Vorlese

CN: Explosion – angedroht, Mord (mit Respawn), wenn wir soweit kommen: Massenmord (aber mit Respawn), Messer, Bedrohung mit Messer, andere Waffen, Fäkalien, Feuer (das nicht schadet), Ziege, Kröte, bisschen Ekel?, Flirten

Horanda gehörte zu den Personen, die so etwas wie einen Nebenberuf neben dem Kämpfen für eine Fraktion hatten. Xier kümmerte sich um Gärten. Xier hatte ein Händchen für Nachtpflanzen und fand die meditative Arbeit sehr angenehm, sie auszusähen, zu düngen, zu gießen, zu streicheln und ihnen gut zuzureden – was in diesem Spiel tatsächlich einen Effekt hatte.

(…)

Einer xieser Gärten befand sich im Hinterhof der Dramaturge. Daher kannte sich Horanda dort exzellent aus, kannte die Schwachstellen des Gebäudes und ging dort so regelmäßig mit waffenähnlichen Gegenständen wie Umgrabwerkzeug ein und aus, – von der Brücke durch die Dramaturge in den Hinterhof und zurück –, dass xier mit Schmuggel verhältnismäßig wenig Probleme hatte. Xier hatte schon vor einem halben Jahr herausgefunden, dass die Waffen- und sonstiges Zerstörungsmaterial erschnuppernde Ziege nicht darauf ansprang, wenn xier mit einer Ladung Dung, der auch noch mit den persönlichen Fäkalien der Ziege vermengt war, in den Kulturraum trat, selbst wenn darin gewisse Mengen Sprengstoff verbuddelt waren.

Horanda schob die Schubkarre in den Raum, als er sich schon ein wenig gefüllt hatte, und ließ sie dort stehen, als xier sich wie zufällig in ein Gespräch verwickeln ließ. Die Karre war wegen des Geruchs mit einer Plane abgedeckt. Irgendwann würde sich eine Person beschweren und xier würde sie wieder hinausschieben, aber dann würde Holgem den Sprengstoff daraus schon entnommen haben.

(…)

Holgem hatte Mirash begleitet und spielte nun eine Partie Slik mit der Ziege – die ihre Figuren telekinetisch bewegte und sagenhaft gut spielte. Mirash linste von sainem Spiel mit Flammenfinger immer wieder auf das Brett hinüber. Weil die Ziege die Figuren bewegte, spielte Holgem das Brett. Das hieß, sie verschob immer eine Anzahl von quadratischen Feldern horizontal oder vertikal, auf denen gegebenenfalls Figuren der Ziege standen.

(…)

“Bleibst du zur Vorstellung?”, fragte Flammenfinger an Holgem gewandt.

Holgem schüttelte den Kopf. “Oder besteht Hoffnung, dass Emeralone auftritt? Oder gar Flederschatten?”

“Dachte ich es mir.”, murmelte Flammenfinger und stand auf. “Wenig. Emeralone bleibt verschwunden.”

Mirash runzelte die Stirn, weil Flammenfinger nicht auf die zweite Frage einging. Flammenfinger entfernte sich in Richtung Eingang, weil die Ziege sich dorthin begeben hatte und an der eingetretenen Person sehr ausgiebig schnupperte.

“So sieht das aus, wenn die Ziege Waffen findet.”, murmelte Holgem leise an Mirash gewandt, als Flammenfinger sich weit genug entfernt hatte, um nicht mitzuhören. “Wo wir gerade ein paar Momente für uns haben, dein Slik-Spiel sieht nicht so gut aus, wie es könnte. Willst du heimlich einen Tipp haben?”

“Nö, du?” Mirash kicherte. As hatte eigentlich keinen Plan, wie Holgem ihre Lage verbessern könnte, aber es war ja auch nicht die Rede von einem guten Tipp.

Holgem runzelte die Stirn und lehnte mit einem Kopfschütteln ebenso ab, nun wieder den Blick konzentriert auf das eigene Brett gerichtet.

Die Ziege plättete Holgem in drei weiteren Zügen. Einen davon machte sie mit ihren telekinetischen Fähigkeiten quer durch den Raum. Holgem seufzte und stand auf. “Ich mache mich dann allmählich fertig.”

Das war das Zeichen. Ab nun sollte Mirash möglichst zusehen, Flammenfinger sehr abgelenkt zu halten, wenn sey nicht gerade durch anderes ohnehin abgelenkt wäre. Sey war zum Spielbrett zurückgekehrt, nachdem sich eine neue Gruppe Personen gemütlich hingesetzt hatte, und verbeugte sich knapp zum Abschied in Holgems Richtung.

“Ich wüsste gern mehr über Flederschatten.”, leitete as das Gespräch ein, als sie wieder halbwegs für sich waren. Das war immerhin nicht nur als ablenkende Frage gedacht, sondern as hatte sich das Thema gut im Vorfeld überlegt. “Ist Flederschatten hier schon einmal aufgetreten?”

“Vor sehr langer Zeit.” Flammenfinger setzte sich. Die Worte klangen, als wollte sey damit ein Märchen einleiten. “Die wenigsten der heute Spielenden haben Flederschatten noch auf der Bühne erlebt. Holgem gehört gerade noch dazu. Seitdem ist viel passiert.”

“Was ungefähr?”, fragte Mirash.

“Hat dir deine Fraktion etwas zu diesem übermächtigen Charakter erzählt und du möchtest nun von mir wissen, wie stimmig deren Bild ist?”, riet Flammenfinger richtig.

Mirash nickte. “Und du redest nicht gern über Personen in Abwesenheit.”, fiel ihm ein.

“Ich rede durchaus über Flederschatten. So wie ich auch über Emeralone reden würde. Oder über andere politisch relevante Leute.”, sagte Flammenfinger warm und milde. Dann holte sey tief Luft. “Flederschatten ist ein schwieriger Charakter. Ich versuche, meine Voreingenommenheit mal, so gut es geht, herauszufiltern. Flederschatten ist, das wurde dir wohl nicht vorenthalten, sehr mächtig. (…)”

Flammenfinger machte eine Redepause, in der as eine Frage einwarf: “In welcher Weise bist du voreingenommen?”

“Haben sie dir auch gesagt, dass Flederschatten die Dramaturge mitbeschützt?”, fragte Flammenfinger.

“Angedeutet.” Mirash schmunzelte. “Daher bist du positiv voreingenommen?” Und als Flammenfinger mit einem Lächeln um die Lippen nickte, “Nur deshalb?”

“Wir sind uns in vielen Punkten ganz und gar nicht eins. Ich werde über meine persönliche Neigung nicht im Detail erzählen.”, sagte Flammenfinger. “Aber als Person, die in Fork mit der Dramaturge einen einigermaßen neutralen, friedlichen Hafen stellen möchte, und das Geschenk annehmen kann, dass dieser unter dem Schutz der mächtigsten Person im Spiel steht, habe ich wohl verständlicherweise eine gewisse Motivation, mich nicht so gern in Machtkämpfe gegen Flederschatten verwickeln zu lassen.”

“Du sprichst von neutralem Hafen.”, wandte Mirash ein. “Wenn so ein mächtiger Charakter dermaßen wesentlich zum Schutz beiträgt, ist der Hafen dann noch neutral.”

Flammenfinger lächelte und nickte. “Es ist hier noch nie eine Person zu Schaden gekommen, die auf den Tisch gesprungen wäre und über Flederschatten geflucht hätte. Und ansonsten ist er natürlich nicht völlig neutral. (…)”

“Wie oft kommt so etwas vor? Dass eine Person auf den Tisch springt und über Flederschatten flucht?” Mirash grinste nicht nur bei der Vorstellung über irgendwelche anderen Personen, die dies täten, sondern auch darüber, dass as etwas ganz ähnliches plante. Das würde aufregend werden.

“Häufig.”, antwortete Flammenfinger überraschend trocken.

(…)

As hätte gern mehr über Flederschatten erfragt, stellte aber mit Schrecken fest, wie weit Zeit einfach so weitergelaufen war, und stellte die letzte Frage, die as loswerden wollte, bevor as auf einen Tisch springen und etwas verkünden würde. “Würde es dich wundern, wenn ich mit Flederschatten schon Bekanntschaft gemacht hätte?” Damit wollte Mirash ein wenig auffangen, dass as zuvor über den Charakter ausgefragt hatte, aber gleich so tun würde, als arbeiteten sie zusammen.

Flammenfinger grinste. “Es würde mich überraschen, wenn nicht.”

Mirash hatte mit vielem gerechnet, aber nicht damit, mit einer Antwort auf diese letzte Frage völlig aus dem Konzept gebracht zu werden. As gefror gefühlt zu Stein, bemühte sich, das sein zu lassen, aber starrte Flammenfinger irritiert an. Gleich, gleich, wenn as nichts täte, würde die Dramaturge explodieren. Teile davon. Mirash hatte als Alternative zum erhofften Eingreifen durch Flederschatten durchaus eingeplant, einfach zu verraten, wo die Zeitbomben versteckt wären – sofern sich Holgem an die verabredeten Verstecke gehalten hatte –, aber auch dazu müsste Mirash nun aufstehen.

“Du solltest Schauspiel noch üben.” Flammenfingers warme Stimme war fast ein Flüstern, und enthielt so viel schmunzel-flirtigen Unterton, dass es Mirash abermals wie heißes Öl durchströhmte. Zu heißes Öl.

“Ich mache dann mal schlimme Dinge.”, sagte as leise, mit gefühlt verknoteten Stimmbändern. (…)

Flammenfinger stand auf und machte eine einladende Geste Richtung Tisch, die durch eine Flammenflut im ganzen Raum nicht zu übersehen war, die über sere Arme rann.

Mirash kletterte erst auf den Stuhl, der dabei gefährlich kippelte, und dann auf den Tisch. Es brauchte ein paar wenige Momente vom inneren Zittern, das Mirash selten so sehr spürte, bis die Sicherheit durch as strömte, die Bühnen und Mittelpunkte ihm gaben. Die meisten Blicke richteten sich auf as und es wurde still. Dann sprach as in die Stimmung hinein: “Flederschatten beschützt die Dramaturge, aber hat auch die Macht, sie zu zerstören. Das solltet ihr wissen.”, sprach Mirash. “Zum jetzigen Zeitpunkt befinden sich Sprengsätze mit Zeitauslöser in der Dramaturge. Niemand verlässt den Raum, wenn ihr da draußen nicht von Flederschatten direkt abgefangen werden wollt.” Mirash machte eine kurze Kunstpause und blickte in irritierte Gesichter. Irgendeine Person brüllte, sie habe ja immer vor Flederschatten gewarnt. Eine andere Person hob einen scheinbar brennenden Mittelfinger. Das klappte ja hervorragend. “Ich habe mich Flederschatten angeschlossen und möchte von euch Informationen haben. Was plant ihr gegen Flederschatten? Welche Bündnisse gibt es gegen Flederschatten? Wenn ich in einer Viertelstunde nicht genug Information habe, fliegt hier so einiges in die Luft.” Mirash betonte den letzten Satz mit Genuss. As hatte schon immer Mal so etwas in eine Menge rufen gewollt.

Dann setzte sich Mirash wieder zu Flammenfinger an den Tisch. “So etwa?”, fragte as. “War das Schauspiel nun brauchbar?”

“Sehr interessant.”, murmelte Flammenfinger. “Damit habe ich offen gestanden nicht gerechnet. Du entschuldigst, dass ich dich hier ein bisschen dir selbst überlasse, Antagone mit der Ziege wegschicke und Leuten ihre Waffen aushändige?”

Für Mirash war nicht erkennbar, wie sich Flammenfingers Einstellung ihm gegenüber geändert hätte. Aber nun überschlugen sich die Ereignisse.

Ein paar Personen nahe des Augsgangs versuchten die Dramaturge zu verlassen, wo allerdings nicht Flederschatten, sondern Holgem mit ein paar anderen von der Zeitfraktion warteten und gegen sie antrat. Die Flüchtenden despawnten kurz und schmerzlos, ohne zu wissen, wie ihnen geschah. Die Türen wurden wieder geschlossen. Leute rannten halb panisch durch die Dramaturge, um sich bei Flammenfinger ihre Waffen abzuholen oder sich zusammen zu finden. Viele versuchten, sich schnell zu beraten. Es erklangen viele Flüche gegen Flederschatten, die sich dem ersten anschlossen. Stimmen wurden laut, dass so einem mächtigen Charakter niemals so viel Freiraum gegeben werden dürfe. Andere Stimmen sagten, dass Mirash sich niemals so einem Charakter anschließen würde, oder dass hinter dem ganzen ein anderer Plan stecken würde. So eine Einfallslosigkeit wäre Flederschatten nicht zuzutrauen. Irgendeine laute Stimme, die trotzdem im Getümmel unterging, versuchte, eine Analyse von Mirashs genauem Wortlaut zu vermitteln.

(…)

Und plötzlich spürte as ein Messer am Hals.

“Nicht umbringen!”, schrie eine andere Stimme, panisch, alle anderen übertönend. “Nicht bevor wir wissen, wo die Sprengsätze sind!”

“Wir sterben ohnehin alle! Da kann ich auch vorher gestenreich mitteilen, was ich davon halte.”, schrie die Stimme der Person mit dem Messer direkt neben Mirashs Kopf zurück.

Im nächsten Augenblick wurden die Arme locker, das Messer plumpste an Mirashs Oberkörper entlang in sainen Schoß, ohne as zu verletzten. Die Person löste sich in nichts auf, fühlte sich dabei kurz sehr kalt an. Das Messer, das Mirash nun vorsichtig in die Hände nahm, war alles, was von ihr übrig blieb. Mirashs Blick ruhte allerdings nicht lange auf der verzierten Waffe, sondern wurde von einer riesigen, organenen Kröte vereinnahmt, die mit einem Bauchplatscher auf dem Slik-Brett vor ihm landete. Die Figuren flogen zu allen Seiten weg. Die Superkraft dieser Kröte schien zu sein, dass sie sich nicht lange damit aufhielt, eigentlich Matsch zu sein. Sie regenerierte unscheinbar, während sie sich aufrappelte, und thronte binnen kurzer Zeit in ihrer orangenen, schrumpligen Schönheit auf dem Tisch. Mirash konnte nicht anders, als sie anzulächeln.

In der Dramaturge war es mit einem Mal überraschend leise geworden. “Flederschatten.”, murmelte eine Stimme, fast andächtig. So gut wie alle Blicke und Waffen richteten sich auf Mirash, das immer noch am Tisch saß.

“Die Dramaturge fliegt nicht in die Luft!”, verkündete eine Stimme aus dem Dachgebälk, aber als Mirash nach oben blickte, erkannte as, dass die zugehörige Person schon auf dem Weg nach unten war. Sie fiel erst langsam, dann in Zeitraffer und zum Schluss bremste sie noch einmal rapide ab, sodass sich das kurze, schwarze Cape über dem schwarzen Hoodie nur langsam legte. Auch der schwere, lange, dunkelbraune Zopf brauchte überraschend lang, um die Schwerkraft ernst zu nehmen. Pfeile und andere Geschosse prasselten über ihnen aufeinander, wo Flederschatten eben noch gewesen war, und rieselten anschließend, einen Kreis um den Tisch und sie beide bildend, auf den Boden. Mirash konnte sich nicht so schnell einen Reim darauf machen, wieso die Dinge nicht vertikal fielen.

“Ich würde mich gern mit Mirash unterhalten.”, verkündete die Person laut. “Ich werde mir in diesem Fall nehmen, was ich will, es sei denn Mirash möchte selber nicht. Denjenigen, die lieber nicht so viel verlieren wollen, nicht gegen uns kämpfen wollen, empfehle ich, die Dramaturge zu verlassen. Es besteht dabei wahrscheinlich innerhalb der nächsten halben Stunde keine Gefahr.” Flederschatten knüpfte ein Bündel vom Gürtel unterhalb des Hoodies los und warf es Flammenfinger zu, dey es aus der Luft auffing. “Das ist der entschärfte Sprengstoff.”

(…)

Vielleicht ein Viertel der Anwesenden versuchten – nach und nach erfolgreich – zur Tür zu kommen, während wieder Rufe durch den hohen Raum hallten, dieses Mal eher Kampfrufe. Codes, vermutete Mirash, für Kampfstrategien, die aber Nicht-Eingeweihten wenig sagten. As konnte nicht leugnen, gespannt zu sein, ob as diesen Kampf überleben würde, oder wie er ablaufen mochte.

(…)

“Ich hebe für die nächsten zwei Stunden hiermit das Kampfverbot in der Dramaturge auf.”

Mirash fragte sich, warum Flammenfinger das tat, als das absolute Chaos ausbrach – für wenige Augenblicke. (…) As sah, wie Flederschatten sich unbeeindruckt hinsetzte, als wäre nichts, während im Hintergrund Waffen auf sie zufliegen wollten, aber stattdessen aus der Luft fielen oder ihre Flugbahnen änderten. Flederschatten stützte die Ellenbogen links und rechts neben der Kröte auf den Tisch und legte das Kinn in die gefalteten Hände, während die Personen in der Dramaturge reihenweise despawnten. Das halb maskierte Gesicht lächelte as gelassen an. Dann war alles vorbei. (…) Es schepperte und klapperte im ganzen Raum, und als as sich umblickte war wirklich niemand mehr da. Überall lagen Rüstungen, Waffen, Schilde am Boden und blieben dort teils schaukelnd liegend, oder so vibrierend, wie eine Münze, die angedreht worden war und irgendwann an Schwung verlor. Mit einem vernehmlichen Muhen tauchte die Ziege wie aus dem Nichts auf dem Tresen wieder auf.

“Sie bleibt diesem Ort nie lange fern, sondern teleportiert sich nach kurzer Zeit zurück, wo auch immer sie sonst ist.”, erklärte Flederschatten gelassen.