Diebeserklärung

CN: Verinnerlichte Ace-Feindlichkeit (oder etwas Vergleichbares) gegen sich selbst, Sex, Genitalien, Dildo, Blut, Leiche.

Lilið konnte nicht lange schlafen, obwohl sie doch so erschöpft gewesen war. Erst verarbeitete ihr Gehirn in einer nicht sehr entspannten Traumwelt all die Ereignisse der vergangenen Tage, seit sie auf Allil getroffen war. Dann hatte sie eine Tiefschlafphase, die wenigstens spürbaren Erholungseffekt zeigte, als bohrende Gedanken sie unbarmherzig weckten.

Sie hatte sich etwas vorgemacht. Es war nicht Marusch gewesen, die anfangs eine klare Vorstellung von diesem ‘es’ gehabt hätte, worauf die körperlich gierende Interaktion hinauslaufen sollte, sondern sie. Und der Grund, warum sie sich vorgemacht hatte, es selber nicht zu wissen, war, dass sie eigentlich innerlich schon gewusst hatte, dass sie es gar nicht unbedingt wollte. Je näher sie dem Moment gekommen waren, in dem in ihre Vagina etwas eingeführt würde, desto unwohler hatte sie sich gefühlt. Ironischweise fühlte sie sich enttäuscht darüber, es nicht durchgezogen zu haben. Oder es nicht zu mögen.

Warum? Warum hatte sie darauf zusteuern wollen? Warum wollte sie es immer noch getan haben?

Lilið atmete bewusst tief und leise ein und wieder aus. Sie hatten sich inwzwischen nicht mehr im Arm, aber Maruschs Körper berührte ihren großflächig. Maruschs Atem war gleichmäßig und nur sachte verschnarcht. Lilið mochte alles daran. Es fühlte sich vertraut und sicher an. Und zärtlich und warm. Und als wären sie beide für einander sehr besonders und wertvoll.

Es war eine so penetrant überall gegenwärtige Vorstellung, dass Sex immer auf diesen Moment hinauslaufen müsste, dass ein Penis in eine Vagina gesteckt wurde. Oder etwas anderes, wenn kein Penis zur Verfügung stand. Alles andere war in all den Geschichten und sogar während Liliðs Aufklärung durch ihre Mutter, die auf sie immer so fortschrittlich gewirkt hatte, immer als Vorspiel deklariert worden. Maximal noch als Nachspiel. Nicht als eigentliches Spiel.

Aber Lilið war die Vorstellung davon, etwas in ihre Vagina einzuführen, eigentlich schon immer schlecht vorgekommen. Als sie darüber aufgeklärt worden war, hatte es sie sehr irritiert, dass irgendwer das gut finden könnte. Aber damals hatte sie es darauf geschoben, dass sie als Kind nicht auf die Idee gekommen war. Oder darauf, dass sie in dem Alter noch kein sexuelles Bedürfnis gehabt hätte. Was überhaupt nicht stimmte, stellte sie fest. Sie hatte sich viel angefasst, aber wäre eben nie von selbst auf die Idee gekommen, etwas einzuführen.

Nachdem sie aufgeklärt worden war, hatte sie es mit Fingern getan. Und fast nichts gespürt. Oder es war ihr sogar unangenehm gewesen. Sie hatte sich das damit erklärt, dass die Voraussetzungen für ein Genießen nicht erfüllt wären. Sie hatte sich eingeredet, dass es bestimmt etwas ganz anderes wäre, sobald es während einer Interaktion mit einer Person passieren würde, für die sie empfand wie für Marusch.

Vielleicht hatte sie es daher auch jetzt ausprobieren wollen. Denn wann würde es eine bessere Gelegenheit geben, es zu probieren, als jetzt mit einer Person, die so vorsichtig war und die sie so sehr anziehend fand?

Es würde keine bessere Situation geben. Es gab keine Ausreden mehr dafür, dass sie es nicht mochte. Sie mochte es einfach nicht. Lilið versuchte mühevoll gegen das Gefühl, kaputt zu sein, anzukämpfen.

Das weniger dringliche Gefühl, das sie dennoch störte, war, dass sie eigentlich gern diesen albernen Status, jungfräulich zu sein, losgeworden wäre. Es ergab überhaupt keinen Sinn, und sie konnte sich trotzdem nicht von diesem Konzept lösen. Das Problem hielt sie allerdings für lösbar. Irgendwann würde sie einfach einen Dildo benutzen, nun wissend, dass sie es nicht mögen würde, aber es würde mit dem Wissen dann auch nicht so schlimm sein. Sie könnte es vielleicht jetzt, da sie wusste, dass es nichts für sie war, einfach als Experiment an sich selbst sehen: Genau zu erfahren, wie es sich für sie anfühlte, wie ihr Körper funktionierte und auf was er wie reagierte. Ein Experiment, das sie allein mit sich selbst machen würde.

Es wäre bloß Unfug, einen Dildo anzuschaffen, nur um sich ein wenig auszuforschen und ihn dann nicht mehr zu brauchen. Ob Marusch so etwas hatte und ihr leihen könnte?

Maruschs zartes Schnarchen endete im selben Augenblick abrupt, als Lilið sich die Tür zum Besuchshaus öffnen hörte. Sie wurde auch sofort wieder geschlossen und ein Schlüssel klickte.

Lilið glitt eilig so lautlos wie möglich aus dem Bett. Als erstes zog sie die Jacke über. Sie fühlte sich nicht richtig auf dem nackten Oberkörper an, aber das war egal.

Marusch schlich nackt, wie sie war, richtig Zimmertür und linste auf den Flur. “Niemand da.”, flüsterte sie. “Die Person ist draußen geblieben.”

Oder versteckt sich, dachte Lilið. Aber die Tür war zu kurz offen gewesen, als dass eine Person hätte hineinhuschen können. Und warum sollte sich eine Person einschließen? Es war wahrscheinlicher, dass einfach Dienstpersonal auf einem Rundgang kontrolliert hatte, ob abgeschlossen war.

Trotzdem machte es Lilið nervös, dass Marusch sich das Kleid wieder überstreifte, besonders als sie sich im Stoff verhedderte. Lilið sah im fahlen Morgenlicht, dass durch die Ritzen in den Vorhängen und durch diese hindurchdrang, was zu tun war, und half ihr.

“Danke!”, sagte Marusch und fing an, ihre Sachen in einen Beutel zu stopfen.

Auch das machte Lilið nervös, aber sie verstand, dass es ungut wäre, Maruschs Unterdecke, auf der sie vielleicht Blutspuren hinterlassen hatte, oder das benutzte Handtuch zurückzulassen. Mit Blut wären sie leichter auffindbar, gegebenenfalls Bilder von Lilið rekonstruierbar. Hoffentlich hatte sie nicht noch anderswo welches hinterlassen. Lilið beschloss, statt einfach halb panisch zu warten, die Zeit, die Marusch zum Packen brauchte, damit zu überbrücken, selbst zu packen.

Aber als sie ihre Anzughose in die Tasche schieben wollte, hielt Marusch sie auf. “Zieh die schnell an. Du glaubst nicht, was für einen Vorteil gute Kleidung am Körper darstellt, wenn es ums Ausreden erfinden geht.”, empfahl sie.

Lilið diskutierte nicht lange. Marusch kannte sich besser aus. Als sie mit leicht zittrigen Fingern den letzten Knopf verschloss, machte Marusch noch das Bett. Lilið seufzte innerlich, aber es war nur ein Handgriff. Lilið war schleierhaft, wie Marusch es hinbekam, dass mit einer zackigen Bewegung die Bettdecke ins Segeln kam und sich perfekt glatt hinlegte, als hätte hier niemand geschlafen. Wenn sie es jetzt schafften zu fliehen, würden sie es also ohne sofort offensichtliche Spuren tun.

Lilið schob vorsichtig die Vorhänge ein Stück beiseite, um zu sehen, ob die Luft rein war. (Dieses Mal ging es um Draußenluft, da ergab das schon Sinn.) Es sah alles ruhig und still aus. Sie winkte Marusch und schob das Fenster vorsichtig auf, und die hereindringenden Geräusche verhießen, dass es doch nicht so ruhig und still war, wie es den Anschein erweckt hatte. Überzeugte Schritte näherten sich dem Eingang des Besuchshauses auf dem sandigen Weg.

“Du wurdest nicht fürs Rumstehen und Nichtstun eingestellt! Wurde hier nun eingebrochen oder nicht?”, hörten sie eine agressive Stimme dazu.

Lilið schloss, dass die Person, die das Besuchshaus abgeschlossen hatte, noch dort stand, und eine zweite, die dazugekommen war, diese gerade dafür tadelte.

“Raus.”, flüsterte Marusch. “Leise.”

Sie hörten Schlüsselgeklapper, das in Liliðs Ohren nervös und unkoordiniert klang. Sie hob die Vorhänge beiseite und stieg vorsichtig und lauschend aus dem Fenster. Die Wache fand den Schlüssel und steckte ihn ins Schloss.

“Hast du Angst alleine?” Die Stimme der aggressiven Person von vorher sprach die Frage eher wie einen Fluch aus.

“Ja, Mensch!”, antwortete die andere Person. “Ich finde nicht in Ordnung, dass ich alleine nach einem Verbrecher wie dem Blutigen Master M geschickt werde. Dieser Mann ist gefährlich!”

Lilið hielt den Vorhang für Marusch zurück, als diese ihre Röcke raffte und ebenfalls über die Fensterbank stieg. Zum Glück war sie nicht sehr hoch. Die Tür sprang auf und sie hörten Schritte im Flur. Marusch wirkte, als habe sie die Ruhe weg. Sie beeilte sich zwar, aber machte keinen hektischen Eindruck dabei. Als sie neben Lilið angekommen war, ließen sie den Vorhang zurückgleiten.

“Es ist nicht einmal sicher, ob er es ist!”, schrie die aggressive Person.

“Aber es ist schon sehr wahrscheinlich!”, beharrte die andere und betonte: “Er ist auf dem Ball gewesen!”

Die aggressive Person ging nicht weiter darauf ein. “Los jetzt!”, forderte sie auf. “Du oben, ich unten!”

Das Fenster stand noch offen, fiel Lilið ein. Sie sollten rennen, oder? Aber die rumpelnden Schritte, die sie nun hörte, kamen bereits aus dem Zimmer, dass sie gerade verlassenen hatten.

Marusch zog sie neben das Fenster an die Wand.

Das hatte doch keinen Sinn, dachte Lilið. Selbst ohne eine Ausbildung zur Wache wäre es ihr erster Schritt, aus dem Fenster nach links und rechts zu schauen. Es sei denn, sie hätte Angst. Aber die ängstlichere Person war ja oben.

Sie hörte das verräterische Geräusch von Vorhanggleitern in ihrer Nut. Kannte sie Maruschs Körper nach der Nacht gut genug, um sie zu falten? Es gab wenig Zeit, um darüber nachzudenken. Sie drückte Marusch in einer fließenden Bewegung gegen die Wand, berührte sie dabei mit den Händen an den Hüften und schmiegte ihren ganzen Körper gegen ihren, dieses Mal nicht mit irgendwelchen erotischen Absichten, sondern in einem Moment voller Konzentration die Physik und Biologie ihres Körpers zu erfassen und zu begreifen. Flach atmend gelangte sie in den Bewusstseinszustand für Falten, diese angenehme Welt, die vor allem aus Euphorie fürs Verständnis der Dinge bestand. Dann schob sie Marusch zusammen.

Sie hatte noch nie eine fremde Person gefaltet. Dafür klappte es erstaunlich gut. Aber nicht gut genug. Sie selbst faltete sich zu einer dünnen Holzschicht, die Marusch einfasste, mit ein paar Kanten, die es wirken lassen mochten, als wären sie gemeinsam einfach ein Abzug oder so etwas.

Sie hatte an ein gefülltes Astloch in ihrer Maserung gedacht, wo sie ihr eines Auge hingefaltet hatte, und lugte daraus unauffällig zum Fenster. Die Person, die sich über den Sims lehnte und umsah, trug eine Uniform, die an die der Wachen auf Lord Lurchs Hof erinnerte. So lange wie deren Blick auf den hölzernen Vorsprung gerichtet war, den Lilið darstellte, der immerhin flacher war, als könnte er einen Menschen mit üblichen Ausmaßen dahinter verbergen, konnte das doch kein Zufall sein. Lilið merkte außerdem, wie ihr schwindelig wurde, weil sie so lange nicht atmete.

Aber als Liliðs Hoffnungsschimmer gerade ganz erlöschen wollte, wurde die Wache von etwas anderem abgelenkt: Ein Feuer loderte an der ihnen nächsten Stelle in der Hecke auf, die das Gut in einigen Meter Entfernung begrenzte, und brannte binnen Sekunden ein Loch in sie hinein. Die Wache verlor keine Zeit, sprang aus dem Fenster und hechtete zum nun erzeugten Durchgang in der Hecke. Sie blickte sich noch einmal um, aber entschied sich dann, sich hinter der Hecke umzusehen.

Das sprach dafür, dachte Lilið, dass eine Person diese Feuermagie ausgeführt hatte, die flüchten wollte, und nicht eine der Wachen. Mehr konnte sie nicht denken. Sie wusste, wenn sie sich nicht jetzt fließend entfaltete, dann würde die Faltung in wenigen Sekunden auffällig auseinanderspringen, weil sie nicht mehr konnte. Also atmete sie langsam ein, während sie sich aus ihrer Holzform wieder in ihre eigene begab. Marusch auf eine ebenfalls achtsame, fließende Weise zu entfalten, war interessant. Sie spürte, wie der schnellere Herzschlag im fremden Körper dabei wieder ruhiger wurde, und wie ihre Verständnisverbindung, für die Lilið sehr viel Konzentration gebraucht hatte, sich wieder löste. Interessanterweise hatte sie sie mitten während der Faltung für einen Moment gar nicht wahrgenommen. Mehr so, als gehörte es einfach so.

Marusch bot ihr, ohne ein Wort zu sagen, den Arm an. Lilið schluckte, fragte sich, ob das so eine gute Idee wäre, aber hakte sich ein. Als sie sich aufmachten, das Grundstück zu verlassen, als wären sie hier offiziell, war von der Wache hinter der Hecke nichts zu sehen. Sie verfolgte wohl die Spur einer anderen Person, die geflüchtet war. Oder war Marusch, an eine Wand gefaltet durch Lilið hindurch, zu Feuermagie im Stande gewesen. Etwas, was sich später klären ließe.


Liliðs Adrenalinpegel beruhigte sich erst wieder, als sie sicher eine halbe Stunde gerannt waren. Sie waren noch bis außer Sichtweite flaniert, aber dann hatten sie beschlossen, dass Raum zu gewinnen die beste Entscheidung wäre. Es war gut möglich, dass die Wachen zwar noch nur zu zweit waren und daher nicht koordiniert genug, alle Spuren zu verfolgen, aber dass sie die Verfolgung wieder aufnehmen würden, sobald sie mehr wären.

Sie waren einen Zickzackkurs durch die Wälder und Felder gerannt und waren nun wieder an der Küste angekommen. Einer Steilküste dieses Mal. Ein Stück von ihnen entfernt gab es eine steile Holztreppe, die sie mit labberigen Beinen hinabkletterten, um sich unterhalb der abgebrochenen Landkante auf dem schmalen, steinigen Strand umzuziehen. Lilið zog die einzige Alternativkleidung an, die sie neben dem Anzug dabei hatte. Marusch bekleidete sich mit einem ärmelfreien Oberteil aus festem Stoff und einem praktischen, blauen Rock mit Taschen. Er glänzte nicht, fiel Lilið auf, sondern war eher von einer Beschaffenheit, die viel aushalten konnte.

Weil sie immer noch aus der Puste waren, ließen sie sich am oberen Rand des Strands nieder, wo sie sich an die sandige Wand hinter sich lehnen konnten.

“Faltungsmagie.”, kommentierte Marusch. “Ziemlich ausgereifte.”

“Wie war es?”, fragte Lilið.

Vor ihnen im heute leise rauschendem, ruhigem Meer paddelten Okentendrachen im Wasser, quakten und spielten miteinander, indem sie sich immer Mal wieder mit Wasser oder Feuer anspien und Wettrennen veranstalteten. Irgendwo am Horizont schwamm gemächlich eine Insel vorbei.

“Schön.”, sagte Marusch nach einer Weile leise. “Ich habe mich auf eine Weise verstanden gefühlt, wie nur Magie schön sein kann.”

“Bist du gut in Magie?”, fragte Lilið. “Warst du das mit dem Feuer?”

Marusch grinste und schnaubte gleichzeitig freundlich. “So ein Feuer ist eigentlich klassisches Mittelschulniveau.”, sagte sie. “Ja, das war ich.”

Lilið versuchte sich an die Schule zu erinnern. Ja, die besseren in der Klasse hatten so etwas hinbekommen. “Ich war in Magie immer schlecht.”

Marusch gluckste und schüttelte den Kopf. “Du hast einen fremden Körper gefaltet und willst mir weiß machen, du wärest schlecht?”

“In der Schule haben sie anderes verlangt.” Lilið zuckte mit den Schultern. Feuer und Gefrieren zum Beispiel, erinnerte sie sich. “Du hast immer noch nicht beantwortet, ob du gut bist.”

“Ich mag gern die Theorie dahinter, die ja auch mit zu Magie gehört. Das Verständnis.”, erklärte Marusch. “Darin bin ich gut. Ich führe Magie nicht gern aus. Feuer- und Wärmemagie noch am häufigsten. Ohne Feuer anzünden zu müssen Tee aufwärmen und kochen zu können hat schon Vorteile.”

Lilið nickte. Sie erinnerte sich daran, dass Marusch damals in der Teeküche das Teewasser zum Kochen gebracht hatte. “Bist du der Blutige Master M?”, fragte sie.

Maruschs Blick haftete deutlich amüsiert auf ihr. “Nein.”

“Bist du hinter ihm her und deshalb auf dem Ball gewesen?”, fragte Lilið.

Marusch kicherte, aber reagierte nicht sofort.

Lilið verstand das Amusement nicht und es machte sie allmählich sauer. “Kannst du mir dein Gekichere erklären?”

Sofort war Marusch wieder ernst. “Magst du mir das Buch zeigen?”

Liliðs Gefühle beschäftigten sich noch damit, nun am liebsten eine Trotzreaktion zeigen zu wollen, als ihre Gedanken parallel dazu zu begreifen begannen. “Du glaubst, dass das Buch der Wertgegenstand ist, den der Blutige Master M gestohlen haben soll?”, fragte sie und fügte folgernd hinzu: “Und dass ich der Blutige Master M wäre?”

“Ich bin nicht ganz sicher, aber halte es für möglich, ja.”, antwortete Marusch auch noch.

“Die Theorie hat ein paar Haken!”, gab Lilið zu verstehen. “Der Gegenstand wurde erst einige Tage gestohlen, nachdem du in der Teeküche aufgetaucht bist.” Sie erinnerte sich an Elmars Landung, die die Nachricht frisch gebracht hatte, und die Panik ihres Vaters. Das war gewesen, nachdem sie Marusch in der Teeküche begegnet war, und auch nach ihrer Besichtigung der Leiche eines anderen Langfingers.

“Inwiefern ist das ein Haken?”, fragte Marusch.

Das war doch offensichtlich, dachte Lilið, aber einen Moment später verstand sie, dass Marusch eine entscheidende Information fehlte. “Ich hatte das Buch zu dem Zeitpunkt schon.”, informierte sie. Sie hatte es bereits in ihrer dafür angepassten Jackentasche untergebracht, als sie Marusch kennen gelernt hatte.

“Hm.”, machte Marusch. “Das ist in der Tat ein Haken.”

Lilið grinste triumphierend. Sie entnahm ihrem Gepäck ihre Trinkflasche, aus der sie etwa die Hälfte des Rests trank, der noch übrig war.

“Aber du hast das Buch doch geklaut?”, fragte Marusch.

Lilið verschluckte sich, hustete und versuchte, die wertvolle Flüssigkeit trotzdem nicht auszuspucken. Ach, was soll’s, dachte sie. Sie holte das Buch aus ihrer Jacke, entnahm ihm den Brief, damit er Marusch nicht ausversehen in den Sand fiele, und reichte es ihr.

Marusch nahm es entgegen und strich darüber, in einer Weise, wie Menschen das tun, die Bücher lieben und zu ihnen Bindungen aufbauen. Dann schlug sie es behutsam auf. Sie sah sehr schön dabei aus, fand Lilið. Sie nickte. “Das ist der wertvolle Gegenstand, um den es ging.”, teilte sie mit.

Lilið hob eine Augenbraue. Sie erinnerte sich daran zurück, wie sie das Buch gestohlen hatte. “Ich habe es aus einer in eine Karrustra eingebauten Kiste gestohlen, in der manchmal wertvolle Ladungen zwischen dem Haupt- und Zweitwohnsitzes meines Vaters hin- und hergefahren werden.”, berichtete sie. “Ich hatte nie die Absicht, etwas sehr Wertvolles zu stehlen. Es passiert lediglich manchmal, dass nach einem Transport etwas darin zurückgelassen und vergessen wird. Das lasse ich dann mitgehen für meine Sammlung.”

Marusch grinste sie an. “Nun, dieses Buch hier ist jedenfalls aus der Sammlung des Schatzes der Monarchie.”

“Und jemand war hinter dem Gegenstand her, was bekannt war, weshalb er an einen sichereren Ort verlegt werden sollte.”, fügte Lilið hinzu. “Das Ganze ergibt für mich aber noch nicht so richtig viel Sinn. Der gestohlene Gegenstand ist immerhin erst Tage, nachdem ich das Buch gestohlen habe, als gestohlen gemeldet worden. Wenn es das Buch gewesen wäre, dann wäre es doch bei dem Versuch aufgefallen, das Buch aus der Karrustra in den Tresorraum zu bringen.”

“War in der Karrustra noch ein anderer Gegenstand?”, fragte Marusch. “Vielleicht wussten die, die etwas in den Tresorraum gebracht haben, nicht, um was für einen Gegenstand es sich handeln würde. Schließlich wird er meist unkonkret mit ‘Teil des Schatzes der Monarchie’ referenziert.”

Lilið wollte verneinen, aber kicherte dann. “Das Buch hat in meine Brotdose gepasst. Also habe ich mein schimmeliges Brot zurückgelassen.”, erklärte sie. “Glaubst du, ein buchförmiges Pausenbrot geht als Teil des Schatzes der Monarchie durch?”

Marusch lachte mit. Es war ein so schönes Lachen, Lilið hätte sie am liebsten dafür noch einmal geküsst. Vielleicht gleich. “Ich glaube, das wäre schon aufgefallen.”, sagte Marusch. “Rätselhaft alles.” Sie warf einen erneuten Blick in das Buch. Die schulterlangen, schwarzen, festen Haare fielen dabei schön um ihr beiges Gesicht und glänzten in der Sonne.

“Wobei ich es in ein Taschentuch eingeschlagen habe.”, fiel Lilið ein.

“Und auf das Taschentuch hast du nicht zufällig zuvor mit Blut unförmige Zeichen hinterlassen, die mit viel Mühe als das Zeichen für Master und ein M durchgehen könnten?”, fragte Marusch mit einem verspielten, alberigen Grinsen im Gesicht.

Wieder hatte Lilið den Wunsch Marusch zu küssen. Aber sie wurde rasch abgelenkt, als ihr klar wurde, dass sie die Frage nicht klar mit ‘nein’ beantworten konnte. Ihr wurde unangenehm heiß, als sie antwortete: “Es war schon ziemlich blutdurchtränkt.” Und weil es in der Form, in der sie es festgebunden hatte, Falten gehabt hatte, mochte vielleicht so ein Zickzack wie ein M entstanden sein. Auch das andere Zeichen bestand vor allem aus geraden und schrägen Linien. “Es ist nicht ausgeschlossen. Ich habe das Taschentuch als Verband genutzt.”

Marusch schüttelte kichernd den Kopf. “Was für eine kuriose Hintergrundgeschichte für die derzeit meist gesuchte Diebesperson der Monarchie.”, sagte sie.

Lilið schluckte. “Meistgesucht?”

“Kennst du euren Tresorraum?”, fragte Marusch.

Lilið nickte. Ihr wurde schwindelig. Ja, wenn die Annahme wäre, dass eine fremde Person in diesen Tresorraum gelangt wäre, und das bei dem erhöhten Einsatz von Wachen ungesehen, verstand sie, dass der Diebesperson grandiose Fähigkeiten zugeschrieben wurden. “Ich bin nicht so gut.”, flüsterte sie. “Was mache ich jetzt?” Sie spürte, wie sie zitterte. “Ich sollte das Buch zurückbringen. Das war ohnehin mein Plan.”

“Du kannst dir vielleicht vorstellen, dass ich von der Idee nicht begeistert bin.”, sagte Marusch mit weicher Stimme. Sie klappte das Buch zu, hielt es lose in den Händen und betrachtete es.

Lilið widerstand dem Impuls, es ihr einfach zu entreißen. “Du wolltest es von vornherein stehlen.”

Marusch nickte. “Ich habe überhaupt erst durch Streuen von Gerüchten in die Gänge geleitet, dass es an einen anderen Ort gebracht wird.”, erklärte sie. “Und du bist mir beim Versuch, es zu stehlen, zwei Mal in die Quere gekommen.”

Lilið blickte irritiert. “Welche zwei Male?”, fragte sie.

“Ich wollte es aus der Karrustra stehlen, als diese einen Moment unbewacht war, als die Kutschperson sich den Schlüssel und ein paar Wachen geholt hat, um den Gegenstand in den Tresorraum zu bringen. Sie durfte auf der Fahrt natürlich selbst keinen Schlüssel haben.”, erklärte Marusch. “Aber als ich die Karrustra erreicht habe, war das Buch nicht darin. Ich dachte, vielleicht wäre es mit einem anderen Gefährt als erwartet transportiert worden. Vielleicht wäre diese Karrustra ein Ablenkungsmanöver. So etwas wird häufiger beim Verlagern wertvoller Schätze gemacht.”

“Müsstest du dann nicht mein Pausenbrot gefunden haben, als du nachgesehen hast?”, fragte Lilið.

“Ich habe das Schloss nicht geknackt.”, widersprach Marusch. “Ich habe eine Art Verbindung zwischen mir und dem Buch aufgebaut. Ich kann es fühlen, wenn ich mich darauf konzentriere. So wie du Dinge verstehen kannst, wenn du sie faltest.”

Lilið nickte, runzelte aber auch die Stirn. “Daher hast du im Besuchshaus gesucht, weil es dort war?”, fragte sie.

Marusch nickte. “Aber genau lokalisieren konnte ich es nicht.”, sagte sie. “Ich nehme an, weil du falten kannst und es auf diese Art, wenn es dicht bei dir ist, immer ein bisschen abgeschirmt für mich ist.”

“Du siehst jedenfalls auch so aus, als hättest du eine Verbindung zu dem Buch.”, kommentierte Lilið. “Und ich kann nicht leugnen, dass es sehr schön aussieht. Warum wolltest du es stehlen.”

Marusch lächelte sanft. “So unwahrscheinlich das klingt, aber einfach, um es zu lesen.”, antwortete sie und strich abermals zärtlich über den Einband. “Es ist kodiert. Niemand hat die Kodierung dieses Buches je geknackt. Ich mag Kodierungen. Ich möchte es einfach zu entschlüsseln versuchen, lesen und dann zurückbringen.”

In Lilið entstand ein unerwartet warmes Gefühl von vielleicht so etwas wie Liebe für diese Person neben sich, deren harmloser Wunsch es war, doch bloß ein Buch aus dem Schatz der Monarchie lesen zu wollen. Ein Buch, dass sie so wertschätzend ansah und berührte, wie sie Lilið behandelt hatte. Das konnte doch nicht so schlimm sein.

Außer, dass das Leben ihres Vaters daran hing.

“Übertrieben edle Absichten für eine Diebesperson.”, kommentierte sie, um davon abzulenken, dass sie nun gedanklich ihre Möglichkeiten ausloten würde. “Oder Diebin? Möchtest du so genannt werden? Wir hatten damals nur über das Pronomen gesprochen.”

“Gern!”, sagte Marusch. “Ich glaube, ich habe mich in den vergangen Tagen, auch wenn ich selten mitbekommen habe, dass es passiert, dass Leute so über mich reden, sehr wohl mit dem Femininum gefühlt. Ich denke, ich möchte das nun in allen Lebensbereichen so leben. Vielleicht trage ich auch deshalb nun einen Rock, damit Menschen von mir eher als weiblich denken, auch wenn es nicht ganz präzise ist.”

“‘Sie’ und Femininum also.”, wiederholte Lilið. “Ich finde, das steht dir. Generell.”

Das Lächeln, das nun in Maruschs Gesicht trat, war ein breites und unverkennbar glückliches. “Danke, Lilið.”, sagte sie. “Und du? Formen weiß ich, am liebsten neutrale bei dir. Über Pronomen warst du dir beim letzten Mal nicht ganz sicher. Hast du nun ein liebstes Pronomen?”

Das klappte überhaupt nicht, stellte Lilið fest, sich während eines Gesprächs mit Marush über Pläne Gedanken zu machen, jetzt, da sie den Wertgegenstand gefunden hatte. Würde Marusch sich überzeugen lassen, das Buch wieder abzugeben? Nachdem sie so viel Mühe und Vorplanung in den Raub investiert und mehrfach ihr Leben riskiert hatte, wohl nicht.

“Ich finde die Frage immer noch schwierig.”, antworte Lilið, damit Marusch nicht zu lange auf eine Antwort warten musste. “Ich bin sehr gewöhnt an ‘sie’, denke ich. Ich glaube, ein anderes Pronomen würde mich mehr irritieren, als dass es mir etwas bringen würde. Aber ich mag nicht, dass Menschen damit ‘weiblich’ verknüpfen, oder es mir zuweisen, weil sie mich so einordnen. Ein anderes Pronomen zu wählen, obwohl es mich irritiert, damit andere lernen, mich nicht so einzuordnen und mich ich sein zu lassen, halte ich aber für ein Rudern gegen Seeplattenströmungen. Und vielleicht sogar wie den Versuch einer Erziehungsmethode, auf die ich keine Lust habe.”

Diese Gedanken waren noch nicht alt. Sie hatte sie noch nie zurecht sortiert und war ziemlich überrascht über sich selbst, es so darlegen zu können. Sie blickte zu Marusch hinüber, die nachdenklich und vielleicht etwas traurig auf das Buch hinabgesehen hatte, aber nun ihren Blick erwiderte.

Marusch legte das Buch in ihrem Schoß ab, eine Hand darauf gebettet und streckte die andere aus, um Lilið tröstend über die Wange zu streicheln. “Ich kann dich sehr gut als nicht weiblich sehen.”, sagte sie. “Aber ich verstehe das Problem.”

Es fühlte sich trotzdem schön an. So erleichternd, dass sie bei Marusch nicht in diese Kategorie gepresst wurde. Sie ging in Gedanken noch einmal durch, was sie gesagt hatte. “War das unsensibel mit den Erziehungsmethoden?”, fragte Lilið. “Weil du dich ja für ‘sie’ entschieden hast. Das wollte ich nicht abwerten.”

Marusch schüttelte den Kopf. “Das war nicht unsensibel.”, versicherte sie. “Mich irritiert ja das Pronomen ‘sie’ für mich nicht. Mich irritiert inzwischen viel eher ‘er’. Es hat also auch andere Gründe in meinem Fall, als Leute dazu zu bewegen, mehr mich zu sehen. Wobei letzteres vielleicht auch in Ordnung ist. Vielleicht ist die Idee mit Erziehungsmethoden nicht völlig verwerflich, aber du darfst für dich und deine Entscheidung dazu trotzdem dieses Gefühl haben.” Marusch grinste ein wenig verlegen. “Ich kann mich nicht gut ausdrücken. Vielleicht ist es auch ein schwieriges Thema. Jedenfalls warst du mir gegenüber nicht unsensibel.”

Lilið griff nach der Hand, die sich gerade von ihrem Gesicht wegbewegen wollte, zog sie zu ihrem Mund und küsste sie sanft. Diese zarte Haut. Dieses Stolpern im Atem der schönen Person neben sich, das sie damit verursachte.

Sie musste sich konzentrieren! Hatte sie eine Möglichkeit, einen Kampf gegen Marusch zu gewinnen?

Auch das war unwahrscheinlich. Marusch hatte zusammengefaltet ein Feuer verursacht. So etwas konnte Lilið nicht. Selbst wenn Marusch nicht viel mehr können mochte als das, wäre sie Lilið wahrscheinlich in einem Kampf überlegen.

Lilið konnte sich vor allem verstecken, Schlösser knacken und stehlen. Die Lösung war also wohl, Marusch in Sicherheit zu wiegen, dann in einer der kommenden Nächte das Buch zu stehlen und abzuhauen.

Sie blickte Marusch an und fragte sich, ob sie das dringend genug wollte. Sie wollte diese Person nicht verlassen. Was Marusch wohl mit ihr täte, wenn Lilið ihr das Buch abgenommen hätte, ihrem Vater zurück gebracht hätte und Marusch dann wieder finden würde?

Marusch hob die Augenbrauen und schmunzelte, was ein unverschämt charmantes Bild abgab. “Du überlegst, ob du dir das Buch von mir zurückstehlen kannst?”

Lilið fühlte einen heißen Schauer über ihren Rücken und in ihre Eingeweide rinnen. Es hatte keinen Sinn Marusch etwas vorzumachen. “Kannst du irgendwie Gedanken lesen?”

Marusch kicherte. “Du hast gemeint, du möchtest es zurückbringen.”, sagte sie. “Ich kann nicht in deinen Kopf gucken, aber ich kann mir Zusammenhänge zusammenreimen, wenn ich genug Anhaltspunkte habe. Du hast das Gespräch ein wenig abgelenkt und kein weiteres Mal deine Pläne angesprochen, eben dies zu tun, obwohl du beim Aussprechen derselben sehr überzeugt geklungen hast. Und Lord Lurch ist dein Vater. Er wird in die Verantwortung gezogen, wenn es nicht wieder auftaucht. Das legt nahe, dass es dir dringlich genug sein könnte, es mir wieder abzunehmen.”

Lilið nickte. “Du hast recht, so schwer zu schließen ist das nicht.” Sie seufzte. “Du hast kein Interesse an Lord Lurchs Sicherheit, nehme ich an?”

Marusch schüttelte den Kopf. “Aber an deiner.”, fügte sie so sanft und weich hinzu, dass es Lilið durch Mark und Bein rann.

Sie verzog irritiert das Gesicht in ein Runzeln. “Werde ich auch in die Verantwortung”, sie unterbrach sich und stockte. “Ja, werde ich. Also, wenn ich erkannt werde. Weil ich der Blutige Master M bin.” Nach kurzer weiterer Überlegung fügte sie hinzu: “Und sie haben mein Blut. Wahrscheinlich ist es nicht mehr gut genug geeignet gewesen, um mich zu rekonstruieren, weil ich sonst erkannt worden wäre, aber es ist wahrscheinlich ausreichend, um nachzuweisen, dass ich es bin, wenn ich erwischt werde.”

Marusch nickte und reichte ihr das Buch. “Wir werden eine Weile bis Nederoge brauchen, weil du nicht einfach auf einer Reisefragette oder -kagutte mitsegeln kannst.”, sagte sie. “Sie werden regelmäßig durchsucht, damit niemand unbefugt mitreist, und es ist zwar nicht völlig ausgeschlossen, dass wir es trotzdem schaffen, unentdeckt mitzureisen, aber wenn wir entdeckt werden, wärest du todgeweiht. Wir werden anders reisen müssen.”

“Fliegen lernen?” Lilið lachte, wurde aber sofort wieder ernst. Ihr wurde erst nach und nach bewusst, was es bedeutete, die meist gesuchte Diebesperson der Monarchie zu sein. “Wir müssen ein eigenes kleines Segelboot nehmen, meinst du das?”

Eigentlich hätte Marusch nicht zu antworten brauchen. Lilið kannte sich nicht im Diebesgeschäft aus, aber soweit dann schon, dass gesuchte Diebespersonen sich auf diese Weise unbemerkt fortbewegten.

Marusch nickte. “Du wolltest Nautika werden.”, erinnerte sie. “Meinst du, du bekommst uns zurück nach Nederoge navigiert?”

“Es wird eine Reise über etwa zwei Wochen werden.”, überschlug sie. “Wenn das meiste gut geht. Ob es dann noch nicht zu spät ist?”

Marusch schüttelte den Kopf. “Der Blutige Master M ist hier gesichtet worden. Das heißt, der Fall erscheint nicht aussichtslos. Es wird vermutlich noch mindestens einen Monat gesucht, bevor überhaupt in Erwägung gezogen wird, deinen Vater zur Rechenschaft zu ziehen.”, versicherte Marusch. “Es wäre sonst Verschwendung von Einsatzkräften. Solange er nur unter Druck steht, aber noch all seine Ressourcen hat, kann er den Blutigen Master M besser suchen lassen. Ziel ist es ja in erster Linie, das Buch wieder aufzutreiben.”

“Aushändigen ist keine Option?”, fragte Lilið.

Marusch konnte sich davon nicht abhalten, einen Moment belustigt zu wirken. “Du bist wirklich noch nicht lange in der Diebesszene.”, sagte sie. “Das wird dir nicht einfach verziehen, wenn du es zurückgibst. Und wenn es nicht von Leuten deines Vaters gefunden wird, hat er trotzdem Probleme. Bei einem Diebstahl dieses Kaliebers musst du auch, nachdem es wieder an Ort und Stelle ist, eine Weile untertauchen.”, erklärte sie, und fügte hinzu: “Am besten wäre, es im Tresorraum unterzubringen, wo es eigentlich hätte sein sollen, und zu hoffen, dass die Beteiligten, weil dein Vater davon profitieren würde, eine Geschichte erfinden, die besagt, dass es doch nie weggewesen und alles ein Irrtum gewesen wäre, glaube ich. Aber das ist auch nur ein spontaner Plan. Vielleicht fällt uns auf dem Weg noch etwas Besseres ein.”

“Du würdest für mich deinen Traum aufgeben, dieses Buch zu lesen?”, versicherte sich Lilið.

“Ich habe ja jetzt erst einmal mindestens zwei Wochen, um es zu entschlüsseln.” antwortete Marusch. “Und wenn ich es nicht schaffe, dann stehle ich es lieber irgendwann später wieder, auch wenn das dann viel schwieriger sein wird, als dich zu verlieren.”

“Das klingt übermäßig romantisch und melodramatisch.”, kommentierte Lilið.

Marusch schmunzelte und grinste. “Ich mag dich eben.”

Lilið betrachtete sie lange eingehend, aber das Schmunzeln wich nicht aus Maruschs Gesicht. “Ich dich auch.”, flüsterte sie.

“Und? Ziehen wir die Sache durch?”, fragte Marusch.

Nun schmunzelte Lilið. Sie lehnte sich an Marusch und genoss den Geruch, der ihr dadurch wieder in die Nase strömte. “Ich mag es nicht, übereilte Entscheidungen zu fällen, und dies ist eine große, für die ich gern mehr Zeit hätte.”, sagte sie. “Aber vorerst gehe ich diese Diebeserklärung ein. Ich denke, gerade ist es durchaus wichtig, eine eilige Vorentscheidung zu treffen und Land zu gewinnen. Oder viel mehr Wasser.”