Untertauchen

CN: Versagensgefühle, Schlafmangel, Würgen - erwähnt, Fantasy-Religion mit Kleiderordnung.

Als Drudes Schwimmbewegungen wieder schnell und gleichmäßig wurden, schlief Lilið auf derer Brust ein. Dadurch nahm sie die Entäuschtheit und ihre Versagensgefühle nicht so sehr wahr. Sie waren eigentlich unsinnig. Aber sie konnte nicht vermeiden, dass es sich beschissen anfühlte, dass sie zunächst fast allein die Organisation eines Plans übernommen hatte, der nicht geklappt hatte, und bei dem sich Drude mies gefühlt hatte, weil sie demm wichtige Details verschwiegen hatte, und nun hatte sie nicht einmal angefangen zu planen, da riss schon alles auseinander und sie war auf Drudes Hilfe angewiesen. Drude war ursprünglich nicht von der Partie gewesen und nun übernahm dey alles für sie, weil sie hilflos wie eine Fliege in einem Haus war, die den Ausgang nicht fand.

Lilið fragte sich, ob sich Marusch, sollte sie noch am Leben sein, ungefähr so fühlen musste, wie Lilið jetzt. Als würde das Staffelholz, wer Lajana zu retten versuchte, weitergereicht, je nachdem, wer gerade bessere Möglichkeiten dazu hätte.

Eigentlich war die ganze Situation nicht gerade ermächtigend für Lajana, dass sie als eine behinderte Prinzessin gerettet werden musste und keine Rolle in dem Ganzen spielte. Lilið wünschte sich so sehr, dass Lajana irgendwann die Hauptrolle in deren Leben spielen würde.

Sie glitt in Träume über, in denen schwarze Nebelfische ihnen durchs Wasser folgten. Sie bewegten sich wie Tinte unter Wasser, ein Omen des Bösen, aber Lilið hatte im Traum keine Angst, sondern fand sie eigentlich sehr friedlich. Sie liebte sie auf eine Weise, wie sie Drude liebte, dachte sie, als Drude sie weckte. Und dann, als sie sich unmittelbar nach dem Aufwachen noch einmal an den Traum erinnerte, musste sie kichern.

“Ist etwas komisch?”, fragte Drude.

“Ich habe von Fischen geträumt, die sich im Wasser bewegen wie Tinte, und mir wurde erst gerade bewusst, dass Tintenfisch eine intuitive Bezeichnung für die Wesen wäre.”, erklärte Lilið. “Das fand ich gerade witzig.”

Drude lachte nicht. “Schön, dass du schlafen konntest.”

Schwang Neid in derer Stimme mit? “Es tut mir leid, dass du es nicht kannst.”, murmelte Lilið. “Das wird ein harter Tag für dich. Ich werde Angst um dich haben.”

Drudes Griff wurde für einen Moment fester. “Ich habe im Gegensatz zu dir in den letzten Tagen viel mehr auf meinen Schlafhaushalt geachtet.”, erwiderte dey. “Du hast nicht nur einige Schlafstunden auf den Beinen verbracht, sondern hast zusätzlich auch in deinen Schlafphasen einen unruhigen Schlaf gehabt. Dein Kopf war ständig voll mit vielen Themen. Ich meine das ernst. Wenn du dir jetzt Schlaf holen kannst, hol ihn dir.”

“Kannst du auch Erfühlen, was andere Leute denken oder so etwas?”, fragte Lilið.

“Nicht was, aber ich fühle, wenn sie angespannt sind. Ich fühle ihre Energie im Körper sozusagen.”, erklärte Drude. “Das ist auch der Grund, warum wir nicht reden konnten. Wache Luanda saß nicht allzu weit von uns in einem Einzelraum aufbruchbereit und ich war mir bei deren konzentrierter Wachheit, die ich wahrgenommen habe, recht sicher, dass sie auf jedes Wort lauscht. Manche Antimaga können über große Distanzen sehr fein hören.”

Dann war es wohl nötig gewesen, die Kagutte bald zu verlassen. Oder nicht? Wieviel Zeit hatten sie miteinander gerungen? Hatte Wache Luanda absichtlich nicht eingegriffen? “Ich hatte mich beim Gespräch beim Mittagessen mit ihr gefragt, ob sie vielleicht gar nicht so sehr hinter der Entführung steht. Aber ich habe in den letzten zwei Tagen gefühlt alle Menschen falsch gelesen.” Lilið seufzte.

“Ich habe zu Wache Luanda keine Einschätzung, außer, dass sie sehr genau aufpasst.”, sagte Drude. “Ich habe dich übrigens gerade geweckt, weil wir kurz vor meinem Ziel sind. Ich würde dich in einer Höhle unterbringen. Wenn du dann noch ein Redebedürfnis hast, können wir dort noch ein wenig weiterreden. Aber da ich vor Sonnenaufgang zurück sein muss, haben wir nicht viel Zeit.”

Lilið stimmte zu. “Muss ich irgendetwas tun?”

“Die Luft anhalten.”, erklärte Drude. “Ich tauche dich durch einen unterirdischen Eingang in eine Höhle in den Felsen hier.”

Lilið überstreckte den Nacken, um hinter sich in Richtung Küste zu sehen, aber sie sah aus verschiedenen Gründen reichlich wenig. Es war dunkel, Drudes Kopf und Schulter lagen in ihrem Sichtfeld und Wasser schwappte ihr ins Gesicht. Sie konnte ausmachen, dass die Küste felsig wirkte, weiter oben ein wenig dichter Wald aus Bäumen war, die sie nicht kannte, und irgendwo weit weg an einer Inselnase links Abendlicht von Zivilisation leuchtete.

“In eine Höhle tauchen, sodass ich nicht abhauen kann?” Lilið versuchte, das Misstrauen niederzuringen, das in ihr aufkam. Drude hatte manchmal auf den ersten Blick seltsame Ideen, aber dey hatte sich trotzdem immer als vertrauenswürdig herausgestellt. Oder nicht? Warum hatte dey sie bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt?

“Ich möchte dich niemals gefangen halten.”, sprach Drude direkt in ihr Ohr. “Du kannst zum einen selbst gut genug schwimmen und tauchen, dass du, sobald du ein bisschen ausgeschlafen bist, ohne mich rauskommen kannst, und zum anderen gibt es auch oben einen Eingang. Ich weiß nicht, wie gut du klettern kannst, aber unmöglich ist das für die meisten Menschen nicht. Es ist nur ein schwer zu findender Ort mit einer Wasserquelle, wo du sicher wärest. Deshalb.”

Lilið entspannte sich wieder. “In Ordnung.”, sagte sie. “Ich würde gern ausprobieren, ob ich selber rauskäme, bevor du mich da alleine lässt.”

“Das verstehe ich.” Drudes Griff wurde wieder fester, aber dieses Mal nicht sanft. “Ich zähle von vier runter.”


Die Höhle war für Lilið in der Nacht zu dunkel, um viel zu erkennen. Sie hatte es geschafft, hinaus- und wieder hineinzutauchen. Das war in der Finsternis unter Wasser besonders aufregend gewesen, aber Drude hätte sie gerettet, hätte sie sich verschwommen. Sie würde es trotzdem erst frühestens am Morgen wieder probieren, wenn Licht da wäre. Nun lag sie in den Mantel des Nautikas auf eine glatte Stelle im Fels gekuschelt, neben ihr das Plätschern eines kleinen Rinnsals Süßwasser auf dem Boden. Gemütlich war das eigentlich nicht, aber Lilið war ermattet und müde genug, um fast unmittelbar tief einzuschlafen, sobald Drude verschwunden war.

Lilið wachte von Hunger auf, als das Sonnenlicht schon längst durch einen Spalt in die Höhle flutete. Es mochte Mittag sein und Hunger war um diese Uhrzeit wohl etwas sehr Übliches. Lilið musste bei dem Gedanken Grinsen, dass eine der ersten Mahlzeiten, die sie im Zusammenhang mit Drude gehabt hatte, eine letzte Mahlzeit hätte sein sollen, die exquisit und reichhaltig gewesen war. Die jetzige Situation fühlte sich sehr gegensätzlich an. Sie war von Drude gerettet worden, hatte ihre erste Mahlzeit außerhalb der Kagutte und diese bestand nur aus Wasser. Vielleicht hätte sie aus der Höhle hinausklettern und sich nach Nahrung umsehen können. Sie hatte keine Ahnung, wie Belloge bebaut war, aber sie rechnete damit, nicht direkt in eine Stadt zu gelangen, wenn sie die Höhle verließ, und irgendwo wohl Plantagen oder Felder zu finden, wo sie sich an Lebensmitteln etwas hätte zusammenstehlen können. Wenn sie nicht so furchtbar resigniert und erschöpft gewesen wäre.

In der Höhle war es angenehm kühl. Vielleicht etwas zu kalt. Lilið wunderte sich, denn sie glaubte, ihr Körper hätte zu jedem anderen Zeitpunkt diese Temperatur als ausgezeichnet empfunden. Neben dem Plätschern des Rinnsals war auch das Geschnattere, der Gesang und das Getute verschiedener Drachen zu hören und gelegentlich ein Rascheln von was auch immer für Tieren. Einige der Rufe erkannte Lilið. Etwa das tiefe Summen der Aubendrachen oder das fiepsende Geräusch einer jungen Auze, die nach Futter verlangte. Sie roch harzigen Geruch. Vielleicht war es ein Nadelwald da oben. Aber einer, der etwas fruchtiger roch als die Nadelwälder, die Lilið kannte. Sie erinnerte sich, dass Belloge auf eine Weise über den Planeten reiste, durch die die Insel mehr Sommer abbekam als etwa Nederoge oder die meisten Inseln auf der anderen Seite der Grenze. (Es gab tatsächlich sogar manch kleine Reiseinsel, die mit den Jahreszeiten ganz um den Planeten reiste und immer Winter oder immer Sommer hatte.) Lilið wusste zumindest aus der Schule, dass es auf Belloge auch Palmen gab. Vielleicht war es ein Nadelwald wärmerer Natur. Aber warum war ihr dann fast zu kalt?

Tatsächlich fühlte Lilið sich so energielos, dass sie zunächst nicht einmal schaffte, überhaupt aufzustehen. Da sie ausreichend trinken sollte, tat sie es irgendwann doch. Das Wasser war angenehm frisch, anders als das Wasser an Bord zuletzt geschmeckt hatte. Dabei hatten sie es in Lettloge wieder aufgefüllt. Sie trank das frische Wasser aus dem Rinnsal in kleinen Schlucken und genoss es dabei fast wie ihr letztes Mahl. Anschließend, weil es ja einfach so dahinfloss und dadurch nicht verschwendet wurde, wusch sie sich sehr gründlich. Und als sie damit fertig war, war sie noch erschöpfter und energieloser. Sie breitete den Mantel des Nautikas auf den Sonnenstrahlen aus, legte sich darauf und schlief wieder ein.

Sie wachte noch das ein oder andere Mal auf und fragte sich, ob sie etwas Besseres tun könnte, als herumzuliegen und zu schlafen. Es erschien ihr alles sehr hoffnungslos. Wenn sie versuchte, sich einen Plan auszudenken, bekam sie bereits Versagensgefühle, bevor sie überhaupt Gedanken über die Realisierung ihrer Situation hinaus fand. Schlafen war wenigstens gut gegen dieses Gefühl. Was brachte das schon. Also schlief sie. In einer der kurzen Wachphasen zog sie ihren Schlafplatz noch einmal um, als ihr sehr kalt wurde, weil der Streifen Sonne auf dem Höhlenboden weitergewandert war. Wieso kannte Drude eigentlich diese Höhle?

Warum hatte sie sich so sehr gegen Drude gewehrt? Hätte dey sie vielleicht nicht überwältigt, wenn sie sich ruhig verhalten hätte? Eigentlich wusste sie es. Drude hatte das nicht gewollt. Lilið versetzte sich in Drudes Lage hinein, so gut sie konnte. Eigentlich hatte Drude mit Lilið reden wollen, aber darum herum Menschen wahrgenommen, die lauschten. Und vielleicht in Wache Luandas Fall auch die Energie zwischen ihnen spürten. Sie hatten keine Möglichkeit gehabt, etwas abzusprechen und schnell weg gemusst. Es war schon ohne Liliðs Sträuben für demm ein riskantes, nicht gut kalkulierbares Treffen gewesen. Wie es Drude wohl jetzt ginge? Wenn Wache Luanda so genau einzelne Personen herausfühlen konnte wie Drude, hatte sie gewusst, dass Drude und Lilið sich nachts getroffen hatten. Oder müsste Wache Luanda sie öfter berührt oder wahrgenommen haben, um sie identifizieren zu können? Hatte sie sich deshalb zum Essen ihr gegenüber niedergelassen? Aber wenn sie Drude und Lilið erkannt hatte, war vielleicht von Vorteil, dass sie nun denken musste, dass sie gekämpft hatten?

Wenn Lilið doch Drude einfach nur zugehört und vertraut hätte. Wenn irgendetwas jetzt einen Sinn ergäbe. Wie lange sollte Lilið hier warten, ob Drude zurückkäme? Wieder schlief sie ein, dieses Mal unruhiger.


Als sie die Augen abermals öffnete, war es fast dunkel und Drude saß neben ihr auf dem Höhlenboden. Die Flecken Licht, die noch von oben in die Höhle fielen, waren gerötet.

Lilið richtete sich auf. Erschöpft und leer fühlte sie sich immer noch. Vollkommen kraftlos. “Ich glaube, ich habe mir einen psychischen Zusammenbruch eingefangen.”, murmelte sie.

Drude blickte sie an und grinste, versuchte ein lautloses Kichern zu vermeiden.

“Ist das irgendwie witzig?”, fragte Lilið.

Drude schüttelte den Kopf, hörte mit dem Grinsen auf, fing aber direkt wieder damit an. “Der erste Kommentar, der mir dazu einfiel, war ‘Endlich!’. Und das ist vermutlich kein sehr einfühlsamer Kommentar. Vielleicht sogar eher einer, der sozial voll daneben ist.”, gab dey zu. “Aber irgendwann musste das halt kommen. Du warst ganz schön lange psychisch arg überlastet.”

Einen Moment führten Drudes Worte dazu, dass Lilið sich weniger schlecht fühlte. Es war normal, dass das nun mit ihr passiert war. Aber sie hätte es auch ohne Drudes Kommentar besser über sich akzeptieren können, wenn es nicht wichtige Probleme gegeben hätte, um die sie sich kümmern wollte. “Wieso kannst du noch? Und wie waren sie zu dir?”, fragte Lilið.

“Ich bin zum einen sehr belastbar, weil ich Wache und entsprechend ausgebildet bin, hatte aber zum anderen dir gegenüber einige gewaltige Vorteile.”, antwortete Drude geduldig. “Ich habe nicht spielen müssen, eine andere Person zu sein. Ich durfte auch gestern noch Magie ausüben, also war ich in meinen Mitteln nicht eingeschränkt. Ich habe zu keinem Zeitpunkt Magie aufrecht erhalten müssen, du schon. Ich hatte und habe immer noch das Vertrauen meiner Crew. Ich wurde als Wache eingestellt und war bei der Entführung wesentlich beteiligt. Da bin ich nicht stolz drauf, aber das führt zu einem Grundvertrauen in mich, das jetzt, so scheint es mir, höchstens leicht angekratzt ist. Mich wollte jedenfalls niemand töten und für dich stand die Bedrohung die ganze Zeit im Raum, wenn du auch nur einen kleinen Fehler gemacht hättest.”

Lilið legte sich wieder zurück auf den Mantel des Nautikas. Ihr war eigentlich inzwischen sehr kalt, aber sie tat aus Faulheit nichts dagegen. “Und ich habe nicht einmal dir vertraut.”, flüsterte sie. “Es tut mir leid.”

“Lilið!”, sagte Drude energisch, aber sprach dann sofort ruhig weiter. “Ich habe dir schon einmal gesagt, dass es keine Grundlage dafür gab. Es hätte vielleicht manche Momente für mich einfacher gestaltet. Deshalb war ich sauer, und das tut mir leid, das stand mir nicht zu.”

Dey blickte Lilið einige Momente an. Lilið ging inzwischen davon aus, dass dey sie viel besser sehen konnte als umgekehrt, aber Lilið konnte schon das flüchtige Runzeln in derem Gesicht erkennen. Drude seufzte, beugte sich nach hinten zu einem großen Rucksack und löste eine darauf festgegurtete Decke, die sie Lilið zuwarf.

Lilið fühlte ein jähes Gefühl von Dankbarkeit dafür. Vielleicht ein unverhältnismäßig starkes. Sie wickelte sich in die Decke und merkte sofort, wie sie weniger fror. “Kannst du auch fühlen, dass Leute frieren?”

Drude nickte. “Einigermaßen. Ich bekomme mit, dass sie zittern, und wenn keine Angst im Spiel ist, spricht das für frieren.”

“Es ist beeindruckend.”, murmelte Lilið. “Dann war für Wache Luanda wohl wahrnehmbar, dass wir gekämpft haben und du mich erwürgt hast.”

“Gewürgt, nicht erwürgt.”, korrigierte Drude. “Ja. Ich habe ihr gegenüber behauptet, dass ich dich vom Fliehen habe abhalten wollen und du auf mir nicht nachvollziehbare Weise plötzlich verschwunden wärest. Immerhin aber ohne die Kronprinzessin. Ich hätte dann versucht, dir hinterher zu schwimmen, aber dich nicht mehr gefunden.” Drude räusperte sich. “Das verschärft deinen Ruf auch, und ich bin nicht sicher, wie gut das für dich ist. Auf der einen Seite haben Leute mehr Angst vor dir, auf der anderen werden sie dir mit größerer Brutalität begegnen, wenn sie dich erkennen.”

Lilið seufzte lautlos. “Ich tauge in Wirklichkeit gerade so zu einer mittelmäßigen Diebesperson. Eigentlich.” Plötzlich musste sie grinsen. Wie hatte sie es geschafft, sich so einen Ruf anzueignen? Und wie könnte sie das ausnutzen?

“Es tut mir jedenfalls immer noch sehr leid, dass ich dich gewürgt habe.”, sagte Drude. “Einfach falls dir das hilft: Ich wusste, was ich tue und dass du dadurch höchstens ein paar Minuten ausfallen würdest und keinen langfristigen Schaden davon haben wirst.”

“Ich weiß.”, erwiderte Lilið sanft. Sie hatte die Art des Würgens schon so eingeordnet, als es passiert war, fiel ihr wieder ein.

Sie atmete noch einmal tief ein und aus und blickte sich in der Höhle um. Drude hatte neben dem großen Rucksack noch eine mittelgroße, vollgestopfte Tasche mitgebracht. Waren die Gepäckstücke wasserdicht? Oder waren sie von oben in die Höhle gelangt? Oder hatte Drude Magie darauf angewandt? Dey konnte immerhin die Unterwassertür öffnen, ohne dass Wasser in die Kagutte eindrang. War das alles Gepäck, was dey an Bord dabei gehabt hatte? “Wo ist eigentlich Lil?”

“Dey verbringt Zeit im Wald mit anderen Aben. Dass macht Lil meistens, wenn wir nach einer längeren Zeit auf See wieder an Land sind.”, antwortete Drude.

“Wieso hast du die Abe eigentlich Lilið genannt?”, fragte Lilið nachdenklich.

Drude suchte aus derem Gepäck weiche Kleidung hervor und sortierte sie neben Lilið als Unterlage für sich. “Ich fand den mythischen Namen passend für so einen kleinen schwarzen Drachen.”, sagte dey. “Ich mag vieles an dem Charakter Lilið. Ich mag, dass Lilið eine anti-patriarchale Figur und gleichzeitig ein Dorn im Auge der Sakrale und Orakel ist.”

“Oh, über letzteres habe ich noch nie nachgedacht!”, fiel Lilið auf. Aber es stimmte wohl. Sie war mit diesem Namen nie wissentlich in eine hineingelassen worden. Sie überlegte, ob sie darauf genauer eingehen wollte, aber sie war immer noch zu müde. Hatte sie nicht den ganzen Tag geschlafen? “Warum heißt du eigentlich Drude?”

Drude lachte eins der lautlosen, nicht glücklichen Lachen. Dey kuschelte sich an Lilið heran und nahm sie einfach von hinten in den Arm, so wie sie das in den letzten Tagen in ihren gemeinsamen zwei Stunden Schlaf immer gemacht hatten. Nur dass nun eigentlich genug Raum da war, sodass es nicht notwendig gewesen wäre. Lilið beschwerte sich nicht. Ein Teil von ihr wünschte sich, dass Drude sie fester fixieren möge, aber dieser Teil war auch sehr müde.

“Ja, Drude ist nicht der Name, den ich vom Orakel bekommen habe. Das ist wahrscheinlich unschwer zu erraten.”, antwortete dey schließlich. “Druden sind unheimliche, dunkle Wesen, die Menschen Albträume bescheren. Damit wurde ich schon von klein auf verknüpft. Irgendwann haben mich viele so wie diese Horrorgestalten genannt, um mich zu ärgern. Ich fand das erst nicht so gut, aber habe mich dann irgendwann daran gewöhnt und bin dem Ruf noch gerechter geworden. Nur dass ich eher ein wässriges als ein baumiges Drudenungeheuer bin.”

“Du bist mein liebstes wässriges Drudenseeungeheuer.”, murmelte Lilið.

Sie grinste, als sie Drudes Körper gegen ihren Rücken drücken fühlte, in einer Weise, die Lilið als Gerührtheit oder Freude las.

“Danke.”, flüsterte dey. “Es ist schön, dir etwas zu bedeuten.”

Lilið rührten Drudes Worte und die Art, wie dey sie sagte, fast zu Tränen. Dass jemand wie Drude keine Freundespersonen hatte, war so nicht richtig. Auf der anderen Seite hatte Lilið selbst auch sehr wenige.

Sie seufzte innerlich, weil sie ein Thema ansprechen wollte, was den Zauber aus der Situation nehmen würde. Aber sie fühlte auch, dass Drude müde war und bald schlafen wollen würde. Sie wollte das Thema vorher zumindest angerissen haben. “Was ist mit Lajana?”

“Lajana wurde von Sakral-Dienenden und einigen Sakralswachen in die belloger Zentralsakrale verbracht.”, berichtete Drude. “Leider ist es ein sehr sicheres Gebäude. Mein Plan für einen Überfall ist noch sehr grob. Ich denke, wir sollten uns als Sakral-Dienende ausgeben. Deren religiöse Kleidung verdeckt Körper und Haare und auch das Gesicht ist darin im Schatten. Wir können auf diese Weise vielleicht gut untertauchen.”

“Hieß die Kleidung nicht Sakralutte?” Lilið erinnerte sich nur vage. Sie hatte mit Religion bisher wenig zu tun gehabt. Ihr größter Berührungspunkt war ihre Namensvergabe gewesen. Damals war sie ein Säugling gewesen, aber die Geschichte war ihr immer wieder erzählt worden. Ein Orakel nannte nicht einfach so ein Kind Lilið.

Sie bemerkte von Drudes Seite eine klare Ablehnung, die sie, vielleicht mangels Erfahrung, bisher nicht teilte. Aber wenn sich die Orakel einmischten und diese Entführung guthießen, dann hatte sie wenig Hemmungen, bei der Art, wie sie sich in Diebesdingen oder im Fall der Entführung verhielt, keinen Unterschied zwischen Sakrals-Leuten und anderen zu machen. Sie konnte immer noch versuchen, im Rahmen der Dinge, die sie tun musste, so respektvoll wie möglich zu bleiben.

Drude nickte, was Lilið im Nacken spürte. “Genau, ich denke, wir sollten uns Sakralutten stehlen und uns unter dem Orakel-Volk umhören. Aber ich schaffe das erst morgen. Ich brauche Schlaf.”, sagte dey. “Ich glaube auch, dass es gut ist, bis morgen zu warten. Ich glaube, heute ist die Crew noch sehr zusammen und könnte für uns eher eine Gefahr darstellen, wenn wir Crewmitgliedern begegnen, weil sie ihr Wissen kombinieren können, wenn sie dich sehen oder wahrnehmen. So weiß noch niemand, dass du falten kannst. Wache Luanda kann dich wahrscheinlich noch nicht identifizieren, wenn du nicht gerade an einem Ort bist, wo sie dich auch erwartet. Zumindest, wenn sie dich nicht sieht. Sprich, wenn sie dich getrennt von anderen beim Falten wahrnimmt, weiß sie wahrscheinlich nur, dass jemand faltet, aber nicht, dass du es bist, und wenn irgendwer faltet, ist das ja im Normalfall nicht unbedingt ein Problem. Es ist ja nicht grundsätzlich verboten, Magie auszuführen. Ergibt das Sinn?”

“Vielleicht.”, murmelte Lilið. Vielleicht ergab es einen, aber vielleicht war auch vermeidbar, auf die Crew zu treffen, und ein Teil der Begründung hatte den Grund, dass Drude Schlaf rechtfertigen wollte. Sie wäre aber selbst dann nicht sinnlos. “Ich verstehe das Prinzip zumindest: Sie wissen verschiedene Dinge von mir und wenn sie uns allein begegnen, ist es sicherer, als wenn wir ihnen allen zusammen begegnen.”

“Genau!”, stimmte Drude zu. “Und sie werden sich morgen früh mehr zerstreuen. Einige, zum Beispiel Wache Schäler, sind für die Bewachung der Kronprinzessin dageblieben, aber ein paar aus der Crew werden morgen wieder woanders anheuern, und einige werden König Sper entgegenreisen, um ihn auf seinem Weg hier her zu schützen und zu informieren. Der Kapitän bleibt mit zwei Wachen bei der Kagutte.”

“Wie funktioniert die Erpressung eigentlich?”, fragte Lilið. “Lajana wird sich ja weiterhin weigern, etwas zu unterschreiben. Was hilft dann ihre Gefangennahme?”

“Königin Stern kommt persönlich, um sie abzuholen. Sie würde extrem an Beliebtheit und Vertrauen verlieren, wenn sie es nicht täte. Es wird von ihr erwartet. Wenn sie ankommt, – das passiert in voraussichtlich einer Woche –, befindet sie sich natürlich in feindlichem Gebiet. Und daraus ergeben sich allerlei Möglichkeiten.”, berichtete Drude. “Es gibt verschiedene Gerüchte darüber, ob sie den Kronprinzen gleich mitbringt. Täte sie es, dann könnte er zum Beispiel sehr offiziell einer Krönung zustimmen, wenn andernfalls das Leben der Königin bedroht wäre. So etwas. Ganz genau kenne ich mich allerdings auch nicht aus.”

Lilið fühlte sich leicht schwindelig. “Ich sollte noch einmal etwas trinken.”, sagte sie und schälte sich aus Umarmung und Decke. “Aber ich glaube, du hast recht. Noch eine Nacht schlafen, und dann als Sakral-Dienende verkleidet die Lage ausforschen, klingt nach dem besten Plan, den wir haben.”