Wütend kommentiertes Transkript des ersten Teils von Phantastische Seiten 1

Content Notes: Ableismus, sanistischer Wortgebrauch, Sarkasmus, Diskriminierung, Non-pologies, Harry Potter-Referenz, Bezug zur Pandemie

Grit Richter: Auch begonnen hat durch eine Diskussion, weil sie hatte früher einen anderen Namen, und der soll nicht mehr genannt werden - der, dessen Name nicht genannt werden darf? Oder, soll er genannt werden? Ich bin unsicher. Diese Diskussion hat mich auch sehr verunsichert. Deswegen würde ich gerne wissen, von euch, wie geht man mit Diskussionen grundsätzlich um? Was sollte man vielleicht vermeiden? Oder vielleicht fangen wir erst mal an, wie seht ihr die Diskussionskultur so allgemein jetzt gerade? Was macht die? Was kann man vielleicht besser machen? Was sollte man vermeiden? Sprecht euch mal aus.

skalabyrinth: Jo, Leute, das fängt ja gut an (Sarkasmus). Die auslösende Diskussion ist nicht dargelegt für die Leute, die zuhören. Also für Leute, die nicht wissen worum es ging: Es ging um eine Kritik an einem Format mit dem Titel "Phantastisches Damenquartett". Die Kritik war, wie nicht selten bei mir, dass viele feministische Formate, so auch dieses, systematisch Menschen aus dem Thema ausschließen, die Feminismus, Sexismus, Patriarchat in selber Weise mitbetreffen. Dazu gerade frisch veröffentlicht der Artikel FLINTA*-Spaces. FLINTA* steht für Frauen, Lesben, inter*, nicht-binäre, trans und agender Personen. Das schließt zum Beispiel trans Männer ein, die aus feministischen Diskursen oft ausgeschlossen werden, und sich sicher nicht bei einem "Phantastischen Damenquartett" melden würden. Outgecallt haben vorwiegend June T. Michael und ich. Später gab es weitere Stimmen. Soweit zum Kontext.

Es fängt besonders gut an (Sarkasmus): Mit einer Referenz auf Harry Potter. Harry Potter, ein Werk, das von einer TERF verfasst worden ist, einer Person, die trans Menschen als Gefahr framed. In einem Kontext, in dem es um FLINTA* Personen geht. Eine Referenz auf Voldemort. Eine die den kritisiert habenden trans und nicht-binären Personen (June T. Michael und mir) also in den Mund legt, wir hätten das Format auf eine Stufe mit Voldemort gestellt, mit dem ganz Bösen. Was sollte man vielleicht in Diskussionen vermeiden? Sowas. JK Rowling-Referenzen in Transdiskursen, die die Kritik von trans Menschen framen, als hätten sie gesagt, dein Konzept ist quasi Voldemort.

June T. Michael: Was er sagt. Wenn ich nicht von der Diskussion sehr direkt betroffen wäre, weil ich zu den Personen gehöre, die hier als böse und destruktiv geframet werden, hätte ich nach dieser Einleitung keine Ahnung, worum es geht und was es überhaupt mit dem Format auf sich hat. Oder warum da ein Redebedarf ist. In dieser Diskussion eine Referenz zu einem (unter anderem antisemitischen - siehe Kobolde) Medium, von einer (unter anderem) transfeindlichen Person geschaffen, zu machen, ist im besten Fall unsensibel. Da aber zwei nicht-binäre Personen an der Diskussion teilgenommen haben und hier implizit über den Wert der Kritik zweier weiterer nicht-binärer Personen (eine davon jüdisch!) gesprochen werden soll, ist eine Potter-Referenz selbst im besten Fall unsensibel. Die komplette Einordnung des bisherigen Diskussionsverlaufs fehlt und wird erst nachträglich durch skalabyrinth in Textform vorgenommen. Ich hätte tatsächlich besser gefunden, wenn an dieser Stelle offen gesagt worden wäre:

  • Da wurde Mist gebaut.
  • aus diesem Mist wurden Konsequenzen gezogen.
  • darum wurde das Format nun umbenannt.

Ingrid Pointecker: Naja, ist auch so die Frage, wovon wir reden?

Grit Richter: Von der Fantastikbubble.

June T. Michael: Das ist zu kurz gegriffen. Natürlich wird die Diskussion hier auf die gesamte Bubble ausgeweitet, aber eigentlich ist das Problem, das hier angesprochen werden soll, ein systemisches. Nicht nur in der Fantastik-Bubble gibt es das Phänomen, dass Marginalisierte sehr freundlich und mit einer meterdicken Hülle aus Zuckerwatte ihre Kritik äußern, heruntergeputzt werden und dann erst einmal nicht-betroffene Allys kommen und der kritisierten Person noch mal gehörig den Kopf waschen müssen, damit sich was ändert. Die Fantastik-Bubble ist hier einfach ein Mikrokosmos, in dem die selben Phänomene wie in der Gesamtgesellschaft ablaufen. Es geht um Diskussionskultur im Netz und wie diese - auch in der angeblich viel progressiveren Fantastik-Bubble - bestimmte Stimmen favorisiert und andere niederdrückt. Und darum, dass gute Allys sich dessen bewusst werden und benachteilte Stimmen upliften sollten, statt ihnen zu sagen "Macht doch eueren eigenen Kram" und erst nach sehr viel Kritik zurückzurudern.

Ingrid Pointecker: Jaja, ich meine Medientechnisch. Ich meine Facebook ist noch ein ganz anderes Theme als jetzt Twitter. Und heut moduliert schon wieder ein neues Thema nämlich das der Schreibforen rum. Es ist halt die Frage, wovon wir reden. Ich glaube, die Diskussionskultur gibt es nicht.

Grit Richter: Okay, danke, dass ihr da wart, schon gelöst. Tschüsss

*Gelächter

Grit Richter: Schon gelöst. Nein, ja. Du hast aber was Gutes angestoßen, weil ich finde, man diskutiert auf Facebook und Twitter, bzw auch auf Instragram oder auf Blogs oder in Foren komplett anders in allen verschiedenen Sachen. Es heißt ja immer so schon, auf Facebook tummeln sich nur die Trolle, aber auf Twitter gibt es auch massig. Jaaa, nee? Susanne, du hast etwas dazu zu sagen.

skalabyrinth: Vielleicht wäre an dieser Stelle schonmal nett anzumerken, dass über Trolle zu reden, und darüber, was hier passiert ist, riesige Unterschiede liegen. Wir sind keine Trolle. Wir haben Diskriminierung angesprochen. Sachlich übrigens.

June T. Michael: In dem Twitterthread, von dem hier durch die Blume die Rede ist (und auf den vermutlich Ingrid in ihrer Wortmeldung diplomatisch hinweisen wollte), waren allerdings keine Trolle anwesend. Zumindest habe ich keine gesehen. Es waren, bis zu skalabyrinths Wortmeldung, ausschließlich sehr begeisterte cis Personen, die sich sofort freiwillig gemeldet haben und sehr gehyped waren. Die Grit für ihre Umtriebigkeit und ihren Einsatz lobten und von denen es so viele gab, dass ein eigenes Trello-Board zur Planung angelegt werden sollte, um alle zu sortieren. Vor unseren - sachlichen und sehr stark regulierten - kritischen Anmerkungen sah ich nichts als ungebrochene Begeisterung. Ich weiß, wie Twitter-Trolle aussehen. Ich blockiere an manchen Tagen ein Dutzend von ihnen, da ich sonst als nicht-binäre Person trotz sehr vieler Vorsichtsmaßnahmen gar nicht mehr twittern könnte.

Susanne Pavlovic: Also ich beobachte auf Facebook letztendlich in Diskussionen die gleichen Mechanismen, die ich schon vor keine Ahnung, 10 Jahren in Aquaristik-Foren beobachtet habe.

skalabyrinth: In Aquaristik-Foren. Also, wo es um Aquarien geht. Das vergleichst du mit einer Diskussion über Diskriminierung?

Dass es halt Hardliner gibt und Leute, die Diskussionen hochschießen, und die klassischen Trolle sind ja auch keine neue Erfindung, die nur irgendwo reingehen, um zu sehen, wie die Leute sich aufregen.

skalabyrinth: Um hier mal auf das "hochschießen" einzugehen: Ich habe den Eindruck, hier liegt die Vorstellung vor, ich würde einen Tweet sehen, der mich aufregt und unüberlegt schnell drauf mit meiner Wut reagieren. Das ist nicht der Fall. Weiter von der Realität könnte es kaum sein. Ich wäre ein plattgewalzter, überall geblockter Account, wie ich manche Accounts von trans Personen kenne, die ihren Tone nicht für euch policen. Ich hätte keinen Raum, wenn ich mir nicht stundenlang Gedanken mache, wie ich hier meine Kritik sinnvoll vorbringen kann, ohne dabei irgendwie unvorsichtig ein bisschen zu weit zu gehen. Wie ich am besten verstanden werden kann. Ich police dann vorsichtig alle Wut heraus und gebe den Tweet, bevor ich ihn abschicke anderen Marginalisierten mit Plattwalzerfahrungen zum Testlesen. Oh, wie froh ich bin, dass ich diese Kontakte habe. Und dann, nach etwa einer halben Stunde bis 3 Tage Überlegen, schicke ich den ab. In Diskussionen kann ich dann schneller reagieren, weil ich diese Aufklärungsarbeit über Jahre hinweg am laufenden Band mache. Ich kenne eure Befindlichkeiten. Weil ihr damit die Mehrheit seid und ich sie so so oft entgegengebrüllt bekomme, wenn ich mal wieder versuche, zu einer Person durchzudringen. Ich nehme soweit ich kann, Rücksicht darauf. Jedes sliking einzelne Mal. Ich habe zich Strategien probiert um Leute zu erreichen, ohne, dass sie sich dabei Scheiße fühlen. Und ihr tut es doch. Und framed uns dabei als die Bösen. Die Unüberlegten. Habt Verständnis für unsere Unüberlegtheit. Scheiße, wow...

June T. Michael: Ja. Genau. Weil ich so gerne "Diskussionen hochschieße", steht in meinem Tweet wortwörtlich, dass ich mir das Elend seit dem Vortag angeschaut habe, ehe ich den Mut hatte, was dazu zu sagen. /s

Das bildet nicht die Lebensrealität marginalisierter Menschen ab. Natürlich kenne ich diese Dynamik auch. Ich bin seit fast zwei Jahrzehnten im Netz unterwegs und ich weiß, dass es durchaus Menschen gibt, die unter ein (eigentlich abgeschlossenes) Thema gerne noch etwas drunterschreiben, das edgy daherkommen soll, bisserl provozierend vielleicht noch, und das eigentlich nur dazu dient, dass die Leute sich dann ein wenig fetzen, während die verursachende Person sich mit etwas metaphorischem Popcorn zurücklehnen und genießen kann.

Aber gleichzeitig ist es auch Realität auf sehr vielen Diskussionsplattformen, die groß genug sind, um einen Querschnitt der Gesellschaft abzubilden, dass dort die Mehrheitsgesellschaft eben ... die Mehrheit bildet und es somit marginalisierte Menschen per se schon schwer haben, überhaupt gehört zu werden. Ich würde gerne irgendwann über die Dekonstruktion der Auffassung sprechen, was objektiv ist, weil das in meinen Augen sehr eng damit zusammenhängt, wie Diskussionsteilnehmende gesehen werden und warum das Hochhalten vermeintlicher Objektivität dazu führt, dass marginalisierte Stimmen, selbst dermaßen in Watte eingewickelt, dass man sie kaum noch darunter hervorwispern hört, trotzdem als "zu emotional", "nicht objektiv", unsachlich und generell als "der Feind" gesehen werden. Aber das hätte eher den Umfang einer Dissertation und weniger den eines Kommentars.

Susanne Pavlovic: Und ich glaube, dass es... Twitter hat eine Diskussionskultur die ich mir besser einrichten kann, weil ich Leuten folgen kann, ohne dass sie mir zurückfolgen, und umgekehrt: Wenn mir jemand folgt und ich gucke, was der macht und ich finde das nicht so ühm, dann muss ich dem nicht zurückfolgen.

June T. Michael: Twitter hat sogar noch mehr Tools, die es ermöglichen, sich einzurichten. Wenn mir Leute folgen, die ich als gefährlich für mich und meine Mitlesenden empfinde, kann ich durch Blockieren und wieder Entblockieren die Leute wieder von meinem Account "herunterwerfen" und ich nutze sehr häufig die Option, dass mir entweder nur Leute antworten, denen ich wiederum folge oder überhaupt niemand (streng genommen "Leute, die ich erwähnt habe", aber meist erwähne ich niemanden).

Warum ich mich so gut mit der technischen Seite von Twitter auskenne? Weil Twitter ansonsten bei meinen Themen praktisch unbenutzbar wäre. Ich twittere über Mental Health, BDSM, Nicht-Binarität, Antisemitismus ... und damit verwandte Themen, was dafür sorgt, dass meine Mentions von Trollen (echten) komplett überlaufen wären, wenn ich die Antwortfunktion nicht präventiv einschränken würde. (Und selbst das verhindert Troll-Aktivitäten nicht komplett, macht sie aber zumindest schwieriger). Marginalisierte Menschen eignen sich im Laufe ihrer Online-Anwesenheit oftmals riesige Toolkits an Vorsichtsmaßnahmen an, um halbwegs sicher im Internet einfach nur sein zu dürfen.

(Nicht alle. Und für manche stellt das Benötigen eines solchen Toolkits, während gleichzeitig Barrieren daran hindern, es effektiv aufzubauen, eine so große Hürde dar, dass sie sich noch nicht einmal auf einer relativ gut einstellbaren Plattform wie Twitter äußern können, ohne vertrieben zu werden.)

Susanne Pavlovic: Auf Facebook ist es gezwungendermaßen immer sofort wechselseitig. Und da kaufe ich mir womöglich Dinge ein, die ich eigentlich gar nicht haben will. Insgesamt glaube ich, dass es auch durchaus eine gute Diskussionskultur gibt. Ich beobachte die in einigen Gruppen. Also, in so freien Fäden eher weniger, aber in Gruppen kann das durchaus, wo das vielleicht auch jemand moderiert, kann ich da durchaus engagiert und angenehm diskutieren, aber es ist natürlich schon auch so, dass aus Gründen, die ich niemandem erklären muss, wir alle ein bisschen on Edge gerade sind. Und ich erlebe das auch im wahren Leben, dass Leute viel schneller sich hochschießen und aggro werden, wegen nichts eigentlich.

June T. Michael: Dieser Satz "ein bisschen on Edge" macht mich auf so vielen Ebenen sauer. Ich versuche, es aufzudröseln. "Ein bisschen on Edge" ist gegenüber den Leuten, die gerade in akuter Existenz- und/oder Todesangst sind, stark verharmlosend und verniedlichend. Manche haben aufgrund der Pandemie alles Mögliche verloren, trauern um Angehörige, sind hochverschuldet, krank, bangen anderweitig um sich und andere. Die sind nicht "ein bisschen on Edge", die sind verzweifelt.

Das "wir" wirkt hier patronisierend. Ähnlich wie der Fall, wenn in einer Konfliktsituation eine Autoritätsperson wohlwollend daherkommt, alle Konfliktseiten ein bisschen am Kopf pattet und "Na na, wir sind hier alle ein wenig on Edge, aber jetzt beruhigen wir uns wieder, ja?" sagt, ohne den Konflikt an sich aufzulösen. Eine solche Form der "Neutralität" (sarkasmus) schadet Marginalisierten und nützt immer nur den Personen, die sie klein halten.

Und, last but not least: Ja, in meinem Fall fiel das innere und äußere (endgültige) Outing zufällig in die Zeit der Pandemie, aber ich war mein ganzes Leben nicht-binär, ich war mein ganzes Leben jüdisch, autistisch und ich bin schon seit ziemlich vielen Jahren eingewandert und habe entsprechende Diskriminierung abbekommen. Meine Diskriminierungserfahrungen als nicht-binäre Person (und darum ging es im Ursprung hier!) werden nicht magisch verschwinden, wenn wir es endlich schaffen, dieses vermaledeite Virus zu besiegen!

skalabyrinth: Es war nicht nichts. Please have a look to my blog. Or to my twitter-account. Ich poste diesen Scheiß ungefähr alle 4 Wochen. Ich blogge mir dazu die Finger fusselig. Ich sammele dazu Leute, die mich verstehen, weil es so gaslightend ist, dass Personen das Problem nicht zu sehen scheinen, zumindest, wenn sie nicht betroffen sind, und manchmal auch dann wohl nicht. Zum Thema schnell und aggro hochschießen: June hat da literally im ersten Tweet stehen, dass sie über einen Tag abgewartet hat. Sich das mit angesehen hat, dass da laufend Leute reagieren und das Problem nicht sehen. Und dankbar war, dass mein Tweet kam, weil sie sich vorher schwer bis nicht getraut hat. Warum trauen wir uns wohl nicht? Das Framing war scheiße, richtig richtig hart scheiße. Das tut immer noch weh. Und dieses Panel macht es nicht besser.

June T. Michael: Exakt das. Ich saß seit dem Vorabend da, sah mir das ganze Elend mit an, sah Leute, die ich als progressiv kenne und mit denen ich zum Teil erst vor Kurzem genau darüber geredet und Pläne geschmiedet habe, unkritisch die Sache feiern und wurde mit jedem jubelnden Tweet kleiner und kleiner. Als würde eine ganz kleine Version von mir immer tiefer in einer sehr großen Schlucht stehen und verzweifelt winken. Sieht es denn echt niemand? Fällt es denn niemandem auf? Warum? Warum sagen meine Mutuals nichts? Jedes einzelne unkritische Jubeln hat den Tweet wieder und wieder und wieder hochgepusht, hat mich wieder und wieder gezwungen, es zu sehen. Immer mehr zu verzweifeln. (Und dann kommen die bösen Gedanken: Übertreibe ich? Bin ich überempfindlich geworden? Und die gemeinste Stimme von allen: Bin in Wahrheit ich das Problem?) Ich glaube, ich habe vor Erleichterung ein bisschen geweint, als skalabyrinth sich geäußert hat. Und dann kam das Panel und ich habe, um es mir überhaupt anhören zu können, nebenher Hausarbeit gemacht - und war kurz davor, Porzellan durch die Küche zu werfen. Sehr kurz. Kein Wort der Entschuldigung, kein konkretes Erwähnen, was da abgelaufen ist. Nur ein unterschwelliges Framing zweier nicht-binärer Personen, die sich nicht on-screen wehren können.

Susanne Pavlovic: Und deswegen glaube ich, ist Diskussionskultur im Augenblick etwas, wo man ein bisschen aufpassen muss, weil wirklich alle so ein wenig angeschossen sind gerade. Manchmal finde ich es auch wichtig, das dem anderen ein bisschen zu Gute zu halten.

June T. Michael: Das tue ich. Immer. Bei Leuten, bei denen ich ungefähr weiß, was los ist, sowieso. Um ehrlich zu sein, hatte ich das Best-Case-Szenario vor Augen: Dass Grit sich einfach aus Gedankenlosigkeit vertan hat (That happens. A lot. Ich bin daran gewöhnt und wenn ich mich jedes Mal aufregen würde, hätte ich mehr als nur einzelne graue Haare) und bei einer kurzen Korrektur dann sagt "Oh, sorry, kein Problem, ist eh noch nicht gelauncht! Wäre [Benamsung] okay?" oder irgendetwas Bedeutungsgleiches, mehr nach Grit Klingendes. Ich ging fest davon aus, dass die Causa nach skalabyrinths + meinem Tweet erledigt sein würde und ich damit fortfahren würde, was ich an dem Tag gemacht habe. (Vermutlich, mein Buch weiterzuschreiben). Das ist nicht passiert. Und es lag ganz gewiss nicht daran, dass ich zu wenig Langmut hatte. Den Schuh lass ich mir nicht anziehen.

skalabyrinth: Zugegeben, ich bin da nicht so optimistisch drangegangen. Ja, ich habe gehofft, dass es einfach übersehen worden ist. Bei allen. Aber dass Kritik positiv und konstruktiv aufgefasst würde, dazu fehlt mir positive Erfahrung. Dazu wurde ich einfach schon viel zu oft cis-splaint: Personen gehen einfach davon aus, dass ich unüberlegt wäre und keine Ahnung von Nicht-binär-Sein oder den Konflikten, die das für dya cis Personen bedeute, hätte. Aber: Ich bin nicht nachtragend. Wenn eine Person nach fünf Jahren erst reflektiert und dann erst auf die Idee kommt, mich auf Augenhöhe zu behandeln, mich als eine Gesprächsperson einzuschätzen, die vielleicht kompetent sein könnte, bin ich voll wieder dabei. Und ich hoffe immer das Gute und behandele Leute nicht nach meinem Misstrauen. Sonst hätte ich wohl kaum zunächst gefragt, ob das Format den Namen "Phantastisches Damenquartett" im Ansinnen hätte, ein femistisches Format zu sein, sondern hätte direkt unterstellt. Und selbst nachdem ich, eine feministische trans maskuline Person, erklärt bekommen habe, Frauen würden unsichtbar gemacht werden, deshalb wäre das so, habe ich sachlich das Problem erläutert. Ich fange erst nun, nach Tagen, nachdem dieses Framing einfach fortwährend passiert, an, aufzuhören, Hoffnung zu haben, und darauf aufbauend zu reagieren.

Susanne Pavlovic: Dass der wahrscheinlich auch gerade einen Stress hat, der ganz wo anders sitzt und der nun in diese Diskussion reinträufelt, ohne dass er sachgebunden wäre.

Mein Stress hier ist sehr sachgebunden. Ich kämpfe diesen Kampf seit über sieben Jahren.

Susanne Pavlovic: Also im Zweifelsfall mag ich da auch immer gerne darüber einen Gang zurückschalten und mir denken, naja, du hast bestimmt auch gerade deinen Stress gehabt mit Homeschooling und Homebetreuing und keine Ahnung (etwas lebhafter mit Lächeln gesagt). Von daher diskutieren wir natürlich im Augenblick über einen Ausnahmenfall.

June T. Michael: Nein. Dein Ausnahmefall ist meine Lebensrealität. Nicht nur im Internet, sondern überall, wo ich mit sehr viel Luftpolsterfolie und Perwoll (heißt das noch Perwoll? Lenor? Weichspüler jedenfalls) hantiere, um überhaupt angehört zu werden, wenn ich über Diskriminierung rede, nur um dann trotzdem angefaucht zu werden.

Grit Richter: Aber ist es nicht grundsätzlich auch so, dass wenn diskutiert wird, dass es dann... Das ist auch nicht das erste Mal... Also momentan wird viel diskutiert, aber ist es nicht auch so, dass wir vorher nicht auch schon, also vor Corona viel diskutiert haben? Und da gings ja auch manchmal schon... Vielleicht geht's jetzt noch schneller hoch, das kann natürlich auch sein.

June T. Michael: Ja. Meine Rede. Keins meiner Probleme tauchte erst mit Corona auf. Die waren alle schon vorher da und sie werden danach immer noch da sein, wenn sich nicht endlich gesamtgesellschaftlich was tut. Innerhalb der angeblich so flauschigen und toleranten Fantastikbubble mal damit anzufangen, sie zu lösen, zumindest mittels Zuhören und nicht sofort verbal Niedermetzeln, wäre da schon mal was.

Susanne Pavlovic: Es ist mein Gefühl: Die Mechanismen sind nicht neu, aber es eskaliert schneller, also gefühlt zumindest. Also, ich bin auch on Edge, vielleicht empfinde ich das auch schneller. Auch das ist möglich. Es ist immer die Frage, liegt's am Sender oder liegt's am Enpfänger.

June T. Michael: Es ist valide, dass du sagst, dass du selbst stärker gestresst bist also sonst. Und ich verstehe auch die Selbstaussage, dass du dadurch eventuell Diskussionen schneller als unsachlich wahrnimmst, als sonst. Aber das bedeutet nicht, dass das auch bei anderen der Fall ist. Konkret mir - a fellow non-binary writer - bist du beispielsweise aufgrund dieses Framings auf eine Art in den Rücken gefallen, die mich zutiefst entsetzt hat.

Grit Richter: Ingrid, du bist so ein bisschen hin- und hergeschwankt? Möchtest du etwas?

Ingrid Pointecker: Ja, Sarah will schon die ganze Zeit was sagen.

skalabyrinth: Oh ja, lasst Sarah doch mal mehr zu Wort kommen! Ihr macht einen Podcast über Marginalisierung im Zusammenhang mit genderqueer sein, habt eine Person dabei, die diesbezüglich wütend ist. Wie bringt ihr es, dieses Format zu fahren, es sinnvollen Austausch zu nennen, ohne dieser Person richtig richtig viel Raum einzuräumen? Wie wagt ihr es, dies konstruktiven Austausch zu nennen? Habt ihr die Kommentare zum Prinzip der WDR-Diskussion über Rassismus mit nur weißen Menschen, maximal Tokens, ignoriert?

Sarah Stoffers: Ja, also ich... Die Herausforderung und gleichzeitig der Luxus ist natürlich bei Online-Diskussionen, ist dass natürlich sehr schnell auch sehr viele Leute reagieren kann, aber eben auch sagen kann, hey ich brauche jetzt erstmal einen Moment um tief durchzuatmen und das zu verarbeiten und zu gucken wie ich darauf reagieren möchte. Und, ich gebe zu, ich versuche meistens, es ein bisschen sacken zu lassen und dann erst zu reagieren, weil ich selber einfach weiß, dass wenn ich meinem Bauch folge, - und manchmal hat man keine andere Wahl, als dem Bauch zu folgen, weil einfach zu viel Wut gerade in einem drin steckt, oder weil einen einfach ein Thema ganz tief trifft -, aber trotzdem versuche ich, antworte ich meistens ein bisschen verspätet dadurch, weil ich mir versuche, diese Zeit zu nehmen. Gleichzeitig merke ich aber auch, wenn mir ein Thema wirklich unter den Nägeln brennt, dass es auch einfach raus will, in dem Moment. Oder dass ich dann plötzlich einen Tag später nochmal ankomme und sag, es tut mir leid, aber ich muss leider trotzdem nochmal etwas dazu sagen, weil ich einfach merke, dass das Thema mich belastet und dass wir dann vielleicht nochmal drüber reden sollten.

June T. Michael: Das ist sehr diplomatisch für das, was ich mit meinem Tweet auch schon aussagen wollte: "Ich habe eine Nacht darüber geschlafen und bin tief in mich gegangen. Das Verdikt lautet, dass ich die getroffene Aussage immer noch scheiße und diskriminierend finde." Nur, wenn wir das so direkt sagen würden, würde man uns hochkant aus dem Internet werfen, also kleiden wir das in schöne Worte. Sier sagt "Es belastet" und "Wir sollten vielleicht noch mal darunter reden." Ich sage "Ich schätze dich sehr, aber es tut mir weh, zu sehen, was hier passiert."

Das Fachwort für diesen Vorgang ist "Hedging" - ein gewisses Ausmaß davon ist, von Kultur zu Kultur unterschiedlich, üblich, damit eine Aussage als höflich gilt (im amerikanischen Englisch wird wesentlich mehr Hedging verwendet als im Deutschen). Man packt eine konkrete Aussage in einen Kokon aus Relativierungen, um ja niemandem auf die Füße zu treten. Marginalisierte Menschen nutzen wesentlich mehr Hedging, um Tone-Policing von vornherein zu vermeiden. Also um zu vermeiden, dass ihre Aussagen allein aufgrund von vermeintlicher Unhöflichkeiten gar nicht erst diskutiert werden. Damit nicht statt dem Inhalt die Form diskutiert wird. Das sieht man auch sehr gut an sienem Redebeiträgen in diesem Talk, wie das dann in der Praxis aussieht.

Sarah Stoffers: Ich kann nicht sagen, was davon ideal ist, aber es hat natürlich einen Vorteil, man muss nicht unbedingt im ersten Affekt reagieren. Im Moment sind wir zB live, wenn ich jetzt komplett die Fassung verlieren würde, würdet ihr alle in den Genuss kommen, das mitzuerleben. Und die Frage ist zwar, kann man das aus Sarah rauskitzeln, aber das ist halt eine ganz andere Situationen. Man kann sich ja auf Twitter, auf Facebook oder Instragram entscheiden, wie man darauf reagiert.

skalabyrinth: Was Sarah sagt. Ergänzend: Hier ist sehr schön der Vorteil und das Privileg zu sehen. Marginalisierte Menschen können überhaupt nicht unüberlegt reagieren, wenn wir gehört werden wollen. Wie muss das sein? Einfach einen Tweet abschicken zu können, der nicht drölf Mal gecheckt ist? Wir hätten dann nämlich gleichzeitig a) ein Anliegen, das privilegierten Menschen nicht gefällt, und b) einen ungepolicten Ton. Wegen b) sind sich meist alle sehr fix einig, dass wir erledigt gehören, sodass von a) völlig derailt werden kann. Sobald dann ausversehen noch was in anderer Hinsicht schlecht oder zu verallgemeinernd ausgedrückt wird, werden wir geblockt. Weil man sich dann mit den anstrengenden Themen aus a) nicht befassen muss. Wir bezahlen sehr sehr sehr viel Tone Policing und Arbeitskraft und Vorsicht, damit wir nicht einfach weggewischt werden können.

Grit Richter: Damit zum Beispiel habe ich immer ein Problem. Ich bin nämlich immer jemand, ich habe, also auch grundsätzlich, also auch wenn mir jemand eine Mail schreibt oder eine Nachricht, bin ich immer gleich, oh, sofort am Handy, alles stehen und liegen lassen, sofort döt döt (Geräusche und Fingerbewegung, die Tippen auf Handy nachahmen). Und genauso geht es mir halt dummerweise bei Diskussionen auch, weil ich dann sofort das Gefühl habe, ich muss sofort drauf reagieren, ich muss sofort was sagen, ich muss sofort präsent sein.

skalabyrinth: Es wird später eine Spur relativiert. Aber im Wesentlichen argumentiert Grit hier, dass besagter Vorteil, den Sarah nennt, dass vorm Reagieren noch einmal Durchatmen können, der marginalisierten Menschen überhaupt ermöglicht, zu reden, weil sie ihren Tone policen müssen, wegen eines persönlichen Problems gar kein valider Vorteil wäre.

Grit Richter: Und dass führt dann meistens dazu, dass irgendwas explodiert. Und das ist nicht schön, sollte nicht passieren, ich sollte mich auch mehr zurückhalten und ich sollte wirklich das machen, was du sagst, Sarah, einfach einmal durchschnaufen, sacken lassen, vielleicht erstmal meine Arbeit machen und dann darauf zurückkommen und dann vielleicht etwas ruhiger drauf antworten.

skalabyrinth: Das hätte gut zu einer Reaktion führen können, in der Grit sagt: Es tut mir leid. Durch mein unüberlegtes oder auch durch eigene Probleme verursachtes Verhalten habe ich Leuten weh getan. Ich möchte an mir arbeiten. Aber es kommt nicht dazu.

June T. Michael: Ja, das wäre echt fein gewesen, wenn das passiert wäre, statt skalabyrinth und mich persönlich zu taggen und damit theoretisch ganz Twitter sichtbar zu machen: "Da! Da! Seht! Diese beiden, die finden meine Idee nicht toll! Auf sie!" (Dass das nicht passiert ist, grenzt an ein Wunder. Ich habe schon Leute für genau dieses Verhalten blockiert und habe es hier nur darum nicht getan, weil ich diese kleine Hoffnung hatte, dass das alles nur ein Irrtum ist. Wenn ich nur gut genug und klar genug erkläre, was passiert ist, möglichst mit vielen Ich-Botschaften und ganz, ganz lieb und unter mehrfachen Versicherungen, dass ich seit Langem Fan des Verlags bin, wenn ich nur geduldig und freundlich genug erkläre ... dann wird doch verstanden, wo hier das Unrecht ist. Wo hier das Problem ist. Das ist übrigens keine Übertreibung. Ich habe seit einem halben Jahrzehnt regelmäßig Bücher gekauft und wenn im Verlag Aktionen, Neuerscheinungen etc. waren, mehrere Leute informiert, die wenig in den sozialen Medien sind, während ich auf Twitter ja praktisch wohne. Ich hätte mir gewünscht, wenn auf meine best-faith-Kritik auch eine best-faith-Reaktion erfolgt wäre.

Grit Richter: Der Chat sagt übrigens/Einige Leute im Chat haben jetzt gesagt: Diskussionen auf Twitter sind schwierig, wegen der Zeichenbegrenzung, und wenn man dann halt versucht, in einem Thread oder in mehreren kleinen Nachrichten irgendwas zusammenzufassen, kann halt viel unterwegs verloren gehen.

skalabyrinth: Dazu schreibe ich einen eigenen Artikel, weil es so wichtig ist. Ich nenne ihn hier DB für Diskussions-Barrieren und reiße hier jeweils nur Dinge an, die ich darin zusammenfassend aufführen werde:

  • Marginalisierte Menschen, besonders mehrfach marginalisierte Menschen, können oft nicht außerhalb des Internets oder anderer anonymisierender Räume out sein. Twitter ermöglicht ihnen, überhaupt etwas zu sagen. Das ist bei June der Fall. Danke für die Ignoranz /s.
  • Die Zeichenbegrenzung und Zerschneidung in Threads zwingt Leute in Strukturen. Ich kenne viele Menschen mit ADHS zum Beispiel, die durch die Strukturen überhaupt erst die Aufmerksamkeit haben, daran teilhaben zu können. Danke für den Ableismus /s.

Grit Richter: Auch was du gesagt hast, wurde da nochmal wiederholt, Susanne, Sender und Empfänger kann auch immer problematisch sein. Was man wegsendet, kann anders ankommen.

skalabyrinth: Wie später immerhin angesprochen, gibt es hier mehrere Problematiken, wie, dass es zu vereinfacht ist, oder dass eine Person, die mir über den Fuß fährt, mir trotzdem Schmerzen zufügt. Daher beschränke ich mich auf einen weiteren Punkt: Es ist etwas, was bei Diskriminierung allgemein absolut klassisch ist. Dieser Rassismus war nicht so gemeint. Diese Nicht-binär-Feindlichkeit war nicht so gemeint. Es kommt auf die Intentionen an. Ja, Intentionen machen für mich einen Unterschied. Aber: Nein, Intentionen entschuldigen nichts. Wenn du Transfeindlichkeit reproduzierst, obwohl das nicht deine Absicht war, und du was anderes senden wolltest, hast du es halt trotzdem getan, hast du trotzdem weh getan. Sogar auch dann, wenn es einzelne trans oder nicht-binäre Personen gibt, die das nicht so wahrnehmen. Zum einen sind unsere Lebensrealitäten verschieden. Es gibt nicht das dritte Geschlecht oder die eine LINTA*-Realität. Und zum anderen haben auch inter*, nicht-binäre, trans und agender Personen Trans- und Interfeindlichkeit internalisiert und sehen nicht alle die gleichen Probleme gleich stark. Es auf Sendende/Empfangende runterzubrechen, ingoriert das systematische Problem dahinter. Es ist auch ein Treten der Person, die die Botschaft bringt, während das Problem eigentlich eines ist, mit dem sich privilegierte Menschen von selbst anhand von Blogartikeln/Literatur/Videos betroffener Menschen auseinandersetzen sollten, weil die Last der Einzelaufklärung für betroffene Menschen untragbar ist.

Grit Richter: Da muss ich auch sagen, habe ich das Problem, also das ist ja grundsätzlich ein Problem vom Schreiben. So Kommunikation übers Schreiben, ist immer ganz ganz anders, als Kommunikation übers Sprechen. Weil, also, ich persönlich finde, es ist echt schwer, etwas, was ich schreibe, kann komplett anders ankommen.

June T. Michael: Ich habe dazu einen kompletten Twitterthread geschrieben, aber hier einfach in Kürze: Das ist eine sehr allistische/neurotypische Sicht auf das Problem. Ich verarbeite 90% der ach so wertvollen Mimik/Gestik/Tonfall-Informationen nämlich nicht oder nur unzureichend und die von mir gesendeten Informationen sind ebenfalls im Vergleich zu neurotypischen Menschen stark heruntergefahren bis nicht vorhanden, weil mit Neurodivergenz (und physischen Behinderungen) zusammenhängende Bewegungsmuster jegliche Mimik und Gestik überlagert. Ich kann für eine stark begrenzte Zeitspanne, mit Vorlauf, Planung und so viel Entspannung wie nur möglich möglichst so masken, dass ich halbwegs verwertbare Informationen über Mimik und Stimmlage sende, aber es ist mühsam und ich kann in der Zeit nicht auch noch die Information anderer Leute auslesen.

Schrift ist da viel präziser, ich kann mit Sarkasmusmarkern, Erikativen, Emojis und anderen Hilfsmitteln ganz exakt DIE Information samt Emotion darstellen, die ich auch wirklich meine, auch dann, wenn mein Körper davon nur einen kleinen Bruchteil auch wirklich ausführt. Das ist irrelevant. Und für mich eine große Erleichterung.

skalabyrinth: Dies. Bemerke hier: Wir machen diese Mimik und Stimmlage, damit sie interpretiert werden. Die passiert bei uns nicht von selbst. Die ist für neurotypische Menschen antrainiert. Ich erlerne pro Person eine Bibliothek an Mimik. Ich kann ein trauriges Lächeln nicht von einem fröhlichen Lächeln unterscheiden, wenn ich das nicht für eine Person spezifisch gelernt habe. Und meine eigene Mimik übe ich immer noch im Spiegel. Dennoch werde ich laufend gefragt, ob ich traurig, sauer oder sonst irgendwas bin, weil ich sie anscheinend nicht sauber hinkriege. (Bisschen neuroatypischer OT-Background...)

Grit Richter: Wenn ich jetzt schreibe "Das war das ja eine tolle Idee". Dann kann das ankommen: "~Oh man, haa, das ist eine tolle Ideee!~ *handflapping" oder es kann ankommen "Eeeh, ja, tolle Idee/s". Und wenn man dann nicht mit Emojis arbeitet, gibt es ein Problem.

skalabyrinth: Wie ersichtlich, habe ich hier gerade ohne Emojis Sarkasmus abgebildet. Indem ich das zunehmend Verbreitung findende Zeichen /s hinzugefügt habe, das vorwiegend neuroatypischen Menschen mehr Teilhabe ermöglicht. Ob ich die Freude gut abgebildet habe, ist fraglich. Aber hier kommen wir wieder zu Aspekten für den DB-Arktikel, weil das hier von Ableismus nur so strotzt.

  • Mimik, Subtext, Konnotationen, alles ein bisschen schwer für viele autistische Personen übrigens. Und... es ist so weit entfernt von off-topic, es ist so ignorant. June und ich sind beide autistisch. Es steht bei beiden von uns in der Twitter-Bio. Wäre cool, wenn ihr euch ein bisschen damit befasst hättet, über wen ihr da eigentlich redet.
  • Gesprochene Form generalisiert über geschriebene Form zu stellen, ist für so so viele Menschen beschissen. Es ist ableistisch.
Funfacts:
  • Ich bin bei jedem Tweet voll Benefit of The Doubt, ob da vielleicht Ironie oder ein Unterton drinsteckt, den ich nicht sehe und gehe immer vom Positiven aus. Also mach dir da mal keine Sorgen.
  • June und ich sind eng befreundet. Rein über Text.

Grit Richter: Und, also ich meine, das Problem haben wir ja auch schon seit Jahrhundert. Ich meine, deshalb schlagen Leute die Bibel auf und sehen, wow, cool, dieses Buch hilft mir in meinem Leben weiter. Und andere schlagen es auf, und denken, wow cool, hier habe ich eine Anleitung, wie ich andere Leute umbringen darf. Bibel kann hier ersetzt werden durch jedes andere Buch. Jedes andere Glaubens-Buch. Steht überall der gleiche Scheiß drin.

skalabyrinth: Bisschen allgemeines Religionsbashing ist okay oder? /s Dieser Nachsatz mit "Jedes andere Glaubens-Buch", musste der sein? Du redest hier unter anderem über eine jüdische, genderqueere Person.

June T. Michael: Religionsbashing, undifferenziertes, ohne das Machtgefälle von Verfolgung und Marginalisierung zu betrachten. Nur für eine edgy Pointe. Es ist ja nicht so, als würden nicht etliche jüdische und muslimische Menschen sich auf Twitter die Finger kaputttippen darüber, warum pauschalisierte Religionskritik, die sich "gegen alle" richtet, sich fast immer ausschließlich gegen institutionalisierte christliche Religionsausübung richtet. Dass es nicht okay ist, weil es die Geschlagenen noch mal schlägt. Das alles für ein Lachen. Das tut extrem weh.

Ingrid Pointecker: Darf ich meckern Grit?

Grit Richter: Ja du darfst meckern.

Ingrid Pointecker: Ich will meckern.

Grit Richter: Leg los!

Ingrid Pointecker: Weil der Chat nämlich gerade Schultz von Thun sagt mit der Sender-/Empfänger-Geschichte und ich werde da schon ganz aggro, weil ich bin Linguistin und ich finde das sehr verkürzt. Und ich muss auch halt ehrlich dazu sagen, auch wenn ich dir damit in den Rücken falle, Grit, ich finde das problemaaatisch, in dem Sinne, ich fand die Diskussion auch nicht schlimm. Diese Vereinfachung, es gibt einen Schuldigen, und das ist dann entweder der Sprecher oder der das hört, oder sonst irgendwas. Das ist sehr vereinfacht. Und wie gesagt, ich fand von außen, war das erstmal nur eine Diskussion. Es ist mir vollkommen klar, dass von jeder Seite Emotionen dran hingen, die davor, danach und dazwischen dareinspielen, aber es war, rein unparteiisch betrachtet, nicht schlimm. Niemand hat sich beflegelt, niemand hat mit Kacke geworfen. (Halb seufzend und halb ächzendes Geräusch). Wir haben, ehrlich gesagt, alle, glaube ich, schon Schlimmeres auf Twitter gesehen. Das soll es nicht relativieren, aber es war echt noch Kirche im Dorf.

skalabyrinth: Im Wesentlichen dies. Schon. Trotzdem zwei Anmerkungen hier: "unparteiisch" ist so eine Sache, wenn es um Marginalisierungen geht. Es gibt oft Leute, die denken, weil sie nicht betroffen sind, könnten sie davon den nötigen Abstand nehmen und unparteiisch beurteilen, was zu empfindlich wäre und was nicht. Es gab da zum Beispiel Mal einen Artikel einer dya cis Person über die Frage "Ist JK Rowling transfeindlich?". Daraufhin haben sich natürlich einige trans Menschen geäußert, dass jenes als Frage zu formulieren von einer dya cis Person schon beschissen ist. Das Framing war Mist. Durch Vieles darin war deutlich, dass wesentliche Punkte übersehen worden sind. Der Artikel war beliebt unter dya cis Personen, weil er "endlich mal" den cis gaze - aka den unparteiischen Sichtwinkel zeigt und nicht immer den "wütenden" trans-Fokus. Allerdings gibt es zahlreiche Artikel von trans Personen, die absolut sachlich reagieren. Nur, nun ja, wie immer, wird es von dya cis Personen, die ihre eigene Transfeindlichkeit darin nicht als Versehen gerechtfertigt vorfinden, nicht als sachlich angesehen. Fazit: In Diskursen über Marginalisierung ist es aus meiner Sicht anmaßend, wenn eine dahingehend nicht marginalisierte Person davon spricht, unparteiisch zu sein. Eine nicht marginalisierte Person hat viel viel weniger Chancen einen unparteiischen Standpunkt einzunehmen, als eine marginalisierte Person, weil sie Diskriminierung internalisiert hat und damit nicht täglich am eigenen Leib konfrontiert wird.

Zum anderen störe ich mich an "Niemand hat mit Kacke geworfen". Ich fand "Problem ist halt, dass ein Untertitel, der explizit jemanden ausschließt, zu einem echt harten ShitStorm führen kann." als Reaktion auf einen Vorschlag, in einem Untertitel dya cis Männer auszuschließen schon sehr sehr kacke. Ausgehend von einem Format, das im Namen alle nicht-Damen ausschließt. Weil der "ShitStorm" als der June und ich geframed wurden, nicht so schlimm ist, wie einer, der passiert, wenn das Format inklusiver wird und uns einschließt? Oder wenn Wörter fallen, dass June und ich uns mit den anderen "zerfleischen" würden und "Gräben" aufbauen. Btw, ich hätte gern immer noch ein Statement zu diesem Framing, dass das Mist war und so absolut nicht okay!

June T. Michael: Was er sagt. Ich habe schon in schlimmeren Diskussionen gesteckt, aber es ist in der Tat eben nicht so, dass alles harmlos geblieben ist. Ich war harmlos. Aber es war von Grits Seite kein bisschen harmlos, skalabyrinth und mir zu unterstellen, dass wir das ganze Projekt kaputtmachen. Mein sarkastischer Gedanke war in dem Moment tatsächlich, beim Lesen der damaligen Diskussion "Wow, wir sind also so mächtig, dass unsere zwei Wortmeldungen mehr wiegen als die zehnfache Begeisterung der cis Menschen, die das unkritisch abfeiern? Muss diese Trans-Lobby sein, von der alle reden. /s" Und ja, auch der Spruch mit dem "Aber wenn ich explizit dya cis Männer auslade, dann steigen die mir aufs Dach, da verletze ich lieber ein paar Marginalisierte" (paraphrasiert) war sehr wohl untergriffig. Aber hier greift mein Benefit of doubt, dass es auf Twitter technisch nicht immer möglich ist, alle Wortmeldungen mitzubekommen und zu lesen.

Grit Richter: Ja, aber in Endeffekt.

Susanne Pavlovic: Es kommt drauf an. Ich komme immer weiter weg von dem Gedanken, dass man sowas sachlich begründen kann, also auf etwas Sachliches aufsetzen kann. Selbst Sarah und ich, die beide quasi das gleiche Problem mit dieser Sache hätten haben können, haben darauf vollständig unterschiedlich reagiert.

June T. Michael: Oh ja. Exakt. Sarah hat sich solidarisch gezeigt und sich hinter uns gestellt. Du bist mir in den Rücken gefallen, sinngemäß mit den Worten "Also ich habe gesehen, dass ich nicht adressiert bin und es war mir egal, also hast du gefälligst auch kein Problem damit zu haben." Das ist nichts, worauf ich persönlich sonderlich stolz wäre oder das ich für allzu hervorhebenswert in dieser Debatte halten würde.

skalabyrinth: Also, tatsächlich schreibe ich Artikel zu diesem Thema, die sachlich sind und auf Logik aufbauen. Ich lasse sie von zich Menschen gegenlesen. Mir folgt nicht ohne Grund gefühlt halb trans-Twitter. Wie schon geschrieben, erkennen nicht alle marginalisierten Personen die gleichen Marginalisierungspatterns. Das liegt an unterschiedlichen Erfahrungen und an selbst internalisiertem Unfug. Susanne Pavlovic setzt sich in keiner Weise auf sachlich argumentativer Ebene mit der Kritik auseinander, die da geübt worden ist. Wenn du das tust und immer noch auf deinem Standpunkt bleibst, reden wir wieder, ja? So erstmal ist das unangenehm gaslightend. Ich rede nicht einfach so, weil ich ein persönliches Unwohlsein habe. Es wäre überhaupt nicht möglich mit einem persönlichen durch eine Marginalisierung verursachten Unwohlsein zu Leuten durchzudringen. Ich kann da auch sehr gut unterscheiden. Ich kann zum Beispiel sagen: Das Wort "Frau" ohne Erwähnung nicht-binärer Menschen löst bei mir allgemein Unbehagen aus. Ich werde aber niemals herkommen und sagen, dass Leute nicht mehr "Frau" sagen dürfen, oder von ihrer eigenen Erfahrung als Frau erzählen dürfen. Das ist eine persönliche Sache, die auch viele trans Menschen haben, aber wo es keinen Veränderungswunsch gibt. Wir wissen, woher das kommt, warum das da ist. Wenn ich Diskriminierung outcalle, dann ist da Diskriminierung. Rein sachlich. Wenn ich mir unsicher bin, formuliere ich es als Frage.

Ingrid Pointecker: Ja.

Susanne Pavlovic: Das heißt, ich komme immer mehr weg davon, zu sagen, das war so und so schlimm, oder nicht. Und deswegen hat die andere Person sich jetzt zu viel oder zu wenig aufgeregt oder nicht. Weil wir einfach nie wissen, ohne dass ich jetzt in diesem Sender-/Empfängermodell so richtig drin bin, aber es ist immer eine Sache von beiden. Es gibt da nie eine Monokausalität. Ich glaube, dass man nie wirklich weiß, wie das bei den anderen ankommt, wenn man sendet, gerade über sowas indirektes, wie das Internet, und dass ich, wenn ich sende, immer damit rechnen muss, dass ich jemanden erwisch, den ich nicht erwischen wollt. Und das jetzt jemand verletzt ist. Und ich glaube, der erste Schritt, der wichtig ist, ist zu sagen: Diese Verletzung... wertzuschätzen ist jetzt ein blödes Wort, aber es zu akzeptieren, dass diese Person jetzt verletzt ist, ohne dass ich das wollte, und was mich andersrum, wenn ich stinkig bin auf irgendwas, und jemand anderes sagt, aber das habe ich doch nicht so gemeint. Ja, 'tschuldigung, wenn du mir mit deinem Jeep nicht über den Fuß fahren wolltest, es aber trotzdem getan hast, das mindert den Schmerz nicht. Und das ist, glaube ich, wo auch viele Diskussionen im Internent kippen, wenn dann einer sagt, du darfst jetzt nicht verletzt sein, denn ich habe es ja nicht so gemeint.

June T. Michael: Als ich diesen Teil gehört habe, ist mir recht cartoonhaft die Kinnlade heruntergeklappt und ich habe mit offenem Mund mein Handy angestarrt. Ja, das sind schöne Worte. Ja, das sind wahre Worte. Aber sie stehen diametral zu dem, wie du mir gegenüber auf Twitter gehandelt hast, als du mir genau diese Verletztheit abgesprochen hast. Als du gesagt hast, ohne dir das Thema näher anzuschauen oder ohne mir auf meine Fragen zu antworten, es werde wohl irgendein spezifisches Damenthema sein und kein Nichtbinären-Thema, und überhaupt und sowieso, warum wir uns da zerfleischen. Während ich zerfleischt werde und als einzige "Waffe" (Sarkasmus) meinen Schmerz habe, um mich irgendwie zu wehren. Wow.

Ingrid Pointecker: Genau das wollte ich vorher auch sagen.

Susanne Pavlovic: Dann kannst du direkt rausgehen, weil das wars... (mehrere Leute reden gleichzeitig, deshalb fehlen hier 1-2 Wörter)

Grit Richter: Ich wollte übrigens niemandem die Schuld zuschieben an dieser Diskussion.

June T. Michael: In dem Fall solltest du dann nicht nur so implizit Verantwortung übernehmen. Wo bleibt der Blogpost, der Thread, irgendwas Schriftliches, wo du offen und dokumentiert sagst "Ich habe Mist gebaut, es tut mir leid und ich werde es in Zukunft besser machen?" Wo?

skalabyrinth: Ganz ehrlich: Ein Eingeständnis und Verantwortungsübernahme, dass das Konzept auf Diskriminierung aufbaute, und vor allem, dass es zu einem hässlichen Framing trans und nicht-binärer Personen kam, wäre echt angebracht.

Grit Richter: Ich finde, das ist, also ich sehe auch ein, dass ich da vielleicht viele Sachen nicht so verstanden habe, wie sie gemeint sind, oder wie sie gemeint gewesen sind. Und ich sehe auch bei mir, dass ich als, ich bin froh, dass ich keine Autorin mehr bin, weil ich habe offenbar komplett darin versagt, Leuten durch Schrift das mitzuteilen, was ich sagen wollte. Und ich denke, da sind viele Missverständnisse entstanden. Und jetzt darf Sarah.

June T. Michael: Ich sehe den Schmerz hinter diesen Worten. Ich will ihn dir nicht absprechen. Ich habe keine Ahnung, was da gelaufen sein muss, damit ein Mensch das Schreiben an den Nagel hängt, aber ich nehme das nicht auf die leichte Schulter, weil ich zumindest von mir weiß, dass etwas absolut Erschütterndes passieren müsste, damit ich keine Geschichten mehr erzählen kann oder will. Aber es geht hier trotzdem nicht um dich. Du bist hier so kurz davor, ich dachte beim Zuhören "Gleich kommt es. Gleich entschuldigt sie sich und ich werde vor Freude weinen, weil meine Worte etwas erreicht haben, weil etwas bewegt wurde" und stattdessen kommt diese Selbstkasteiung und ... und ... ich weiß nicht so recht, wie ich in Worte fassen soll, was ich in dem Moment gefühlt und gedacht habe. Es war ein riesiges Chaos. Einfach nur ein riesiges "Nein, das ist falsch, was passiert hier eigentlich?" Und ein neuerliches Lesen der Tweets. Die sehr eindeutig waren.

skalabyrinth: Uffz... Es gibt diese Sache bezüglich Verantwortung übernehmen. Wenn eins sich wirklich nicht mehr rausreden kann, dass man dann anfängt, das Problem mit so drastischen Worten auf sich zu beziehen, dass Leute instant das Bedürfnis haben, einem aus diesem Loch wieder rauszuhelfen und zu bestätigen. Es tut mir leid, dass du in diesem Loch bist. Ich sehe das. Aber die Art, wie du das kommunizierst, zentriert dich wieder, führt dazu, dass Leute dir sagen, das war doch nicht so schlimm, alles gut. Und Schuldige suchen, die dann wieder wir marginalisierten Leute mit unserer "Unvorsicht" sind. Aber: Es ist schlimm und es ist nicht alles gut. Diese Art des Umgangs kenne ich leider aus zich toxischen Beziehungen. Es ist ein sehr sehr hässliches Muster.

Sarah Stoffers: Ich glaube, hier kommt noch eine Ebene hinzu, die wir in dieser Diskussion zum Beispiel, also würden wir jetzt etwas darüber sagen, jemand diskutiert darüber, ob mein Buch gut oder schlecht ist, und da gibt es viele unterschiedliche Meinungen zu.

Susanne Pavlovic: Wie, da gibt es unterschiedliche Meinungen /s (halb lachend)

Sarah Stoffers: (grinst angesteckt mit) Da gibt es unterschiedliche Meinungen zu. Und ich möchte niemandem in dem Punkt seine Meinung absprechen. Aber wenn es... Die Kritik, die dich in dem Moment getroffen hat, war ja vor allen Dingen die Kritik von Menschen, die durch ihre Marginalisierung eine andere Realität haben, als du. Und das heißt, du bist einfach in einer anderen Situation und ihre Lebenswirklichkeit trifft auf deine Lebenswirklichkeit und du kannst sie vielleicht in dem Moment nicht 100% nachvollziehen, weil du in einer ganz anderen Situation bist. Es gibt oft diesen Reflex, dass marginalisierte Menschen versuchen, etwas erst mal freundlich und höflich und sachlich zu erklären, und dass man das oft überhört und als nicht ganz so schlimm abtut, weil man nicht wirklich einschätzen kann, wie es ist, weil man es selber nicht erlebt hat, weil man es selber nicht richtig nachempfinden kann, auf den ersten und vielleicht auch nicht auf den zweiten Blick. Das ist etwas, was ich in zahllosen Diskussionen erlebt habe, was ich auch selber schon gemacht habe. Als ich Feedback von Sensitivity Reading bekommen habe, und erstmal gar nicht verstanden habe, worum es ging, oder dass ich das erstmal einschätzen musste und sagen musste, ich musste mich da erstmal reinfühlen und ich musste mich erstmal informieren, um das tatsächlich im richtigen Kontext sehen zu können. Und das liegt einfach daran, dass meine Lebenswirklichkeit eine andere war. Ich glaube, dass ist etwas, was sehr häufig vorkommt, was aber zu der frustrierenden Erfahrung führt, dass Marginalisierte, wenn sie freundlich etwas anmerken, was jemand anderes nicht nachempfinden kann, weil er diese Marginalisierung nicht hat... Das dann nicht so ernst nimmt, wie man es nehmen müsste vielleicht.

skalabyrinth: Was Sarah sagt. Übrigens das erste und fast das letzte Mal, dass June und ich hier als sachlich, freundlich und höflich dargestellt werden, was - soweit Feedback von auch Betroffenen -, auch der Fall war. Es ist so so wohltuend und erlösend, diese Positon mitzuerleben. Danke Sarah.

June T. Michael: Volle Zustimmung. Und irre ich mich, oder ist dies erst das zweite Mal, dass Sarah etwas sagen darf? Die Stimmverteilung hier im Panel ist alles andere als fair. Die Person, die die Mechaniken voll aufdröselt, hat die kleinste Redezeit.

Ingrid Pointecker: Vor allem, da kommt ja noch eine Ebene hinzu, nämlich dieser Faktor kostenlose Bildungsarbeit. Wenn man einer marginalisierten Gruppe angehört, man erklärt das ja 16 Mal am Tag gefühlt. Und man erklärt es ja eh schon auf Twitter. Und denkt sich, wenn du halt 5cm weiter runterscrollst, oder google bedienst, oder sonstige. Und da werde ich auch ruppig. Weil... Vor allem, was Susanne vorher gesagt hat, wenn als Gegending nur dieser Rechtfertigungstango dann kommt, von wegen, ich habs ja nicht so gemeint, da muss ich auch mal tief durchatmen.

skalabyrinth: Auch dies! Allerdings: "da werde ich auch ruppig." Das ist ein Privileg. Marginalisierte Leute, die ruppig sind, gibt es nicht mit Accounts größer als 35 Leuten oder nur in ihrer eigenen Bubble. Wir können uns Ruppigkeit nicht im Mindesten leisten. Ich bin es hier das erste Mal. Aber, wo wir beim Thema sind: Maybe, Grit Richter, lies mal Junes oder meinen Blog, oder einen anderen, den June oder ich oft vertweeten. Irgendwie sowas.

June T. Michael: Exakt das. Wir müssen alles freundlich, mit viel Hedging, mit viel Zuckerwatte und Luftpolsterfolie und Relativierungen einpacken, sonst wird die Kritik von vornherein abgelehnt, wir als Person verurteilt und isoliert. Um überhaupt gehört zu werden, ist ganz viel Energie für Freundlichkeit und Nicht-Ruppigkeit unabdingbar, während gleichzeitig Sachlichkeit bereits als Unfreundlichkeit wahrgenommen wird. Man kann nur verlieren bei diesem Spiel.

Grit Richter: Ja. Mein Vorgehen war dann ab einem gewissen Moment, wo ich dann auch an meine Grenzen gekommen bin, habe ich gesagt, okay, es bringt jetzt nichts weiter zu diskutieren. Und ein sehr schönes Zitat in dem Zusammenhang, was mir da eigefallen ist, ist "Es zählt nicht, was du sagst, es zählt, was du tust".

skalabyrinth: Es zählt sehr wohl, was du sagst. Solange du kein öffentliches, accessible Statement bringst, wo du Verantwortung übernimmst, sind Räume, die du stellst, nicht safe. In diesem ganzen Panel wurden fortlaufend Dinge gesagt, die nicht safe sind. Ganz am Anfang schon mit einer HP-Referenz. Just... just wow. Könntest du bitte an deinen Worten arbeiten? Und an Accessibility?

Grit Richter: Und deswegen habe ich gesagt, ich setze das jetzt um, ich schmeiße das... Ab einem gewissen Punkt, da habe ich mich dann auch mit verschiedenen Leuten unterhalten, beziehungsweise privat dann hin- und hergeschrieben und dann wurde irgendwann klar, das Ding braucht einen neuen Namen, ich verstehe das jetzt, jemand hat sich mit mir hingesetzt und mir das erklärt.

June T. Michael: Wow. Ich meine, skalabyrinth hat es dir erklärt. Ich habe es dir erklärt. Mehrere Personen auf Twitter haben es dir erklärt. Aber erst, als jemand aus deinem näheren Bekanntenkreis sich "extra mit dir hingesetzt" hat, um dir das noch mal auch wirklich privat zu erklären, kam die (öffentlich erst mit der Ankündigung per Tweet kommunizierte) Änderung, nachdem du vorher eine Non-Pology getwittert hast, dass es schließlich dein Format sei, du damit machen kannst, was DU willst und wir uns ja was eigenes überlegen können, wenn wir unbedingt auch irgendwo zu Wort kommen wollen. Ja, ich bin sauer.

Grit Richter: Und ab dem Moment habe ich gemerkt, okay, ich... das ist das was Sarah gemeint hat. Ich glaube, in dem Moment bin ich dieser Lebensrealität der, - ich sage jetzt mal -, kritisierenden Leute, und das ist nicht abwertend gemeint, ich will auch nicht sagen, einfach dieser Leute, die da das Konzept kritisiert haben, zurecht. Und ich denke, da bin ich denen dann vielleicht auch falsch entgegen gekommen, und habe sie nicht verstanden, und deswegen bin ich jetzt froh...

June T. Michael: Und hätte ich mir nicht extra Zeit und Löffel dafür irgendwo hergenommen, hätte ich nicht erfahren, dass du jetzt doch auf einmal froh bist, dass wir was gesagt haben. Ich habe keinen Blumenstrauß erwartet, aber zumindest ein Tweet wäre schon nett gewesen. Oder eine Copy-Paste-DM. Irgendwas an uns persönlich, statt nur im Talk ganz abstrakt "Ja, die Leute, die mich kritisiert haben, hatten irgendwie Recht" zu sagen, während es seit Tagen darum ging, uns als das Böse schlechthin zu framen.

Grit Richter: Wie gesagt, im Endeffekt bin ich froh, dass es passiert ist, weil jetzt ist das Konzept viel viel toller und viel viel besser und viel viel offener, aber in dem Moment, wo es passiert ist (Pause), war es (Pause) schrecklich (Pause) für mich.

skalabyrinth: Und schon wieder. Du zentrierst dich. Dya cis tears, sozusagen. Hm, mal etwas ernster: Ich finde es okay, wenn du deine Gefühle aussprichst. Ich spreche sie dir nicht ab. Vielleicht kommt es so rüber, aber nein, ich tue das nicht. Ich selbst habe es noch nie gehabt, dass ein Outcall bezüglich -ismen, die ich reproduziert habe, mich out of balance gebracht hätte, weil ich nun mal sehr kritikfähig bin. Das ist eine schöne Eigenschaft, wohl auch ein Privileg. Das ist mir bewusst. Ich kann sehr gut akzeptieren, dass du das nicht hast. Aber: Sei dir bewusst, dass du hier keine Differenzierung machst. Du sagst, es ist schlimm für dich, zentrierst dich und dein Leid, aber sagst an der Stelle nicht, dass das Mist für Leute ist, die dich kritisieren wollen. Dass du diesen Stress auf dich nehmen möchtest, der nichts mit Outcalls allgemein zu tun hat, um marginalisierten Leuten zu ermöglichen zu sein. Auf diese Weise bleibt es an uns marginalisierten Menschen, ob wir uns entscheiden, gegen Diskriminierung vorzugehen, - und dabei Leuten wie dir im vollen Bewusstsein Schmerzen zuzufügen, für die wir verantwortlich scheinen allein dadurch, dass wir es wissen -, oder ob wir weiter damit leben, dass nichts passiert.

Und da hilft es auch nicht, wenn ich immer... Ich sag ja meinen Autor_innen immer, wenn sowas passiert, wenn sowas passiert, wenn da irgendwie was losbricht, reagier nicht drauf, bleib ruhig, mach dies und das und jenes, mach Entspannungsarbeit, keine Ahnung. Aber wenn du in dem Moment drin bist, dann schmeißt du alles über Bord, und es ist schwer.

skalabyrinth: Und das heißt für uns? Das heißt, dass wir, wenn wir Diskriminierung benennen, unüberlegt angeranzt werden, als Täter_innen geframed werden, es Leuten schwer machen, Leute verletzen, wegen der mangelnden Beherrschung privilegierter Menschen verletzende Dinge entgegengeworfen bekommen, selbst das Problem sind. Wir sind gewohnt, das Problem zu sein. Das macht es nicht besser, sondern eher schlimmer. Es ist so hart, daran nicht zu glauben. Weil es ständig passiert. Das heißt, dass Aufklärung purer Stress ist. Was für ein Privileg das sein muss, dieses Problem nicht jeden Tag zu haben? Und was möchtest du dafür tun, dass wir entlastet werden?

June T. Michael: Es wäre ja nichts losgebrochen, hättest du nicht darauf bestanden, skalabyrinth und mich als das Böse zu framen, das dir dein Projekt kaputtmacht, und zu zentrieren, wie weh dir das tut. Absolut nichts wäre passiert. Eine winzige Korrektur von Anfang an und danach weiterhin fast ungebrochene Begeisterung der dya cis Frauen in der Fantastikbubble. Hättest du von Anfang an anders reagiert, wäre nie etwas losgebrochen und müsste jetzt nichts reflektiert werden!

Susanne Pavlovic: Es hat auch ein Stückweit unnötig lange gedauert. Dieser ganze Prozess, das wär in 4-Augen, 6-8-Augen Gespräch live vor Ort wäre das super schnell erledigt gewesen.

June T. Michael: Ja. Weil ich aus Selbstschutz und Schutz meiner Identität heraus gar nicht erst aufgekreuzt wäre und wenn doch, dann wäre das Gespräch schnell erledigt gewesen, weil ich sehr schnell erledigt gewesen wäre. Es wäre ein absolutes Ungleichgewicht gewesen, bei dem ich als autistische marginalisierte Person von vornherein im Nachteil gewesen wäre und gar keine Möglichkeit gehabt hätte, meine Probleme vorzubringen. Präsenzkultur, aber als Instrument von Machterhalt und Unterdrückung.

skalabyrinth: Wow... diese Aussage löst endglültig besagten DB-Artikel aus. Sowas von nein!

  • Vor Ort ist ignorant gegenüber June. June ist nicht im Outernet out.
  • Vor Ort führt dazu, dass marginalisierte Menschen alleine sind. Das Connecting funktioniert nur über das Internet. Das ist ein Riesenvorteil des Internets.
  • Wegen besagtem eigenen Tone Policing um überhaupt erst als valid Gesprächspartner_in anerkannt zu werden, brauchen Antworten oft lange Überlegung. Dafür ist kein Raum im RL. Guck dir dieses Panel an. Wie oft hat Sarah Stoffers mit diesen überlegten Antworten gespochen? Wie viel Raum habt ihr siem gegeben?
  • Diese Themen sind oft traumatisierend. Die Wut ist nicht einfach nur etwas Wut, sondern komplexer Posttraumaresponse. Das führt bei vielen Menschen, mich eingeschlossen dazu, dass wir eine Weile nicht wirklich Zugang zu Worten haben, nicht gut reagieren können, heulen. Wenn ich überhaupt gewagt habe, eine Diskussion dazu im RL anzufangen, musste ich oft heulen.
  • Twitter und Schriftform gibt die Möglichkeit der Dokumentation und Access zu mehr Publikum. Das sind enorm wichtige Schutzfaktoren für marginalisierte Minderheiten. Bisschen vereinfacht ausgedrückt, aber im Wesentlichen dies.
  • Den Ableismus-Aspekt sprach ich schon an: Neurodiversität, Mutismus, Overloads, Schwerhörigkeit, Gehörlosigkeit, Sprechbehinderungen, ...
  • Dazu Accessibility von Räumen. Ob direkt RL oder Panel. Da ist Umgang mit nicht barrierearmer Software, oder nicht barrierearm erreichbaren Orten.
  • Tatsächlich ist meine Erfahrung eher, dass privilegierte Menschen die Nächte zum Drüberschlafen brauchen, und nicht die, die outcallen. Real Live Debatten hatte ich manchmal mit Einzelpersonen. Wenn sie erfolgreich waren, dann meist mit Unterbrechungen zum Ausruhen und Sackenlassen dazwischen von ein paar Tagen.
Ehrlich gesagt war das Internet der Ort, wo ich das erste Mal Räume fand, in denen ich sein darf. Danke, dass du mir die wegdiskutieren willst. Mein Standarderlebnis im RL, wenn ich einen Raum betrete, ist, dass mich erstmal alle anstarren und lachen. Und ja, ich weiß durch Feedback, dass das mit mir zu tun hat. Das RL ist nicht safe. Nicht im geringsten.

Grit Richter: Ja, aber es ist das Internet. Das ist das Problem, es ist das Internert.

skalabyrinth: Welcher Luxus muss das sein, ein RL zu haben, gegen das das Internet ein Problem darstellt?

Susanne Pavlovic: Da brauchen Dinge manchmal ein bisschen länger, bis man da zu Potte kommt. Bis alle beieinander sind.

skalabyrinth: Ich schätze, dann stellen wir das Internet einmal für 10 Minuten ab, gehen auf die Straße, führen eine kurze Diskussion über Diskriminierung und dann ist der Fall gegessen, nicht wahr? /s

Grit Richter: Ich springe mal schnell in den Chat rein, denn da sind ein paar Sachen aufgekommen: "Finde Diskussionen per Text sowieso fragwürdig, es fehlen einfach viele Kommunikationsebenen, vor allem auf Twitter mit Zeichenbegrenzung". M sagt "Meine Oma hat schon immer gesagt: Erstmal eine Nacht drüber schlafen". J warnt vor dem passiv-aggressiven Zwinkersmily.

Susanne Pavlovic: der ZwinkiZwonki

Grit Richter: heißt der so?

Sarah Stoffers: Kann ihn inzwischen nicht mehr sehen.

Susanne Pavlovic: Ich warte ja immer noch, ihn benutzen zu können, aber ich bin da nicht passiv aggressive genug.

Grit Richter: Wenn Mansplaining ein Emote wäre, würde er zwinkern. ZwinkiZwonki.

Susanne Pavlovic: Es gibt ja aber schon womanssplaining. Das gibt's schon auch. Ich glaube, der Zwinkersmily ist völlig genderübergreifen.

skalabyrinth: Cool, in einem Panel über den Ausschluss von unter anderem nicht-binären Menschen stellen wir Mansplaining Womansplaining gegenüber... Also, ja, hat gewissermaßen eine Berechtigung. Aber auch eine interessante Ironie. Fände ich an dieser Stelle nun nicht so schlimm, allerdings fällt mir so auf, dass im ganzen Panel nicht einmal das Wort nicht-binär fiel.

June T. Michael: Ja. Genau. Es wird kein einziges Mal angesprochen, dafür wird ein binaristisches "Both-Sides" mit mansplainung/womansplaining gemacht, ohne Differenzierung, dass es eher dya cis... Ich bin langsam sehr, sehr mütend hier.

Grit Richter: Definitiv, definitiv. Frau Pointecker, Sie sind da wieder dagegen. Rechtfertigen Sie sich. Einfach mal 'nein' sagen.

Ingrid Pointecker: Jein.

Grit Richter: 'Tschuldigung

(alle lachen)

Grit Richter: Frau Richter, warum müssen Sie immer Dinge unterstellen, die niemals so gesagt wurden. Rechtfertigen Sie sich.

(Werbepause.)

Nächstes Thema: Warum führen wir heute Diskussionen, die wir vor 20 Jahren schon geführt haben?

June T. Michael: Ja, warum? Weil man die, um die es geht, nicht zu Wort kommen lässt und das Thema, um das es geht, kaum angetastet wurde. Wenn sich das nicht mal ändert, sitzen wir auch in weiteren zwanzig Jahren da, sind ausgebrannt und irgendwelche anderen Leute werden sich fragen, warum nix vorangeht. seufz

skalabyrinth: Dieser Übergang ist auch witzig und irgendwie schmerzhaft. Vor allem, weil dann im Wesentlichen ihr euch nicht in Frage stellt, sondern die Diskriminierung gegen die ihr kämpft, thematisiert. Dabei wäre ersteres eine so schöne Addressierung des Problems, besonders im Zusammenhang mit dem Auslöser dieses Formats.