Enttäuschungen

Eine Woche später – Mirash hatte vom Spiel kaum mehr Pause als für Körperversorgung gemacht – saß as früh morgens nachdenklich in der Dramaturge und beobachtete die Ziege. Antagone kümmerte sich um sie. Antagone war ein Kind, das bei diesem Spiel mitspielen wollte, aber eher nicht bei den Straßenschlachten beteiligt werden mochte. Oder nicht sollte, da war sich Mirash nicht sicher. Flammenfinger betreute es hier. Sey gab sich als sein Elter aus. Ob sey das nun im Outernet auch war, oder nur im Spiel, wusste Mirash auch nicht.

Was Mirash nicht gewusst hatte, als as sich für Zeit entschieden hatte, war, dass die Zeitfraktion als Motivation zum Lernen die Türen auch von innen mit Zeittricks verschlossen hatte. Vorgesehen wäre gewesen, dass Mirash eben so lange die entsprechende Magie trainierte, bis as die Türen selbst öffnen und sich dadurch freier bewegen könnte. Zeitkick war eine geduldige Lehrkraft. Nicht alle in der Zeitbasis waren das. Mirash hatte Unterricht bei verschiedenen Personen, die versuchten, guten Unterricht zu machen, aber für Mirash funktionierte ihre Form von Motivation nicht. Vor allem der künstliche Freiheitsentzug, damit das Öffnen der Türen am Ende als Belohung funktionieren könnte, löste eher Trotz in Mirash aus. “Du spielst noch lange genug, wenn du mit Zeit überhaupt etwas anfangen willst. Du wirst die Welt hinterher besser kennen und verstehen als die meisten der Spielenden in den anderen Fraktionen. Aber für Zeit brauchst du halt Geduld.”, hatte Holgem motiviert. Wenn sie mal selber da war. Sie war viel unterwegs. Ein anderen Mal hatte sie zu Mirash gesagt: “Das ist eben das, was passiert, wenn du einer Gruppe joinst, die ein Gefüge hat, das nicht so gut zu dir passt. Aber mach dir keine Sorgen. Irgendwie raufen wir uns schon zusammen.”

Zeitkick hatte Mirashs Unbehagen mit der Situation früh erkannt, aber zunächst gemeint, dass es ja bald besser würde, wenn Mirash einen bestimmten Satz an Fähigkeiten hätte, und ob as sich nicht einfach darauf für diesen endlichen Zeitraum einlassen könne, aber als Mirash sich bei ihr erkundigt hatte, wo as respawnen würde, wenn as von der Festung herabspränge, hatte sie Mirash wortlos die Tür geöffnet, durch die sie gekommen waren. Mirash hatte sie zögernd betrachtet, versucht, den Gesichtsausdruck zu entschlüsseln, und dabei wohl irgendeinen Verteidigungsmechanismus bei ihr ausgelöst. Ihre letzten Worte waren gewesen: “Du wolltest doch unbedingt raus. Geh doch, wenn du glaubst, dass das besser ist und du dich so sehr über den Dingen fühlst.”

Das jedenfalls ließ Mirash nicht kalt. Nun saß as hier und grübelte. Es war früh morgens im Outernet. In Lunascerade war nie so richtig Tag, aber dünnes Licht fiel durch eine unrealistisch dunkle Wolkenschicht. Der Bodennebel waberte durch mehrere Stockwerke der Stadt und war deshalb vielleicht nicht mehr nur Bodennebel. Auf der anderen Seite war in dieser stockwerkrigen Stadt überall Boden. Das Wasser glimmte grünlich.

Mirashs Blick wurde von der Ziege auf sich gezogen, die sich in ein Kuscheltier verwandelte. Antagone hob sie auf und kam zu Mirash an den Tisch. “Hast du einen Stift?”, fragte es.

Mirash schüttelte den Kopf. Aber nun fiel ihm auf, dass der Fleck auf der Ziege, der wie ein Geist aussah, in Kuscheltierform anders wirkte als vor der Verwandlung. “Bleiben die aufgemalten Muster, wenn sie sich zurückverwandelt?”, riet as.

Das Kind nickte und drückte ihm das Kuscheltier in die Arme. “Ich frage Flammenfinger nach Stiften. Passt du auf?”

Mirash versprach es. Aber bevor das Kind mit Flammenfinger zurückgekehrt war, plöppte Gate wieder in ziegenartigere Ziegenform zurück, muhte und stieg von Mirashs Schoß auf dem Tisch. “Du bist wirklich eine schöne Ziege.”, murmelte Mirash.

“Deine Fresse kommt mir vage bekannt vor.”, begrüßte Flammenfinger mit klangvoller Stimme. Und fügte dann hinzu: “Entschuldige, ich drücke mich mal wieder vulgär aus. Soll ich mehr auf meine Wortwahl achten?”

“Ist es abfällig gemeint?”, fragte Mirash statt einer klaren Antwort.

“Hast du Sorge?”, fragte Flammenfinger. Sey komplimentierte die Ziege vom Tisch und setzte sich Mirash gegenüber. “Hast du was dagegen, dass ich mich zu dir geselle?”

Mirash schüttelte den Kopf. “Also, dagegen, dass du dich setzt, habe ich nichts. Wir sind nicht im Grünen auseinandergegangen, glaube ich. Wir waren für letzte Woche morgens verabredet, weil du mich ein bisschen einführen wolltest. Ich könnte verstehen, wenn du sauer bist, wäre aber über direktere Kommunikation dankbar. Also, ja ich habe Sorge, dass das abfällig gemeint war.”

“Ah, da warst du ganz in Rosa, richtig?”, fragte Flammenfinger.

“Das ist korrekt.” Mirash setzte den Zylinder ab und platzierte ihn am Rand des Tisches.

“Und dann bist du in die Zeitfraktion eingetreten und sie haben dich ein bisschen festgenagelt.”, mutmaßte Flammenfinger.

Mirash nickte. “Du weißt wohl besser als ich, wie das da zugeht.”, mutmaßte as.

“Davon gehe ich auch aus.” Flammenfinger seufzte theatralisch. “Ich nehme dir nichts übel. Als wäre ich als Leitung dieses Ladens nicht gewohnt, mit verschiedenen Formen von Zuverlässigkeiten oder Unzuverlässigkeiten zurecht zu kommen und sie einzuplanen. Am Morgen nach unserem Kennenlernen ging ohnehin einiges drunter und drüber.”

“Ist etwas Spannendes passiert?”, fragte Mirash neugierig.

“Emeralone ist verschwunden.”, sagte Flammenfinger. “Das war die Person mit Korona auf der Bühne.”

Mirash erinnerte sich an den beeindruckenden Auftritt und nickte. “Verschwunden heißt dann zwingend was anderes, als dass rie gerade einfach nicht online ist?”

Flammenfinger wiegte den Kopf. “Es kann sein.” Sey betonte das Verb sehr skeptisch. “Das wäre äußerst untypisch.”

“Gibt es Mutmaßungen?”, fragte Mirash.

“Einige.”, sagte Flammenfinger. “Emeralone trägt nicht ohne Grund diesen Namen. Rie liegt mit einigen so ein wenig im Clinch.”

Mirash runzelte die Stirn. “Sollte mir der Name etwas sagen?”

“Sagt dir Rubin Hood etwas?” Flammenfinger legte die Flammenfinger aneinander. Der Trick verfehlte einfach nie eine gewisse unterstreichende und ästhetische Wirkung.

“Rubin Hood.”, wiederholte Mirash nachdenklich für sich. “Emeralone. Uffz, das ist schwierig. Emerald, ist der niederelbische Name für Smaragd, richtig?”

“Ja, du bist da was auf der Spur.” Flammenfingers Lächeln nahm fast ser ganzes Gesicht ein.

“Aber Melone wiederum ist Kadulan für Bowler Hat. Das Gemisch aus Kadulan und Niederelbisch ist also genau umgekehrt als bei Rubin Hood. Vielleicht wäre das Rätsel einfacher gewesen, hätte Emeralone auch eine Melone getragen.” Mirash war trotzdem gerade etwas von sich selbst angetan, das Rätsel geknackt zu haben.

“So einen hatte ihs früher. Der Hut wurde schon vor gut einem Monat gestohlen. Es war ein besonderer Hut, der das gleiche violette Schillern hatte wie ihs Haar.” Flammenfinger senkte den einen Unterarm auf die Tischplatte, um sich dort abzustützen und den anderen in das Fell der Ziege, die neben Flammenfinger aufgetaucht war. “Rie wollte ihn nicht durch eine einfachere Melone ersetzen.” Die Ziege muhte leise und genussvoll. “Jedenfalls ist rie bekannt für romantisierte Verbrechen: Rie bricht mit einer Gruppe von Leuten in Basen ein, stielt Reichtum zu und verteilt ihn unter den sozusagen Armen. Das macht verständnisvoller Weise einige hier nicht unbedingt glücklich. Andere schon.”

Mirash konnte sich gut vorstellen, dass Emeralones erstes Ziel die Zeitbasis sein könnte. Das Thema war spannend, aber saine Aufmerksamkeit wanderte vorübergehend zu Antagone. Es hatte sich durch den Raum bewegt und hockte nun am Rand des Wassers. Etwas Großes lugte aus dem Wasser und schmiss sich platschend wieder hinein.

Flammenfinger drehte sich nicht einmal um. “Henne, der Hecht.”

“Wer hat den Hecht Henne benannt?”, fragte Mirash und lachte auf.

“Antagone. Hast du Einwände gegen den Namen?” Flammenfingers Sprachmelodie ließ keinen Zweifel übrig, dass die Frage zwar spielerisch gemeint war, aber ‘ja’ eine unzulässige Antwort sein würde.

“Kein Stück. Ich mag Gewagtes.” Was ja auch stimmte.

“Das gefällt mir an dir.”, sagte Flammenfinger leiser. Ohne das ganze aufgesetzte Theater in der Stimme, mit dem sey sonst absichtlich sachte übertrieb. Oder war das Entfernen dieser Theatralik auch ein dramaturgischer Trick?

In Mirash jedenfalls floss ein heißes Gefühl die Luft- oder Speiseröhre hinab und bildete einen plötzlichen Sog in sainem Brustkorb. Flirtete Flammenfinger mit ihm? Und die viel wesentlichere Frage, sollte as zurückflirten? “Du bist zu gut zu mir.” As bemühte sich dabei, einen spielerischen Ton in die Stimme zu legen. Die Antwort auf die eigene Frage war wohl ein vorsichtiges ‘ja’.

Flammenfinger betrachtete Mirash ausführlich. “Du siehst so aus, als hättest du nur diesen einen Satz Kleidung, in dem du ziemlich drangsaliert worden bist.”

Mirash schürzte die Lippen und nickte. “Bin ich wohl, und ja, ich habe nicht mehr.”

“Steht dir. Ob du willst oder nicht.”, sagte Flammenfinger mit einem Grinsen. “Ich habe nicht sehr viel schwarze Kleidung da. Ich könnte dir einen Samtumhang bieten. Umhänge sind nicht sehr praktisch, aber immerhin hat er einen leichten Rüstwert gegen Magnetismus. Eisenwaffen, solange du sie darunter trägst, werden weniger stark von Feldern beeinflusst.”

“Das ist ein außerordentlich liebenswürdiges Angebot.”, sagte Mirash. “Ich habe Bedenken, wenn ich in die Zeitbasis zurückkehre – sollte ich mich dazu entscheiden –, dass daran dann für alle erkennbar sein würde, dass ich weg war. Was womöglich auch nicht so schlimm ist. Aber.”

Flammenfinger hörte zu lächeln auf. Und nickte gemächlich. So verständnisvoll hatte sey vielleicht noch nie gewirkt. “Da steckt so viel drin, in dem, was du sagst.”, murmelte sey. “Hier, nimm die Ziege, wenn du willst.” Sey reichte Mirash die Ziege, die nun wieder Kuscheltierform hatte.

“Ich glaube, Antagone wollte sie bemalen.”, murmelte Mirash, als as sie entgegennahm. Sie war noch weicher als vorhin. Mirash erinnerte sich daran, dass die Ziege as am Anfang geheilt hatte. “Bist du sicher, dass die Kräfte so zufällig verteilt werden? Oder könnte ich Gate etwa sympathisch sein?”

Flammenfinger kicherte leise und warm. “Irgendwann hat sie sich mal überraschend mit Laserblick umgeschaut und dabei so einige Leute zerlegt, die dachten, sie würden von ihr gemocht. Nun, sie sind einfach respawnt, aber das Grammophon hat nun nur noch einen halben Trichter. Einiges vom Dachgebälk kam herunter und musste ersetzt werden. Und wir hatten den Genuss einer Wasserheizung. Die hat es auch zerlegt.”

“Wie sieht das so mit Angst vor der Ziege aus?”, fragte Mirash.

Flammenfinger zuckte mit den Schultern. “Zweierlei hält uns vom Fürchten ab.” Flammenfinger hielt zwei Finger hoch und entflammte sie nacheinander. “Sie ist niedlich. Und wir können uns ohnehin nicht schützen. Sie wohnt hier und macht Chaos. It is, how it is.”

Der Hecht sprang ein weiteres Mal aus dem Wasser und planschte. Mirash konnte beobachten, dass das Kind den Hecht schminkte. Henne schien das zu freuen. Und Mirash beschloss, dass Antagone dann wohl im Moment genug damit beschäftigt war, Tiere anzumalen, und nicht zur Ziege gerufen werden musste. Irgendwie löste das aus, dass Mirash sich erlaubte, die Kuschelziege für sich zu kuscheln und das tat gut. Die Ziege nutzte diesen Moment, um sich zurückzuverwandeln, blieb aber mit dem Bauch über Mirashs Schoß liegen wie eine Katze. Um der Sache die Krone aufzusetzen miaute sie. Eine sehr schwere Katze allerdings.

“Okay, es könnte wirklich wirken, als würde sie dich mögen. Sie hat da wohl einen ähnlichen Geschmack wie ich.”, räumte Flammenfinger ein. “Verlass dich nur nicht zu sehr darauf.”

Das war flirten, beschloss Mirash und blickte, die Arme um die Ziege geschlungen, zu Flammenfinger auf. “Ist der Rat auf die Zuneigung der Ziege bezogen, oder auch auf deine?”

“Beide.” Flammenfinger setzte sich sehr gerade hin und überschlug die Beine. “Warum bist du hier? Was ist dein Begehr?”

“Ich kenne kaum einen anderen Ort. Ich habe keine anderen Kontakte außerhalb der Zeitbasis.”, sagte Mirash. “Aktuell ist mein Begehr, von dir ein paar Dinge in Erfahrung zu bringen. Vielleicht die versprochene Einführung in verspätet. Wichtiger noch, was du damit gemeint hast, dass in dem, was ich sagte, sehr viel drinstecke. Und vor allem: Flirtest du mit mir?”

“Wenn du willst, flirte ich mit dir.”, antwortete Flammenfinger in bewusst anzüglichem Ton auf die letzte Frage.

Ein weiteres Ziehen oder Rauschen lief durch Mirashs Körper. “Was wäre es sonst, was du da tust, wenn ich nicht wöllte?”

“Schöner Konjunktiv.”, kommentierte Flammenfinger. “Herumgealbere? Für mich macht das keinen Unterschied. Ich bin gern spielerisch albern mit Personen, die ich mag, bin sehr offensiv damit, zu sagen, dass ich sie mag, und versuche dabei, nicht unangenehm zu sein. Bitte sag mir ins Gesicht, sollte ich letzteres sein und es nicht anders mitbekommen.”

Mirash nickte. “Ich mag dich auch.” Die Worte waren schneller aus sainem Mund, als as mit einer bewussten Entscheidung dafür gebraucht hätte. “Ich mag den Flirt-Stil sehr gern. Ich sollte vielleicht dazu sagen, dass irgendwelche romantischen oder fast beliebigen anderen Anziehungsgefühle bei mir beim Kennenlernen oft sehr stark sind und dann schnell verblassen.”

Flammenfinger lächelte sanft und senkte den Blick. Ein perfekter Theaterblick, so wie das eben maskiert möglich war, mit schöner Handgeste, gerade so nicht übertrieben. “Sehr fair, dass du das dazusagst. Du bist mir aber auch keine Rechenschaft schuldig.”

Mirash wünschte sich auf einmal Flammenfingers Finger irgendwo an sainer Wange. Aber fühlte sich zu unsicher, das Gespräch darauf zu lenken. “Was ist mit den anderen Fragen?”

Flammenfinger legte die Finger über den halben Tisch entfernt von Mirashs Gesicht wieder aneinander. Sie sprühten dieses Mal nur Funken, die ungewöhnlich langsam durch die Luft flirrten. “Was macht dir Angst daran, dass andere in der Zeitbasis herausfinden könnten, dass du hier gewesen bist? Kannst du noch keinen Zeitverlangsamungszauber, der dem Abbremsen eines gewissen Schlüssels dienst und solltest nicht hier sein können?”

Mirash nickte nicht zu offensichtlich aber schmunzelte. “Und wenn es so wäre?”

“Wie bist du rausgekommen?”, fragte Flammenfinger.

“Du sagtest, es stecke viel drin in dem, was ich sagte. Nicht, dass du einen Haufen Fragen hättest.”, erinnerte Mirash, statt zu antworten.

“Egal, wie du die Fragen beantwortest: fast alle der Motivationen, die du haben könntest, den Umhang abzulehnen, sprechen dafür, dass du eine Enttäuschung erlebt hast. Im wörtlichen Sinne. Dass du etwas anderes erwartet hättest, als du vorgefunden hast.”, sagte Flammenfinger und bemühte sich, einfühlsam zu klingen, was dieses Mal nicht so gut klappte. Und Mirash fragte sich, ob das Absicht war. “Und dann hast du diese ominöse Sache gemacht, in Frage zu stellen, ob du überhaupt zurückkehrst.”

Mirash nickte zögerlich. “Eigentlich möchte ich schon.”, sagte as. “Ich bin übrigens Mirash. Irgendwie fühle ich mich gerade danach, als könnte ich dir das Mal sagen.” War es ein unterbewusstes Ablenkungsmanöver sainerseits?

“Ich danke dir.”, sagte Flammenfinger. “Es wäre bei einem dritten Treffen zwischen uns, solltest du zwischendurch neue Kleidung erlangen, vielleicht auch anstrengend geworden, so zu tun, als hätte ich das noch nicht gewusst.”

Mirash hob eine Augenbraue und runzelte die Stirn. Zum Glück waren gerade beide Ausdrücke als Kombination sehr passend. Mirash konnte ersteres nicht ohne letzteres. “Du hast mir was vorgemacht und wusstest es die ganze Zeit.”

Flammenfinger hörte nicht zu lächeln auf und nickte schuldbewusst. “Es tut mir leid. Berufsgewohnheit.”

“Woher weißt du meinen Namen?”, fragte Mirash.

“Du bist eine Woche im Spiel und ich habe Kontakte. An mir geht nicht so leicht etwas vorbei.”, antwortete Flammenfinger.

“Wie sehr hängt deine plötzliche Offenheit damit zusammen, dass andere das wissen und mir mitteilen würden, dein Vorspielen also rasch auffliegen würde?”, fragte Mirash.

Flammenfingers Lächeln erlosch. “Nicht.” Sey machte eine Pause, von der sich Mirash nicht sicher war, ob sie für Drama da war. “Ich fand es nicht fair, dich im Unwissen zu lassen, nur weil du im Gegensatz zu den meisten hier Spielenden das Game nicht so beherrschst, zu erkennen, was wo zwischen den Zeilen gespielt wird. Die meisten hätten mein Spiel längst durchschaut.”

Mirash spürte das irritierende Gefühl des eigenen glatten Gesichts und innerer Ruhe, während as wusste, wie sehr so eine Aussage andere Leute verletzen konnte. Zeitkick zum Beispiel, das hatte as inzwischen mitbekommen. Zeitkick hatte ein Problem damit, wenn mit ihr über ihre Schwächen gesprochen wurde. Das hatte Mirash in den zwei Unterrichtseinheiten miterlebt, in denen Holgem sie beide gelehrt hatte. Es war interessanter Unterricht gewesen, aber Zeitkick war hinterher mental etwas fertig gewesen.

Mirash verletzte es nicht. Trotzdem fühlte es sich für as unkomfortabel an, auf Flammenfingers Gutmütigkeit angewiesen zu sein, und as fragte sich, was as noch nicht durchschaute.

“Du möchtest gern zurückgehen, sagtest du. Aber vorhin hast du es in Frage gestellt.”, lenkte Flammenfinger halb vom Thema ab. “Es geht mich nichts an, aber wenn du darüber reden möchtest, bin ich gern da.”

Mirash schüttelte den Kopf. “Ich mag das Element Zeit. Ich mag zumindest ein paar Leute in der Zeitfraktion. Ich habe mich früher von Lehrmethoden nicht beeindrucken lassen, weil ich das Fach interessant fand und nicht, wie es vermittelt wurde. Ich denke, irgendwie wird das hier auch funktionieren.”

Die Ziege kommentierte dies mit einem lauten Muhen und zappelte mit den Hufen, bis Mirash sie von sainem Schoß herunterließ.

“Schwierig.” Flammenfinger neigte den Kopf. “Lehrende wollen ihre Lehre natürlich gut bewertet haben. Das ist der einzige Skill-Mechanismus. Wenn du nicht lehrst und dafür gut bewertet wirst, kannst du die Qualität oder die Anwendungsdauer einer Fähigkeit nicht steigern.”

“Was, wenn ich nicht gut bewerte?”, fragte Mirash. “Was wollen sie dann schon machen? Außer ihre Lehre an meinen Bedarf anpassen.”

“Warum bist du hier? Warum hast du Angst, mit einem Umhang zurückzukehren?”, fragte Flammenfinger zurück.

Das hatte sey vorhin schon einmal gefragt. Mirash glaubte, dass Flammenfinger hier falsche Vorstellungen hatte, und hatte sie eigentlich nicht korrigieren gewollt. Aber nun fühlte as sich doch danach, weil Flammenfinger etwas für as richtig gestellt hatte. “Nicht meinetwegen.” Es ging um Zeitkick.

“Es geht um die Person, die dich rausgelassen hat?”, schloss Flammenfinger überraschend geistesgegenwärtig.

Mirash erschreckte es fast. “Wüsstest du sogar wer?”

“Ich habe meine Einschätzungen. Wenn ich sie ausspreche, kann ich aber vielleicht aus deiner Reaktion eine Antwort ablesen.”, warnte sey.

“Ich werde mein Gesicht versteinern.”, versprach Mirash.

“Die Person, mit der du zuletzt weggegangen bist.”, riet Flammenfinger richtig.

Mirash hatte in Gedanken Spontanreaktionen, unterdrückte aber für ein paar Momente wie geplant jeglichen Output. Und ratterte sie dann herunter, als as sich halbwegs sicher war, dass die Fragen sich nicht gut für Mutmaßungen seitens Flammenfinger eigneten. “Deren Namen du kennst, aber warum nicht sagst? Und warum schätzt du das so ein?”

“Natürlich kenne ich Zeitkicks Namen.”, bestätigte Flammenfinger. “Gewohnheitsgemäß nenne ich nur Namen von Personen, die recht bekannt sind. Das ist sie nicht. Wobei ich durchaus das Vergnügen hatte, sie ein wenig kennen zu lernen.”

Mirash entschied, provokativ zu fragen: “Was hältst du von ihr?”

Flammenfinger blickte Mirash lange unergründlich an. Statt, dass einzelne Finger in Flammen aufgingen, loderten sere aneinandergelegten Hände in einer riesigen Stichflamme auf. “Hast du schon Level fünf?”

“Ist das ein Themenwechsel oder hat das etwas mit der Frage zu tun?”, fragte Mirash.

“Es ist ein Themenwechsel.” Flammenfinger klang gefährlich leise. “Möchtest du, dass irgendeine Person eine Antwort auf so eine Frage bekäme, wie ich dich einschätzen würde?”

Mirash senkte den Blick. “Du findest mein Verhalten nicht in Ordnung. Das verstehe ich. Es tut mir leid.”

“Du hast geschaut, wie weit du gehen kannst.”, beruhigte Flammenfinger. “Und vor allem wolltest du herausfinden, wie ich reagiere.”

Mirash nickte. “Es war trotzdem nicht in Ordnung.”

“Es ist ein fieses Spiel. Natürlich darfst du dich entscheiden, fies zu spielen.”, widersprach Flammenfinger. “Meine Reaktion darauf ist eben nur einfach keine.”

Sie schwiegen ein paar Momente. Erst dadurch fiel Mirash auf, dass das Kind mit der Ziege damit beschäftigt war, fangen zu spielen. Der Hecht hatte einen Teil seines riesigen Kopfes auf das Ufer gelegt und sah mit seinen rosa Lippen und dem grell-blauen Lidschatten zu. Die Kiemen verweilten größtenteils unter Wasser. Irgendwo am anderen Ende der Dramaturge hatte sich außerdem ein Grüppchen aus vier Personen zusammengefunden, die leise und immer wieder lachend ein Kartenspiel spielten. Wobei, eigentlich hatte Mirash deren reinkommen vorher wahrgenommen, aber die Wahrnehmung noch nicht registriert.

“Ich habe gestern Level fünf erreicht.”, antwortete Mirash.

“Dann kannst du jetzt ausbilden. Das geht ab Level fünf.”, informierte Flammenfinger.

Das wusste Mirash auch. “Hast du eine bestimmte Person dafür im Auge?” Ausbilden bedeutete vor allem, dass die Dauer oder Intensität der Anwendung der Magie gesteigert werden konnte. Eigentlich reichte für den Schlüsseltrick das Ausgangsmaß, wenn Mirash denn die Bewegungen für den Zauber ausreichend präzise hätte nachahmen können. Die Zeitfraktion fand, dass es ein gutes Mittel der Pädagogik wäre, wenn Mirash diese Präzision erlernt hätte, bevor as ausgebilden würde.

“Mich.”, schlug Flammenfinger vor. “Ich habe gerade zwei, drei Stündchen Zeit. Das sollte, wenn du ausbildest, reichen, dass du eins der Schlösser aufbekommst.”

“Und du profitierst auch irgendwie davon?”, mutmaßte Mirash schmunzelnd.

“Ich würde es hinterher vielleicht endlich auch können. Aber vielleicht braucht es noch ein oder maximal zwei weitere verzweifelte neue Personen in der Zeitfraktion.” Flammenfinger legte sehr sachte die lediglich heiß glimmenden Finger aneinander und lächelte. “Ich verstehe, wenn du den Deal nicht eingehen möchtest.”

Oh, doch, Mirash wollte. Mindestens für Chaos. Aber auch wegen des Flirtens, wegen Flammenfingers Gesellschaft und weil as dann freier wäre. “Du bist also nah an ungefähr zwanzig Wochen Ausbildung für diese Sache.”, widerholte Mirash Zeitkicks Abschätzung.

“Ungefähr. Ich bin hier eines der Urgesteine im Spiel.”, bestätigte Flammenfinger.

Mirash nahm den Zylinder vom Tisch und setzte ihn wieder auf. “Deal.”