Junita berät Zarin Katjenka. Sie ist sehr gebildet. Zarin Katjenka vertraut ihr.

Content Notes:

Alkohol, Belästigung, Tod, Pandemie, Rassismus oder Speziesismus.


Einsichten

Junita

Junita riss sich zusammen. Sie war mit der Vorgabe auf ihre Gemächer geschickt worden, sie möge sich in Bereitschaft halten. Sie hatte andere Pläne und setzte sie nicht um, einfach um da zu sein, sobald es Zeit war. Jede halbe Stunde, die verstrich, ohne dass nach ihr geschickt wurde, fühlte sich wie verschwendet an. Als hätte sie es doch schaffen können, ein paar Momente woanders zu sein, oder auch etwas länger, ohne dass es aufgefallen wäre.

Aber nach zwei Stunden war es dann endlich so weit. Eine der bediensteten Personen klopfte und informierte sie, dass die Zarin nach ihr schickte. Sie erwarte sie in ihren Privatgemächern. Junita war schon oft dort gewesen, aber heute war sie sehr nervös. Sie warf noch einen Blick in den Spiegel, ob die Zöpfe in ihrem Bart gepflegt genug aussahen, oder ob in dem Durcheinander sich doch eine Strähne verselbstständigt hätte, und brach auf.

Sie stand kerzengerade da, als die Zarin ihr öffnete. Sie sah auf den ersten Blick, das Katjenka aufgewühlt war.

Sie kannte das Protokoll und befolgte es immer haargenau. Jede Bewegung war berechnet. Auf diese Weise wirkte sie zuverlässig und präzise. Sie war es auch. Eigenschaften, die die Zarin schätzte.

Sie folgte dem einladenden Wink der Zarin an den kleinen Tisch mit Blick durch das Fenster zum Hof. Es war spät in der Nacht. Eine Nacht, in der Nixen im Hafen ein historisches Ereignis vorbereiteten. Junitas Gesichtsausdruck war glatt, wie immer.

Glatt, als hätte sie keine Emotionen. Die Zarin hatte auch ihr mit der psychischen Folter an Sindra weh getan. Nun, ihr Problem war ein anderes als Sindras. Junita verbarg Emotionen tatsächlich hinter einer Fassade. Junita schauspielte. Und trotzdem hatte es sie tief verletzt, weil sie Katjenka gegenüber nie Emotionen über ein kleines Lächeln hinausgehend zeigte, auf diese Weise zu erfahren, wie die Zarin über sie dachte, oder sie behandeln würde, wenn sie sie unter anderen Umständen kennen gelernt hätte. Nicht in einem Universitätskontext, in dem Junita der Zarin als Kind aufgefallen war. Und wo diese sich Junita ausgesucht hatte, als ihre persönliche Beratung ausgebildet zu werden.

Die Zarin musterte sie mit einem Schmunzeln. Sie schwieg ungewöhnlich lange. Meistens brachte sie zeitig an, worüber sie reden wollte. Ahnte sie etwas?

“Was kann ich für dich tun?”, fragte Junita.

“Es ist alles sehr merkwürdig.”, antwortete Katjenka. “Möchtest du etwas trinken?”

Das hatte sie noch nie angeboten. Junita kannte das Protokoll dazu nicht. Höflich ablehnen? Damit fuhr sie vielleicht gut. Oder? “Wie dir beliebt.”, sagte sie.

“Junita.” Kantjenka lehnte sich zurück. “Mir ist aufgefallen, dass ich dich überhaupt nicht kenne. Du bist immer da. Immer höflich, immer abrufbereit. Du erklärst viel, ausführlich und geduldig. Dein Rat ist stets durchdacht und hilfreich. Ich schätze deine Unterstützung sehr.”

Junita konnte nicht verhindern, dass ein warmes Gefühl sie durchströmte. Die Zarin war nicht unbedingt sparsam mit Komplimenten. Ihr gegenüber aber schon. Weil sie sie nicht als Motivationsantrieb brauchte, Komplimente also keinen direkten Zweck erfüllten. Und weil sie immer gleich agierte, es also keine besseren Tage gab, die die Zarin über schlechtere hinausstellen konnte. Junita fühlte auch Unbehagen. Es war ein Moment des Wandels und Junita wusste noch nicht wohin. Es machte ihr Angst, dass die Zarin dies nun aussprach und nicht zu einem anderen, weniger ereignisreichen Zeitpunkt. Aber es berührte sie auch positiv und im Innersten. Sie nickte einmal, die Komplimente zur Kenntnis nehmend. “Es freut mich, dass ich dir eine Hilfe sein kann.”, sagte sie. “Ich hoffe, ich kann die mir erteilten Aufgaben auch weiterhin zu deiner Zufriedenheit erfüllen.”

Die Zarin lächelte einen Moment noch etwas breiter. “Ich möchte dich aber gern als Person besser kennen lernen. Du hast dich nie über die Mode beklagt, die dir zugeteilt wurde, nie über Essen oder deine Gemächer. Aber du hast auch nie Wünsche geäußert. Was sind deine Bedürfnisse?”

“Vor allem deine Zufriedenheit.”, antwortete Junita hilflos. Es war nicht, was Katjenka hören wollte, das wusste sie. Auf dieses Gespräch war sie nicht vorbereitet. Der Gedanke brachte sie auf eine Lösung des Problems: “Gerade beschäftigen mich die jüngsten Ereignisse, muss ich zugeben.”, sagte sie. “Ich habe mir über meine Bedürfnisse keine Gedanken gemacht. Das gehörte bisher nicht zu meinem Aufgabenfeld. Wenn dir das wichtig ist, befasse ich mich damit in den kommenden Tagen.”

Katjenka nickte. “Magst du ein Glas Sandbeerenwein mit mir trinken?”, fragte sie. “Wenn du keine Bedürfnisse hast, würde ich es mir wünschen.”

Junita wurde innerlich heiß. Sie wusste, dass nichts ihres Unbehagens nach außen durchdrang. Sie atmete flach aber bewusst ein und aus, um doch, nun in diesem denkbar ungünstigen Augenblick, das erste Mal ein Bedürfnis zu äußern. “Ich möchte aktuell lieber keinen Alkohol trinken.” Tatsächlich wollte sie es nie. Aber mit der Akutsituation ließ sich das vielleicht unauffälliger vorübergehend begründen. Und später wäre es nicht mehr so schlimm, wenn dabei etwas auffällig wäre, wenn sie den Wunsch noch einmal allgemein äußerte.

“Wie die Maare.”, antwortete die Zarin.

Junita lächelte schmal. Ein passender Zeitpunkt dafür. “Eine womöglich nicht zufällige Übereinstimmung.” Junita freute sich innerlich über die Überraschung in Katjenkas Blick.

“Nicht zufällig?”, fragte diese.

“Es gibt laut der Geschichten, die in Umlauf sind, zwei mögliche Gründe, warum die Maare sich ein Alkoholverbot auferlegt haben. Wenn jenes überhaupt der Realität entspricht, und nicht auch eine Mär ist, um sie zu entfremden.”, erklärte Junita. “Es ist bekannt, dass Alkoholkonsum klares Denken verändert oder erschwert. Die Maare sind aber wenige und müssen ihre Möglichkeiten so gut es geht ausschöpfen.” Junita hielt einen Finger hoch und fügte nun einen zweiten hinzu. “Die zweite Erklärung ist, dass die Kapitänin üble Erfahrungen im Zusammenhang mit Alkohol machen musste und deshalb jegliche alkoholische Substanz von der Flotte bannt.” Junita senkte die Hand wieder und machte eine kurze Redepause, um der Zarin Zeit zu geben, selbst nachzudenken. “Beides sind Gründe, die sich einigermaßen mit meinen decken, nun keinen Alkohol konsumieren zu mögen. Wir sind in einer Lage, in der ich meine Denkfähigkeit möglichst nicht beeinträchtigen möchte. Und ich wurde in meiner Vergangenheit mehrfach auf Feiern bei Hof von betrunkenen Personen belästigt. Diese Erinnerungen verknüpfe ich mit Alkohol, sodass Alkohol und besonders Wein bei mir ein unangenehmes Gefühl auslöst.”

“Das tut mir leid, das wusste ich nicht.”, sagte die Zarin. Sie wirkte ernsthaft betroffen.

“Ich hielt es nie für notwendig, darüber zu reden.”, sagte Junita. “Aber dein Wunsch war, mich näher kennen zu lernen.” Sie war eine Spur stolz auf sich selbst, das Gespräch wieder in sichereres Fahrwasser gelenkt zu haben. Sie war allerdings halbwegs überzeugt, dass die Zarin sie mindestens testen wollte, ob sie vielleicht etwas mit der Flotte der Maare zu tun haben könnte.

Und das hatte sie.

Mehr noch. Sie war eine Nixe. Sie war Kind einer Nixe. Und Nixen sahen das nicht so eng mit den Fischschwänzen, hatte sie erfahren dürfen. Ein Kind einer Nixe war eine Nixe, wenn es wollte, Fischschwanz oder nicht.

In Junitas Fall war die gebärende Person Zwerg gewesen. In Jentels Fall war die gebärende Person Nixe gewesen. Daher hatte sie Beine und Jentel einen Fischschwanz. Sie hatten die ersten Jahre ihres Lebens viel beieinander verbracht, weil ihre Eltern eine etwas unkonventionelle, größere Familie bildeten, bis Junitas sie geboren habendes Elter – dafür hatte Siren ein eigenes Wort, weil die Sprache in Geschlechtszusammenhängen offener oder präziser war – in Mizugrad hatte studieren wollen. Es hatte sich am Aufbau des Informationssystems der Nixen beteiligen wollen, noch lange bevor es die Maare überhaupt gegeben hatte, und es hatte sein Kind mitgenommen. Es hatte nicht lange überlebt. Als Junita gerade zwölf gewesen war, hatte eine Welle einer Seuche viele Leben dahingerafft, besonders in den wärmeren Regionen Maerdhas und ihr Elter war dem Fieber erlegen.

Junita war in seine Rolle geschlüpft. Dass die Zarin sie aussuchen würde, war ihre Hoffnung gewesen, aber es war nicht geplant, kein ausgelegter Köder, einfach Glück gewesen. Und dann war sie in dieses komplizierte Leben hineingewachsen. Ein Leben, in dem sie über die Flotte der Maare alles wusste, einmal von ihnen persönlich und einmal, weil zu ihren Aufgaben gehörte, die Gerüchteküche zu verfolgen. Sie speicherte die beiden Stränge derselben Geschichten getrennt von einander ab. Es war etwas, was ihr auch nicht wenig Spaß bereitete.

“Wir haben die Assassinperson einzeln eingesperrt.”, teilte Katjenka mit.

Junita nickte. Erleichterung durchtrömte sie. Amira war noch am Leben. Sie hätte Katjenka in diesem Zusammenhang zugetraut, von ihren sehr überlegten Entscheidungen bezüglich Hinrichtung abzuweichen.

“Weißt du, ich mag manchmal impulsiv und oft nicht aufmerksam genug sein.”, fuhr die Zarin fort. “Aber ich weiß sehr wohl, dass ich heute gestorben wäre, wenn sie es gewollt hätte.”

“Das ist richtig.”, stimmte Junita sachlich zu.

“Ich habe die Nixe grausam behandelt.”, räumte Katjenka ein.

Auch das entsprach der Wahrheit. Trotzdem zögerte Junita hier einen gespielten Augenblick lang, bis sie zustimmte. Die Zarin schätzte sie für ihre Ehrlichkeit, aber auch dafür, dass sie sie nicht gern kritisierte.

“Die Kapitänin hat die Nixe gerettet.”, fuhr Katjenka fort. “Es war für sie aussichtslos, selbst zu entkommen, aber sie hat uns alle ausgetrickst, um die Nixe zu retten. Sie hat sogar einen Namen.”

“Marah.” Der Name war mehrfach gefallen. Junita wünschte sich, die Zarin würde ihn verwenden.

“Marah.”, wiederholte die Zarin. “Sindra hatte jedenfalls recht. Ich kann aus all ihren Handlungen und Verhaltensweisen in größter Not so leicht und klar ableiten, was ihre Prioritäten und Motive sind, worum es ihnen geht, dass es mir fast unheimlich ist. Sie haben niemanden langfristig verletzt. Darin sind sie gründlicher als mein Hofstaat.”

“Es hat noch nie ein Ereignis gegeben, das ihre Werte anders auslegen würde.”, bekräftigte Junita.

Die Zarin nickte. “Ich möchte sie nicht hinrichten lassen.”, sagte sie.

Dieses Mal fragte sich Junita, ob sie es wirklich schaffte, den Stein zu verbergen, der ihr vom Herzen fiel. “Hast du bereits über alternative Pläne nachgedacht?”, fragte sie.

Katjenka lächelte. “Gib es ruhig zu, dir liegt daran, dass ich sie ziehen lasse.”

Auch Junita hob die Mundwinkel ein klein wenig. “Ich halte es zumindest nicht für verkehrt, auf Sindras letzten Vorschlag einzugehen.”, sagte sie. Es fiel ihr dieses Mal schwer, nicht einfach zu sagen, was Katjenka hören wollte. Aber es war verhältnismäßig offenliegend, in welche Richtung ein Vorschlag von ihrer Seite als gute Beratung gehen musste. “Ich halte es für eine gute Option, dich mit der ehemaligen und vielleicht auch zukünftigen Kapitänin der Maare zu treffen, etwas mehr wie als Gleichwertige als zuletzt, und sie zu fragen, was für eine Zusammenarbeit sie sich vorstellen könnte. Für eine Verhandlungsposition, die sich wie eine solche und nicht wie Erpressung anfühlt, sollte sie natürlich zügig nicht mehr in Gefangenschaft sein, oder zumindest sich nicht so fühlen. Vielleicht ist – natürlich gut abgesichert – die Schattenscholle selbst ein Verhandlungsort, der das richtige Zeichen für deine Bereitschaft zur Zusammenarbeit setzt.” Junita hatte eigentlich ein ganz gutes Gespür dafür, womit sie zu weit ginge, aber hatte trotzdem Angst, die Grenze hier doch zu strapazieren, weshalb sie das Gesicht der Zarin genau beobachtete.

“Jegliche Zusammenarbeit mit Sindra und ihrer Flotte würde einschließen, dass ich mich vertraglich daran binde, die Erforschung Grenlannds aufzugeben.”, erinnerte die Zarin.

Junita nickte. “Du könntest versuchen, einen zeitlich begrenzten Vertrag auszuhandeln.”, schlug sie vor. “Es ist vielleicht nicht schlimm, wenn wir in den nächsten fünf bis acht Jahren Grenlannd nicht erforschen. Die Erforschung ist natürlich besonders gewinnbringend, sollten wir die ersten sein. Aber wenn wir die Flotte der Maare solange unterstützen, – nicht so offenliegend für andere Völker natürlich –, wie diese realistisch anderer Nationen Forschungsunterfangen aufhalten kann, haben wir tatsächlich größere Chancen, die ersten zu sein.”

Katjenka lehnte sich zufrieden im Sessel zurück. Es wirkte gemütlich. Es war einer der Momente, in denen Junita sich wünschte, ihr näher zu stehen, nicht nur Beratung zu sein. Sie war immer verwirrt von sich, wenn sie diesen Gedanken hatte. Sie mochte die Zarin. Trotz allem. Sie wusste nicht genau, was sie sich für eine Nähe vorstellte. Vielleicht war es sogar eine elterliche, weil sie so kurz nur Eltern in ihrer Nähe gehabt hatte. Aber so ganz richtig benannt fühlte sich ihr verschwiegener Wunsch damit nicht an.

“Ich mag die Richtung deiner Gedanken.”, sagte die Zarin. “Ich glaube, ich verstehe schon, worauf du hinaus willst. Aber magst du mir trotzdem ein bisschen ausführen, warum du glaubst, dass wir dann größere Chancen hätten, die ersten zu sein?”

Junita nickte. “Während die anderen Nationen sich weiter darauf konzentrieren müssen, gegen die Flotte der Maare anzukommen, können wir uns auf die Überfahrt an sich konzentrieren und versuchen, einen neuen Schiffstyp zu entwickeln.”, erklärte sie. “Wir haben die Schattenscholle noch. Natürlich müssen wir sie wahrscheinlich abgeben, wenn wir einen Vertrag mit der Flotte der Maare schließen. Aber wir können ihr bei uns einen sicheren Hafen bieten und vielleicht selbst Crewmitglieder zur Verfügung stellen, und auf diese Weise ihre Schiffsbautechnik ausforschen.” Junita versuchte ihre Gedanken zu entheddern. “Wenn die anderen Nationen irgenwann einen Weg finden sollten, an der Flotte vorbeizukommen und es Zeit für uns selbst wird, aufzubrechen, haben wir schnellere Schiffe, und immer noch das Geheimnis der Überfälle. Mit einem Vertrag mit uns müssen sie ihre Strategie nicht ändern. Das wird uns in dem Augenblick zu Gute kommen.”

Katjenka nickte. “Nicht die Art Hinterhalt, die mir sehr behagt, aber du hast recht.”, sagte sie. “Zumal auch das Wissen als Druckmittel allein schon viel wert sein kann.”

“Mir behagt es auch nicht.”, gab Junita rasch zu. “Wir möchten natürlich die Flotte der Maare, wenn sie den Vertrag mit uns einhalten, nicht hintergehen. Meine größere Hoffnung, zu der ich nun kommen wollte, wäre, dass wir von einander lernen und Vertrauen aufbauen können. Ich glaube, die Flotte der Maare ist Forschung gegenüber gar nicht grundsätzlich abgeneigt. Sondern nur unseren Forschungspraktiken. Vielleicht ist am Ende des zeitlichen Vertrags ein Hinterhalt gar nicht notwendig.”

“Die Flotte der Maare ist, wie du mir weitergegeben hast, einigen Gerüchten zufolge sogar in Grenlannd gebaut worden.”, fiel der Zarin ein.

“In diesem Punkt sind sich die Geschichten nicht einig. Es kann sein, aber es gibt große Inkonsistenzen in den Versionen der Gerüchte.”, sagte Junita sachlich.

Katjenka nickte wieder. In ihr Gesicht trat ein neuer Ausdruck. Vielleicht ein ahnender. Was immer sie ahnte. Er war auch warm.

Junita fragte sich einen Moment, ob die Zarin ihr überhaupt übelnehmen würde, wenn sie von Junitas Doppelleben erfahren würde. Aber es wäre viel zu gefährlich, etwas in dieser Richtung zu riskieren.

“Vielen Dank für dieses aufschlussreiche Nachtgespräch.”, sagte die Zarin. “Ich habe eine andere sehr seltsame Bitte.”

Junita nickte. “Ich bin für dich da, so gut ich kann.”, versicherte sie.

“Würdest du heute Nacht in meinen Gemächern schlafen?”, fragte die Zarin.

Junita stockte einen Augenblick der Atem. Es zog sich in ihr zusammen. Nicht nur vor Angst, sondern auch vor Zuneigung.

Eigentlich musste die Zarin ihr nicht begründen, warum sie sie bat. Junita konnte es sich denken. Katjenka tat es trotzdem: “So sehr ich der Assassinperson auch trauen möchte, dass sie mir nichts antun wird, ich fürchte mich mit ihr unter einem Dach. Mich haben außerdem all die Erinnerungen an damals überflutet. Mir wäre es lieb, heute Nacht eine Person in meiner Nähe zu wissen, der ich ganz und gar vertraue.”

Junita nickte. “Sehr wohl.”, sagte sie. “Fühlst du dich sicher genug, wenn ich mir meine Nachtbekleidung und Zudecken hole? Ich habe Verständnis, wenn dem nicht so ist. Dann schlafe ich gern auf dem Sofa, oder wo du mich am liebsten hättest.” Junita fühlte sich ängstlich, als sie dies aussprach. Sie wollte nicht bei der Zarin im Bett schlafen. Und ein kleiner, unaufgeforderter Teil fügte in Gedanken ein ‘noch nicht’ hinzu.

“Du kannst dir holen, was du brauchst.”, sagte die Zarin. “Du darfst hinter dieser Türe schlafen, wo du willst.” Sie deutete auf die Tür, die den Zugang zu ihren Gemächern bildete. “Ich erwarte dich in spätestens einer Stunde.”

Das war genug Zeit, einen Briefwels mit einem Brief zu versorgen.