugefügt ist, weist darauf hin, dass es kein Trauma durch ein oder zwei traumatische Ereignisse ist, sondern es viele Ereignisse gab und/oder über einen lang anhaltenden Zeitraum eine sehr unsichere Situation bestanden hat. (Das kann zum Beispiel eine gewalttätige Beziehung über mehrere Jahre sein.)
Während des ReHa-Aufenthaltes entstand “Wenn es nicht passiert”. Ich war während des Schreibens oft ziemlich dissoziiert und dafür ist ein erstaunlich zusammenhängendes, konsistentes Buch rausgekommen. Ich kann mir das nicht erklären, aber zugleich war Schreiben die einzige Beschäftigung, bei der ich Euphorie gefühlt habe, und ohne eben diese wäre das Leben noch schwerer auszuhalten gewesen.
Hilfe suchen ohne Hilfe, Umzug (2021-2023)
Mir war klar, dass ich aus Leipzig wegziehen musste. Leipzig ist für mich mit meinem Autismus-Flavor wirklich kein Ort, an dem ich sinnvoll leben kann. Gründe:
- Im Sommer war es so heiß, dass ich 2 Wochen oder mehr am Stück nur mit nassen Handtüchern auf dem Bett gelegen habe und erst nachts vielleicht wieder denken konnte. (Ja, ich bin da empfindlich. Wenn jemand den Reflex hat, das zu denken oder zu sagen, ja, kann man so bezeichnen, aber es geht davon halt nicht weg, sondern ist eben so.)
- Die Einkaufsläden, die für mich zudem schlecht erreichbar waren, sind immer so überfüllt, dass ich dort regelmäßig beim Versuch, etwas einzukaufen, mit Overload in der Ecke stand und geweint habe, und dann den Laden mit zu wenigen Dingen wieder verlassen habe. (Mein Mitbewohn hat für mich meist eingekauft, und die Abhängigkeit war für mich kaum erträglich.)
- Die Straßen in Leipzig sind so viel und rücksichtslos befahren, dass ich gefühlt um mein Leben fürchte, wenn ich zu nah am Bordstein spaziere.
Der letzte Punkt ist der heftigste. Für mich – und das wusste ich nicht – sind Spaziergänge, bei denen ich wegdissoziiere und von meiner Umgebung nicht viel wahrnehme, total wichtig. Das ist quasi die einzige effektive Auszeit. Wandern, Radfahren, andere Bewegung durchs Draußen, aber träumend, fantasierend, in anderen Welten oder im Inneren. Und in Leipzig musste ich von meinem nichtmal sehr zentralen Wohnort erstmal 20 Minuten gehen, bis ich ansatzweise irgendwo war, wo ich nicht 100% wach und aufmerksam sein musste (was ich mit den Auswirkungen der kPTBS ab 2020 nur selten sein konnte), um nicht im Verkehr mein Leben zu riskieren. Etwa einmal in der Woche hat mich eine Freundin zum Wanderspazieren abgeholt, das ging dann einigermaßen. Aber ich war teils auch jeweils fast ganze Wochen am Stück in der Wohnung, weil ich nicht rauskonnte.
Es hieß also: Umziehen. In eine kleine Stadt (wegen Verkehr) im Norden (wegen Klima).
Aber wie eine Wohnung suchen, wenn man 5 von 7 Tagen in der Woche so dissoziiert ist, dass Tee kochen nicht geht?
Also erstmal Assistenz oder andere Unterstützung suchen.
Aber da gilt das gleiche Problem, plus, es wäre sinnvoller, Assistenz am Zielwohnort zu suchen, sodass ich sie dann behalten kann und sie auch schon für Wohnungssuche vor Ort ist. Allerdings bekommt man Assistenz nur an Orten, wo man schon gemeldet ist. Tja.
Ich habe auf Anraten einer EUTB-Stelle in Schleswig-Holstein meinen ersten Wohnsitz bei Leuten im Norden angemeldet, wo ich öfter war, um dann Assistenz zu suchen. Gewohnt habe ich den Sommer über teils über Monate in einem Wohnwagen im Norden, weil es in Leipzig einfach nicht ging. (Dort enstanden mehrere Romane. Romane haben irgendwie neben der Realität stattgefunden.) Ich äußerte gegenüber der EUTB die Sorge, dass ich durch das Melden im Norden dann Zweitwohnsteuer bezahlen müsste, und mir dann aus welchen Gründen auch immer Unterstützung abhanden kommen könnte, weshalb ich dann in einer schlechteren Lage als vorher sein könnte. Mir wurde die Sorge ausgeredet. Aber nachdem ich soweit war mit dem Wohnsitz, hat sich die EUTB bei mir warum auch immer nie wieder gemeldet. Ich habe mich sogar überwunden, mehrere E-Mails zu schicken, um nochmal nachzufragen.
Nun.
(Ich hasse, hasse alles so sehr! Besonders die Fälle, wo ich prophezeihe, dass dies und jenes Schlimmes passieren kann, und Leute sagen, das ist Quatsch und dann passiert es doch. Ich hab doch eh schon Schwierigkeiten damit, zu vertrauen, ob nun anderen, meiner Einschätzungsfähigkeit oder meiner eigenen Wahrnehmung.)
Wie auch immer ich das geschafft habe, u.a. mit viel Hilfe aus dem Umfeld, wenn ich denn gerade mal ausreichend fähig war, Informationen zu verarbeiten und vorgeschriebene Wohnungsbewerbungen zu verschicken: Ende 2022 bin ich zurück nach Kiel in eine eigene Wohnung gezogen.
Kiel ist sehr gut zu mir. Ich habe ein wenig soziales Umfeld hier, weil ich hier schonmal 10 Jahre gewohnt habe. (Ich vermisse dennoch meine Crew in Leipzig). Einkaufsmöglichkeiten sind so nah und so gut benutzbar, dass ich mich selbst versorgen kann. (Manchmal ist es Energie-technisch eng, aber eben nur eng und nicht unmöglich.) Klima und Wind sind gut mit meinem Körper vereinbar. Und alleine wohnen ist so viel besser für mein Hirn, u.a. weil ich offenbar brauche, intensiv und viel mit mir selbst zu reden, ohne dass jemand von außen zuhört. Und der Verkehr hält hier in meinem Stadtteil ohne zu hupen an, sollte ich versehentlich ohne zu gucken auf die Straße gehen – was ich nicht tue, aber die Sicherheit ist unbezahlbar.
Nachdem ich dann einen offiziellen, sinnvollen ersten Wohnsitz in Kiel hatte, konnte ich mich um qualifizierte Assistenz kümmern, die mir bei vielen Alltagsaufgaben und vor allem Formalia und Ärzt*innenbesuchen hilft. Anfang 2023 habe ich angekündigt, wieder eine geringe Remote Beschäftigung am UFZ annehmen zu können und habe ein paar Monate später wieder 30% gearbeitet (was allerdings eigentlich zu viel war, aber irgendwovon muss man ja leben).
Lunis Moon (Sommer 2023)
Während sehr dissoziiert schreiben durchaus noch irgendwie möglich war, wie auch immer das funktioniert hat, wo ich kaum am Ende eines Satzes noch wusste, wie er anfing, geschah im Sommer 2023 etwas, was zu der langen Pause geführt hat: Ich habe herausgefunden, dass ich in meinem Kopf nicht alleine bin, und musste dem erstmal Raum geben und mit den anderen gemeinsam unser Leben um uns alle und nicht bloß mich herum organisieren.
Die Entdeckung begann ausgerechnet damit, dass “ich” (ich glaubte, das wäre ich) einen neuen Account angelegt habe, um Lesbische Erotik zu veröffentlichen. Woher auch immer das Interesse so doll aufplöppte, diese Form von Erotik zu schreiben, die eigentlich gar nicht zu mir passte … Mir war das in “Im Bann der Mondklinge” schon aufgefallen, dass mir das eigentlich zu viel war und sich nicht in mein Konzept der skalabyrinth-Geschichten fügte. Aber offenbar war das Interesse daran, in diese Richtung zu schreiben, groß, und die Phasen mit diesem Interesse und die Phasen mit dem Interesse an meinem Schreibstiel wechselten sich ab, also dachte ich, es ist jetzt doch keine so schlechte Idee, wenn wir mal so ein zweites Pseudonym anlegen. (Wie man das halt so sagt, auch als Person, deren Hirn nicht Viele beherbergt “dann machen wir mal xy”).
Eine zweite Identität anzulegen hat sich außerdem sehr richtig angefühlt. Aber weil es in vielen Kontexten nicht gut ankommt, Kontakt von mehreren Accounts aus zu einer Person zu haben, die davon nichts weiß, und ich damit auch mal ungute Erfahrungen gemacht habe, habe ich, obwohl über Jahrzehnte das Bedürfnis dazu bestand, nie wieder einen Account erstellt, ohne sofort transparent zu machen, dass dahinter ich steckte, bis zum “Lunis Moon”-Account.
And here we go, ich mache transparent, dass “ich” hinter dem Lunis-Moon-Account stecke, wobei eben nicht ich, sondern eine andere Person in meinem Kopf. Und das erkläre ich jetzt:
Sommer 2023 enstand also dieser Account und es war irgendwie so, dass mein Kopf in einem komplett, wirklich komplett anderen State war, während darauf agiert wurde. “Ich” habe mit Leuten interagiert, mit denen ich mich nicht so recht vertragen habe. “Ich” konnte mit Posts bezüglich Mikroaggressionen locker umgehen, sie beiseite legen und mich auf anderes fokussieren, bei denen ich auf 180 gewesen wäre und das dringende Bedürfnis gehabt hätte, etwas anzuzünden, das aber zu lassen, mich zu beruhigen, und dann etwas zu klären.
Wenn ich zurück auf dem skalabyrinth-Account war, hatte ich die Erinnerungen von vorher zwar, aber es war, als wäre das alles aus einer ganz anderen Welt. Es war wie so ein auftauchen, als hätte ich davor irgendwie geträumt. Es war nicht so, dass ich gar keine Erinnerungen daran hatte. Aber mir fehlte die Fähigkeit, mich darein hineinzuversetzen, was “ich” da gemacht hatte. Die Emotionen dazu und jegliches Zeitgefühl fehlte und ich hatte keine Kontrolle darüber. Also, ich hätte in der Zeit nicht in meinem Sinne entscheiden können. Wenn es einfach ein extrem gutes Rollenspiel wäre, bei dem ich mir selbst etwas vorgemacht hätte, hätte ich es nicht beeinflussen können, weil ich da einfach komplett reingekippt bin und … wer anders war.
Mein Umgang mit der Entdeckung (2023 bis 2025)
Nein, ich fand das nicht unheimlich. Ich fand das mega interessant.
Mein Problem war nicht, dass ich das nicht wahrhaben wollte oder dass ich mich gefürchtet hätte. Ich war voll okay damit, dass da vielleicht mehr Wesen in meinem Hirn sind, und habe mich gefragt, wie ich sie zum Kommunizieren einladen kann. Nur dieses Einladen war keine einfache Aufgabe. Was mich bisher davon abgehalten hatte, irgendwas davon zu entdecken, war:
- Dass es sich albern angefühlt hat, “mit sich selbst” Briefe zu schreiben. (Aber das hat mich nicht lange abgehalten, ich bin für Albernheiten und Experimente zu haben. Und inzwischen führen wir regen Briefwechsel (mit verschiedenen Schriften), der sehr schön ist.)
- Zuzulassen, dass irgendwas anderes Kontrolle übernimmt. Ich habe ein sehr großes Bedürfnis, Kontrolle über meine Wahrnehmung zu haben und zu behalten. Und dieses Loslassen war nicht einfach. Mir fehlt dann ja auch Zeit (also, nicht im Sinne von, die Uhr springt eine Stunde weiter, sondern, ich habe halt kein kohärentes Bild der vergangenen Stunden, alles ist zerpflückt, die Reihenfolgen verschwimmen und ich habe das Gefühl, ich weiß nicht, was los ist.) Ich hatte ein starkes Bedürfnis, das zu vermeiden, – und trotzdem mit anderen in Kontakt zu treten, aber dazu brauchte es das Loslassen eben.
- Zulassen, dass wir ein nicht gefasstes oder nicht positives Bild abgeben. Ich bin in unserem System eine Person, die viele soziale Aufgaben übernimmt, weil ich einen guten Eindruck machen kann. Und ich habe unterbewusste Angst davor, was passiert, wenn wir nicht so positiv gestimmt, gefasst und einfühlsam auf die Leute zugehen oder nicht gut masken. Daher hindere ich (nicht absichtlich) andere von uns daran, mich abzulösen, wenn wir auf Leute treffen. Daher war selbst in sehr dissoziierten Phasen immer sofort Klarheit, wenn wir auf Leute getroffen sind. Es war schwer für mich, mit Leuten in meinem System in Kontakt zu treten, die Eigenschaften mitbringen, die ich reflexartig zu überspielen versuche.
- Ich bin gespannt, ob es noch weitere Charakterzüge von mir gibt, die eine Kommunikation erschweren, und wer noch so mit mir in Kontakt tritt, wenn ich das verstehe und daran arbeite.
Denial
Ich hatte und habe Denial-Phasen, – Phasen, in denen ich denke, das ich mir das alles nur ausdenke und das alles gar nicht so stimmt. Ich bin sehr fantasievoll und erfinde Geschichten mit ausgefeilten, lebendigen Figuren. Wer sagt mir, dass ich nicht jetzt in einer lebe, mit der ich bloß diese krassen oben beschriebenen Dissoziationssympome erkläre. (Aber durch Kommunikation werden sie wirklich besser! Denke ich … Und ich denke, ich bin analytisch genug, da immer wieder mit sinnvoller Skepsis zu reflektieren, und komme auch zusammen mit anderen auf eine genügend eindeutige Datenlage.)
Zweifel sind unter DIS-Systemen (DIS steht z.B. für Dissoziative Identitätsstruktur) sehr verbreitet, denn ein System zu sein oder anders traumabedingte Dissoziationen zu haben, bedeutet, dass die Wahrnehmung irgendwie aufgesplittet ist, um mit dem Trauma zurechtzukommen. Systemsein bedeutet also, dass die Wahrnehmung beeinträchtigt ist – und sich nicht unbedingt sonderlich gut dazu eignet, ein System wahrzunehmen.
Wir hatten 2012 schonmal ein Gedankenexperiment sehr weit getrieben, was sich denn für eine Wahrnehmung für jede Einzelperson in einem System ergeben müsste, wenn die Gesamtwahrnehmung eben auf mehrere Personen in einem Hirn aufgeteilt wäre, weil wir uns gefragt haben, ob das bei uns sein könnte. (Es gab interessante Hinweise auf sowas als wir an einem wissenschaftlichen Text gearbeitet haben.) Wir haben nichts dazu recherchiert, nur Gedankenexperimente gemacht. Und wir kamen zum Schluss, dass das bei uns nicht sein könnte, weil wir keine vollständigen Amnesien mit Zeitsprüngen von Stunden haben. Aber das ist halt zwar bei vielen Systemen der Fall, bei vielen aber auch nicht.
Denial ergibt sich außerdem auch oft daraus, dass ein System zu entdecken eine Gefahr darstellen kann, und da das System als Schutzmechanismus agiert, verstecken sich viele Systeme quasi vor sich selber.
Jedenfalls haben wir prinzipiell durch das Anlegen einer neuen Schreibidentität, die andere Schreibinteressen hatte als ich, den ersten wirklich deutlichen Verdacht erlangt, dass wir ein System sind.
Und diese Erkenntnis und ihre Konsequenzen waren der Hauptgrund dafür, dass eine Schreibpause von ungefähr zwei Jahren folgte.
Wer von euch schreibt eigentlich?
Wir haben uns nach und nach im Umfeld als System geoutet, unser Leben darum herum eingerichtet, und vor allem sehr viel Kommunikations- und Traumaarbeit gemacht. Zum Beispiel haben wir uns überhaupt erstmal kennengelernt, versucht rauszufinden, wieviele wir so sind (wir schätzen derzeit so 15-20) und welche Konflikte wir so haben. Die Flashbacks wurden fühlbarer, statt dass sie nur tief im Innern stattfanden, und bestimmten den Alltag (tun sie immer noch). Wir haben geübt, wie wir uns gegenseitig auffangen und wie wir für einander dasein können. Das Outing hat, anders als das Outing als trans oder als autistisch, auch viel an unseren Beziehungen im Umfeld geändert. Manche Beziehungen sind besser geworden, manche sind erstmal schwieriger geworden, manche brauchten viel Zeit, sich darauf einzustellen, und ein paar haben wir abgebrochen (was sehr gut für uns war). Diese Umstrukturierungen haben viel Kraft gekostet, die für andere teils existenzielle Dinge fehlte.
Uns wurden manche Fragen sehr oft gestellt. Voran folgende zwei:
- Soll ich eigentlich “Du” oder “ihr” sagen?
- Wer von euch schreibt eigentlich die Geschichten?
Ich beantworte mal kurz: “Du”, wenn du mit jeweils der Person von uns sprichst, die vorn ist/frontet (fronten heißt, Kontrolle über Denken und Körper haben). “Ihr” wenn du mehr von uns meinst, wie in “Habt ihr alle die gleiche Lieblingsfarbe?”. Es gibt viele Fälle, in denen nichts so richtig passt (wie “Warst du gestern im Kino?”, das müsste dann vielleicht “War jemand von euch gestern im Kino?” werden, aber das ist umständlich). Aber zum Glück gibt es auch kein Falsch. Es ist beides recht.
Wer von uns die Geschichten schreibt, wussten wir selber lange nicht. Erst dachten wir, nur ich (ska) und Lunis Moon, wobei wir nicht wussten, wie doll Lunis Moon bei den skalabyrinth-Werken mitgemischt hat (außer in “Im Bann der Mondklinge”, da war es recht klar). Dann, dass alle vielleicht?
Wir mussten dazu überhaupt auch erstmal wieder ins Schreiben kommen, um das zu erforschen. Und das ging über einen längeren Zeitraum nicht. Es waren zu viele neue Stimmen da. Texte, die jemand angefangen hat, haben sich am Tag darauf schon fremd angefühlt, sodass die Emotion dazu nicht mehr greifbar war. Und die Idee, wir schreiben alle unser jeweils eigenes Projekt, lief auch nicht gut an, weil das ein ganz schönes Gewusel an Projekten geworden wäre, wo überall noch Restgedanken nach Wechseln, wer frontet, übrigblieben. Und zu viele offene Aufgaben stressen uns sehr. Daher sind mit “WG mit uns alleine” und einem Kinderbuch noch zwei Projekte sehr früh stecken geblieben, für die nie so richtig ein Schreibflow existiert hat.
Jetzt, zwei Jahre nach der Entdeckung geht es plötzlich – und endlich! – wieder. Wir haben rausgefunden: Mehrere schreiben am selben Projekt, aber für das jeweilige Projekt gibt eine Person von uns den Ton vor. Das heißt: Lunis Moon überarbeitet meine Texte mit und steuert manches bei. Ich schreibe bei Lunis Moon mit, aber passe mich Lunis’ Stimme an, so gut ich kann (was ich jetzt nicht so gut kann). Lunis Moon überarbeitet das alles hinterher zu etwas Eigenem. (Mein Output ist erheblich höher, selbst wenn ich seltener fronte. Daher ergibt sich, dass ich auch in Lunis’ Projekten Vorlagen schreibe, wenn mein Schreibflow anspringt und das Projekt gerade das ist, was dran ist.)
Es gibt weitere Personen im System, die verschieden viel beisteuern. Inzwischen können wir einigermaßen beobachten, wer wieviel wo und wie beiträgt. Aber die Frage danach, wer von uns schreibt, zu beantworten hatte anscheinend in den letzten zwei Jahren erstmal einfach nicht so die Priorität.
Jetzt allerdings erinnere ich mich durchaus an diese Momente, früher, vor der Entdeckung, an einem Text gearbeitet zu haben, der sich nicht so sehr nach mir angefühlt hat, und es dann später wieder zu probieren, oder zu versuchen, mich der Stimme anzupassen, die zum Text gehörte.
Was unterscheidet Werke von “skalabyrinth” und “Lunis Moon”
Lunis Moon schrieb dazu folgendes Gedicht:
They were daymoon and nightsun.
Daymoon – she was like a mild day, warm, thriving and alive. Full of hope and decent perspective.
Nightsun – she burned like fire in a dark night, adventurous, sinister and longing. Full of passion and biting wind.
They couldn’t live without another. Daymoon needed Nightsun to feel and Nightsun needed Daymoon to decide what not to do.
They were so different that together they were as one.
In diesem Gedicht repräsentiere ich Daymoon und Lunis Moon Nightsun. (Ja, vielleicht gibt es eine gewisse gothic-romantische Beziehungsebene zwischen uns, das will ich nicht leugnen.)
(Und mein Pronomen ist nicht ‘she’ und über Lunis Moons Pronomen äußere ich mich nicht.)
Trotzdem, denke ich, passt das Bild.
Meine Texte haben ihren Fokus auf:
- Hoffnungsvoll sein. (Zu einem großen Teil SolarPunk.)
- Repräsentation von selten gezeigter Realität. (Wenn ich Sex-Szenen schreibe, üben Leute darin, ihre Bedürfnisse zu kommunizieren und haben wegen vergangener Erfahrungen Schwierigkeiten damit. Sie mögen oft Dinge nicht, die in klassischem Smut/Porn vorkommen, wie Küssen o.ä.)
- Klarheit. (In meinen Texten passiert viel explizit. Lesende können die reflektierten Gedanken der Leute mitverfolgen.)
- Alltagsanwendbarkeit. (Aus meinen Büchern können Lesende vielleicht sogar mitnehmen, wie sie lernen können, ihre Grenzen zu kommunizieren und ihre Bedürfnisse ernst zu nehmen.)
Lunis Moons Texte haben ihren Fokus auf:
- Yearning and Fire. (Gefährliche Romance.)
- Dazu subtile Gefühle, die erst viel später vielleicht verstanden werden. (Fuzzyness/Messiness.)
- Die haltlosen Mischungen aus Schmerz und Leben, Hin- und Hergerissen sein zwischen Verlangen und Vorsicht.
- Leidenschaft.
Lunis Moon versucht so oft es geht, unter die Haut zu gehen. Die Texte sind weniger für Reflektion über alles Mögliche gedacht, und mehr dazu, sich in einem Fluss aus Gefühlen mitreißen zu lassen. Dabei bekommt Romantik einen ähnlich zentralen Fokus wie Finsternis und das Kribbeln eines Charakters der Nacht.
Es sind sehr verschiedene Formen von Eskapismus. Und während ich Lunis Moons Texte durchaus mag, gibt es so einiges, was ich niemals so machen würde und auch kritisieren würde. Aber vielleicht lerne ich durch diese Trennung unseres Schreibens und gleichzeitig durch die Nähe einer Person in meinem Leben, die so schreibt, gelassener damit umzugehen, wenn nicht immer darauf geachtet wird, dass ein Text möglichst niemanden verletzt (was eh nicht geht und auch Lunis Moon legt wert auf sensibles Schreiben, aber ich optimiere das eben viel, viel mehr).
Schlussworte
Ich freue mich so extrem, dass ich wieder Schreibflows habe. Sie sind nicht wie vor den zwei Jahren. Ich werde gelegentlich für Tage rausgerissen, weil da einfach andere Leute fronten. Da ich zuletzt Host war (Host ist im System eine Person mit besonders viel Frontzeit oder die besonders viele Lebensentscheidungen fällt oder das Leben plant), musste ich erstmal sehr in den Hintergrund treten und Raum für andere geben. Und dann musste ich lernen, mit anderen da zu sein und nicht einfach ganz zu verschwinden. Aktuell fühlt es sich stabil an, dass ich manchmal da sein kann und manchmal andere, und die Kommunikation ist so viel besser, sodass wir manchmal auch gleichzeitig da sein können, oder sogar inzwischen teils bewusst switchen können (switchen heißt, wechseln wer frontet). Aber es kann auch wieder Rückschritte geben. Es war ein Auf und Ab mit teils mehr Abs als Aufs. Das Ziel ist erstmal, dass wir lernen, ein gemeinsames Leben zu gestalten, in dem niemand die Hauptrolle spielt und alle wichtig sind.