Bildbeschreibung:

Ein weicher Keks mit Schokoladenstückchen drin.

Content Notes:

Morddrohungen, Folter - erwähnt.


Lauden Léonide von Horstenfels

Léonide, Luna und Kendra

Léonide ist alt genug, um zu wissen, dass Alter nicht unbedingt etwas mit Zahlen zu tun hat. As ist 70. Fast auf den Tag genau. Niemand ist zum Gratulieren da gewesen, und das ist auch gut so. Léonide hat es zu diesem Zweck über nun ungefähr 50 Jahre in diesem Dorf hinbekommen, niemandem zu verraten, wann dieser olle Jahrestag ist. As ist kein Fan von Glückwünschen. Und diese Eigenschaft hat sich mit dem Alter eher verstärkt.

As ist alt. An Tagen wie diesen, nach so einem Einkauf für eine Woche, den as mit einem Rollwägelchen nach Hause gezogen hat, das stets alle mitleidig anstarren, wünscht as sich die Villa, in der as lebt, eher irgendwo in die Pampa. Wo es richtig abgeschieden und ruhig ist. Vielleicht in diesen Birkenwald, neben der Holzhütte, die Luna angeblich bewohnt, die aber aus guten Gründen noch nie jemand gesehen hat. Aber das würde Luna wohl nicht zulassen.

Luna hat sehr viele Jahre gelebt, aber Léonide ist älter. Müder und altersgezeichneter. Etwas, was Léonide an sich durchaus mag. Luna und as haben dadurch eine sehr interessante Verständnisebene.

Léonide jedenfalls wohnt nicht irgendwo ab vom Schuss, am Rande des Dorfes. Die Villa steht auf einem immerhin brauchbar verwunschenen Grund mit Hecken und Efeu und allem etwa 300 Meter von der Schule entfernt. Léonide hört früh morgens schon das aufgeregte Geprappel (ist das ein Neologismus?) von jungen Leuten, die zu früh morgens schon zu wach sind, und das dumpfe, nölende Geprappel jener, die zu früh morgens schon zu wach sein müssen.

Léonide verstaut das Eingekaufte in Kühl- und Vorratsschrank und will sich gerade aufs Ohr hauen, als es läutet. Léonide überlegt, die Türglocke zu ignorieren. In der Vorweihnachtszeit gibt es öfter Kinder, die Süßkram wollen. Aber der Frühling naht. Léonide schleppt sich ermattet zur Tür und öffnet. Wenn man vom Vampir spricht…

“Wen hast du denn dabei?”, sagt Léonide.

“Das sind Kendra und Marcin, mylauden.” Luna verbeugt sich, nicht tief. Die beiden Jungspunde, die sie begleiten, informiert sie: “Lauden von Horstenfels. Lauden fungiert als neutraler Eratz für Lord und Lady. Wenn wir über Lauden Léonide von Horstenfels sprechen, nutzen wir die Pronomen ‘as/sain/iem/as’. Ist das noch richtig?”

Léonide nickt. “Gedenkst du, euch bei mir einzuladen?”

“Ich hoffte, dass ihr mir zuvorkommt, Lauden von Horstenfels”, entgegnet Luna.

“Und warum sollte ich das tun?” Vielleicht, überlegt Léonide, sollte as gerade kein schäkerndes Spiel mit diesem Vampir spielen, während andere daneben stehen und nicht verstehen, worum es geht.

“Ich backe euch Kekse?”, schlägt Luna vor.

Es ergibt überhaupt keinen Sinn, dass Luna Léonide euchzt. Aber sie tut es trotzdem. Bei wem hätte sie sonst die Gelegenheit, diese Form mal zu nutzen, wenn nicht bei dem alterwürdigen Enby dieses Dorfes. Ein Gentleenby, kurz Genby? Die nicht-binäre Gentleperson in town, jedenfalls.

Léonide seufzt und gibt den Eingang frei. “Du weißt immer, wie du mich kriegst.” As scheucht den Besuch in ein kleines, gemütliches Wohnzimmer mit Kamin. Und Unordnung. Wen schert es.

Léonide nimmt auf dem Sofa Platz. Der niedrige Couchtisch davor, ein filigranes Teil aus dem letzten Jahrhundert, hübsch lackiert, ist immerhin gewischt. Luna nimmt im Ohrensessel Platz. Marcin bietet Kendra den zweiten Sessel an, ein kleinerer in rosa. Léonide rechnet halb damit, dass also Marcin in den sauren Apfel beißt und zu ihr aufs Sofa kommt, aber dieser nimmt sich stattdessen den Klavierhocker vom Kurzflügel weg und stellt ihn an den Tisch. Er hat auffällig lang am Kurzflügel verharrt. Ob er ihn spielen kann?

“Was verschafft mir die Ehre?”, fragt Léonide. “Gedenkst du mich zu töten?”

“Oh, möchtet ihr?”, fragt Luna. Ihr Ausdruck ist freundlich und vermittelt zugleich Bereitschaft.

Léonide verengt die Augen leicht. Sie mag das Spiel, aber das ist eine Grenze, wo sie dann doch lieber ernst wird. “Das war eigentlich nicht die Frage. Irgendwann vielleicht, wenn du willst. Ich möchte vorher noch Testamentsdinge und so machen.”

“Dabei kann ich gern behilflich sein”, bietet Luna an.

Das ist neu, denkt Léonide. “Dass du es eiliger hast als ich, ist schon etwas creepy.”

“Oh, in diesem Fall war mein Anliegen vor allem Übung mit Formalem zu gewinnen.”, lenkt Luna rasch ein. Ihre Überraschung über das Missverständnis wirkt echt. “Ich will ja nun Assistenz sein. Von Kendra.”

Léonide wirft letztgenannter einen abschätzenden Blick zu. “Du bist für sie hier?”

“Kendra sucht eine Bleibe im Dorf. Eine, die besser kompatibel mit ihrer Behinderung ist als Brans altes Dachgeschosszimmerchen, und eine, wo auch ihre Mutter mit hinziehen kann.”, legt Luna offen.

“Und ihre Assistenz, nehme ich an.” Léonide betont es nicht als Frage und hofft doch auf eine klare Antwort.

Luna nickt zögerlich. “Es wäre mir eine Ehre, mylauden. Wenn ihr die Menge Zimmer übrig habt?”

Léonide schüttelt mit einem schnaubigen Grinsen den Kopf. “Ich brauche die meisten Zimmer nicht so richtig, da hast du schon recht”, sagt sie. Sie zählt mit ihren Fingern die Zimmer in ihrer Vorstellung ab. “Ich sollte vier frei machen können.” Sie nickt Kendra zu und dann zu einer Tür auf einer kleinen Empore im Hintergrund. “Das ist mein Arbeitszimmer. Ich denke, wenn du hier einzögest, dann wäre wichtig, das es unten und nah bei der Küche ist. Ich habe mich aus den Gründen schon im alten Waschzimmer ausgebreitet und es entsprechend an meine Bedürfnisse angepasst. Das sollte mit dem Zimmer auch gehen. Ich arbeite nicht mehr so viel, dass ich ein Arbeitszimmer dafür brauche.”

“Wäre es etwas, was ihr bereit wäret, zu ermöglichen?”, fragt Luna.

“Ich vermute, ohne Bezahlung?”, fragt Léonide.

“Ich zahle Miete für das Zimmer bei Angela”, widerspricht Kendra. “Wir können das erübrigen.”

“Erübrigen!”, betont Léonide. “Also ohne Bezahlung. Wenn du und deine Mutter euch nicht zu doll dagegen wehrt. Marcin ist auch ohne Bezahlung fein. Luna zahlt in Keksen. Sonst noch etwas?”

Kendra weiß nichts zu erwidern, aber sie fühlt sich sehr merkwürdig. Einfach von einer fremden Person ein Zimmer aufgedrückt zu bekommen. Was das für eine monatliche, finanzielle Entlastung darstellen würde! Es fühlt sich ungehörig an.

“Ich hatte gar nicht nach einem Zimmer gefragt”, hält Marcin fest.

Léonide zuckt mit den Schultern. “Ich gehe das jetzt auch erstmal alles in Gedanken durch”, erwidert as. “Ich denke, es ist halt so aus sozialer Sicht sinnvoll, diese Sache zu machen, aber es ist auch eine ganz schöne Umstellung für mich. Ich habe es eigentlich gern ruhig. Aber ihr seid gute Leute, wenn Luna euch mitgebracht hat.” As seufzt. “War es das denn? Oder soll, keine Ahnung, noch irgendwie ein Drache einziehen oder so.”

“Ich dachte daran, euer Wohnzimmer als Folterkammer umzugestalten”, wirft Luna ein, bevor zu auffällig ist, dass Marcin sich erwischt fühlt. Wenn er über seine Ungeheuer reden will, dann von ihm aus und nicht, weil er sich verrät.

“Jetzt wird es interessant!”, betont Léonide.