Rash schreibt die Nachrichten, die von Bord gehen.

Content Notes:

BDSM mindestens angedeutet.


Befehle

Rash

Rash hatte keine Ahnung, wie Amira an Bord gekommen war, oder wer diese Person auch nur ungefähr war. Sindra hatte sie nicht vorgestellt. Normalerweise stellte Sindra Personen, die neu an Bord waren, kurz der Crew vor. Dieses Mal nicht.

Amira war so geisterhaft mitten auf See an Bord aufgetaucht, wie ihre Überfälle auf die Forschungsschiffe wirken mussten. Sicher war Amira schon länger da gewesen. Oder sie war über das Nixendeck eingetaucht worden. Und es hatte nicht zu Drama geführt, als sie dann plötzlich offiziell da war. Aber auch nicht zu Erklärungen.

Seitdem hatte Rash keinen Auftrag mehr bekommen, eine Nachricht zu verfassen. Rash verfasste nicht jeden Tag Nachrichten. Auch drei Tage am Stück ohne Postaufgabe waren schonmal vorgekommen. Aber das Muster passte nicht.

Etwas stimmte nicht.

Und Rash wurde das Gefühl nicht los, dass es etwas mit Rash zu tun hatte. Als eine der Steuerpersonen wurde Rash vieles frühzeitig anvertraut. Rash hatte nie darum gebeten und war nicht böse darum, dass das aktuell nicht der Fall war. Aber es fühlte sich unheimlich an, dass Rash nicht einmal in Kenntnis darüber gesetzt worden war, dass sich etwas geändert hatte, sodass diese Änderung auch wie Zufall, wie Einbildung aussehen konnte.

Deshalb erleichterte es Rash auch, als Amira Rash aufforderte, mit ihr zu Sindra in die Kapitänskajüte zu kommen. Rash hätte eine Unterredung mit der Kapitänin ohne Amira bevorzugt. Amira beobachtete Rash, das hatte Rash bemerkt. Und wieder war es die Frage, ob Rash es sich nur einbildete oder es richtig wahrnahm, dass Amira Rash in besonderer Weise beobachtete, und nicht bloß ebenso wie alle anderen Crewmitglieder auch. War Amira zum Beobachten hier? Im Auftrag von Sindra?

Die Kapitänin öffnete nicht selbst die Kajütentür wie sonst. Rash hörte ein “Kommt rein!” durch die Tür. Amira öffnete sie und trat hinter Rash.

Die Kajüte sah vertraut aus, wie sonst. Abgesehen von Sindra, die auf dem Stuhl saß. Zwar wie meistens mit angewinkelten Beinen, aber sonst setzte sie sich erst hin, wenn die anderen Personen den Raum betreten hatten und die Tür geschlossen war. Etwas stimmte ganz und gar nicht.

“Setz dich.”, forderte die Kapitänin eine Person von ihnen auf.

Rash war nicht ganz sicher, welche. Rash drehte sich zu Amira um, hätte ihr den Sitzplatz überlassen. Amira hob die Brauen.

“Setz dich, Rash.”, konkretisierte Sindra den Befehl, dieses Mal etwas energischer.

Rash schritt durch den Raum und setzte sich mit geradem Rücken Sindra gegenüber. Amira schloss die Tür und trat schräg hinter Sindra, stand ganz still da, mit wachen Augen. Rash konnte den Blick nicht von ihr lösen. Rash mochte die Gelassenheit, die Amira ausstrahlte. Es war eine andere Gelassenheit als Sindras. Sindras Gelassenheit war dazu da, andere aufzufangen, zu beruhigen und in Situationen anzuführen. Amiras Gelassenheit kam Rash eher so vor, als wäre sie vorbereitet auf ungefähr jegliche Situation, die da kommen möge.

“Du bist üblicherweise gut darin, zu schließen, wenn etwas nicht stimmt.”, sagte Sindra.

Rash nickte langsam.

“Ich vertraue dir. Uneingeschränkt.” Sindra holte tief Luft und ließ sie langsam entweichen, wie um dem Gesagten mehr Raum zu geben. “Es gehen Dinge vor sich, die ich nicht verstehe, und ich möchte dich deshalb auf eine Weise verhören, als täte ich es nicht. So sehr es mich schmerzt, ich möchte in Frage kommen lassen, dass mein Vertrauen abwegig wäre, und Methoden anwenden, die dich aus der Reserve locken können.”

Rash runzelte die Stirn und nickte. Ein Gefühlsball aus Angst und Liebe für Sindra verzwirbelte sich in Rashs Bauch. “Ich vertraue auch dir. Und ich werde alles mit mir machen lassen, was du für hilfreich hältst.”

“Du kennst Amira bereits.”, leitete Sindra ohne weitere Umschweife ein. Die Kapitänin. Heute hatte sie Rash gegenüber sehr stark diese Rolle. “Aber du weißt nicht, warum sie hier ist, nehme ich an?”

War das eine Art Prüfung? “Sie beobachtet.”, erwiderte Rash.

<!-- zu viel? -->

Sindra blickte sich zu Amira um. Überrascht. Sie versuchte, es zu verbergen, aber das klappte bei Rash nicht so gut. “Hast du die Crew weiter beobachtet?”, fragte Sindra.

Amira nickte. “Es tut mir leid, wenn das nicht in Ordnung war.”

“Vor allem mich.”, fügte Rash hinzu. Rash war sich nur einigermaßen sicher, dass es stimmte, aber vielleicht würde es durch die Behauptung gleich herauskommen.

<!--Gibt es was besseres als "fair"?-->

Im nächsten Moment bereute Rash die Worte. Es war nicht so fair, wie Rash sein wollte. Aber in der Anspannung war der Mund schneller gewesen, als Rash sich hatte bremsen können.

Sindra hob die Brauen. Amira senkte den Blick. Sie tat Rash fast leid. Rash hätte für möglich gehalten, dass Sindra nun irgendetwas Tadelndes sagen würde. Es war nicht Rashs Zielsetzung gewesen, sicher nicht.

Die Überraschung der Kapitänin bedeutete immerhin, dass das Beobachten nicht von ihr veranlasst worden war, und das erleichterte schon.

<!--Trotzdem hatte es sicher einen Grund, warum Amira gerade
Rash beobachtet hatte.-->

Sindra beließ Rashs Behauptung unkommentiert. “Amira ist Assassinperson.”, richtete sie sich wieder an Rash, wand sich dann aber noch einmal um. “Ist die Bezeichnung so korrekt?”

Rash fragte sich einen Moment, ob Sindra mit Amira abgesprochen hatte, dass sie das äußern durfte, was Sindra normalerweise tat. Amira war überhaupt nicht glücklich mit der Gesamtsituation. Zumindest war das Rashs erster Gedanke, als Rash die Körperhaltung zu lesen versuchte. Natürlich kannte Rash Amira kaum. So oder so mochte Rash nicht, davon Ursache zu sein. Das würde Amira Rash gegenüber nicht gerade gut stimmen. Und eigentlich fand Rash Amira sympathisch. Vielleicht war das zu viel gesagt. Amira hatte einfach etwas an sich, das Rash sehr gefiel.

“Assassinan. Ein oder das Assassinan.”, sagte Amira nach einigem Zögern. “Jentel meinte, dass das eine Neo-Wortendung ist – eine neu erfundene Wortendung –, um Personen kein Geschlecht zuzuweisen und ich mag sie.”

Rash lächelte und bemerkte die Veränderung in Sindras Gesicht zu einem glücklich-mitfühlenden Ausdruck.

Sindra wandte sich wieder Rash zu. “Amira ist Assassinan. Und hat einen Mord verhindert. An mir. Indem sie ihn nicht ausgeführt hat, aber letzteres müssen wir nicht überbetonen.”

Wie Amira wohl mit Sindras Gesprächsführung zurechtkam? Es war diese flapsige Art, in die Sindra manchmal fiel, einfach so.

Rash nickte, und fragte sich, ob erst einmal nur zuhören dran war oder ob Rash auch schon Fragen stellen durfte. Rash entschied sich für Abwarten, als Sindra ohne aufzustehen einen Lederumschlag aus einer Schublade hervorholte. Sie öffnete ihn und legte ihn so unter Rashs Nase, dass Rash die eigene Schrift auf einem Papier richtig herum lesen konnte.

Einen Moment verhakten sich Rashs Gedanken. Nicht, weil Rash in stressigen Situationen nicht hätte denken können, sondern weil zu viele Gedanken gleichzeitig ins Bewusstsein drängen wollten.

Rash hatte, seit Rash bei der Crew war, nicht mit einem Kohlestift geschrieben.

Die Kapitänin holte Rash aus den Gedanken. “Denk laut.”

Das war ein Befehl. Rash schloss für einen Moment die Augen. “Sehr wohl.”, sagte Rash. “Es fällt mir schwer. Aber ich versuche es.”

“Ich weiß. Gib dein Bestes, wie immer.”, sagte Sindra ruhig, aber unnachgiebig.

Etwas kribbelte in Rash, was da nicht hingehörte. Sindra war selten so klar über andere bestimmend, außerhalb von kinky Kontexten. Oder Situationen, in denen es schnell gehen musste, oder schlimmere Gefahr lauerte vielleicht. Vielleicht war jetzt so eine Situation. Rash verdrängte den Gedanken rasch, um ihn nicht auch aussprechen zu müssen. Darum ging es schließlich nicht.

“Unverkennbar ist das meine Handschrift.”, begann Rash. “Ich nehme an, deshalb hast du mich zu dir gebeten.”

Sindra bestätigte dies mit einem Nicken und einem zustimmenden Geräusch.

“Ich habe das nicht geschrieben.”, sagte Rash. Aber Rashs Finger griffen wie von selbst nach dem Papier. Rash hielt es sich näher vor die Augen. Etwas stimmte nicht. “Da stimmt etwas nicht.”, murmelte Rash also. “Ich bin mir nicht sicher, ob ich das geschrieben habe. Eigentlich bin ich mir sicher, dass ich seit Langem nicht mehr mit Kohlestiften geschrieben habe. Seit ich hier an Bord bin spätestens nicht mehr. Das ist nun wie lange? Vier Jahre?” Rash war fast von Anfang an dabei gewesen.

“Vier und ein halbes.”, bestätigte die Kapitänin.

Sie hatten nicht von Anfang an auf die selbe Weise Schiffe überfallen. Der Dampf war zum Beispiel neu. Oder dass sie nach im Sturm verunglückten Schiffen Ausschau hielten und die Überreste so umgestalteten, dass sie von einem brutalen Überfall hätten stammen können, und jene Überreste dann vor Küsten größerer Städte anschwemmen ließen. Das schürte Angst und half bei Überfällen.

“Du vergisst, laut zu denken.”, ermahnte Sindra.

Wieder zuckte ein untergründiges Verlangen durch Rashs Körper. Nach Sindras Hand um Rashs Hals oder über Rashs Mund. “Ich habe auch Gedanken im Kopf, die mit dem Brief überhaupt nichts zu tun haben. Ich glaube nicht, dass sie hier irgendwie zuträglich sind, oder hergehören. Aber wenn du darauf bestehst, spreche ich sie auch aus.”

“Ich bestehe darauf.”, machte die Kapitänin klar.

Rash wusste, dass Rash durchaus einen Befehl verweigern könnte. “Ich weiß, dass ich nicht muss.”, sagte Rash also.

“Was soll das?”, mischte sich Amira plötzlich ein. “Warum denkst du, dass du einem Befehl der Kapitänin nicht Folge zu leisten hättest?” Das Assassinan hatte plötzlich ein Messer in der Hand.

“Ich habe wiedergegeben, was ich gedacht habe.”, sagte Rash ruhig. “Mir wäre neu, dass Sindra mich mit dem Leben oder irgendetwas bedroht, was mir ernsthafte Schwierigkeiten machen würde.”

“Das werde ich auch nicht.”, sagte Sindra, keineswegs sanft und wandte sich an Amira: “Steck das Messer weg und misch dich nicht ein!”

Amira gehorchte. Glücklich wirkte sie aber nicht.

“Zuvor habe ich kurz Revue passieren lassen, wie sich unsere Angriffstechniken über die Zeit, die ich da bin, geändert haben.”, sagte Rash. “Und deine Befehle erregen mich.”

Rash konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als Amiras Gesichtsausdruck ihr für einen kurzen Moment entglitt. War es Empörung? Aber dann war Amira wieder gelassen, als wäre nichts gewesen.

Sindra hingegen wirkte eine Spur weicher. “Es wäre besser, wenn Erregung gerade außen vor bleibt. Ich nehme an, du kannst es nicht vermeiden?”

“Ich vermeide es, so gut ich kann.”, versicherte Rash. “Es sind kurze Erinnerungen. Sie verfliegen rasch.”

Sindra nickte einmal. “Weiter im Text.”, orderte sie an.

Rash senkte den Blick wieder auf das Papier. “Wenn ich die Buchstaben ansehe, machen sie etwas mit mir. Etwas fühlt sich so an, als würde ich mich daran erinnern, sie geschrieben zu haben.”, sagte Rash. Das war nicht gut. “Das macht mir ein wenig Angst.” Rash blickte kurz auf in Sindras Gesicht. Aber die Kapitänin blickte Rash einfach weiter an mit dieser Strenge, unter die aber vorhin ein Stück Wohlwollen geraten war, das immer noch da war. Und vielleicht ein wenig Lust. Rash seufzte tief. “Ich denke schon wieder daran. Soll ich es wirklich ausführen?”

“Das würde es schlimmer machen, nehme ich an?”, fragte Sindra.

“Es geht.”, sagte Rash. “Es lenkt ab. Was es schlimmer macht, ist, dass du auch daran denkst.”

Sindra runzelte die Stirn. “Tatsächlich nicht, nein.”, widersprach sie. Dann seufzte sie. “Es wäre wohl naheliegend gewesen, da hast du recht. Ich sollte wissen, was es mit dir macht, zumal es Thema war. Es tut mir leid, ich wollte das nicht. Wir lassen das Thema nun bleiben, aber treffen uns heute Abend, wenn du möchtest.”

Eine innere Vorfreude durchströmte Rashs Körper. Nur Freude. Und vor allem, weil das sehr sicher hieß, dass Rash heute Abend noch leben würde. Als Amira das Messer gezückt hatte, hatte Rash begonnen, eine untergründige Angst zu entwickeln. Und obwohl Rash rational wusste, dass das außer Frage stand, hatte sich diese irrationale Angst entwickelt, die Rash jetzt erst wirklich realisierte. “Ich habe unsinniger Weise Angst, dass ich als Gefahr eingeordnet werde und deshalb auf die ein oder andere Art beseitigt.”, sprach Rash aus. Irrte Rash sich, oder war da eine gewisse Bereitschaft in Amiras Blick? Rash hoffte sehr, sich zu irren. “Ich verstehe aber sehr gut, wenn ich mit diesem Material als eine eingestuft werde. Ich werde mich nicht dagegen wehren, aber hoffe, dass es auf höchstens Gefangennahme hinausläuft, bis die Sache geklärt ist.”

“Höchstens.”, beruhigte Sindra Rash.

“Das erleichtert mich sehr.”, sprach Rash die Gedanken aus, die Rash im Normalfall für sich behalten hätte. Rash blickte erneut auf den Zettel. “Ich würde gern lesen, aber ich kann nicht gleichzeitig lesen und reden.”

“Kannst du vorlesen?”, fragte Sindra.

Rash nickte. Und tat es, als Sindra den Befehl dazu gab. Rash pausierte nur einen Moment, als Rash fertig war. Es war kein langer Brief gewesen. “Das habe ich nicht geschrieben.”, wiederholte Rash. “Aber”, Rash stockte. Das war etwas, was Rash wirklich ungern zugab. “Aber das ist eher der Stil, in dem ich schreiben würde, als ich es tatsächlich tue.”

“Wie meinst du das?”, fragte Sindra.

“Ich kann nicht gut formulieren.”, gab Rash zu. “Ich”, Rash brach wieder ab. Wenn Rash nun weitersprechen würde, würden sie Kanta vielleicht auf ähnliche Weise verhören. Und Kanta fürchtete sich immer noch vor Sindra wegen des Verhörs bei ihrer Ankunft. “Deine Art, mit Personen umzugehen, können Personen verschieden gut ab.”, sagte Rash.

“Hast du etwas ausgelassen, oder ist der Gedankensprung so in deinem Kopf passiert?”, fragte Sindra.

Rash seufzte erneut. Sindra hatte recht. “Kanta hilft mir beim Formulieren.”, gab Rash schließlich zu. “Kanta weiß nicht, wie wir die Post verschicken. Darauf achte ich sehr. Und Kanta hat mir ganz sicher nicht diesen Brief diktiert.”, fuhr Rash fort.

“Hast du Angst, dass wir als nächstes Kanta verhören?”, fragte Sindra schlussfolgernd.

“Ja.”, bestätigte Rash. “Was ich auch verstehen kann. Aber das letzte Mal, als du mit ihr geredet hast, hat das bei Kanta eher Traumata hochgeholt.” Rash hatte das nicht so direkt teilen wollen. Aber der Befehl, dass Rash alle Gedanken darlegen sollte, galt noch.

“Ich verstehe.”, sagte Sindra. Klang aber eher nicht so, als würde sie viel Einsehen haben. “Wie hast du vorher formuliert, bevor Kanta an Bord war?”

“Es hat mich viel mehr angestrengt und manchmal hat mir Janasz geholfen.”, berichtete Rash. “Ich war froh, als Kanta da war. Ich habe so viel von ihr gelernt.” Rash verkrampfte sich. Der nächste Gedanke war wahrscheinlich sehr wesentlich. “Ich vertraue Kanta nicht. Ich mag sie. Ich habe einen Reflex, sie zu beschützen, weil sie sehr viel Schlimmes erlebt hat. Aber mir wird nun klar, dass es keine gute Idee war, sie mir helfen zu lassen.”

“War es nicht.”, bestätigte Sindra.

“Was ich nun sage, klingt wie eine Verteidigung.”, berichtete Rash weiter. “Und vielleicht ist es eine, aber ich würde sie nicht anbringen, wenn nicht der Befehl im Raum stünde, alles zu sagen, was ich denke.” Rash fing an, den Befehl zu mögen. Es war seltsam erleichternd. Der Kapitänin gegenüber. Amira gegenüber weniger.

“Fahre fort.”, orderte Sindra an. “Ich wäre auch sonst nicht ungewillt, deine Verteidigung zu hören.”

“Die Nachrichten, die rausgehen, sind nicht sehr genau. Sie dienen vor allem dazu, zu sagen, wie gesund wir sind, wer da ist, einigermaßen kodiert, und, dass wir überhaupt in der Lage sind, zu reagieren. Noch ein paar Sachen.”, sagte Rash. “Davon weiß Kanta alles. Das sind Informationen, die allen an Bord klar sind. Es ging nur um Formulierungen. Ich habe nicht mehr Details geschrieben, sicher nicht aus Versehen weiteres Papier mitgeschickt. Ich habe, gerade weil ich Kanta nicht vertraue, sehr gut auf alle notwendigen Utensilien fürs Schreiben achtgegeben. Ich dachte, so könne nichts passieren.”

“Warum vertraust du Kanta nicht?”, fragte Sindra.

Das war eine spannende Frage, weil Rashs Antwort darauf verschwommen war und Rash selbst nicht befriedigte. “Zum einen brauche ich lange, bis ich einer Person vertraue. Es ist nicht unbedingt ein besonderes Misstrauen. Höchstens ein wenig.”, antwortete Rash. “Aber eben doch ein wenig. Ich weiß nicht genau, warum. Ich glaube, wegen Ashnekov und Janasz.” Rash machte eine bewusste Pause und atmete dabei langsam ein und aus. Inzwischen war Rash sehr angespannt. Rash verriet außerordentlich ungern Leute, und auch, wenn es das nicht zwangsläufig war – Rash sagte ja bloß, dass Kanta beim Formulieren geholfen hatte –, fühlte es sich so an. “Kanta ist verliebt in Ashnekov. Sie hat nicht mitbekommen, dass Ashnekov und Janasz ein Paar sind.”

“Es würde an sich nichts dagegen sprechen, wenn es eine offene Beziehung ist. Was ich nicht weiß.”, sinnierte Sindra.

“Es geht mir nicht darum.”, sagte Rash. “Das weiß ich auch nicht. Es könnte auch sein, dass Ashnekov schwul ist, was ich auch nicht weiß. Aber Kanta wüsste wohl, dass sie ein Paar wären, wenn sie je mit Ashnekov über ihre Gefühle gesprochen hätte. Sie ist sich aber recht sicher, dass Ashnekov ihre erwidert, weil er so lieb zu ihr ist. Sie kann sich nicht vorstellen, dass ein Mann einfach lieb zu ihr ist, weil es sich um eine liebe Person handelt.”

“Und das macht dich misstrauisch?”, fragte Sindra.

“Das wäre zu viel gesagt. Ich fühle mich auch ungerecht deswegen. Die Überlegungen sind roh, unfertig und befriedigen mich selbst nicht.”, antwortete Rash. “Auf der Argumentationsgrundlage würde ich keiner Person misstrauen. Aber in der Art, wie Kanta darüber redet, fühlt sie sich als Charakter für mich so an, dass ich ihr lieber nicht zu viele Informationen geben würde. Das ist alles.”

“Danke, dass du alle Gedanken mit mir geteilt hast.”, sagte Sindra.

“Ist das eine Aufhebung des Befehls alles zu sagen, was ich denke?”, fragte Rash.

Sindra nickte und hielt Rash die Hand hin, um den Brief wieder entgegen zu nehmen.

Obwohl Rash irgendwann angefangen hatte, es zu mögen, war Rash nun auch sehr erleichtert, dass Rash wieder freier denken konnte. Rash zögerte allerdings, den Brief auszuhändigen. “Wegen des Erinnerungsgefühls, das ich nicht ganz einordnen kann, würde ich den Brief gern noch länger ansehen.”

“Jetzt?”, fragte Sindra.

“Am liebsten würde ich ihn mitnehmen.”, gestand Rash.

“Frühestens nach meinem Verhör mit Kanta.”, bestimmte Sindra.

Rash reichte ihr das Papier ohne weiteres Zögern und stand auf.

“Alles, was in diesem Raum heute gesagt wurde, und nicht schon außerhalb bekannt ist, bleibt in diesem Raum.”, bestimmte Sindra. “Niemand wird informiert, dass dieses Gespräch stattgefunden hat.”

Rash nickte. Damit hatte Rash gerechnet. Rash blickte zu Amira hinüber. Rash hatte keine Zweifel, dass Amira schweigen konnte. Rash hatte das Bedürfnis noch etwas zu ihr zu sagen, und entschied sich schließlich dafür, von den Gefühlen am Anfang zu reden: “Es tut mir leid, sollte ich dich in eine Situation gebracht haben, in der du dich unbehaglich gefühlt hast.”

Sindra schmunzelte. “Das war hauptsächlich ich.”, korrigierte sie.

“Das mit dem Beobachten.”, konrektisierte Rash.

“Das war gut.”, erwiderte Amira und überraschte Rash damit. “Ich habe nie gelernt, was Privatsphäre ist. Ich habe immer beobachten müssen. Es gehörte zu meiner Arbeit, sowie als fester Bestandteil in mein Leben. Ich möchte so nicht mehr sein, aber dazu muss ich auch wissen, was ich mir da angeeignet habe.”

Rash spürte den Drang, zu ihr hinüberzugehen und sie in den Arm zu nehmen. Bezüglich Amira fühlte Rash kein zusätzliches Misstrauen über Rashs normales Maß hinaus. Es hätte viel eher dort hingehört. Einem Assassinan sollte Rash nicht einfach vertrauen. Aber Rash hatte bei ihr nicht den Eindruck, dass sie versuchte, etwas zu überspielen.