Fabian Elfeld – Yanis

“Yanis” von Fabian Elfeld ist der erste Band einer Fantasy-Romanreihe über die Abenteuer einer Ordenskriegerin, einer Diebin und einer*m Baron*in. Der Roman ist, soweit ich das verstanden habe, aus einem Pen&Paper Rollenspiel entstanden. (Informationen zum Buch sind auf Fabian Elfelds Homepage hier verlinkt.) Eine entsprechende Struktur ist sowohl bei den Charakteren als auch im Erzählstil wiederzuerkennen. Es handelt sich um eine Aneinanderreihung vieler kleiner Abenteuer mit separaten Zwischenzielen, die sich zu einem großen, übergreifenden Abenteuer-Plot zusammenfügen.

CN: Othering, Verfolgung, Feuer und Brandverletzungen für den nächsten Absatz:

Yanis ist einer der drei Hauptcharaktere, eine Ordenskriegerin, die auf einer Reise ein Kind aus einem brennenden Gebäude rettet. Dabei erleidet sie Brandverletzungen, die sie für den Rest des Romans kennzeichnen und zu viel Othering (Andersbehandlung, als würde sie nicht dazu gehören) ihr gegenüber führen. Zudem fliegt sie für Fehler, die sie nicht begangen hat, aus dem Orden und wird seitdem von anderen Ordenskrieger*innen verfolgt.

CN: Tod, Geisel für den nächsten Absatz:

Aki, dier Baron*in, ist Kind einer Adelsfamilie, die mit einer anderen Adelsfamilie einen seltsamen Pakt hat, der Frieden sichern soll: Die beiden Adelsfamilien beherbergen je ein Familienmitglied der jeweils anderen Familie als Geisel. Als die Geisel, die Akis Familie beherbergt, tödlich verunfallt, beschließt Aki, die Geisel bei der anderen Adelsfamilie zu befreien, weil das weitere politische Problematiken in Zukunft vermeiden würde. Dazu kann sier eine Person gebrauchen, die ein Turnier gewinnen könnte. Sier fragt die Diebin Laia um Hilfe, mit der sier befreundet ist.

Laia macht Yanis ausfindig und vermittelt sie für diesen Auftrag an Aki. Während Yanis von Anfang an romantische Gefühle für Laia entwickelt, handelt es sich für Laia sehr lange vor allem um eine seltsame Geschäftsbeziehung.

Aufbau

Erzählstränge

Für jede der drei Hauptfiguren gibt es einen eigenen Erzählstrang. Die drei Stränge verwickeln sich im Laufe des Romans zunehmend. Je mehr sie sich verwickeln, desto häufiger wechselt auch mitten im Kapitel der Point of View und wir haben Innensicht auf das aktuelle Erleben durch teils häufig wechselnde Charaktersichten.

Charaktere

Die Charaktere haben Fähigkeiten und sie einschränkende Eigenschaften (Malus?), die mich an Balancing im Rollenspiel erinnert haben. Sie sind aber auch mit ausreichend Hintergrund erklärt worden, dass sie sich in die Geschichte fügen.

CN: Feuer, Sucht, Panikstörung, für den nächsten Absatz

Yanis ist, was Kampffähigkeiten betrifft, ein overpowerter Charakter. In manchen Szenen bringt sie das mit einer beeindruckenden Selbstsicherheit zum Ausdruck. Auf der anderen Seite entwickelt sie nach dem erwähnten Brand eine Panikstörung vor Feuer und eine Sucht für ein Beruhigungsmittel, mit dem sie in den ersten Nächten bei ihrer Heilung behandelt worden ist.

Im Roman erfahren wir viel über die Innensicht der Charaktere. Ein spannender Aspekt vielleicht: Manche Szenen erfahren wir aus der Sicht von zwei Charakteren nacheinander, sodass wir die Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung der jeweiligen Charaktere abgleichen können.

Insgesamt geht es im Roman sehr viel um erwünschte Fremdwahrnehmung. Häufig wollen die Charaktere sicherer rüberkommen, als sie sind. Das ist vielleicht vor allem verständlich, wenn es darum geht, eine Rolle zu spielen. Aber es passiert auch, dass Yanis sich wünscht, für positive Eigenschaften wertgeschätzt zu werden, die sie gar nicht hat, statt für sich selbst wertgeschätzt zu werden. Während das nicht unrealistisch ist, finde ich ein wenig schade, wie wenig darüber Reflexion stattfindet.

Warum habe ich dieses Buch gelesen?

Ich habe die Geschichte gelesen, weil sie mir im Rahmen meiner Suche nach Geschichten mit nicht-binären Hauptcharakteren genannt wurde. Tatsächlich geht aus der Geschichte bislang nicht hervor, ob dieses Kriterium zutrifft, aber das macht sie in dieser Hinsicht nicht uninteressanter für mich. Denn das wohl besonderste Merkmal dieses Romans für mich ist: Geschlecht spielt keine Rolle.

Geschlecht spielt keine Rolle

Wenn ich Leuten zu einer Geschichte erzähle, dass Geschlecht darin keine Rolle spielte, dann haben jene und ich in den meisten Fällen trotzdem verschiedene Vorstellungen davon, was damit gemeint ist. Die meisten denken: Es ist egal, welches Geschlecht ein Charakter hat, der Charakter darf unabhängig davon jeden Beruf haben, jedes Hobby, alles können. Das trifft auf diese Geschichte auch zu, aber Geschlecht spielt hier wirklich keine Rolle: Es wird niemandem ein Geschlecht zugewiesen. Personen, die auftreten, werden neutral (mit Sternschreibweise) referenziert. Es wird für Menschen, bis sie ein Pronomen nennen, das Pronomen “si*er” benutzt. Es macht sich niemand Gedanken darüber, welches Geschlecht irgendwer haben könnte. Es redet niemand über Geschlecht. (Ich mag Geschichten, in denen über Geschlecht geredet wird, aber es ist zuweilen, finde ich, extrem entspannt, wenn Geschlecht wirklich mal komplett außen vor bleibt.) Personen nennen ihre Pronomen und Namen, selten auch ihre Titel oder Anreden, sie werden benutzt, manche nennen ihre Bezeichnung (Aki hat zum Beispiel drei Väter) und fertig. Es gibt keinen Sexismus (zumindest habe ich keinen gefunden) und keine toxische Männlichkeit. Geschlecht ist nirgends Thema des Buches.

Aber aus diesem Grund, weil nicht darüber geredet wird, und weil Pronomen für alle da sind, sind Personen mit Pronomen “sie” nicht automatisch weiblich, und Personen mit Pronomen “sier” nicht automatisch nicht-binär. Es ist über keinen der zentralen Charaktere bekannt, welches Geschlecht er jeweils hat. Also weiß ich nicht, ob auf das Buch das Kriterium zutrifft, dass ein nicht-binärer Charakter unter den Hauptfiguren ist. (Und das ist auch in Ordnung so. Es ist auch schön, ein Buch zu haben, wo wir es nicht wissen.)

Sprache

Wie zuvor erwähnt, nutzt dieser Roman die Sternschreibweise. Während es im Plural für mich noch ganz gut lesbar ist (aber durchaus ab gewissen Häufungen für viele Menschen eine Lesebarriere darstellt), macht es den Text für mich persönlich schwer lesbar, sobald es im Singular auftritt. Ich lese akustisch und ich habe zum Beispiel keine akustische Entsprechung für “eine*r”. Das macht den Roman etwas barrierig zu lesen. (Das ist nicht unbedingt eine Kritik von meiner Seite. Experimente sind wichtig und interessant und ich habe durchaus auch schon barrieriges Zeug geschrieben, um herauszufinden, was es noch so mit sich bringt.)

Dieses Buch bringt für mich in der Form auf jeden Fall ein Feeling einer neutralen Sprache mit sich. Es wird kein Weg durch Begriffe oder Satzstellungen außenrum genommen, um neutral und ohne Stern zu schreiben (was durchaus geht), sondern die Begriffe, die auftauchen, werden eben entgendert. Dazu kommt das Pronomen “si*er” für alle, für die noch keines bekannt ist. Es macht ein anderes Feeling für mich zu lesen “Die Person hatte fünf Füße. Sie hatte keine Schwierigkeiten, mit ihnen zu schwimmen.” als “Di*er Schwimmer*in hatte fünf Füße. Si*er hatte keine Schwierigkeiten, mit ihnen zu schwimmen.”. Das Nicht-Zuweisen ist irgendwie mit Stern betonter für mich, auch wenn mir das Lesen schwerfällt.

Die Sprache ist aber auch noch in anderer Weise besonders: Ich würde den Schreibstil vielleicht in Richtung dialektisch einsortieren? Aber eigentlich kenne ich mich nicht genügend aus. Die Charaktere wägen sehr viel hin und her ab, mit Wortfeldern wie “andererseits”, “aber” und “jedenfalls”. Wir folgen dem Gedankenstrom einschließlich Abbrüchen mitten im Satz, weil ein Gedanke durch eine Unterbrechung nicht zu Ende gedacht werden konnte. Es gibt unlogische Gedanken, die teilweise später als solche erkannt und benannt werden. Es werden die Wörter benutzt, die den Charakteren gerade präsent sind, und teils wird auch mal ein Wort erfunden oder zwei Wörter verschmolzen.

Auf diese Weise wirkten viele Szenen auf mich sehr lang. Das liegt vielleicht daran, dass ich nicht gut schnell lesen kann und die Art und Weise des Denkens recht zügig verstanden hatte, mir der Stil also schon bald keinen Mehrwert gegeben hat. Ich fand es trotzdem interessant, weil es ein eigener Stil ist, der gegen Normen verstößt, die ich kenne.

Fazit

Bücher, in denen Geschlecht wirklich so wenig thematisiert wird und die mit wenig bis keinem Sexismus auskommen, während sie gleichzeitig Neopronomen verwenden (mehrere), sind selten. Das habe ich an dem Werk sehr genossen. Sprachlich ist es in mehrfacher Hinsicht experimentell. Die Handlung ist verstrickt und für mich nicht das tragende Element. Aber für die Charaktere habe ich jeweils ein individuelles Gefühl von Sympathie entwickeln können, für das ich das Buch doch gern zu Ende gelesen habe.

Content Notes zu “Yanis”

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