Urban Fantasy Going Queer - Reaktion

Reviews, Rezensionen, all sowas machen mir nicht so viel Spaß. Ich muss noch genauer ergründen, wieso. Vielleicht ist es mir zu beschränkt. Feedback wiederum macht mir Spaß. Ich mag es, Texten meine Aufmerksamkeit zu schenken, Kritik dazulassen, aber auch mit dem Text zu arbeiten. Und das ist, was ich hier versuche. Dies wird ein experimentelles Feedback, für Leute, die einen Eindruck von der Anthologie “Urban Fantasy Going Queer”, herausgegeben von Aşkın-Hayat Doğan und Noah Stoffers, bekommen möchten, aber auch möglichst ein Geschenk für viele daran Beteiligte.

Es finden sich hier:

  • Mindestens eine Zusammenfassung der Geschichte, in der ich versuche, sie knapp zu charakterisieren.
  • Mini-Fanfictions.
  • Weiterführende, philosophische Gedanken.
  • Vielleicht sowas wie Analysen?
  • Assoziationen.
  • Mut.
  • Manchmal auch Kritik, wenn ich was loswerden musste.

Weltenwandler*in von Sarah Fartuun Heinze

Eine Geschichte oder ein Gedicht oder ein Hybrid aus beidem? Oder sogar eine Anleitung für Lesende, weltenwandelnd zu werden? Es ist lyrisch. Und auch wenn das Format für mich vielleicht nicht ganz passt, weil es mir teils schwerfällt, verschiedene Sinne miteinander zu verknüpfen, ich auf Metaphern eher atypisch bis nicht anspringe (meine eigenen Metaphern sind wiederum oft schwierig für andere, weshalb ich sie nicht selten Metapfer nenne), und Assoziationen bei mir auch oft ungewohnt verdrahtet sind, finde ich in dieser Textwelt Raum für mich.

Es geht um Türen. Um Szenerien, die am Rande des Alltags auftauchen mögen, und von denen aus das Gehirn einen Spaziergang ins ungewisse wagen kann, mit eigenen Regeln.

Ich mag besonders die vierte Tür: “Ein Berg in einer Stadt ohne Steigungen.” (Zitat aus der Geschichte.)

Mein Gehirn fängt in so einem Moment sofort an, darüber nachzudenken, inwiefern es eine physikalische/mathematische Unmöglichkeit wäre. Es fängt an, sich Stukturen und Welten mit konsistenter Physik dahinter auszudenken, wo es einen Berg gibt, ohne dass der Weg hinauf eine positive Steigung hätte.

“Er fordert dich heraus” sagt der Text an anderer Stelle – und ja, er tut es und ich mag das sehr.

Ein Berg, bei dem aber an jeder Stelle die Schwerkraft lotrecht zum Boden zeigt? Wenn wir Steigung über Schwerkraft definieren und nicht bezüglich eines Koordinatensystems, dann wäre das eine Möglichkeit.

Aber mein Gehirn ist schon weiterspaziert zu vier oder mehr Dimensionen.


Der Text bietet mir außerdem Platz, um eine eigene, liebste Tür zu beschreiben. Ich möchte ihn nutzen.

Sechste Tür

Eine Tür für dich, nicht für mich. Oder schon auch für mich. Aber ich mag gern Türen öffnen. Sie wird mir mehr Freude machen, wenn sie vor allem für dich ist.

Du sagst oft, schließ die Augen. Also hörst du diese Tür, fühlst sie und riechst. Sie streicht über die Arme, wie Wind, aber ein bisschen wesentlicher, ein bisschen mehr wie die Weiche eines guten Geruchs. Es riecht nach nassen Gänseblümchen, aber ein bisschen rauer, wie ein Gewittergrollen, das all das Anstrengende wegschiebt und sagt: Ich bin jetzt dran. Oder du. Bist du hier im Jetzt? Oder bist du in der Gewitterwelt nebenan? Oder sind beide eins? Und der Wind zeichnet ein Gerausche in die Blätter einiger Bäume, in Wellen, aber ein bisschen leichter, wie die Erleichterung im Bauch, wenn etwas vergeht.


Lockfrequenzen von Iva Moor

Eine Geschichte über Merborn, ein Volk dass außerhalb von Wasser Mensch-Passing hat und im Wasser Kiemen und einen Fischschwanz bekommt. Als Fan von allen Wasserkreaturen, sowie selbst ein Fisch, macht mich die Geschichte automatisch glücklich. On Top kamen einige Redewendungen, in die Meeresgeschöpfe geraten sind. Wie eine Qualle, wie ein Oktopus, mit sehr lieben Verknüpfungen.

Hauptcharakter ist Saleen, selbst Merborn, mit dem inneren Wunsch, eine lesbische Beziehung anzufangen, und gleichzeitig der Überzeugung, dass das nichts werden kann, weil sie Merborn ist und in einer Situation, in der das besser niemand zu wissen bekommt. Sie ist nicht auf den Mund gefallen, – obwohl sie viel tropft, was eine gewisse Rutschgefahr mit sich bringt.

Und diesen inneren Wunsch nach einer lesbischen Beziehung kann ich sehr gut nachvollziehen, den habe ich ungefähr so auch. Und ebenfalls wenig Hoffnung, aber aus anderen Gründen.


Ein Thema in der Geschichte ist: sich zu verstecken, indem man sich zeigt und behauptet, das Ungewöhnliche, das Leute dann sehen, wäre Verkleidung.

Ich frage mich, ob sich das auf einiges queeres (oder anders diverses) Sein übertragen lässt und auch ein Teil von queerer/diverser Fantasy sein kann: In Geschichten oder in Verkleidung, in Performance und Darbietung können wir Elemente zeigen, die wir sind, aber wenn Leute sie nicht einfach schlucken können, können sie die Relevanz im Kunstzusammenhang übersehen. Oder es als Reflektionsfutter verstehen.

Das ist nicht gerade eine utopische Idee, aber ein Raum, wo mehr sein darf und vielleicht ein Anfang.


Tam Lin 2020 von Christian Handel

Eine Liebesgeschichte mit einer guten Portion Spannung, geschrieben aus zwei Perspektiven. Das handwerklich vielleicht Spannende: Eine der PoVs (Point of View) ist in 1. Person Singular Präsens geschrieben, die zweite in 3. Person Singular Präsens. Ich mag so etwas ja.

Außerdem geht es um einen Ring, und ich mag dazu zwei Sätze zitieren: Der Ring ist schuld. Das verdammte Ding macht schon seit über tausend Jahren Ärger.

Ich mag das Zitat, weil es flapsig eine Grundstory zusammenfasst, auf der so einiges an Geschichten aufbaut, nicht zuletzt Herr der Ringe. In dieser Geschichte wird allerdings angerissen, dass es eher um den Ring der Nibelungen ginge. Leider kenne ich mich mit der Sage nicht aus, sodass ich nicht weiß, auf was die Geschichte alles anspielen mag.

Vielleicht ist die Geschichte auch an manch anderer Stelle etwas flapsig, was sie aus meiner Sicht sympathisch macht. Insbesondere mag ich das Spiel mit einem Trope: Das Klischee des sich unverantwortlich riskanten Oberflächlichkeiten hingebenden Prinzen, der gern illegal Autorennen fährt, wird hier in ein anderes Licht gerückt, indem es sich um eine wohl Jahrhunderte alte Feenkönigin handelt, die Dinge in der Richtung tut, allerdings mit mehr Stil.


Eine Mini-Fanfiction:

CN: Minderwertigkeitsgefühle nach kontinuierlichem Abwerten

Kennt ihr das: Ihr seid Zentrum einer Geschichte, alle reden über euch, aber eigentlich beachtet euch niemand? Alle regen sich darüber auf, welch negative Wirkung ihr habt, aber niemand fragt sich, warum? Ihr werdet dafür verantwortlich gemacht, aber eigentlich seid das Problem nicht ihr, sondern ein Fehler im System? Und bekämpft werden Symptome. Leute versuchen, mit euch zu dealen, aber eigentlich gäbe es da nichts zu dealen, wenn sie mal das eigentliche Problem angingen. Kapitalismus.

Wahrscheinlich könnt ihr mir nicht folgen. Meine Gedanken sind auch nicht sehr klar und drehen sich im Kreis. Was vielleicht naheliegt bei meiner Beschaffenheit. Ich versuche von vorn anzufangen, obwohl ich nicht weiß, ob es einen Anfang gibt.

Damals lebte ein Kind. Eines, das ständig kritisiert wurde, in all seinem Sein, weil es nicht den Erwartungen entsprach. Es sah anders aus, es liebte anders, es dachte in anderen Bahnen, es hatte andere Vorlieben oder es fehlten welche, es konnte vieles nicht, es war nicht beschreibbar mit den Worten, die sie kannten. Wie kaum anders zu erwarten fühlte sich das Kind wertlos.

Als es schon älter war, traf es auf eine Hexe, die das Kind verstand. Sie konnte die Welt nicht ändern, – dazu wäre die Mitarbeit anderer nötig gewesen –, sie konnte das Kind nicht mit Worten innerlich davon überzeugen, dass es wertvoll war, – sie hatte keine Ausbildung in Psychotherapie und selbst damit wäre es ein harter, gegebenenfalls unmöglich lösbarer Brocken Arbeit gewesen, den das System nie bezahlt hätte –, aber sie beherrschte Magie. Also erstellte sie mich. Einen Ring, der der Person, die ihn trägt, das Gefühl gibt, wertvoll zu sein.

Und so, selbst nach tausend Jahren, locke und verführe ich die Leute dazu, mich besitzen zu wollen. Ich bin Zentrum vieler Geschichten, alle reden über mich, aber eigentlich geht es in diesen Geschichten nicht wirklich um mich oder meine Bedeutung. Sie regen sich auf über den Streit und die Gewalt, die durch mich ausgelöst ausgeübt wird, aber niemand fragt sich, warum sie geschieht. Ich werde verantwortlich gemacht, aber das Problem ist nicht, dass ich Personen das Gefühl gebe, wertvoll zu sein, sondern dass es niemand anderes tut. Dass wir in einem System leben, in dem mich Leute brauchen.

Aber wisst ihr, was ich an dieser Geschichte so schön fand? Dass ich am Ende der Geschichte nicht im Zentrum stand.


Partygespräche von Jenny Cazzola

Eine Geschichte über eine Freundschaft, die nicht auf ähnlichen Interessen basiert sondern auf Akzeptanz und Raumgeben, und über die Komplexität dieses Meers an Möglichkeiten von sexueller oder romantische Anziehung, dem Ausbleiben davon oder dem Auftreten unter Bedingungen, wie, dass bereits eine emotionale Bindung besteht. Die Geschichte befasst sich außerdem mit Übergriffigkeiten und Schwierigkeiten mit Abgrenzung, mit Fokusproblemen und damit, dass der ganze Gefühlssalat sich nicht so richtig daran hält, was eigentlich gerade hilfreich wäre. Sie wechslet zwischen Präsens und Präteritum abhängig davon, ob wir uns gerade im Rückblick – in der Entstehung der Freundschaft – befinden, oder im Jetzt, in einem Partygespräch, dass den Hauptcharakter eigentlich nicht so sehr interessiert, bis es sich ebenfalls jener Freundschaft aus heutiger Sicht zuwendet.

Durch die zwei zeitlich getrennten Perspektiven (könnte ich es ToV für Time of View statt PoV für Point of View nennen?) sind große Teile der Entwicklung der Selbstreflektion zu den Gefühlen und Orientierungen des Hauptcharakters möglich. Aus meiner Sicht ist jene Reflektion der Hauptaspekt der Geschichte, und dadurch, dass sie eben in eine Geschichte eingebettet ist, bekommen wir ein realistisches, chaotisches, individuelles Bild, wie das Leben eben so spielen mag.

Eine meiner liebsten Stellen ist allerdings das Zitat “Ich finde mich selber viel zu interessant, um still zu sein.” Ich mochte es sehr, diesen Satz mal in einem Zusammenhang zu lesen, in dem er nicht abwertet, sondern vielleicht sogar einfach positiv da stehen kann.


Eine Mini-Fanfiction:

Evie legt ihre Mappe zur Seite und steht auf. Zeit sich für ihr Date schick zu machen. Sie schaut in ihren Schrank, um sich einen Rock auszusuchen, aber schließt ihn dann wieder. Falsche Reihenfolge. Sie ist ein bisschen durcheinander. Und vielleicht ein bisschen nervös. Obwohl sie ihr Date schon so gut kennt.

Erst schminken, dann anziehen jedenfalls. Sonst gerät die Schminke doch in die Kleidung. Dann erinnert sie sich, dass es genau andersherum war und wendet sich doch wieder dem Schrank zu. Sich mit frisch lackierten Fingernägeln einen Rock anzuziehen, oder ein enges Top über ein frisch geschminktes Gesicht, ist nicht die beste Idee.

Eigentlich hat sie so etwas doch schon tausend Mal gemacht. Zum Glück ist sie allein mit sich. Zum Glück hat ihr Date Verständnis für so etwas. Sie weint fast ein bisschen, weil es so schön ist, zu wissen, dass sie keinen Spruch abbekommen wird, dass sie als Mode-Studentin so etwas nicht aus dem ff auf die Reihe kriegt.

Sie wählt sich einen schwarzen, leichten Rock. Er fällt ein bisschen anders bei ihr über ihren eher großen Hintern, als Leute denken, dass Röcke das sollten, aber sie mag es. Und darauf kommt es an. Sie hat Lust, Strumpfhosen mit Laufmaschen anzuziehen, aber diese hat sie kürzlich alle aussortiert. Eine kaputt zu machen, kommt bei ihrem Budget nicht in Frage, also macht sie bei ihrer Kleidungswahl einen Kompromiss.

Fertig angezogen blickt sie im Bad ihrem Spiegelbild ins Gesicht, als sie es schminkt. Noch sagt sie nichts zu ihm, aber es fühlt sich bereits ein bisschen an, wie eine andere Person zu schminken. Liebevoll das Gesicht einer geliebten Person mit etwas Farbe zu versehen, hier dezent, dort weniger dezent, herauszuarbeiten, was ihnen beiden gefällt.

Und schließlich setzt sie sich mit geradem Rücken, übereinander geschlagenen Beinen und einer Tasse Kakao in den Händen in eine gute Gesprächsdistanz vor den großen Spiegel.

“Irgendwann”, leitet sie ein, “werden wir eine Person kennen lernen, die uns genau so gern und aufmerksam zuhört, wie wir uns selbst.”

Das Spiegelbild lächelt bei der Vorstellung. “Daten wir uns dann noch?”

“Klar!”, sagt Evie. “Was spricht dagegen?”

“Meinst du nicht, dass diese Person, von der du redest, dich nicht für ziemlich von dir selbst eingenommen halten wird?”, fragt das Spiegelbild.

Evie mag die vielen kritischen Fragen, aber auch, dass sie so gestellt sind, als wäre das alles wirklich nichts Schlimmes. “Naja, bin ich ja auch.”, sagt sie daher selbstbewusst. Eigentlich selbstbewusster, als sie sich fühlt. “Und das ist auch voll in Ordnung so!”, sagt sie trotzig. “Ich bin nämlich nicht nur von mir eingenommen, sondern ebenso von anderen. In mir ist ganz viel Raum.”

Ihr Spiegelbild lächelt wieder. “Das ist schön.”, sagt es. “Ich frage mich manchmal, ob es denn anders wirklich schlimm wäre. Wenn dein Bedürfnis ist, dass eine Person vor allem dir zuhört, und du eine andere Person findest, deren Bedürfnis hauptsächlich ist, dir zuzuhören, wäre das so schlecht? Wäre es unmöglich? Kommt es nicht immer drauf an und so?”

Evie nippt einen Schluck von ihrem Kakao. Ihr Spiegelbild tut dasselbe. Über den Rand ihrer Tasse schauen sie sich in die Augen mit den kleinen Fältchen darum herum. Dieser Augenblick ist einfach schön, darf einfach so sein, niemand auf dieser Welt hat einen Schaden von diesem Moment. Manchmal ist es schwer, sich selbst so zu mögen, aber Evie tut es trotzdem.


Stone Butch Muse von Elea Brandt

Eine Geschichte voller Frust über die mit Marginalisierungen daherkommenden Ungerechtigkeiten in einem kapitalistischen Leistungssystem. Und zudem eine mit subtilen Ungereimtheiten, die mich ins Grübeln bringen. Ob sie es sollen oder nicht, ich mag es hier, im Rahmen der Vorstellung der Geschichte, anreißen und euch an den Gedanken teilhaben lassen:

Hauptperson ist eine Muse, deren Aufgabe es ist, das volle Potenzial aus talentierten und begabten Leuten herauszukitzeln. Es macht sie fertig, dass sie keine (wirklich) großen Erfolge hat, und sie hat weniger große Erfolge, weil sie vor allem marginalisierte Personen unterstützt, die also aus anderen Gründen als mangelndem Talent oder Kreativität nicht so bekannt werden wie andere.

Das Grübeln beginnt bei mir bei der Frage: Ist Talent oder Begabung, – sofern es nicht ein Konstrukt ist –, nicht selbst ein Privileg? Und inwiefern ist das Ziel, große Bekanntheit zu erlangen oder das volle Potenzial auszureizen eines, das auch ohne Leistungsgesellschaft noch so interessant ist?

Die zweite Frage finde ich einfacher: zum einen, ja, ist auf der Bühne zu stehen für manche Person einfach ein wunderschönes Gefühl. Show, Präsentation, andere mitnehmen in die eigenen Welten. Dann wiederum bieten Bühnen, beziehungsweise Plattformen, eine der effektivsten Möglichkeiten, Diversität zu zeigen und gegen Ungerechtigkeiten zu kämpfen auf eine Weise, die sich auch noch brauchbar gut anfühlt.

Und dennoch finde ich die Frage spannend, wie sehr “das volle Potenzial herauskitzeln” mit den Idealen einer Leistungsgesellschaft verknüpft ist. Wie anders die Hautfigur an jenes Versagensgefühl und die eigenen Ideen von Lebenszielen herangehen würde, wenn sie nicht auch eine Menge von dem verinnerlicht hätte, auf das sie so schimpft. (Das soll keine Kritik oder kein Widerspruch sein. Klar schimpfen wir auch schon auf Systeme, die wir noch nicht einmal für uns selbst fertig dekonstruiert haben, und zurecht.)

Die erste Frage finde ich stärker: Gehen wir davon aus, dass manche Menschen in etwas talentierter oder begabter sind als andere, dann stimmt es zwar durchaus, dass sie mit Marginalisierungen weniger Chancen haben, gesehen und gefeiert zu werden, aber das Privileg des Talents oder der Begabung bleibt ein Privileg. Eines im Zusammenhang mit Ableismus. Sodass die Geschichte hier für mich einen interessanten Knoten im Kopf erzeugt.


Eine weitere Unereimtheit ist vielleicht: Die Geschichte fängt mit wenig Hoffnung und viel Frust in einer Entzugsklinik an, und hört mit mehr Hoffnung und weniger Frust in einer Kneipe auf. Vielleicht passiert das, weil die Hauptperson, trockene Alkoholikerin, sich selbst beweisen will, dass sie stark ist und dem Drang widersteht. Das ist das Narrativ der Geschichte. Aber: Müssen wir wirklich stark sein und deshalb absichtlich schwierige Situationen meistern? Ist das so erstrebenswert? Auch das ist so eine Frage, die mich an der Stelle beschäftigt. Denn es wäre schön wenn wir nicht müssten, aber um überhaupt zu sein, müssen viele von uns.

Ich mag für diese möglicherweise nur scheinbare Ungereimtheit meine eigene Interpretation darlegen: Es handelt sich um eine Kneipe, in der die Hauptfigur die einzige weiße Person ist, die Raum für politischen Aktivismus und marginalisierte Minderheiten bietet. Ich sehe darin, dass die Hauptfigur gegen ihre Probleme ankämpft, um sich politische Räume nicht nehmen zu lassen, trotzdem dort sein kann. Vielleicht hätte es mit Anxiety ebenso für mich funktioniert. Oder mit etwas mehr Reflektion darüber. Wobei ich mir eigentlich sehr unsicher bin, ob dieses sich Erkämpfen von Räumen gegen die eigenen Schwierigkeiten mit ihnen Intention von Elea Brandt war. Es ist meine Interpretation, die mich noch ein bisschen mit einem inneren Lächeln zu Ende Grübeln lässt, bevor ich die Geschichte emotional loslasse.


Nzinga, die Pionierin von Shelly

Eine Geschichte voller Erwartung und Stimmung. Sie beginnt mit einem viel zu heißen Sommer in einer Stadt – ich fühle das Leiden der Hauptfigur sehr – und geht bald über in einen erlösenden Gewitterregen. Sie beschreibt auf vielen Ebenen die Wahrnehmung der Hauptfigur. Ihre Stimmung bewegt sich durch eine gewisse Genervtheit, durch Erwartung, Angst und Erleichterung, und beschreibt jene Wahrnehmung der Gefühle nicht nur im Inneren der Figur selbst, sondern auch in den vielen unbekannten Passierenden, die die Hauptfigur wahrnimmt und interpretiert. Auf diese Weise fühlt sich die Geschichte für mich nicht so eng an, sondern eher wie ein großer Raum mit viel Geschehen darin, wie eine große Kuppel, so eine, die am Ende sogar Handlungsort wird.

Das Fantasy-Element in der Geschichte ist eine Magieform: Manche Personen können jeweils ein Element oder eine Kategorie von Dingen befehligen. Darunter kann Wasser sein, aber es kommen auch immer mal wieder neue Kategorien (in der Geschichte mit Befehlsformen bezeichnet) hinzu, zum Beispiel Dinge wie Elektrik, die gegebenenfalls erst neu entdeckt worden sind.

Für mich als lesende Person macht gerade dieser letzte Aspekt eine interessante Ebene auf: Elektrik gab es an sich schon immer, aber sie wurde erst spät so verstanden und in der Form wie heute in den Alltag integriert, dass sie so allgegenwärtig ist. Was für ein interessantes Weltenbaukonzept ließe sich darauf aufbauen? Haben eigentlich alle Menschen eine Form von Magie, aber manche wissen es nicht, weil die zugehörige Technik noch nicht weit genug entwickelt wäre, dass es auffiele? Wird Technik teils entwickelt, weil eine Person plötzlich einen gewissen Draht dazu hat, der mit ihrer Magie zu tun hat? Was war zuerst da, die Magie oder die Technik zu dieser Magie? Mag es vielleicht nämlich eher andersrum sein: Dass eine bestimmte Technik oder Sache alltäglicher wird, löst in manchen Menschen die Magie erst aus?

Starker Spoiler für den Text: Am Ende wird eine neue Befehlsform entdeckt: Beeinflussung von Gefühlen bei anderen. Mit der Überlegung von vorher, finde ich, ergeben sich auch wieder ganz neue Interpretationsmöglichkeiten: Ist das Verständnis von Emotionen nun irgendwie neu? Oder haben wir eine Technik gefunden, sie besser zu beeinflussen? Und, um besonders meta zu werden: Vielleicht etwa durch Geschichten?


Zusätzliche CN vielleicht: Positiver Ableismus.


Anleitung zum Baumkuscheln für Anfänger (und Wiedereinsteiger) von Rafaela Creydt

Ja, die Überschrift beinhaltet einen eingeklammerten Part und ich finde das großartig!

Bei dieser Geschichte handelt es sich sozusagen um eine Fanfiction vom Schlager (aus meiner Sicht nicht sehr Schlager-typisch, eher melancholisch) “Mein Freund der Baum” von Alexandra, einem Lied von 1968. Ich empfehle Lesenden der Geschichte, mindestens die Lyrics des Stücks zu lesen, weil echt viele Elemente aus dem Stück in der Geschichte verbaut und neu interpretiert werden. Ich lieb’s. Das trifft sehr genau meinen Geschmack an Neuinterpretation, und meinen Geschmack an ausgewähltem Material für so etwas. Ich höre jetzt dieses Stück im Kreis, so. Vielleicht bin ich ein bisschen schockverliebt.

Ich habe nicht alles an der Geschichte verstanden. Vielleicht liegt es an Subtext in den Konversationen, oder daran, dass ich zunächst nicht verstanden habe, ob das Ziel des Hauptcharakters nun ist, den Baum zu fällen oder nicht, und ich mich nicht genug mit Kleinstlebewesen an Bäumen auskenne, um zu wissen, ob sie nun für oder gegen eine Fällung sprechen. Vielleicht liegt es daran, dass sich für mich zu viele Interpretationen für den Weltenbau offenlegten und sich keine so richtig festzurren wollte. Ein Weltenbau, in dem manche Bäume gleichzeitig humanuide Formen haben und mit dem Hauptcharakter interagieren.

Dies ist eine wundervolle Beispielgeschichte für mich, die ich geliebt habe, ohne alles zu verstehen. Sie ist Kunst. Auch wenn ich die Theorie hinter den Bäumen nicht ganz begriffen habe, haben mich Elemente davon berührt wie zarte Blätter meine Hoffnung. Sie hat viele wundervolle Sätze, die ich am liebsten alle einzeln zitieren möchte, aber fairerweise beschränke ich mich höchstens auf ein paar. Sie hat wunderschöne, kontextbezogene Vergleiche, teils einfühlsam und teils reichlich makaber. Und sie eint dieses belastende Thema des Tötens von Bäumen mit einer auffangenden, schutzbietenden Umarmung, die meine Gefühle für Bäume und was sie für mich sind sehr gut charakterisiert. “Mein Freund der Baum” ist hier wörtlich zu nehmen. Ich habe selten so eine schöne, zentrale Freundschaft auf kurzem Raum gelesen, die mich so berührt hat.


Mini-Fanfiction (mit Spoilern)

Bei Schnee lag die Baustelle still. Zudem lag nicht nur Schnee, sondern es war auch die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr. Und Sonntag. Mona hatte eigentlich Urlaub, genau wie viele andere auch. Und so fühlte es sich an wie Selbstbetrug, als sie Fußspuren im sonst unberührten Schnee auf der Baustelle hinterließ. Aber die mysteriöse Mail von Herrn Sarami hatte ihr Hoffnung gemacht. Oder war es Neugierde?

Sehr geehrte Frau Hollander,

ich habe Ihnen ja gesagt, ich habe einen schwarzen Daumen. Bisher lebt der Mini-Baum, aber die Weihnachtsdeko geht dauernd kaputt. Es hat so einen Touch des Unmöglichen wie damals, als der Baum nicht gefällt werden wollte. Wahrscheinlich ist es albern, aber wenn Sie wollen, schauen Sie sich die Sache mal an.

Freundliche Grüße, Elyar Sarami

Das war nachts um zwei gewesen, als sie zur Abwechslung mal tiefenentspannt geschlafen hatte, aber Mail-Nachrichten konnten ja nicht wie andere Nachrichten aus einem Messanger gelöscht werden. Also hatte Herr Sarami noch eine weitere Mail am Morgen hinterhergeschickt, dass sie ihn nun bestimmt für neben der Spur oder so halten müsse, was er vielleicht auch wäre, weil er ein wenig überarbeitet wäre. Er machte keinen Urlaub, schloss sie.

Mona hatte mit sich gehadert, aber ihm schließlich mitgeteilt, dass sie sich die Sache trotzdem mal ansehen wolle. Sie hatte sich einen Sonntag ausgesucht, damit sie mit der Baustelle allein wäre, und hatte sich die Schlüssel zum Bauwagen geliehen. Und nun warf sie vorsichtig einen Blick durch das mit Eisblumen versehene Fenster desselben. Es war trotz Baustelle schon ein stimmungsvolles Bild. Nebel hing zwischen den Anfängen neuer Wohnhäuser, als würden sie auf Wolken gebaut. Eine Reverse-Ruine, eine Ruine nicht im Abbau- sondern Aufbauprozess, die gerade schlief.

Mona atmete noch einmal tief durch und schloss schließlich die Tür auf. Sie klemmte ein wenig, vielleicht wegen der Kälte. Sie schaltete das Licht an und schritt zum Schreibtisch. Der Steckling lebte tatsächlich noch. Sie hatte gerade wegen Herrn Saramis Vorwarnungen diesem hier die geringsten Chancen ausgerechnet. Aber er nahm die Sache ernst.

Mona blickte sich nach der Deko um und entdeckte sie im Blumentopf neben dem Steckling. Jemand musste Herrn Sarami noch eine Pflanze geschenkt haben. An jener war viel eher zu sehen, dass er keinen grünen Daumen hatte. Die Blütenblätter waren schlaff, einige lagen auf der Erde daneben, und darauf die zerbrochene Deko: Ein weißer Schneemann aus Plastik, in seine Einzelbälle zerlegt.

“Schön, dich wiederzusehen!”

Mona erkannte Bertrams Stimme sofort, aber sie kam vom Birkensteckling und dort war kein Platz für einen Mann, selbst wenn er mit dem Alter kleiner geworden, oder durch die Veränderung seines Baums ein Kind gewesen wäre. Ihr Blick wanderte zum Birkensteckling, und dort auf einem Trieb saß Bertram, klein wie Monas Hand. Er sah etwa so aus wie damals, alt, nur eben sehr klein, und er trug ein weißes Kleidchen wie aus Weben, was Mona ziemlich stark an ein Bild erinnerte, das sich von ihrer ersten Begegnung bei ihr eingebrannt hatte.

Sie lächelte. Sie hatte nicht umsonst gehofft. “Freut mich ebenfalls”, sagte sie. “Sie haben an Ihrer Mode gefeilt.”

“Sagen wir, ich bin auf den Geschmack gekommen, und in dieser Größe stört es niemanden.” Bertram deutete eine Verbeugung an. “Ich tauge jedenfalls besser als Winter-Deko, als dieser Plastikschneemensch.”

Mona nickte. Sie erinnerte sich daran, was sie damals über Birken hatte denken müssen: Birken waren die Sorte Elfenprinzessinnen, die Trolle vermöbeln. [Das ist zitiert.] In diesem Fall kleine, wehrlose Plastikschneemänner.

“Tauschen Sie mich gegen Ihren Steckling aus und nehmen mich mit?”, fragte Herr Bertram. “Ich glaube, so schlecht unser Anfang war, es ist für alle Beteiligten besser, wenn Sie mich großziehen.”

Mona seufzte. Sie wusste nicht, wieviel Lust sie hatte, einen alten Mann in ihrer Wohnung zu beherbergen, auch wenn er die Größe einer kleinen Fee hatte. Sie wusste definitiv, dass sie eigentlich keine Lust hatte, den ganzen Weg zu ihrer Wohnung zurück und nochmal her und dann nochmal zurück zu fahren, und zu hoffen, dass sie danach noch den Leihwagen abgeben könnte, weil sie ihren Setzling natürlich nicht dabei hatte. Und wenn Herr Sarami den Tausch bemerkte? Sollte sie sagen, dass die Veränderung des Aussehens des Stecklings mit zu dem Fluch gehörte, durch den auch der Schneemann zerbrochen war und alles vorher Geschehene, oder sollte sie sich mehr an die Wahrheit halten? Vielleicht besser letzteres. Herr Sarami hatte sich wirklich bemüht. Der Tausch brachte in jedem Fall viel Stress mit sich.

Aber was half es. Dieser Steckling hatte gute Chancen und bei ihr noch größere, nicht unbedingt, weil sie Herrn Sarami die Pflege nicht zutraute, sondern vor allem, weil sie glaubte, dass es gut war, Bertram nachzugeben. Der Baum wusste wohl, was für ihn gut war.


Auf dem zweiten Heimweg trällerte Bertram “Schneeflöckchen, Weißröckchen” auf dem Beifahrersitz, auf einem Zweig sitzend und mit den Beinen baumelnd, und selbst in den Kurven nicht aus seinem Baum fliegend, und Mona fragte sich, ob “Mein Freund der Baum” nicht trotz allem die bessere Wahl gewesen wäre.


Zusätzliche CN vielleicht: Reproduzierter Lookism.


Kevins verhexter Montag von Martin Gancarczyk

Eine Geschichte über eine 600 Jahre alte, sich hochgradig unsensibel verhaltende und sich über die Unfähigkeit aller anderen ständig erhebende Hexe, die sich aber, wenn ihr eine marginalisierte Person in Not begegnet und die Not auch kommuniziert, doch dazu herablässt, Hilfsangebote zu eröffnen.

Die Geschichte ist darauf ausgelegt, trotz des oder vielleicht durch den grumpy Hauptcharakter, witzig zu sein, trifft aber an vielen Stellen leider nicht so ganz meinen persönlichen Humor (was natürlich keine Kritik ist, weil Geschmack halt einfach verschieden ist), und an anderen geht der Humor auf Kosten anderer (was schon eher Kritik ist).

Am witzigsten fand ich die Art, wie eine Hexe feststellt, dass eine der Methoden, Hexen zu besiegen, selbst Hexenwerk wäre. Das war schön meta.


Mini-Fanfiction: Der Froschkönig

CN: Insekten (Mücken) , Blut , Verwesungsgeruch , Depressionen und andere Mental Health Issues , Ableism erwähnt , Tone Policing.

Langsam kühlt der See ab. Die erste kühle Strähne kalten Wassers bahnt sich mit der thermischen Strömung ihren Weg nach unten und streicht sanft an meinem erschöpften Körper entlang. Es wird Nacht.

Ich warte noch ein bisschen, bevor ich auftauche. Es ist Montag, spät abends, und ich bin froh, dass dieser Tag sich allmählich dem Ende neigt. Wenigstens in diesem Punkt sind sich diese Hexe und ich einig: Montage können weg. Und wenn ich irgendwelche Superkräfte hätte, würde ich diesen Tag für immer aus den Kalendern streichen. Moment, ich habe Superkräfte. Aber keine allzu hilfreichen. Dazu später. Es war ein Montag, an dem mich die Hexe in eine Kröte verwandelt hat, und an Montagen hat die Hexe besonders üble Laune. Und leider weiß ich das, weil zu den unnützen Superkräften gehört, dass ich in einem gewissen Umfang Gedanken lesen kann.

Nun ja, ihr könntet argumentieren, dass das gar nicht so unnütz wäre. Aber der Gedanke, dass es irgendwie vorteilhaft wäre, baut meistens auf einer eher miesen Einstellung im Zusammenhang mit Privatsphäre auf. Ich habe seit jeher vergeblich versucht, diese Fähigkeit loszuwerden. Und nun habe ich noch mehr Grund dazu. Ich weiß genau, was diese Hexe über mich denkt. Dass ich ein überempfindliches Möchtegern-Vampir wäre. Weil ich mich ein bisschen zu frech über Arbeitsbedingungen beschwert habe. Und well, ich bin empfindlich, ich bin nicht sehr belastbar und ich bin vielleicht auch nicht besonders schlau oder gebildet, und habe es gewagt, zu versuchen, mir trotzdem etwas Raum im Leben zu erbitten. Und habe dabei einen falschen, zu frechen, und die Hexe nicht ausreichend lobhudelnden Ton erwischt. (Wahrscheinlich hätte sich aber auch mit einem anderen Ton nichts geändert.)

Nun, als Kröte, muss ich immerhin gar nicht mehr arbeiten.

Jene Hexe hat mir, als sie mich in den Teich hinter dem Surfclub abgesetzt hat, mitgeteilt, dass nur wahre Liebe mich zurückverwandeln könne, und mir viel Spaß gewünscht. Könnt ihr euch vorstellen, wie sich das anfühlt?

Wenn ich bei der Verwandlung in eine Kröte wenigstens meine vampirische Eigenschaft verloren hätte, in der Sonne zu verbrennen. Immerhin muss ich nicht atmen, sodass ich den ganzen Tag über unter Wasser verweilen kann. Aber wie soll ich, eine aromantische, nach Verwesung riechende Vampirkröte, die nur nachts aus ihrem Teich kommen kann, und wegen der drückenden Wassermassen und der Energielosigkeit durch die Depressionen tagsüber kaum fünf Sprünge schafft, je durch wahre Liebe zurückverwandelt werden? Manchmal frage ich mich, ob es nicht besser ist, eine Kröte zu bleiben.

Diese Hexe hat viel zu nörgeln, aber ich frage mich, ob sie wirklich weiß, was ein beschissenes Leben ist. Naja, vielleicht weiß sie es doch, hat aber einfach nicht genug reflektiert, um zu wissen, welche Verhaltensweisen ihrerseits das alles bei anderen verstärkt.


Diese Nacht ist etwas anders. Ich höre zurückhaltendere Gedanken von einer neuen Person, einem Menschen. Ich versuche, sie auszublenden, aber sie sind so verzweifelt, dass ich vorsichtig näher hopse. Die Person wird auf mich aufmerksam und sofort werden die trüben Gedanken positiver. Es verwirrt mich, diese Wirkung zu haben. Die hatte ich selbst während meines unverkröteteren Vampirdaseins nicht. Vorsichtig wage ich noch einen Hops näher. Unter der Überraschung, mich zu sehen, liegt bei der Person immer noch die tiefe Trauer eines Verlusts und eines Frusts, den ich versuche, halbwegs auszublenden, weil es mich nichts angeht.

“Du bist schön”, erklingt ihre Stimme. “Ich mag Kröten. Du glitzerst hübsch im Mondlicht. Hätte ich mir denken können, dass so eine Hexe eine Kröte hält.”

Die Hexe hat mich persönlich schon völlig vergessen. Ich war ein ärgerlicher Montag für sie, sonst nichts. Ich wäre längst in einen anderen See umgezogen, aber so viele gibt es hier nicht, Wege sind weit, und ich kenne mich nicht aus. Und Lethargie und Depressionen hemmen so extrem. Und diese Hoffnungslosigkeit.

“Du bist auch magisch.”, stellt die Person fest.

Vorsichtig wage ich noch einen Hops näher.

“Du hast die gleiche Aura wie Vampire!”

Ich spüre ihre Begeisterung bei dem Thema. Ich öffne vorsichtig meinen Mund, um meine spitzen Eckzähne zu zeigen.

“Brauchst du Blut?”

Ich nicke. Das war etwas, was mir Rätsel aufgegeben hatte, wie ich nach der Verwandlung in eine Kröte menschliches Blut zu mir nehmen könnte. Aber Mücken essen reicht.

“Wäre es gefährlich, wenn du mich beißt?”

Warum würde diese Person das zulassen? Freiwillig? Ich spüre ihre Bereitschaft und bin umso verwunderter.

Ich wage den letzten Hops und lande auf ihrem Bein. Sie ekelt sich nicht. Hält nicht einmal die Nase zu. Ich beiße die Person nicht. Ob es ungefährlich wäre oder nicht, Mücken reichen. Und ein winziger kleiner Hoffnungsschimmer, wenigstens gemocht zu werden und tröstend da sein zu können, keimt in mir auf.


Zusätzliche CN vielleicht: Sanism. Lookism. Geruchsshaming.


Irren ist übernatürlich von Amalia Zeichnerin

Eine kleine Krimi-Geschichte aus der Sicht einer körperlich behinderten, freiberuflichen Beraterin, die bei Ermittlungen deshalb gefragt ist, weil sie Visionen hat. Trotz zweier Morde und einer Action-Szene kommt mir die Geschichte angenehm gemütlich vor. Und hervorzuheben ist für mich, dass es eine der wenigen Geschichte mit behindertem Hauptcharakter ist, bei der ich das Gefühl hatte, die Behinderung wird weder ignoriert, noch steht sie permanent im Vordergrund, sondern sie fügt sich so ein, wie sie eben Teil vom Leben ist.

CN: Krieg , Gewalt , Machtmissbrauch , Unterdrückung.

Zu den übernatürlichen Wesen gehören Gestaltwandler*innen, Personen mit dem Zweiten Gesicht (wie die Hauptperson) und Engel. Letztere können durch Einsatz ihrer Stimme deeskalieren. Agressive Personen in ihrer Umgebung beruhigen sich. Diese Magie-Form fand ich am interessantesten, um darüber genauer nachzudenken und zu philosiphieren.

Im ersten Moment erscheint es, als ob es sehr viele Anwendungsbereiche für so eine Fähigkeit geben könnte. Situationen, in denen Leute aggressiv aufeinander zugehen und sich Gewalt zufügen, in denen ansonsten Leuten dazwischen gegangen wären, die sich dadurch womöglich selbst gefährdet hätten. Aber eben auch zum Beispiel Situationen, in denen Leute wütend sind und laut werden.

Es stellt sich die Frage, wann es Missbrauch von Macht darstellt. Ich finde interessant, mich zu fragen: Ergeben sich dadurch ethisch kompliziertere Fragen, wann es Machtmissbrauch wäre und wann sinnvoll eingesetzt, als wir sie heute haben mit externem Eingreifen? Wäre es eine Fähigkeit, die in unserer Welt wünschenswert wäre? Oder würde sie mehr negative Auswirkungen haben? Spoiler: Vielleicht interessanterweise denke ich letzteres.

Ja, in vielen Fällen, in denen Gewalt passiert, wo ein Eingreifen größere Verletzungen verhindert und die Situation hinterher geklärt werden kann, verbessert die Fähigkeit vielleicht die Lage, weil es das Verletzungsrisiko insgesamt niedriger macht.

Es ist vielleicht reizvoll, zu überlegen, ob mit dieser Fähigkeit Kriege verhindert werden könnten. Aber Kriege passieren grundsätzlich eher nicht, weil die in den Krieg Ziehenden so aggressiv wären und das nur vermieden werden müsste, sondern heutzutage, wenn ich richtig informiert bin, vor allem, weil es wirtschaftliche Interessen gibt. So ein Eingreifen wäre nicht gewollt und würde nicht stattfinden.

Wobei es auch Fälle gibt, in denen dieses wirtschaftliche Interesse und Interesse am Krieg nur einseitig ist, und dann ließe sich argumentieren, dass die Seite, die keinen Krieg will, diese Fähigkeit gut gebrauchen könnte. Mein Gefühl sagt mir für den Fall: die Fähigkeit würde von der Seite mit den wirtschaftlichen Interessen eher irgendwie überlistet werden.

Was mich persönlich aber davon überzeugt, dass sie unsere Situation eher verschlechtern würde, sind marginalisierte Minderheiten und die Gewalt, die jene ausüben, um gegen die Gewalt der systematischen Unterdrückung anzugehen. Gerade wenn so eine “Deeskalationsmacht” in den Händen einer Institution wie der Polizei liegt, halte ich für sehr wahrscheinlich, dass mit ihr unterdrückte Bevölkerungsgruppen weiter unterdrückt werden unter dem Deckmantel von Deeskalation, weil ihr Wehren als das falsche Mittel geframet wird, wie es auch heute schon viel passiert.


Zusätzliche CN vielleicht: Alkohol am Rande erwähnt, Speziesismus


NIE MEHR. von Dyn Quing

Ein emotionaler, gewaltiger Ritt durch die Gegenwart, die Vergangenheit, Träume und Traumata und die Geisterwelt. Am Ende hat mich etwas verwirrt, was davon was hätte sein sollen, was der Geschichte für mich wenig bis keinen Abbruch gegeben hat.

Die Highlights waren für mich:

  • Die queerfeministische Sicht auf das Patriarchat und auf klassische Ideen für Matriarchate oder auf (teils unbewusst) trans exklusiven Feminismus, bei der ich mir so denke, das empfehle ich generell Schreibenden, die sich mit dem Thema auseinandersetzen, in dieser Geschichte mal anzusehen. Hier ist es so tief differenziert, wie ich es mir wünsche (abgesehen vielleicht davon, dass mir das Thema Geschlechtszuweisung zu wenig dekonstruiert wird, aber das ist ein kleines Element neben so vielen Dingen, die ich sehr einfühlsam und nicht künstlich rübergebracht emfpunden habe, so vielen angesprochenen Komplexen, die in ihrer Tiefe eingepflegt sind, nicht zu kurz gedacht werden.)
  • Der Hauptcharakter ist autistisch und ich habe mich in vielen kleinen Aspekten am Rande wiedergefunden. Das war schön. Ich mag hier meine zwei liebsten Sätze zum Thema zitieren: “Wo warst du die letzten Jahre meines Lebens?«

    Freddie überlegte kurz, ob Toby eine ehrliche Antwort haben wollte, erinnerte sich aber daran, dass dies bei solchen Fragen üblicherweise nicht der Fall war, und hob schließlich nur einen Mundwinkel als Reaktion.

    Nun, es hätte mir sehr gut passieren können, hier ernsthaft zu antworten. Oder eben diese Gedanken zu haben.

  • Mit dazu gehört aus meiner Sicht ein bisschen Nerd-Talk über Hyänen. Es kommen Werhyänen vor, und der Hauptcharakter hat über Hyänen ein wenig Spezialwissen, das vielleicht besonders trans Menschen glücklich machen mag.
  • Und so mies das ist, aber ich relate zu einigem im Zusammenhang mit dem Trauma. Ich werde hier aus Geht-niemanden-was-an-Gründen nicht im Detail darauf eingehen. Aber ein paar Sätze haben mich getröstet oder empowert.

Eine vielleicht philosphische Frage, die mir beim Lesen kam, war: Lässt sich die Aschenputtel-Geschichte in dieser Geschichte wiederfinden?

Warum kam mir die Frage beim Lesen, und was lässt mich da weiter drüber nachdenken?

  • Eine Person, deren Gesicht nicht zu sehen ist, verliert einen Schuh. Personen versuchen, herauszufinden, wer sie ist.
  • Es gibt einen Keller und ein Trauma im Elternhaus, mit dem gebrochen wird.
  • “Drei Haselnüsse für Aschenbrödel” ist ein ziemlich queerer Film: In der Verfilmung kommen zwei Personen vor, die zwischendurch crossdressen oder gendernonconforming sind, oder vielleicht auch irgendwie trans. (Und eines der Kleider, das aus einer der Haselnüsse kommt, hat sogar (wohl unbeabsichtigt) trans pride Farben.)
  • Verschiedene Leute machen sich dreckig, und es gibt eine Flucht durch einen Wald. (Auch das ist vor allem im Film eine Sache.)

Ich nehme nicht an, dass diese Anspielungen beabsichtigt waren, aber ich finde sie interessant und frage mich: Wie hätte die Geschichte vielleicht ausgesehen, wäre es beabsichtigt gewesen?


Zusätzliche CN vielleicht: Alkohol erwähnt


Böses Loch von Oliver Baeck

Eine Geschichte über Geister und Tentakel aus der Sicht einer Person, die sich damit eher nicht auskennt. Ich mag an dem Setting, dass die Hauptperson für sie überraschend auf womöglich Übernatürliches trifft, nicht zwangsläufig dran glaubt, aber Dinge nicht erstmal voller Ablehnungshaltung wegschiebt sondern in Frage kommen lässt und ausprobiert.

Jene Person pendelt viel zum Arbeitsamt, weil sie, – vielleicht nicht so ganz freiwillig, wie das oft so ist –, auf Jobsuche ist. In ihrer Freizeit erkundet sie Dresden. Besondere Merkmale der Geschichte: Ein Haufen anschaulicher und trotzdem knapper Beschreibung dresdener Wanderwege, Straßenbahn, Natur und Flair, sowie – so vermute ich zumindest – eine Reihe Popculture-Anspielungen oder Alltagswissen, zu dem ich persönlich leider nicht so viel Zugang habe. Meine liebsten zwei Sätze: (Ich denk mir das nicht aus. Die Wege heißen wirklich so). Weil sie so schön meta sind, weil sie vermutlich sowohl auf die erzählende Person als auch auf die Schreibperson der Geschichte zutreffen.


Zusätzliche CN vielleicht: Entmenschlichung

Die noch nicht wissen, ob sie gehen oder bleiben sollen von Liv Kątny

Ein Text in Ich-Du-Perspektive, der über die Regeln im Ummeland erzählt, die für ein gutes gesellschaftliches Miteinander sorgen sollen. Es wirkt auf mich wie ein halbwegs konsistentes Resultat aus dem, was sich ergeben würde, wenn wir die ganzen Forderungen und Wünsche sich selbst tolerant nennender Leute mit ihrer verinnerlichten Trans-, Inter- und Nichtbinärfeindlichkeit umsetzen würden. “Wir akzeptieren euch ja, aber ihr dürft uns nicht verletzen.” “Wir haben ja nichts gegen euch, aber wenn wir für so eine kleine Minderheit wie euch unsere Verhaltensweise ändern sollen, dann geht das halt nicht.” (Beides keine direkten Zitate aus der Geschichte.) Viel dieser alltäglichen, verinnerlichten Queerfeindlichkeit, die ich ab- und mitbekomme, bei der viele Zuschauende das Problem nicht so richtig sehen und mir erzählen, die meinen es doch nicht so und ich soll mehr Verständnis haben, weil es vielleicht nicht so offensichtlich ist, wird in dieser Geschichte durch Umsetzung kritisiert. Ich finde dieses Gedankenexperiment jedenfalls durchaus interessant. Ich musste an vielen Stellen sehr an toxische Positivität denken.


Der Trank der Zauberin von Matthias Teut

Eine Geschichte, in der der Hauptcharakter versehentlich einen Pakt mit dem Kriegsgott Ares eingeht, durch den er gezwungen ist, sich mit mächtigen mythologischen Personen anzulegen, und dabei von einem weisen und erotisch/sexuell anzüglichen Satyr Unterstützung bekommt. Sein neuester Auftrag: Der Hexe Kirke, die Jahrtausende alt ist, aber durch den Einfluss von Zaubertränken jung und nach normativen Beauty-Standards attraktiv aussieht, und die wahrscheinlich mehrere Frauen (die weiter keine Rolle spielen) auf dem Gewissen hat das Handwerk zu legen.


Zusätzliche CN: Körperliche Übergriffigkeit, Genitalien (Gespräche darüber und Beschreibungen auf Bildern), Nacktheit.


Fragen Sie Dr. Fichte! von Jasper Nicolaisen

Kurzzusammenfassung, also mit starken Spoilern:

Eine Geschichte über einen alten, schwulen, trans Zauberer, dessen Einstellungen zu politischen Themen oft “heute darf man ja gar nicht mehr” ist, aber der es im Prinzip doch schon richtig findet, dass man “heutzutage gar nicht mehr” darf. Er bekommt Besuch von einem Dämon, der eine Psychotherapie haben möchte, weil er nicht lieben kann, und es entweder lernen oder sich selbst mit dieser Eigenschaft akzeptieren will. Letzteres tritt ein: Der Dämon akzeptiert, dass er eine nicht liebenswerte Person ist, die Kriege gut findet und sowas.

Durch dieses Erlebnis kommt der Zauberer zum Schluss, dass er sich auch akzeptieren kann, wie er ist, lässt von seiner “Es ist ja schon richtig, dass man heutzutage…” Einstellung ab und ruft die Polizei, die daraufhin queere Jugendliche, die sich nicht ganz regelkonform verhalten, in die Mangel nimmt. (In einer Pandemie ohne Maske feiern ist ungeil, aber trotzdem: uffz.)


Vielleicht brauche ich nach der Art meiner Zusammenfassung nicht dazu zu sagen, dass ich einiges an der Geschichte problematisch fand. Zweierlei mag ich kurz hervorheben:

  • Dass eine trans maskuline Figur genommen wird als Beispiel für das ohnehin schon problematische Bild (weil Alter kein Privileg und keine Begründung für -istisches Verhalten ist) des alten, weißen Mannes, während da draußen gerade trans maskuline Menschen oft aus feministischen Aktionen ausgeschlossen werden, weil ihnen männliches Privileg zugeschrieben wird, obwohl sie es im Normalfall nicht haben. (In der Geschichte wird nicht erwähnt, ob besagter Mann weiß ist, aber angesichts dessen, dass er zwischendurch über Cultural Appropriation ansatzweise aufgeklärt wird und dazu besserwisserisch wirkende Sachen sagt, schließe ich das in benefit of the doubts, weil es sonst wohl noch unangenehmer würde.) Ich führe die Problematik, trans maskulinen Personen und trans Männern männliches Privileg zuzuschreiben, nicht weiter aus, nicht nur ich schrieb dazu ein paar Artikel.
  • Dass einer Person, die nicht lieben kann, Kriegs-befürwortende und andere negative, zerstörerische Eigenschaften zugeschrieben werden. Während nicht lieben zu können, ob nun romantisch oder anders, eine Marginalisierung darstellt, die tatsächlich auf Menschen zutrifft, die aber durchaus einen ethischen Kompass haben können, durch den sie niemandem Leid zufügen möchten. Es fehlt eben die Emotion, nicht ein Wertesystem, aber sie leiden unter dem Stigma, dass das ständig in einen Topf geworfen wird.

Sehr positiv und geradezu liebevoll an der Geschichte habe ich viele Beschreibungen des Dämons empfunden. Zum Beispiel: Der Dämon will sichtlich die Nase rümpfen, stellt aber fest, dass er keine hat.

Ich finde auch die Idee schön, Therapie in eine Geschichte einzubauen, und was mir bekannte Texte anbelangt, die satirische Layer hatten, in denen Therapie vorkam, war es hier vergleichsweise wenig stigmatisierend. Unter anderem deshalb habe ich mich auch gefragt, ob ich an der Geschichte einfach sehr viel nicht verstanden habe. Subtext und viele Formen von Satire sind für mich schwierig zu verstehen.

Aber selbst wenn es nicht so gemeint ist, so hat mich der erste Punkt als trans Person getroffen und den zweiten finde ich angesichts der wirklich wenigen Aufklärung über entsprechende Stigmatisierung bedenklich.


Zusätzliche CN: Schleim, Sex - oft erwähnt.


Nichts einfacher als das von Leni Wambach

Jetzt … war sie eine Art Guerilla-Druidin geworden. - ein Zitat, das aus meiner Sicht die Geschichte recht schön anreißt.

Eine Enemies-To-Lovers (beides nicht so extrem, sie mögen sich anfangs nicht, aber am Ende schon und es gibt wohl angedeutete romantische Gefühle) Geschichte über eine Druidin und eine Nekromantin, die eher semiunabsichtlich in London einen prähistorischen Wald wiederentstehen lassen. Mein etwas misantropes Herz hat das sehr gefreut, und besonders, dass ihr Plan am Ende nicht ein “zurück zu business as usual” ist. Für mich war es Hopepunk, denke ich. (Wobei mir die ganzen zurückgeholten, orientierungslosen Tiere ein wenig zu sehr auf Krawall gebürstet waren.)

Durch den Text stelle ich mir nun die Frage: Gab es eine Zeit, in der es dort, wo heute London ist, Elefanten gab? Oder bräuchte die Geschichte dafür eine andere Erklärung? Mein Kopf sinniert nun nach Antworten auf beide Fragen.

Ich glaube, wenn ich eine Fanfiction schreiben möchte, dann bekommt sie den Titel “Oops, I did it again”. Noch nicht sicher, ob ich es tue.


Zusätzliche CN: Klimawandel, und vielleicht lebensmüde Gedanken? - Ich würde es an einer Stelle so interpretieren, habe die aber auch nicht genau verstanden.


Die Jagd von Alex Prum

Eine Action-Geschichte über eine Person, die einen Menschen tötenden Dämon jagt und dabei hin- und herreflektiert, ob sier das macht, um die Menschen zu schützen, oder ob siem Menschen eigentlich egal sind und es nur darum geht, als magische Gemeinschaft nicht aufzufliegen. Wobei es die magische Gemeinschaft als solche nicht gibt: In der Geschichte werden verschiedene Gruppierungen angerissen.

Besonders interessant fand ich an der Geschichte eben diesen Reflektions-Konflikt: Die Abneigung des Hauptcharakters Menschen gegenüber ergibt sich aus deren Ignoranz, die gerade marginalisierte Menschen immer wieder erleben und die ich deshalb zum Beispiel gut verstehen kann. Gleichzeitig, vielleicht auch gerade weil der Wunsch, Menschen zu schützen, sich immer wieder in den Vordergrund drängt, und nicht zuletzt wegen genutzter Wörter für jene im inneren Monolog wie einfache Menschen, wirkt der Hauptcharakter überheblich. Es kristallisiert sich für mich heraus, dass sier sich selbst als was Besseres wahrnimmt. Zum einen, weil sier sich selbst für reflektierter und weniger ignorant hält, und zum anderen weil sier Menschen vor einer Gefahr schützt, die jene Menschen nicht einmal wahrnehmen (weil die magische Gemeinschaft^TM, zu der sier gehört, das so arrangiert). Zumindest ist das meine Interpretation des Textes.

Sier selbst macht den Eindruck eines Menschen, der durch Magie viel schneller und stärker ist als durchschnittliche Menschen und Zugriff auf magische Hilfsmittel von anderen magischen Personen hat. Jene Fähigkeiten und der Zugriff auf jene Mittel stellen wiederum Privilegien dar. (Der Charakter ist sozusagen im System besonders abled. In dem Zusammenhang ist vielleicht Alex’ Artikel über Das Problem der Unterdrückungsmetapher interessant, auch wenn die Geschichte kein Beispiel für die im Artikel erwähnten Muster ist, sondern nur vage Parallelen hat.) Ich finde auch interessant, die Frage zu stellen, inwiefern der Charakter in den vorgegebenen Grenzen mit den Privilegien umgeht. Sie einzusetzen, um Menschen zu schützen, die davon nicht einmal mitbekommen, wirkt nicht so richtig empowernt. Also stellt sich die Weltenbau-Frage: Wie und warum ist es notwendig, dass die Geheimhaltung gegeben bleibt? Und wenn sie gegeben bleiben muss, ist es mit dieser überhaupt empowernder möglich, entsprechende Privilegien zu teilen?

Irgendwo im Subtext – ich kann das mit dem Subtext eigentlich wirklich nicht gut – nehme ich eine innere Zerissenheit des Charakters wahr, dass dieser Widerspruch der eigenen Wahrnehmung auf Menschen sich für den Charakter selbst etwas unstimmig anfühlt. Aber es gibt da vielleicht noch einiges Interessantes zu reflektieren. Ich denke, auch in meiner kurzen Analyse, in der nicht alles hilfreich auf den Punkt gebracht ist.

PS: Es macht mir immer wieder krass Euphorie, einen Hauptcharakter mit Neopronomen zu lesen.


In einem Atemzug von Tanja Meurer

Eine düster-gewaltvolle, mysteriöse Vampirgeschichte. Nachdem die Familie des Hauptcharakters (off-screen) ausgelöscht worden ist, versucht dieser herauszufinden, was passiert ist, und auch, wer er eigentlich selbst ist, denn er war schon immer irgendwie anders. Er begibt sich auf seiner Suche nach Antworten in Gefahr und wird von einer anderen übernatürlichen Person gerettet, die ebenfalls nicht in einem Buch über sich lernen konnte.

Die Geschichte enthält den Satz: Mag sein, dass du dich jetzt noch entwurzelter fühlst, aber das können wir vielleicht ändern, wenn wir uns nach draußen wagen und uns nicht davor verstecken, was wir sind. Ein Satz, der mir in ähnlicher Weise häufiger als empowerndes Statement für queere Menschen begegnet. Wenn ich bei der Geschichte einer Frage auf den Grund gehen wollte, dann wahrscheinlich jener: Gibt es weitere beabsichtigte oder unbeabsichtigte, für mich persönlich oder allgemeiner funktionierende Parallelen zum Queersein in dieser Vampirdarstellung? Immerhin ist Queercoding in Vampirgeschichten alt. Aber eher nicht mein Fachgebiet – dazu verweise ich eher auf Alex Prum und their Blog. (Dieser Artikel müsste der über Queercoding von Vampiren sein, aber ich habe ihn selbst noch nicht geschafft zu lesen.)

An der Geschichte hat mich durchaus angesprochen, dass sie nicht so visuell ist, sondern auch sehr viele andere Wahrnehmungsformen betont, besonders Geruch.

Unangenehm aufgefallen ist mir die Geschlechtszuweisung, bei der sich der Hauptcharakter erst nicht sicher ist und dann von der Haptik einer flachen Brust auf männlich schließt. Mir ist klar, dass dies nicht die einzige Geschichte mit Fremd-Geschlechtszuweisungen in dieser Anthologie ist und dass es Alltag ist, aber hier war es nicht einmal mehr als “als Schreibperson kenne ich halt das Geschlecht und ausversehen wissen es meine Figuren auch” einordnen, sondern es wird beschrieben, wodurch das Geschlecht zugewiesen wird und auch nicht später aufgelöst, dass so etwas transfeindlich ist.


Zusätzliche CN: Geschlechtszuweisung


Der Homunculus von Isabella von Neissenau

Eine Geschichte über die Aufklärung eines Mordes, bei der die ermordete Person mit einem neuen, für sie geformten Körper mit ihrer Freundin und Magie zusammenarbeitet. Außerdem steht im Fokus der Geschichte Transfeindlichkeit, andere Queerfeindlichkeit und Feindlichkeit gegenüber unnatürlich geframeten Magieformen, und dem gegenüber Zusammenhalt und Liebe unter queeren Menschen, und was das alles mit Personen macht.

Ich habe mich in der Geschichte trotz oder sogar wegen der dargestellten, harten Themen überwiegend wohl gefühlt. Es hatte für mich dieses unverblümte: So ist die Welt, das sind Szenarien, die sich in meinem Kopf abspielen, Träume und Ängste. Hier ist Raum für beides.

Besonders interessant fand ich hier die eingeführte Magieform, die auch zu Diskriminierung führt. In Geschichten erlebe ich bei Ablehnung von Magie häufig eine von zwei Varianten.

  1. Dass Magie einfach allgemein versteckt werden müsste, weil es zu Anfeindungen kommt, weil Magie gleichzeitig ein Privileg oder eine ernsthafte Gefahr darstellt.
  2. Dass es gute und böse Magiezweige gibt, die bösen Magiezweige oft etwas mit Tod zu tun haben oder dunkel sind, und auch innerhalb der Geschichte als böse geframet werden. Die Guten in der Geschichte benutzen dann meistens nicht die böse Magie, oder wenn es passiert, dann aus der Not heraus, und es hat meistens schlechte Folgen.

In dieser Geschichte fällt die Magie, die gesellschaftliche (?) Ablehnung erfährt, eher in die zweite Kategorie (Leute werden von den Toten zurückgeholt), aber die Ablehnung wird ähnlich dargestellt wie zum Beispiel Transfeindlichkeit oder andere Diskriminierung.

Ich wollte schon immer diesen Ansatz mehr in Geschichten sehen. Ich finde, diese Darstellung lädt zum Reflektieren ein, wie ein interessanteres Worldbuilding für Magie gestaltet werden kann.


Geistergeschichte von Lena Richter

Eine Geschichte über Genugsein und die Wichtigkeit von Zuhören. Sie geht um ein Medium, eine Person, die Geister wahrnehmen kann.

Besonders interessant fand ich an der Geschichte, dass sie Lesende mehrfach darüber aufklärt, dass alles falsch wäre, was wir über Geister gelernt hätten, und gleichzeitig einige, verbreitete Pseudo-Weisheiten ohne weitere Begründung wiedergibt, wie, dass es ohne Vergangenheit keine Zukunft gäbe, oder dass alle wollten, dass jemand ihre Geschichte kennt.

Meine liebsten zwei Sätze aus der Geschichte sind: Ich habe aufgehört, Geschichte zu studieren, weil es mir unerträglich wurde. Die immer selben Erzählungen, geformt von den immer selben Mächtigen.

Das ist etwas, woran ich mich erinnere, dass es mich im Geschichtsunterricht auch angekratzt hat. Wir hören von den Geistern in der Geschichte Einblicke, die vielleicht eine andere Perspektive geben, aber auch nicht viel Perspektive, was aber vielleicht in der Natur der Sache liegen mag, dass die Geister wahrscheinlich alle im gleichen Haus gewohnt haben.

Unangenehm fand ich, als die Hauptperson zwei Stimmen hört: “Zwei Stimmen, die ich als männlich wahrnehme, und kein ziehendes Gefühl, das mich korrigiert.” Immerhin gibt es diesen Zusatz mit dem Korrigieren. Aber wenn das Medium schon irgendwie Geschlecht wahrnehmen kann, oder eine Info dazu kriegt, warum muss dann zunächst eine Zuordnung passieren, von der geguckt wird, ob sie falsch ist, statt dass wir informiert werden, dass das Geschlecht einfach direkt mitgeteilt oder wahrgenommen wird? Das setzt einen Standard. Das sagt immer noch: Als zum Beispiel trans oder anders genderqueere Person ohne Stimmanpassung an Cis-Normativität hast du eine falsche Stimme. Es nimmt Hoffnung, dass irgendwann der Tag eintreten kann, an dem mir nicht mehr ein Geschlecht zugewiesen wird, dass ich dann korrigieren muss. Ich verstehe, dass es einfach nicht realistisch ist, dass das in naher Zukunft passiert, aber ich finde unangenehm, dass ein Charakter mit dieser Korrektur gegebenenfalls eher positiv rüberkommt, während das Zuordnen selbst immer noch unaufgelöste Gewalt ist und das Konzept der Zuordnung eher dekonstruiert werden sollte.


Der Spalt bei werk3 von Frank Friedrichs

CN: Drogen

Eine Geschichte über eine Person, die auf dem Weg zum Treffen mit ihrer Partnerperson von einer mysteriösen, attraktiven, fremden Person aufgehalten wird und von jener in einen Abenteuer-Trip mit Drachen und epischen Kämpfen genötigt wird. Wir erfahren die ganze Zeit nicht so richtig, ob es ein Drogentrip oder eine reale Fantasy-Parallelwelt war.

Mir hat es in dieser Geschichte witzigerweise vor allem dieser Satz angetan: Sollte die Kleinkläranlage sehen, wie sie damit fertig wurde. Wenn ich noch dazu komme, eine Fanfiction zu schreiben, dann mit einer Kleinkläranlage in der Held*innenrolle.


Zusätzliche CN vielleicht: Übergriffigkeit.


Ein neuer Traum von Juliane Seidel

Eine Geschichte aus der Sicht einer Person, die zum ersten Mal übernatürliche Wesen beobachtet. Sie erzählt über die ersten Reaktionen und darüber, wie sie zunehmend mehr erfährt und eingeweiht wird.

Ich mochte besonders den Anfang der Geschichte. Sie beginnt damit, dass jene Person auf ihrem Balkon aufwacht, weil es in der Wohnung zu heiß ist, und erwähnt auch das Benötigen einer Brille. Ich mochte diese Alltagsdetails, weil sie sich sehr real angefühlt haben.

Die Geschichte beginnt damit, dass eine Person namens Hannah zusammen mit einem hundähnlichen Tier, von dem die Geschichte impliziert, dass es wohl auch ein Werwesen sein könnte, einer Kampfszene entfliehen. Beide werden fortan kaum mehr erwähnt, daher denke ich mir hier ein bisschen Hintergrund für sie aus:


Mini-Fanfiction:

CN: Transfeindlichkeit und Antisemitismus erwähnt. Gedanken zu unfreiem Leben als marginalisierte Gruppe.

Das war kein sinnvoller Inter-Community-Diskurs.

Frei sein, frei zeigen können, wer wir waren, das war doch der Wunsch von so ungerfähr allen Minderheiten, die aus irgendwelchen Normen fielen. Warum galt das nicht für die sogenannten Übernatürlichen?

Eigentlich war “übernatürlich” nicht einmal ein Label, das Mirjam besonders mochte. “Natürlich” war so ein Wort wie “Normal”. Man war queer oder normal. Man war behindert oder normal. Und wenn es um trans sein ging, fiel als Gegenwort sogar nicht selten natürlich. Wobei Transsein deshalb nicht als übernatürlich sondern als unnatürlich eingeordnet wurde. Bah. Widerliche, transfeindliche Narrative.

“Über-“ war eine Vorsilbe für Überlegenheit. So empfand es Mirjam jedenfalls. Und Überlegenheit war nichts, womit sey sich im Zusammenhang mit Pride oder sowas gelabelt hätte. Schon gar nicht als jüdische Person, wo Überlegenheits-Narrative häufiger Bestandteil von Antisemitismus waren. Unabhängig davon implizierte Überlegensein ja schon Privileg, und sich damit zu labeln, fühlte sich für sem nach Überheblichkeit an.

Diese Kombination aus möglicher Überheblichkeit und Kategorisierung als unnatürlich missfiel Mirjam sehr.

Wenn sey gefragt wurde, wie sey sich denn sonst labeln würde, antwortete sey stets: Als Wermarderhund. Was zugegeben sehr spezifisch war. Vielleicht ließe sich die Kategorie Wer- zusamemnfassen. Werwesen fiel öfter, das Label konnte sich Mirjam durchaus vorstellen.

Und wenn sey gefragt wurde, wie sey die Kategorien aller übernatürlichen Wesen, also auch Vampire mit einschließend, labeln würde, antwortete Mirjam stets: Gar nicht. Vielleicht als die noch nicht offen bekannten Diversitäten des Seins oder so etwas. Es war Zufall, dass sie zusammen kategorisiert wurden. Wenn Vampire schon zum Normal, zum Natürlich gehören würden seit ein, zwei Jahrhunderten, gäbe es nichts, was ihre Kategorien verbände. Eben weil sie nicht unnatürlich waren, sondern nur so geframet wurden, weil sie ihre Identität geheim hielten und somit nicht Teil von Forschung wie Biologie waren.

Natürlich würde so eine Forschung nicht unproblematisch ablaufen. Und davor hatten sie Angst, das verstand Mirjam. Und trotzdem wollte sey irgendwann frei sein. Sey wollte eine Strategie entwickeln, zusammen mit einer kleinen Sub-Community, wie sie vielleicht auf Dauer für ihre gesellschaftliche, offene Akzeptanz kämpfen könnten. Aber der Versuch war gar nicht gut angekommen. Die Geheimniswahrenden waren Hannah, – serer ersten Verbündeten –, und sem auf die Schliche gekommen und wollten deren Vorhaben unter allen Umständen verhindern. Nun, vielleicht nicht unter allen. Gefressen würden sie wohl nicht werden. Das hatte dieser Zweikampf gezeigt: Sie wollten Hannah nicht verletzen. Sere geliebte Hannah. Eine platonische und gleichzeitig sehr innige Liebe. Sie wollten heiraten. Aber ob daraus noch etwas würde?

Diese Geheimniswahrenden wollten sie jedenfalls versuchen, so pazifistisch es eben ging, ihrer Freiheit zu berauben. Die Möglichkeit nehmen, darüber öffentlich zu reden, noch bevor spruchreif war, dass sie es überhaupt umsetzen würden.

Das war kein sinnvoller Inter-Community-Diskurs.

Mirjam verstand, dass sey vielleicht nicht überblicken konnte, was ein freies Leben zur Folge hätte, und ob es sich wirklich lohnte, oder zu sehr gefährdete. Aber darüber hätte sey eben eher gern diskutiert.

Mirjam rollte sich in serer Marderhundform auf Hannahs Schoß ein und ließ sich kraulen. Sie liebten beide Mirjams Fell. Gerade waren sie sicher versteckt in einer Waldhütte. So richtig gut war diese ganze Situation nicht, aber für den Moment fühlte Mirjam vor allem Liebe für Hannah und Müdigkeit. Und die zarten Finger in serem Fell.

(Anmerkung des Schreibfischs (Das bin ich): Ich hoffe, die Geschichte kommt nicht irgendwie als Kritik rüber. Das ist definitiv nicht meine Absicht. In diesem Zusammenhang mochte ich einfach einen Gegenentwurf, der den Plot der KG ein wenig auf den Kopf stellt.)


Zusätzliche CN: Sanism oder Gebrauch sanistischer/ableistischer Slurs.


The Magic Between Us von Justine Pust

Eine Geschichte aus der Sicht einer übergriffigen Hexe mit vielen normativen Bildern im Kopf, die für eine Kundin aufklärt, warum ein Liebestrank bei ihr nicht funktioniert hat. Die Kundin erlebt dabei einen Selbstfindungsprozess, bei der sie sich Dinge über ihr Queersein eingesteht, was ihr schwerfällt. Die Hexe bedrängt die Kundin mehrfach, aber am Ende fangen sie trotzdem was mit einander an.

Für die Kritik im folgenden ist ein Spoiler notwendig: Die Kundin hat versucht, sich selbst zu verhexen, damit sie ihren Freund liebt. Sie äußert im Verlauf der Geschichte als Erklärung, dass sie ihn liebt, aber eben nicht so, wie er sie. Dass es später auf die sexuelle Orientierung geschoben wird, die durch einen Liebestrank nicht änderbar wäre, impliziert, dass die Liebe, die erwünscht ist, irgendwas damit zu tun hat.

Verunsichtbart werden in der Geschichte dadurch zum Beispiel viele asexuelle Identitäten oder überhaupt Liebesbeziehungen außerhalb von sexuellen Kontexten. Auch Leute, die ohne Anziehung Beziehungen eingehen, sowie Leute, die trotz Anziehung während Verliebtheitsphasen zweifeln, ohne dass die Zweifel etwas Schlimmes bedeuten. Außerdem Leute die (z. B. in der Bank) nur halbtags oder nur ein paar Tage in der Woche arbeiten.

In einer engen Gasse ohne Notwendigkeit am Handgelenk angefasst werden, oder mit mehrfachen, bohrenden Fragen, unter anderem einem bestimmten “Schluss mit den Lügen” beim ersten Treffen zu mega persönlichen Antworten gedrängt werden, würde ich unter Romantisierung von Übergriffigkeit zählen. Dem einzigen Versuch der Kundin, sich zu wehren, wird mehrfach etwas entgegen gesetzt und schließlich weggeleugnet, dass ein Angriff stattgefunden hätte. Auch wenn die Kundin die Annäherungsversuche wegen verinnerlichter Abwehr gegen das eigene Queersein ablehnt und sich deshalb abgrenzt, wäre das in einer nicht übergriffigen Geschichte von der Hexe zu respektieren gewesen. Ob es knistert oder nicht, “nein” heißt “nein”.

Die zweite Hauptperson durchlebt in der Geschichte eine Selbstfindungsphase ihres Queerseins, in der sie sich zunächst selbst versucht, zu überzeugen, dass sie gar nicht queer wäre. Das ist sicher etwas, womit viele queere Menschen relaten können. Ich auch ein wenig, wenn auch auf sehr andere Weise. Ich frage mich, inwiefern der gewaltvolle Umgang mit ihr, oder ein ähnlicher, sozusagen dafür notwendig sein könnte, dass sie sich selber findet. Eigentlich glaube ich das nicht, aber selbst wenn, hätte ich mir in der Geschichte eine Aufarbeitung der Übergriffigkeit gewünscht.


Mini-Fanfic:

CN: Allonormativität und andere Normativitäten, Essen.

‘Die Hexe fragt, ob sie in deine Wohnung kann.’, lese ich die Textnachricht von Liese auf meinem Smartphone.

‘Klar, wenn das hilft?’, schreibe ich zurück, bevor ich den Besen nehme und das Haar vom Boden auffege.

Haar, dass ich vorsichtig vom Kopf des alten Maus entfernt habe. Sey wollte eine Glatze haben, aber nicht mit einem elektrischen Rasierer. Der wäre sem zu laut gewesen.

Ich bin Friseur für herausfordernde Anliegen. Ich schneide vor allem queeren Menschen, behinderten Menschen, sehr jungen Menschen, alten Menschen und gegen irgendwas sensiblen Menschen die Haare. Es ist ein schöner Beruf.

Das Mau fühlt sich mit den Händen über die Glatze. “Schön”, sagt sey.

Mau ist ein Begriff, den sey sich als Anrede ausgedacht hat und es efüllt sem mit Euphorie, so genannt zu werden, sagt sey. Deshalb kenne ich nichtmal einen Namen. Ich versuche also einen Satz zu bilden. “Das ist eine sehr gute Frisur für ein altes Mau.” Den Ausdruck ‘alt’ mag sey auch. Vielleicht mehr, weil sey sich alt fühlt, als weil sey alt ist. Aber das ist mir egal.

Das Smartphone vibriert schon wieder. ‘Die Hexe hat gefragt, was du arbeitest. Und ob du gerade arbeitest. Ich habe mich nicht getraut, zu fragen, warum.’

Ich setze ein Tee-Wasser auf. Das Mau fühlt sich nach Rasuren oft noch zu hibbelig, um direkt am Straßenverkehr teilzunehmen, deshalb gehört zu einem Termin mit sem, dass wir ihn mit einem Tee abschließen. Das ist für mich wiederum etwas herausfordernd, denn ruhig sitzen liegt mir nicht.

“Meine Freundin kommt gleich mit einer Person nach Hause, die uns mit einem Problem helfen möchte”, informiere ich das Mau. “Ich hoffe, das stört nicht. Wir können sicher die Tür zu machen.”

“Ach, iwo, deine Freundin ist nett. Das stört mich nicht die Bohne”, versichert das Mau.

Nur Augenblicke später höre ich den Schlüssel im Schloss.

“Schließt Klaus nicht ab, wenn er nicht da ist?”, höre ich eine fremde Stimme.

Klaus bin ich. Ich vermute, dass es sich bei der fremden Stimme um die Hexe handelt und sie mich eigentlich nicht anwesend erwartet hätte.

“Äh, Klaus ist da”, erwidert Liese perplex.

“Ich dachte er arbeitet!”, höre ich wieder die andere Stimme.

“Ja, die Klient*innen kommen zu uns”, informiert Liese. “Aber wir haben das abgesprochen. Sie können sich gern ein bisschen umsehen.”

Ich frage mich, ob ‘Klient*innen’ ein guter Sammelbegriff für die Leute ist, die sich von mir frisieren lassen.

Ich öffne jedenfalls die Tür in die Küche, um sie einzulassen, wenn sie möchten. “Ich koche gerade Tee. Soll ich etwas mehr kochen?”

Der Blick der Hexe mustert mich in einer Weise, die ich nicht richtig deuten kann, aber ich fühle mich dabei ziemlich unbehaglich. “Hm”, meint sie. Sie macht einfach ungefragt Bewegungen, bei denen ihre Magie sichtbar wird und ihre Augen violett aufflackern.

Mein Blick weicht aus. Blinkende Lichter sind für mich unangenehme Reize und in Augen Schauen fällt mir auch nicht gerade leicht.

“Ja, die meisten bekommen Angst, wenn sie mich in diesem Zustand sehen”, kommentiert sie.

Mir liegt auf der Zunge, ihr zu erklären, dass ich keine Angst habe, sondern dass das bei mir andere Ursachen hat, aber ich bringe kein Wort heraus. Was den Eindruck vielleicht verstärkt.

Glücklicherweise macht das Mau ohnehin einen Kommentar, der in eine viel bessere Richtung abzielt als eine Verteidigung: “Warum warnen Sie dann nicht vor?”

Ich könnte sem so feiern dafür!

“Es war nur ein kurzer Test, das ist alles”, verteidigt sich die Hexe.

“Und was ist das Ergebnis?”, fragt Liese.

Ich merke ihr an, dass sie sich verwirrt und unbehaglich fühlt.

Die Hexe hebt die Brauen. “Ich habe eine gewisse Schweigepflicht und würde dafür ein Privatgespräch mit ihnen vorschlagen.” Sie sagt es, als hätte es Liese klar sein sollen.

Im ersten Moment vermute ich eine Inkonsistenz: Warum hätte die Hexe kein Problem, in eine fremde Wohnung ohne Einverständnis der dort Wohnenden direkt einzuholen, aber bedenkt eine Schweigepflicht, bei der sie von einer Selbstverständlichkeit ausgeht? Dann schalte ich, zumindest so halb. “Sie gehen davon aus, dass Liese mir den Liebestrank heimlich untergejubelt hat?”, frage ich.

“Ich, äh”, die Hexe runzelt äußerst irritiert die Stirn. “Ja, schon. Wer würde sich so etwas denn freiwillig verabreichen lassen?”

“Gegenfrage:” Ich bin wütend und ich vermute, dass mir das anzumerken ist. “Warum würden Sie unterstützen wollen, dass irgendwer irgendwem ohne eingeholtes Einverständnis lebensverändernde Substanznen verabreicht?”

“Lasst uns uns beruhigen!”, schlägt Liese vor. “Ich verstehe deine Wut, und ich teile sie. Aber ich würde gern vor allem wissen, warum das Mittel nicht funktioniert hat. Vielleicht können wir dann rausfinden, was wir tun müssen, damit es funktioniert, oder eben, dass es keine Möglichkeit gibt.”

“Nun ja, der Trank funktioniert nicht, wenn Klaus schwul ist.”, sagt die Hexe trocken.

Liese starrt sie an. Nun kann sie ihre Wut auch kaum zurückhalten. Ich sehe, wie es ihr ihre Sprache verschlägt.

“Und woraus schließen Sie, dass ich schwul wäre?”, frage ich ruhig.

Ich will es in klaren Worten hören.

“Sie stehen nicht auf Liese.”, erklärt die Hexe.

“Ja, ich stehe auf niemanden. Ich bin asexuell!”, erwidere ich. “Liese übrigens auch! Und unabhängig davon ist dies eine queerplatonische Beziehung.”

“Dann verstehe ich echt nicht, warum sie einen Liebestrank versuchen.”, erklärt die Hexe. “Es steht in der Packungsbeilage, dass er sexuelle Orientierungen nicht ändert.”

“Wir wollen sie ja auch nicht ändern!”, schimpft Liese. “Klaus hat durch sein ADHS Phasen, in denen er nicht spürt, dass er mich liebt. Das ist bei ADHS nicht immer so, nicht dass Sie da auf Ideen kommen, aber manche haben das, dass die Emotion phasenweise einfach nicht da ist. Lieben. Nicht die Sache mit Sex wollen. Einfach lieben. Und er mag die Phasen nicht und daher wollten wir einen Trank dagegen ausprobieren. Warum heißt das Zeug denn bitte Liebestrank, wenn es nicht alle Liebe mit einschließt?”

Die Hexe schluckt. Sie will etwas erwidern, aber endlich ist sie dafür zu professionell. Oder ihre Weltsicht zerfällt.

“Oh, bei dem Problem kann ich helfen”, mischt sich das alte Mau ein. “Da geht was mit magischer Liebesgefühl-Buchstabennudelsuppe!”

Wir unterhalten uns eine Weile darüber, über die Wirkung, über die Witzigkeit, dass es gerade Buchstabennudelsuppe sein muss, und wie sie auf die individuelle gegebenenfalls nicht oder wenig oder nur unter bestimmten Umständen vorhandene romantische Orientierung angepasst werden kann, um die passende Form von Liebe anzusteuern.

Die Hexe will mehrfach etwas einwerfen, aber hält sich zurück. Ich finde es spannend, sie zu beobachten.

“Ich kannte das so nicht”, gibt sie schließlich zu. “Mir war das alles nicht bewusst. Aber wenn ich die beste Hexe in meinem Bussiness bleiben will, muss ich wohl lernen.”

“You are welcome!”, lädt das alte Mau ein. “Ich habe nur früh die Fächer geschmissen, in denen es um Liebe ging, weil das alles so allonormativ war. Ich habe aus Büchern und Experimenten gelernt. Wenn dir das reicht an Qualifikation, gebe ich gern weiter, was ich weiß.”


Zusätzliche CN: Übergriffigkeit, Eindringen in private Wohnräume. Gaslighting?


Verleibungen von Eleanor Bardilac

Eine Selbstfindungs-Geschichte in drei Teilen über eine Person, die eine missbräuchliche Beziehung aufarbeitet und sich wieder Raum für sich selbst erkämpft. Außerdem steht eine sehr innige, liebe Geschwisterbeziehung im Zentrum.

CN: Narben.

Die Geschichte hat einen Haufen Sätze, die Trotz und Kampfwillen kommunizieren. Ich mag sie zum Anlass nehmen, mir Gedanken zu machen, was für Parallelen es zwischen einer toxischen Beziehung mit einer Person, und der Beziehung marginalisierter, zum Beispiel queerer Gruppen mit der sie ausschließenden Gesellschaft gibt. In beiden Fällen geht es darum, sich Raum zurückzuerobern, und sich dabei gefährlichen Situationen zu stellen. Ihr habt mir weh getan, was mache ich jetzt mit meinen Narben, damit ich mir wieder selbst gehöre? Wer bin ich, nachdem der Mist passiert ist?

Ich kann es nicht so gut auf den Punkt bringen, und muss es vielleicht auch nicht. Ich mag diese möglichen Parallelen gern anschauen.


Heimkehr von Noah Stoffers

Eine krass persönlich wirkende Geschichte über eine nichtbinäre Person, die einen Geist einer trans Hexe beschwören möchte, damit sie ihr bei einer magischen Geschlechtsangleichung helfen kann. Gleichzeitig geht die Geschichte um das nicht dazugehören und einzige Person einer marginalisierten Gruppe in einem familieren Umfeld oder anderen Zugehörigkeitsgruppe zu sein, und welche Gefühle und Ängste bestehen, sich zu outen oder nach Hause zu kommen. Es geht um die willkürlichen Regeln, aus denen trans, inter, nicht-binäre oder agender Menschen weniger Rechte zugestanden werden, weniger Zugehörigkeit erlaubt wird, und was es mit uns macht.

Die Geschichte beschreibt nicht meine Situation, aber sie ist so close to home, dass sie mich in einen Bann gesogen hat und ich ihr an ihren Zeilen hing wie bei kaum einer anderen Geschichte dieser Anthologie.

Ein paar hoffnungsvolle Gedanken vielleicht im Zusammenhang mit Nichtbinär-Sein: Als ich anfing zu twittern, war ich noch relativ allein mit meinen Erfahrungen als nicht-binäre Schreibperson. Aber über die letzten zwei bis vier Jahre haben sich nach und nach so viele vermeintliche cis Schreibende als trans, agender oder nicht-binär geoutet oder haben mir persönlich geschrieben, dass sie es sind, ohne es öffentlich zu schreiben (niemand muss sich outen)! Es ist schön! Ich behaupte, die meisten binär scheinenden Umfelder sind eigentlich nicht so binär, sondern scheinen vor allem so, weil es noch nicht genug Sicherheit gibt, sich zu zeigen oder zu sich selbst zu stehen. Es gibt so viele nicht-binäre Menschen, die glauben, sie müssten diese eine Erfahrung machen, damit sie sich das überhaupt claimen dürfen.

Lasst uns Raum geben! Lasst uns nicht einfach davon ausgehen, dass ein Umfeld binär wäre! Oder dass nicht-binäre Menschen alle die und die Erfahrung machen müssten. Oder dass wir so und so doll leiden müssten, damit wir uns so nennen dürfen. Lasst uns das ganze Spektrum erlauben.

Und vielleicht stellt sich für Fynn, die Hauptfigur der Geschichte, irgendwann raus, dass es doch noch mehr gibt. Dass Fynn nicht alleine nicht-binär in der Magie-Zugehörigkeitsgruppe oder der Familie ist.


Tiramisu mit zwei Löffeln von Aşkın-Hayat Doğan

CN: Pandemie, Querdenkende.

Eine Geschichte, die ein queeres erstes Date zwischen zwei Personen in einem Restaurant zu Zeiten der Pandemie, liebes sich emotional und sprachlich erotisch aneinander Annähern, über verschiedene Diskriminierungserfahrungen, die Nähe von Querdenkenden und die Ohnmacht dagegen.

Die Geschichte hat mich in sofern beeindruckt, als dass ich darin eine Erfahrung gemacht habe, die ich auch im Real Life oft mache: Ich habe die Wendung nicht kommen sehen, obwohl Redflags da waren. Redflags, von denen ich ein paar nicht gesehen habe, weil zu viele Fremdbegriffe für mich und zu viel Subtext außenrum im Dialog war, den mein neuroatypisches Gehirn versucht hat, zu dechiffrieren, und daher abgelenkt war, und Redflags, die ich vielleicht unterbewusst entschuldigt habe, weil die Person, von der die Feindlichkeit am Ende kam, selbst Diskriminierung ausgesetzt war und ein paar Sätze gesagt hat, die mir aus dem Innersten gesprochen haben. Zum Beispiel: Dann habe ich bewusst öfter gelächelt, damit ich erträglicher für ihn bin.

Ich fand die Geschichte beeindruckend, weil sie genau so weh tut, wie ich es kenne, wenn Dinge aus dem Nirgendwo plötzlich passieren, auf die ich so gar nicht vorbereitet bin, zunächst verwirrt bin und mir noch einen Moment die Frage stelle, ob das ein seltsamer Scherz wäre, ich irgendwas nicht verstehe. Weil so etwas von überall kommen kann, die Feindlichkeit so nah ist. Und weil sie eben die Person, von der es kam, als komplexen, zunächst durchaus auch sympathischen Menschen framet, wie es eben in der Realität auch der Fall ist.

Die Geschichte besteht fast nur aus Dialog und ist aus, hm, allwissender Sicht geschrieben? Ich bin mir nicht ganz sicher, jedenfalls hat sie nicht klassisch den einen klaren Point of View einer personalen Erzählung. Im Dialog haben wir ähnlich klare, aber knappe Einblicke in beide Hauptcharaktere. Das fand ich sehr interessant, so etwas habe ich lange nicht mehr gelesen.


Anmerkung zu den CN: Das “(angedeutet)” hinter der CN Antisemitismus sehe ich kritisch, das würde ich rausnehmen. Der erwähnte Antisemitismus ist schon heftig, zumindest soweit ich informiert bin.

Zusächliche CN: Sehr viel Andeutung auf Sex, Erwähnung von Nacktheit.


Eindrücke zu Dingen, die recht häufig vorkamen

Grumpy Hauptcharaktere

11-13 der 25 Geschichten featuren – zumindest lese ich das so – einen eher grumpy Hauptcharakter. (Das soll keine Kritik sein, nichtmal eine Beschwerde, dass es deswegen weniger abwechslungsreich wäre, denn auch grumpy Hauptcharaktere sind auf verschiedene Weisen grumpy, sondern einfach eine interessante Beobachtung.)

Geschlechtszuweisungen

In mindestens 16 der Geschichten werden durch den PoV Personen auf Basis der Erscheinungsbilds oder der Stimme Geschlechter zugewiesen, und es wird nicht im Laufe der Geschichte irgendwo kritisiert. Das sind knapp 2/3 aller Geschichten. Das finde ich für eine Anthologie mit Geschichten nur von queeren Schreibenden erschreckend.

Ich möchte die Geschichten nicht einzeln dafür kritisieren, aber vielleicht ein paar Gedanken dazu dalassen:

Wenn ich beta-lese, merke ich solche Zuweisungen immer an, und frage mich manchmal, wie ich damit umgehen soll, weil es einfach so normal ist. Als Antwort kriege ich manchmal, dass der Charakter das eben tut, weil er da nicht reflektiert ist. Das Argument verstehe ich. Aber:

Die meisten Lesenden nehmen da nicht wahr, dass dabei Gewalt und Verletzung passiert. Tatsächlich sind es wahrscheinlich vor allem Betroffene, die an den Stellen wissen, dass ungefähr niemand hier mit der Wimper zuckt, dass sie gerade misgendert worden wären.

Aber so systematisch wie es auftritt, denke ich, hat es dann wieder nichts mit dem Charakter als Individuum zu tun, sondern damit, dass es bei den meisten Menschen so verinnerlicht ist, dass sie die Problematik darin nicht erfassen, was es für Menschen wie mich eben bedeutet:

Nich-binär oder anderweitig gendernonconforming sein heißt, dass nicht nur seltenst Leute mit deinem ungefähren Geschlecht in Geschichten vorkommen, sondern du erfährtst auch meistens, dass du misgendert werden würdest, weil die Point of Views unkritisiert Geschlechter zuweisen.

Zum Problem der Omni-Präsenz der Geschlechtszuweisungen schrieb ich mal den Artikel Geschlechtszuweisungen Überall.

Ich wünsche mir mehr Geschichten, in denen es entweder nicht passiert, oder, wenn der Charakter entsprechend unreflektiert ist, irgendwann (möglichst früh) zur Sprache kommt, damit es nicht einfach stehen bleibt. Und nicht nur für die, denen es am meisten weh tut, sichtbar ist.

Sanism

Ich habe aus dieser Anthologie gegenüber der letzten den Eindruck, dass das Bewusstsein für Sanism tendenziell steigt. Aber auch in dieser gab es wieder Abwertungen, besonders gegen sich selber, die Menschen abhängig von ihren kognitiven Leistungen als mehr oder weniger wert einordnen. Das Thema liegt mir am Herzen, deshalb schreibe ich ein paar Zeilen dazu.

In vielen Geschichten war das keine zentrale Sache und es wurden nur abwertende Wörter aus dem Kontext benutzt, um Dinge als schlecht zu beschreiben, wie blöd, dumm, dämlich.

Die Begriffe werden nicht unbedingt mit bewusster Verknüpfung zu kognitiven Abwertungen genutzt, sondern gleichbedeutend zu schlimm oder fies oder ähnlichen Wörtern. Es lässt sich streiten, wie schlimm das ist, aber Verteidigungen, dass etwas Sanistisches doch gar nicht gemeint wäre, wurden lange in ähnlicher Weise auch auf Wörter wie “behindert” als Aberwertung angewandt. Von daher, glaube ich, ist Bewusstseinsbildung, was die Wörter eigentlich bedeuten und wie tief entsprechende Denkweisen in unserer ableistischen Gesellschaft verankert sind, hilfreich und wird den Umgang mit den Wörtern auf Dauer ändern. In diesem Zusammenhang habe ich mal einige Gedanken im Artikel Sanism zusammengefasst.

Alkohol

Ich fand sehr positiv, dass jene Content Note (fast) immer angegeben war, aber erschreckend, in wievielen Geschichten Alkohol als normale, unkritisierte Party-Droge vorkam. 11 Geschichten hatten die CN, mindestens weitere 3 erwähnen Alkohol am Rande. Ich habe keine abgeschlossene Meinung dazu, aber finde das Thema schon ganz schön präsent und viel. (Wobei ich kritische Auseinandersetzungen damit durchaus auch begrüße.)

Sex

Für den Kontext Sex, Nacktheit, ähnliches fehlten häufig CNs.

Diversität

In vielen der Geschichten ging es um mehr Sichtbarkeit von Diversität als Queersein. Das fand ich ziemlich super!

In manchen Geschichten ging es nicht um Queersein, oder nur sehr am Rande. Es war nicht Voraussetzung für die Anthologie, dass Queeres ein Element der Geschichten sein sollte, sondern ging darum, dass die Schreibenden queer sind. Das finde ich sehr okay, aber wusste es im Vorfeld nicht und habe es bei einer Geschichte, die ich testgelesen habe, angemerkt. Das tut mir leid.

Einige Geschichten haben auch Arten und Weisen gezeigt, wo es fielen schwer fällt, zu sich selbst zu stehen, weil es gesellschaftliche Ablehnung dahingehend gibt, die weniger unter einen Marginalisierungs-Hut gesteckt werden können. Ich mochte den dadurch geschaffenen Raum für Individualität.

Persönliches Feedback

Ich habe mir zu den meisten Geschichten noch ein paar Notizen gemacht. Wenn sich die Schreibenden mehr über ihre Geschichte mit mir unterhalten möchten, Hinweise zu möglichen -ismen haben möchten, die ich noch entdeckt habe, oder gern wissen wollen, wo ich Herzchen drangemalt habe dürft ihr mich gern anschreiben.

Fazit

Die Art, wie ich mich mit dieser Anthologie auseinandergesetzt habe, war zeitaufwändig, aber für mich durchaus lohnend. Ich habe versucht, den Fokus nicht auf negative Kritik zu legen, aber manchmal ist mir das wirklich nicht gelungen. Ich fand es herausfordernd, einigermaßen kontinuierlich zu bleiben, nicht die späteren Geschichten mit weniger Elan anzugehen, oder in Phasen, in denen es mir schlechter ging, weniger wohlwollend zu sein. Ich hoffe, das Ergebnis ist für einige in irgendeiner Weise lohnend.

Die Anthologie ist ein schönes Projekt. Einige Geschichten haben mich sehr glücklich gemacht. Ich gebe selten und oft ungern Lieblingsgeschichten an, aber hier mag ich es tun:

Meine liebsten Geschichten waren Anleitung zum Baumkuscheln für Anfänger (und Wiedereinsteiger) von Rafaela Creydt und NIE MEHR. von Dyn Quing.

Vielen Dank für die ganze Liebe und Energie, und den Kampf, der in den Geschichten steckt!

Weitere mir bekannte Rezensionen

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