Flammenfinger

Das leise Stimmengewirr, dass bei sainem Eintreten für ein paar Momente fast verstummt war, wurde nun wieder lauter. Irgendwo schwappte Wasser, als wäre hier ein See im Raum. Das Licht war schummrig. Mirash trat auf gut Glück einen Schritt zur Seite, um nicht in der Tür zu stehen. Meistens klappte Orientierung selbst ohne viel Sehfähigkeit ganz brauchbar bei ihm.

Irgendetwas Kleines trabte auf as zu und berührte as am Knie. As wich zurück an die Wand neben der Tür. Das mit dem Schritt zur Seite hatte wohl ganz gut geklappt. Von der Berührung ausgehend rann ein Kribbeln durch Mirashs Körper, und als es beim Kopf angekommen war, konnte Mirash plötzlich wieder klar sehen. As leitete die Adrenalin-Energie, die sonst in Erschrecken geflossen wäre, direkt in Beobachten und Eindrücke Einsaugen um.

Der Raum war weitläufig und hoch. Am linken Rand erstreckte sich ein schmales Wasserbecken, das sich zur hinteren, linken Ecke zu einem See vergrößerte. Die Wasseroberfläche spiegelte das Fackellicht, aber leuchtete auch selbst sachte cyan. Aus dem See ragte eine kleine Insel mit Bühne, auf die vom trockenen Teil des Raums eine Brücke führte. Unterhalb der Bühne auf der Insel lehnte eine Nixe an einem kleinen Hügel und schnitzte an irgendetwas. Im Raum verteilt standen Tische mit Stühlen. Auf manchen davon saßen Leute, aber viele Tische standen leer und noch mit umgekehrt darauf platzierten Stühlen im Raum verteilt. Am anderen Ende des Raums befand sich eine Art Tresen. Der Aufbau machte den Eindruck einer Bar außerhalb des Hochbetriebs. Allerdings wirkte der Tresen nicht wie einer, wo ausgeschenkt würde, eher wie ein Empfangstresen für ein Theater oder so.

Mirash schrak zusammen, als das Wesen as erneut in der Kniekehle berührte. Die Ziege war nicht besonders groß. War sie gerade unsichtbar gewesen? Mirashs Sehfähigkeit war auch außerhalb von Virtualitäten ein wenig eingeschränkt, aber eigentlich glaubte as, die Ziege andernfalls gesehen haben zu müssen. “Guten Tag, Ziege.”, begrüßte Mirash das Tier.

Die Ziege flackerte als Antwort kurz, und galoppierte, nach einem intensiven Blick in Mirashs Gesicht, davon, hinter den Tresen zu einer Person, die gerade aus einer unscheinbaren Tür dahinter trat. Eine im Gegensatz zur Tür und eigentlich auch zu allen anderen hier in keinster Weise unscheinbare Person. Sie trug ein ausladendes, leuchtend rotes Kleid mit orangenen Einsätzen, eine zarte, rote Maske, die selbst in dem wenigen Fackellicht glitzerte, und orange-rotes Haupt- und Barthaar, das ihr in glänzenden Locken bis auf die Schultern fiel. Mirash wagte der Ziege zu folgen. Die hier Versammelten wurden dabei wieder leiser und lüfteten ihre Hüte, wenn sie welche hatten. Mirash erwiderte unsicher die Geste mit sainem Zylinder.

“Eine neue Person. Sei gegrüßt!”, sprach die Person in rot, als Mirash sie erreicht hatte. “Ich bin Flammenfinger. Ich leite die Dramaturge. Kann ich dir weiterhelfen?”

“Vielleicht.” As blickte sich noch einmal unsicher um. Die Leute an den Tischen schienen neugierig, aber versuchten nun wieder, ihre Aufmerksamkeit auf Mirash zu verbergen. Als as sich Flammenfinger zuwandte, wurde Flammenfingers Name für as als Nametag über der hochgewachsenen Person eingeblendet, einschließlich Pronomen. “sey/ser/sem/sem”.

“Bist du neu?”, fragte Flammenfinger.

“Sehr neu.” Vielleicht hatte sey Mirashs wandernden Blick bemerkt, der an Orten hängen geblieben war, die für andere schon gewohnt waren. Zum Nametag etwa.

“Nametags werden angezeigt, sobald eine Person sich vorstellt. Du kannst sie pro Person deaktivieren, wenn du glaubst, sie überall wiederzuerkennen, aber das wiederum wird durch die wechselnde Maskerade natürlich erschwert.”, erklärte Flammenfinger. “Bei mir machen es viele. Das Haar bleibt gleich und ist bislang einmalig.”

Wenn es weiter nichts war, war es eine verhältnismäßig harmlose Form von Machthaben über Personen, deren Namen eins kannte. As überlegte, transparent zu machen, wie as an Spiele heranging, um nicht zu viel verraten zu bekommen. Aber noch war es vielleicht nicht zu viel.

“Du wirkst ganz schön unversehrt für eine so ungerüstete Person, die durch das Kampfgetümmel da draußen musste.”, bemerkte Flammenfinger. Sere Stimme war klangvoll, obwohl sey nicht besonders laut sprach.

Mirash hatte beim Pfeilziehen bemerkt, dass Verschleiß an der Kleidung durchaus verblieb. Es war ein Loch darin gewesen, und zumindest bis Mirash die fremde Person getroffen und nichts mehr gesehen hatte, hatte der Dreck der Wände, an denen Mirash entlanggerutscht war, auf die Kleidung abgefärbt. Das gefiel as ja durchaus, so von der Ästhetik her. Zerschlissenes Rosa mit Dreck war eine fast so gute Ästhetik wie Schwarz. Aber als as nun wieder an sich herunterblickte, wirkte die Kleidung so neu wie zum Spielstart. “Repariert sich Kleidung mit der Zeit?”

“Oh!”, rief Flammenfinger erstaunt aus. “Du bist dann wohl mit den ach so seltenen und zufälligen Heilzaubern der Ziege zusammengeraten. Manchmal tut Gate das. Selten, wenn es wirklich nötig wäre.” Flammenfinger zog sich einen Barhocker heran und setzte sich breitbeinig darauf.

Mirash kicherte. Und hielt sich dann auf. “Gibt es Sozialverhalten, dass Gate verstimmt?” As wiederholte den Namen, wie as ihn gehört hatte. Nicht, wie die niederelbische Vokabel für Törchen oder Gatter, sondern wie das Ende von Agate.

“Vielleicht, aber wir wissen es nicht.”, sagte Flammenfinger schmunzelnd. “Es sieht mehr nach Chaos aus.”

Mirash fühlte sich im Gespräch etwas verloren, stellte as fest. Es hatte angefangen mit der Frage, ob as Hilfe gebrauchen könnte, die halb unbeantwortet und planlos im Raum stand. Mirash überlegte, warum das so war, und kam zu dem Schluss, dass sie mehr Zeit in Anspruch nehmen konnte, aber Mirash noch nicht wusste, ob ihm diese Zeit zugestanden würde. Das ließ sich ja im Vorfeld klären. “Magst du mir eventuell einen Haufen Fragen beantworten?”

Flammenfingers ganzes Gesicht lächelte. Vielleicht schelmisch? “Dazu habe ich mich hingesetzt. Ich habe Zeit, bis die Meute von der Straße reinflutet. Ich schätze, das beginnt in einer halben Stunde.”

Mit dem Zeitrahmen konnte Mirash etwas anfangen. As blickte sich ebenfalls nach einem Hocker um, um sich Flammenfinger gegenüber niederzulassen. As suchte sich eine eher grazile Sitzhaltung aus und genoss den schönen Kontrast. Perfektes Gothic-Bar-Feeling: vertrauter, als es sein sollte, und doch mit einer guten Prise Verruchtheitsgefühl, in rot und rosa. “Ich möchte diese Welt von innen kennen lernen, habe mir also im Vorfeld nichts durchgelesen und keine Tutorials angesehen.”

“Wow!” Flammenfingers Reaktion kam schneller und emotionaler, als Mirash im Spektrum der Erwartungen für wahrscheinlich gehalten hatte. “Das wird ein Spaß!” Sey stützte die Ellenbogen auf den Tisch und legte die Fingerspitzen beider Hände gegeneinander, von denen dabei jeweils eine Flamme emporzüngelte. Über diese hinweg betrachtete sey Mirash sehr aufmerksam und vielleicht etwas belustigt.

“Das wirkt jetzt nicht sehr vertrauenserweckend.”, murmelte Mirash. “Durchaus ästhetisch und atmosphärisch, aber nicht vertrauenserweckend.”

“Was hast du erwartet?”, fragte Flammenfinger mit einem Grinsen. Dann aber verblasste es wieder. “Die Dramaturge ist ein kampffreier Raum. Im Normalfall. Kein intrigenfreier Raum. Ich bin fraktionslos, mein Interesse, an irgendwelchen Intrigen beteiligt zu sein, ist gering, was nicht heißt, dass ich nie an einer beteiligt gewesen wäre.”, erklärte sey. “Das sind vielleicht Argumente, warum ich aus deiner Sicht eine Person sein müsste, der du am Anfang so am ehesten vertrauen solltest. Aber es ist nie verkehrt in diesem Spiel, eine gewisse Grundskepsis allen gegenüber zu haben.”

Mirash nickte bloß. Schob den Gedanken darüber, wie recht Flammenfinger in diesem Punkt haben könnte oder nicht, zur Seite, und wechselte das Thema zurück auf das Anliegen. “Meine Fragen wären:” As hielt einen Moment inne, um sie in sainem Kopf zu sortieren. “Was ist die Dramaturge, was ist ihre Funktion? Lerne ich irgendwann auch, meine Finger mit Flammen temporär zu verzieren, oder ist es für dich besonders, weshalb du Flammenfinger heißt? Ist Schwarz eine Farbe, die nur Personen tragen, die kämpfen? Woher bekäme ich Schwarz? Was bedeutet fraktionslos? Und warum kämpfen die da draußen und worum?”

Flammenfingers Gesicht grinste bei jeder Frage breiter. Sey ließ eine weitere Flamme zwischen den Zeigefingern aufzüngeln, als Mirash seren Namen erwähnte. “Ich grinse, weil ich mich sehr freue.” Trotzdem wirkte Flammenfingers Betonung sehr ernst, als sey dies sagte. “Es ist einfach eine neue Situation mit sehr viel wunderschönem Potential. Und zwar: Die Dramaturge ist ein Austausch- und Kulturtreff. Hier werden Geschichten erzählt, – Prosa, Balladen oder auch mit Musik –, Leute lernen sich kennen, es gibt eine Bühne mit Aufführungen. Die Dramaturge ist außerdem Tauschbörse sowohl für Waffen, Rüstung und anderen Kram, als auch für soziale Ressourcen wie Lehre. Für den Usecase ‘Ich habe keine Ahnung und wüsste gerne Dinge, ich würde gern reinkommen’ ist dies der optimale Ort für Antworten. Und ich kann mich kaum erinnern, wann sie zuletzt wirklich diesem Zweck gedient hat. Ich danke dir!”

Flammenfinger überschlug die Beine, rückte sich näher an den Tresen und zuppelte den Rock wieder zurecht. Mirash musste fast grinsen, als as bemerkte, dass saine Beine dabei automatisch eine mehr gespreadete Haltung einnahmen. Allerdings verhakte as die Zehen übergestreckt hinter dem Barhockerstengel. Die rosa Hose spannte dabei angenehm an den Oberschenkeln. “Die Person, die mich hier hergeleitet hat, war da weniger ausführlich, aber sagte so etwas schon.”

“Weißt du einen Namen?”, fragte Flammenfinger.

Mirash schüttelte den Kopf und beobachtete dabei Flammenfingers Gesicht genau. Keine besondere Regung. Und dann eine, die aber wahrscheinlich nichts mit der Frage zu tun hatte.

Flammenfinger reckte sich, als ein kalter Luftzug durch die Dramaturge fegte und die Fackeln zum Auflodern brachte. Mirash drehte sich auf dem Barhocker herum und erblickte eine sehr zerfledderte Person in einem Schwarzen Frack mit dunkelgrünem Revers und gleichfarbigen Manschetten. Solche Begriffe hatte Mirash im Vorfeld tatsächlich nachgeschlagen. Ein Revers war eine nach außen geschlagene Kante eines jackenähnlichen Überkleidungsstücks. Die Manschetten waren so etwas wie umgeschlagene Ärmelenden. Rosa Zeichen, die Mirash auf die Entfernung nicht erkennen konnte, zierten die Manschetten.

Die Person hob die Arme. Für einen Frack machte das Kleidungsstück die Bewegung überraschend galant mit, aber trotzdem wurde darunter Kleidung sichtbar, die Rüstung sein mochte und nicht weniger zerfleddert wirkte als der Frack. Wie sich Gate wieder von Flammenfinger und ihm entfernt hatte, hatte Mirash nicht mitbekommen, aber nun schnüffelte die Ziege an der Hose der Person. Und muhte.

Eine Person, die schon länger im Raum gesessen hatte, erhob sich und warf einen Blick in ihre Richtung. Mirash vermutete eher, dass Flammenfinger gemeint war, und sah sich gerade rechtzeitig um, um sem nicken zu sehen. Sey wirkte, als wäre ein Umstand geklärt, und richtete sere Aufmerksamkeit wieder auf Mirash, aber Mirash war zu neugierig, was nun passierte. Immerhin brauchte es nicht lang: Die frisch aufgestandene Person nahm der dazugekommenen allerlei Waffen ab, schleppte sie durch den Raum zu ihnen und verstaute sie in einem Fach hinter dem Tresen. Die nun weniger gerüstete Person ließ sich irgendwo nieder.

Mirash wandte sich wieder zu Flammenfinger um und versuchte sich nicht weiter ablenken zu lassen.

“Mein entwaffnendes Lächeln.”, sagte Flammenfinger. “Hier herrscht Waffenverbot außer für die Garde. Wenn ich Gardierende anlächle, übernehmen sie meist die Arbeit für mich.”

Mirash grinste kurz, den Wortwitz anerkennend.

Die Person, die aus dem Gespräch zu schließen zur Garde gehörte, schloss eine hölzerne Tür zu Füßen Flammenfingers im Tresen ab und richtete sich wieder auf. “Haraldin.” Dieses Mal konnte Mirash beobachten, wie mit der Vorstellung Name und Pronomen über ihm erschienen. Haraldin lüpfte die Fliegerkappe. Mirash, die Geste erwidernd, den Zylinder. “Freut mich. Schicker Hut!” Haraldin sagte es, ohne lesbare Freude im Gesicht, aber manchmal war das eben so, selbst wenn welche da wäre, wandte sich wieder um und ging zurück an den Tisch nahe des Eingangs, wo er zuvor auch gesessen hatte.

“Solche Ablenkung wird ab nun häufiger passieren.” Flammenfinger schmunzelte sanft.

“Ja, ich lasse mich leicht ablenken.”, erwiderte Mirash. “Das ist oft gar nicht mal so praktisch.”

Flammenfinger hörte mit dem Schmunzeln nicht auf und beobachtete as amüsiert. “Nicht so praktisch, in der Dramaturge, indeed. Soll ich trotzdem noch Fragen beantworten?”

Mirash nickte. “Ich hatte den Eindruck, du merkst, wenn ich abgelenkt bin. Wenn du damit zurechtkommst, gern.”

Flammenfingers Finger gruben sich in das Fell der Ziege, die plötzlich wieder neben sem aufgetaucht war. Sie flammten dabei nicht. Mirash beugte sich kurz über den Tresen, denn Flammenfingers Barhocker war hoch und die Ziege eigentlich zu klein, als dass as den Rücken hätte sehen dürfen. Aber sie stand mit ihren Hufen auf einer vielleicht dafür bereit gestellten Kiste. Ihr Fell war schwarz und weiß gefleckt. Ein Fleck sah allerdings übertrieben detailliert wie ein Gespenst aus.

“Mit dem Begriff Fraktionen bezeichnen wir die fünf Gruppen, die sich hier battlen. Du kannst dich zu jeder Zeit im Spiel für eins von fünf Elementen entscheiden und dann gehörst du für den Rest des Spiels zu der zugehörigen Fraktion.”, erklärte Flammenfinger.

“Elemente.”, sagte Mirash, gespielt skeptisch. “Wie in Feuer”, Mirash blickte betont auf Flammenfingers aneinander gelegte Finger, “Wasser”, Mirash nickte in Richtung Nixe, “und drei weitere?”

Flammenfinger tat unbeeindruckt. “Kräfte, Optik, Reibung, Transformation und Zeit.”, listete sey trocken auf.

Mirash nahm sich Zeit, zu verinnerlichen, was das für Elemente waren. Wie cool war das denn? Und welches Element verursachte, dass eine Person Flammen werfen könnte? “Du gehörst zu Optik?”

“Ich bin fraktionslos.” Flammenfinger schürzte die Lippen. Hoffentlich nur gespielte Verärgerung. Diese Herzlichkeit von vorhin, die gefühlt den ganzen Raum eingenommen hatte, fehlte nun.

“Entschuldige, du sagtest das schon.” Mirash bemühte sich, etwas bedröppelt zu klingen.

Flammenfinger schüttelte beruhigend lächelnd den Kopf. “Ich spiele mit dir. Ich foppe dich. Mir fällt es schwer, das abzustellen. Kommst du damit zurecht.”

Mirash spürte ein Ziehen in der Brust. Ein Gefühl, das Mirash mit Romantik in Zusammenhang brachte, das sich aber eigentlich viel mehr auf Situationen als auf Personen bezog. Kompliziert zu beschreiben. “Ich mag das.”

Flammenfinger atmete erleichtert aus. “Aber du hast Recht, die Flammen kommen von der Optik-Magie.” Sey nahm die Spitzen der Finger etwas auseinander und erzeugte neue Flammen, als sey sie wieder aufeinander klappen ließ. “Prinzipiell können alle jede Magie lernen. Aber mit einem heftigen Malus oder einer starken Benachteiligung, wenn du so willst, auf alle Magien, die nicht ihre sind.”

“Also, dieses Herumgeflamme, das du da machst, könntest du viel leichter, hättest du dich der Optik-Fraktion zugeordnet?”, rückversicherte sich Mirash.

“Genau.”, bestätigte Flammenfinger. “Insgesamt hast du sowas wie Energiebars pro Fähigkeit. Wenn du eine Fähigkeit anwendest, saugt sich diese Bar leer. Das geht sehr fix, wenn du nicht skillst. Und eben besonders fix, wenn die Fähigkeit einem Element zugeordnet ist, das nicht deines ist. Du kannst aber die Länge der Bars ausbauen, aka skillen, indem du die Fähigkeit lehrst.” Flammenfinger hob das letzte Wort hervor.

“Oh.”, machte Mirash. Grübelte ein paar Momente, und fügte dann hinzu: “Das ist eine sehr interessante Spielmechanik.”

“Indeed.” Flammenfinger machte eine dramatische Kunstpause. “Das ist quasi die Spielmechanik, für die Lunascerade bekannt ist.”

Aus Mirash unerfindlichen Gründen brach diese Erklärung Flammenfingers diese Immersionssache für as nicht. Und as schloss noch etwas. “Du hast dann wohl Optik viel gelehrt, obwohl du überhaupt nicht zum Element Optik gehörst?”

Flammenfinger nickte gewichtig. “Oh, ja.”

Mirash musste unweigerlich grinsen, weil diese Person vor ihm aus ihrer Interaktion gefühlt ein Theaterstück machte. “Warum bist du fraktionslos?”

Diese Frage stimmte Flammenfinger überraschend nachdenklich. Sey strich sich durch den Bart. Irgendwo in der kaum sichtbaren Haut zwischen Maske und Haaransatz bildeten sich ein paar Gedankenfalten. “Also, ich weiß es.”, sagte sey. “Ich wurde das nur lange nicht mehr gefragt und muss mich erinnern. Vielleicht ist es auch eine lange komplexe Geschichte.”

“Geht sie mich etwas an, möchtest du sie erzählen?”, fragte Mirash.

“Es berührt mich, dass du das so respektvoll nachfragst.” Und Flammenfinger schaffte es dabei, so viel Gefühl und Erleichterung in diese Worte zu legen, dass Mirash beinahe geweint hätte, oder aufgeatmet. “Tatsächlich ist es ein bisschen persönlich, aber nicht geheim. Ich würde aber gern andere deiner Fragen vorziehen.”

“In Ordnung.”, stellte Mirash klar. As konnte sich kaum mehr an die Fragen erinnern und hoffte, dass Flammenfingers Gedächtnis da besser wäre.

“Ich heiße in der Tat Flammenfinger, weil ich diesen Trick sehr mag und dafür bekannt bin.”, sagte sey.

“Und es handelt sich dabei nicht um Feuer, sondern nur um die Illusion von Feuer?”, riet Mirash.

Flammenfinger schürzte wieder die Lippen, aber grinste und nickte gleichzeitig. “In einer früheren Version des Spiels hieß das Element mal Strahlengang. Prinzipiell ist das auch die passendere Bezeichnung, weil sich mit dem Element auch andere Dinge aus diesem Welle-Teilchen-Dualismus-Gedöns beeinflussen lassen, wie Elektro-Magnetismus. Aber das ist sehr fortgeschritten und folgt auch Regeln aus der Optik. Und wir haben hier in diesem Zeitalter nicht den Vorteil elektrischer Leitungen, die für eine ausgefeilte Nutzung von Elektromagnetismus als Element von Nöten wären, daher wurde das Element Optik genannt, weil es intuitiver eine Vorstellung vermittelt. Die Idee dahinter ist, dass wir uns Licht von woanders herholen und so umleiten, dass die optischen Bilder von etwas entstehen.”

Mirash erinnerte sich an die Person, die von der Brücke geregnet war, geflackert hatte, und deren Erscheinungsbild dann eine halbe Personenbreite versetzt wieder aufgetaucht war. Und die deshalb das Geschoss nicht versehrt hatte, das sie durchdrungen hatte. Eigentlich nur das Abbild von sich selbst. As nickte. “Ich habe eine grobe Vorstellung.”

“Prinzipiell wird das Fackellicht im Raum dunkler, wenn ich das hier mache.” Flammenfinger ließ wieder eine Flamme auf den zusammengelegten Zeigefingern entstehen, die dann von Fingerpaar zu Fingerpaar hüpften und beim äußeren wieder verlosch. “Aber es handelt sich um so kleine Lichtmengen, dass es kaum merkbar ist.”

“Und du hast den Trick erlernt, weil du gern performst? Eindruck machst, so auf dramaturgische Art?”, riet Mirash.

Flammenfinger lachte leise und nickte dabei. “Wenigstens diese Eigenart von mir ist leicht durchschaubar.”

Mirash freute sich innerlich, etwas korrekt durchschaut zu haben. Das passierte nicht so häufig. Und gerade das fühlte sich plötzlich für dieses Spiel etwas unbehaglich an. Mirash schätzte es als ein Spiel ein, in dem diese Fähigkeit sehr hilfreich sein würde, von der sich as bewusst war, dass as sie nicht so sehr beherrschte. Aber nun, dann war das eben so. Vielleicht machte es Dinge auch einfach aufregender.

“Jedenfalls:”, setzte Flammenfinger wieder ein. “Zu den Farben. Fraktionslose Personen dürfen alle Farben tragen außer Schwarz.”

“Oh, das ergibt Sinn. So etwas habe ich mir fast gedacht.”, fiel Mirash wieder ein.

“Zu jeder der fünf Fraktionen gehört eine Grundfarbe, ein Wappen und eine Farbe für dieses Wappen. Es darf ein bisschen in Schattierungen schwanken, aber ansonsten müssen Zugehörige eines Elements vor allem Schwarz tragen, erkennbar große Flächen ihrer Kleidung in ihrer Grundfarbe und das Wappen nur in ihrer Wappenfarbe. Wobei es verschiedene ähnliche Varianten der Wappensymbole selbst gibt. Hängt mit Generationen zusammen.” Flammenfinger hob eine Hand mit ausgestreckten Fingern, und entflammte je aufgezähltes Element einen davon. »Die Farben für die Elemente:

  • Kräfte hat Dunkelgrün und als Wappenfarbe Rosa.
  • Optik hat Violett und als Wappenfarbe Gelb.
  • Reibung hat Cyan und als Wappenfarbe Dunkelblau.
  • Transformation hat Orange und als Wappenfarbe Schwarz.
  • Und Zeit hat Schwarz und als Wappenfarbe Hellgrau.«

“Das habe ich mir so schnell nicht merken können.” Aber natürlich hatte Mirash bei der Aufzählung versucht, herauszufiltern, zu welcher Gruppe die Person gehören mochte, die as als erste kennen gelernt hatte. Schwarz und eine orange Sache an der Kapuze oder im Nacken. Das klang nach Transformation. Mirash erinnerte sich an die Person, die ihm ganz am Anfang unter der Brücke Raum verschaffen hatte, indem sie den Boden in eine Welle verwandelt hatte. Das mochte auch ein Trick mit Transformation gewesen sein. As erinnerte sich vage an Orange, fragte sich aber auch, ob sain Gehirn das nun ergänzend hinzuerfand. Das passierte ihm manchmal.

Sain Geleitschutz zur Dramaturge hatte etwas in der Richtung gesagt, dass er informiert worden wäre. Das passte womöglich auch dazu. Vielleicht sprachen sich wahrscheinlicher Personen aus der gleichen Gruppe ab.

“Wahrscheinlich ist es sinnlos, wenn ich frage, welches das coolste Element ist?”, fragte Mirash provokant.

Der Gesichtsausdruck Flammenfingers zeigte, dass sem saine Art wohl gefiel. Sey gluckste ein wenig. “Jein.”, sagte sey. “Heute Abend nach den Straßenkämpfen gibt es wieder Aufführungen der verschiedenen Fraktionen. Jede Fraktion stellt ein paar coole neue Tricks auf der Bühne vor.” Flammenfinger deutete auf die Bühne im See, wobei sere ganze Faust und Finger einen kurzen Moment in Flammen aufging.

“Solche wie mit den Flammenfingern?”, fragte Mirash. “Oder welche, die für Kampf relevant sind?” Und fügte dann noch hinzu: “Das klingt bewertend, vielleicht, ich meine das aber neutral.”

“Eher Show-Tricks. Hier herrscht immerhin Kampfverbot, außer auf der Bühne selbst.”, antwortete Flammenfinger. “Wobei häufig die Anwendung der Show-Tricks in Kampfsituationen nur etwas ergänzender Vorstellungskraft bedarf.”

Mirash grinste. “Sowas habe ich wohl.” As liebte es, Konzepte zu übertragen.

“Dann fehlt, wenn ich das richtig im Kopf habe, nur noch die Frage, warum und worum da draußen gekämpft wird.” Flammenfinger holte tief Luft und setzte sich gerader hin. Sere Finger versanken abermals im Fell der Ziege, die gerade neben sem auftauchte. Dieses Mal hatte Mirash beobachten können, dass sich die Ziege dort leise, ein bisschen verschwommen hinbewegt hatte, in einer Art, die bei Mirash zum Anzweifeln der eigenen Wahrnehmung führte. Es waren bei der Ziege einfach unauffällig Dinge off, oder etwas zu schnell, oder verschwommen, wie in Erinnerungen, bloß schon im Geschehen selbst, so etwas.

“Die Frage war noch unbeantwortet, ja. Aber ich kann mich offengestanden nicht mehr daran erinnern, ob das alle waren.”, gab Mirash zu.

“Sie ist jedenfalls einfach und kompliziert zugleich.”, sagte Flammenfinger. “Es handelt sich hier um ein Kampfspiel, das vorwiegend Leute spielen, die sich gern battlen.”

“Aber es gibt Ausnahmen, wie du?”, warf Mirash mutmaßend ein.

Flammenfinger lächelte, aber es wirkte nicht überzeugt. “So ungefähr. Es haben sich viele soziale Gefüge außerhalb des klassischen Spielziels entwickelt.”

Mirash nickte. Die Ziege war schon wieder weg. Ein Luftzug sagte ihm, dass weitere Personen die Dramaturge betreten haben mochten, aber Mirash blickte sich dieses Mal nicht um.

Dafür wirkte Flammenfinger allmählich um so ungeduldiger. “Ich muss mich gleich um etwas kümmern.”, kündigte sey an. “Im Prinzip wird hier gekämpft um des Kämpfens willen. Die fünf Fraktionen gegeneinander. Manchmal gibt es Elementeile, die irgendwo spawnen, um die gekämpft wird. Und es gibt Kombat-Abende, wo in ganz Fork außerhalb der Dramaturge jede Person gegen jede kämpft. Oder auch kleine Gruppen gegen andere kleine Gruppen. Dann gibt es bestimmte, verabredete Trainingskämpfe. Ich würde wirklich gern weitererzählen, aber die Pflicht ruft.”

Mirash blieb kaum Gelegenheit, zu nicken, geschweige denn, sich in Gedanken die vielen Fragen zu notieren, weil Flammenfingers letzte Auflistung doch sehr schnell gegangen war. Hatte as richtig gehört? Elementeile? Sain Verständnis des Kampfgeschehens in diesem Spiel war nicht unbedingt besonders klar geworden.

Flammenfinger richtete sich auf und schritt durch den Raum in Richtung Tür. Und wie sey schritt. Als gehörte Flammenfinger der Laden, und vielleicht tat er es auch.

Mirash blieb an der Bar hocken und sog die Atmosphäre in sich ein. Flammenfinger sprach mit gelassener und einnehmender Stimme mit verschiedenen Personen, die auftauchten. Wie angekündigt, strömten nun zunehmend mehr in die Damaturge. Flammenfinger beteiligte sich eine Zeitlang beim Abtasten und Verstauen von Waffen, manchmal irgendwelchen Flaschen, vielleicht mit Zaubertränken oder so etwas darin. Sey wirkte nicht unhöflich oder abgehackt, war nur eben nun sehr beschäftigt. Personen näherten sich dem Tresen, machten irgendwelche Angebote oder hatten Nachfragen und Flammenfinger notierte sich vieles in ein riesiges, altes Buch mit schwerem Umschlag. In einer Geheimschrift, die zwar wunderschön war, aber die Mirash nicht entziffern konnte.

Mirash fragte sich, ob das eine Geheimschrift war, die Flammenfinger so zügig zu schreiben gelernt hatte, oder ob es in serer Darstellung der Virtualität gut lesbar wäre. Ob Geheimschriften lesen und schreiben auf diese Art vielleicht ein erlernbarer Skill war.

Die Bestellungen waren etwa welche nach einem neuen Degen mit Antiform-Legierung der Stufe 3. Die gewünschte Länge wurde mit Variationsspielraum angegeben. Eine Person fragte nach einer neuen Lern-Person für Bogenschießen, weil sie darauf skillen wollte. Flammenfinger warf dabei einen Blick auf Mirash, aber brachte sie nicht direkt in Kontakt. “Ich finde dir wen.” Eine Person wollte irgendetwas mit einem Ausbildungs-Duo, eine Gruppe aus drei Transformation-Leuten wollte die Bühne für Mandostag Abend buchen.

Dann endlich gab es eine kurze Lücke im Ansturm. “Längere Erklärungen werden heute Abend nichts mehr.”, stellte Flammenfinger Mirash gegenüber klar. “Ich würde gern, aber ich habe hier halt alle Finger voll zu tun.” Sey hob die Hände und erneut wanderten stimmungsvoll Flammen darüber. “Bist du okay damit, morgen früh wiederzukommen? Ich kenne deine Spielzeiten natürlich nicht.”

“Morgen früh ist fein.”, sagte Mirash. “Ich habe mir nichts anderes für die nächsten Wochen vorgenommen.”

“Wochen!”, betonte Flammenfinger und grinste. “Wunderschön!” Sey unterstrich es mit einer einladenden Geste und einer halben Verbeugung. “Ich freue mich sehr, deine Bekanntschaft machen zu dürfen. Es ist mir eine Ehre.” Und fügte hinzu: “Natürlich ist dies kein Rauswurf. Schau dir gern das Schauspiel an, um die Elemente kennenzulernen. Meine Empfehlung: Lehn dich erst einmal zurück und genieß das Spektakel.”